Cheesburger verboten
Das Gesetz, Milch und Fleisch nicht zu vermischen
von Rabbiner Schlomo Riskin
Von allem, was gläubige Juden vom Rest der Gesellschaft
trennt, ist nichts für die Außenwelt sichtbarer als die Kaschrut-Gesetze,
wie sie in unserem heutigen Toraabschnitt Reeh (5. Buch Moses 14, 1-26)
klar formuliert sind. Demnach dürfen nur Tiere mit gespaltenen Hufen
verzehrt werden, die gleichzeitig Wiederkäuer sind. Alle Vögel,
die nicht koscher sind, werden ausdrücklich noch einmal im 5. Buch
Moses 14, 12-18 aufgeführt. Aus dem Wasser dürfen nur Tiere
mit Flossen und Schuppen gegessen werden. Alle kriechenden Geschöpfe
sind ebenso tabu wie der Verzehr von Blut. Es ist genau festgelegt, daß
Blut auf die Erde abtropfen muß und daß das Fleisch, das wir
essen, zuvor gesalzen werden muß. Schließlich ist es verboten,
Fleisch zusammen mit Milch zu verzehren.
Die allgemeine Begründung für diese Nahrungsmittelverbote
findet sich in der Einleitung zu diesen detaillierten Gesetzen. "Denn
ein heilig Volk bist du dem Ewigen, deinem Gott" (5. Buch Moses 14,
2). Offenbar geht die Bibel davon aus, daß Heiligkeit durch diszipliniertes
Verhalten erreicht wird, durch die Fähigkeit, das Begehren und die
eigenen Instinkte zu zügeln. So faßt Maimonides die Gesetze
der verbotenen Speisen und der untersagten Sexualbeziehungen im gleichen
Buch zusammen.
Meine älteste Tochter Batya, heute selbst Mutter
von vier Kindern, hat im zarten Alter von fünf Jahren gelernt, diese
grundlegende Botschaft der Kaschrut-Gesetze zu verinnerlichen. Batya war
zum Geburtstag einer Spielkameradin eingeladen, deren Heim nicht koscher
war und deren Eltern mir nicht erlaubten, die Geburtstagstorte in einer
koscheren Bäckerei zu kaufen. Ich ließ meiner Tochter drei
Möglichkeiten. Entweder nicht hinzugehen, oder teilzunehmen, ohne
etwas zu essen, oder teilzunehmen und ihren eigenen Kuchen mitzunehmen.
Batya entschied sich für die dritte Option. Hinterher erstaunte sie
mich, als sie sagte: "Bin ich froh, Abba! Meine Freundin Binah hat
eine Allergie gegen Schokolade. Ich bin nur allergisch gegen Sachen, die
nicht koscher sind."
Zwei Aspekte der Kaschrut-Gesetze, die in der Bibel nicht
eigens genannt werden, sind besonders wichtig. So wird in den Schriften
nicht im Detail beschrieben, wie die rituelle Schlachtung der Tiere für
den heiligen Tempel durchzuführen ist. Unsere Weisen lehren, daß
diese Vorschriften offenbar im mündlichen Gesetz enthalten waren,
im Traktat Zevahim und im Kodex Yoreh Deah, Gesetze der Schechita (Rituelle
Schlachtung). Sie sind ein wichtiger Aspekt unserer Kaschrut-Gesetze,
der von zugelassenen rituellen Schlachtern weltweit peinlich genau beachtet
wird, wenn sie Tiere vorschriftsmäßig schlachten. Nur dann
ist das Fleisch koscher. Die Weisen betrachten allein die Existenz solcher
detaillierter Gesetze, die für unser tägliches religiöses
Leben von so großer Bedeutung sind, als zwingenden Beleg für
das Alter und die Echtheit des mündlichen Gesetzes.
Der zweite wichtige Aspekt ist die Trennung von Fleisch
und Milch, von Fleischprodukten und Milchprodukten, von Fleischgeschirr
und Milchgeschirr. Tatsächlich ist eine koschere Küche sofort
daran zu erkennen, daß in ihr zwischen Fleisch und Milch eine strikte
Trennung eingehalten wird, wobei manche Familien sogar zwei Spülbecken
oder gar zwei ganz getrennte Küchen besitzen. Die Quelle für
diese vollständige Trennung ist ein obskurer Vers, der sich in der
Tora dreimal findet, einmal auch im Abschnitt Reeh: "Du sollst das
Bökklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen" (5. Buch Moses
14, 21).
Die Weisen des Talmud leiten aus der dreifachen Wiederholung
ein dreifaches Verbot ab. Man darf nicht Fleisch in Milch kochen, man
darf nicht mit Milch gekochtes Fleisch essen, und man darf nicht mit Fleisch
handeln, das mit Milch gekocht wurde. Das biblische Verbot betrifft die
Vermischung von Fleisch und Milch beim Kochen, wie etwa beim Cheeseburger
oder wie bei in Butter gebratener Salami (basar bechalav, buchstäblich:
mit Milch vermischtes Fleisch). Das rabbinische Verbot erstrekkt sich
auch auf andere Formen der Vermischung von Fleisch und Milch, beispielsweise
auf Butterbrote mit Salami.
Örtliche Bräuche ("Minhag", von gleicher
Gültigkeit wie das rabbinische Verbot) verlangen, daß nach
dem Verzehr von Fleisch eine bestimmte Zeit verstreichen muß, bis
man Milchprodukte zu sich nehmen darf. Nach Rabbiner Mosche Isserles (sechzehntes
Jahrhundert) schreibt ein Brauch vor, daß man sechs Stunden wartet,
weil soviel Zeit für die Verdauung gebraucht wird, während ein
anderer Brauch eine Wartezeit von nur einer Stunde vorschreibt, in der
sich noch Fleischreste zwischen den Zähnen befinden könnten.
Laut Rabbiner Elimelech Bar Schaul, ehemals Oberrabbiner von Rehovot,
entwickelten sich drei Gebräuche. In Polen und Rußland wartete
man sechs Stunden, weil hier in der Regel um sechs Uhr morgens, um zwölf
Uhr mittags und um sechs Uhr abends gegessen wurde. In Deutschland wartete
man drei Stunden, weil hier noch zwei Zwischenmahlzeiten um zehn Uhr vormittags
und um vier Uhr nachmittags üblich waren. In Skandinavien schließlich
wartete man eine Stunde, weil man hier über den Tag verteilt viele
"Happen" zu sich nimmt.
Warum aber formuliert die Tora das Verbot so merkwürdig?
"Du sollst das Böcklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen",
statt zum Beispiel "Du sollst Milch und Fleisch nicht mischen."
Die übliche Erklärung dafür lautet, daß die Tora
hier eine Mitleidsbotschaft vermittelt, verbunden mit dem Wunsch des Allmächtigen,
uns das moralische Dilemma deutlich zu machen, das in der Vernichtung
eines Tierlebens für unseren Genuß beim Essen liegt. Daher
setzt Gott unserem Fleischkonsum Grenzen und formuliert das Verbot von
Fleisch und Milch als Rücksichtnahme auf das Muttertier und ihr Junges.
Eine ähnliche Botschaft wird übermittelt, wenn die Bibel den
Verzehr von Blut untersagt, weil Blut Leben ist.
Eine weitere Lehre könnte darin liegen, daß
die jüdische Überlieferung mit der Erklärung von Kuhmilch
zu einem Milchund nicht zum Fleischprodukt die Möglichkeit eines
Wandels offen hält, indem sie die Macht der Reue unterstreicht. Die
Milch steht für die Kinder, die nicht schicksalhaft die Übeltaten
ihrer Eltern wiederholen müssen, für Nachkommen, die anders
und besser sind als ihre Erzeuger. Zuversicht in unserem irdischen Jammertal
kann uns nur der Glaube an die Erlösung in dem Bewußtsein geben,
daß Erlösung Reue voraussetzt und damit eine grundlegende Veränderung
der menschlichen Natur. Vielleicht steht eine der Wiederholungen des Verbots,
ein Böcklein in der Milch seiner Mutter zu kochen, deshalb am Ende
der Beschreibung unserer drei wichtigsten Feste (2. Buch Moses 23, 19).
Mit der Verbindung von Muttermilch und Fleisch des Kindes würde einer
der zentralen und bahnbrechenden Botschaften unserer Feste verworfen:
daß sich Menschen ändern können, daß die Kinder
Israel aus einem Mutterland wie Ägypten hervorgehen konnten, daß
Sklaven die Freiheit gewinnen können und daß die göttliche
Erlösung in jedem Augenblick eintreten kann.
Jüdische Allgemeine, 12.8.2004
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