Jassir Arafat - eine biografische Skizze
von Daniela Marcus
Jassir Arafat träumte davon, einen palästinensischen
Staat zu errichten, seit er als junger Mann Gewehre aus Ägypten ins
damalige britische Mandatsgebiet Palästina schmuggelte. Doch auch
als Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde (PA),
einer Einheit, die gegründet wurde, um dem Ziel eines palästinensischen
Staates einen Schritt näher zu kommen, gelang es Arafat nicht, seinen
Traum zu verwirklichen.
Für die Palästinenser ist er das Symbol ihres
Kampfes für eine Heimat. Doch für Israelis ist er das Symbol
der Bedrohung, jemand, der ihre Heimat zerstören will, ein Mann,
dessen Komplizenschaft eine unvergleichliche Woge von Terrorangriffen
auf israelische Zivilisten erwirkt hat.
Im Juni 2002, nach mehr als eineinhalb Jahren arabisch-israelischem
Blutvergießen, in denen die Palästinenser Wellen von Selbstmordanschlägen
durchführten und die Israelis schließlich Arafats Gebäudekomplex
im Westjordanland belagerten, drängte US-Präsident George W.
Bush das palästinensische Volk, als Vorbedingung für den Weg
zu einem palästinensischen Staat eine neue Führung zu wählen,
die nicht durch Terror oder Korruption belastet sei. Die Position des
Premierministers wurde im März 2003 geschaffen. Nach einem Machtkampf
mit Arafat nahm Mahmoud Abbas den Posten an. Er ernannte neue Kabinettminister
und seine Regierung wurde vom palästinensischen Parlament bestätigt.
Arafat behielt für sich das letzte Wort in Verhandlungen mit Israel.
Arafats Werdegang
Arafat wurde am 24. August 1929 als Mohammed Abdel-Raouf
Arafat al Qudwa al-Hussein in Kairo, Ägypten, als Sohn eines erfolgreichen
Kaufmanns geboren. Weil er der Meinung ist, als Führer der palästinensischen
Nationalbewegung könne er nicht im Ausland geboren sein, sagt seine
offizielle Biografie jedoch, er sei in Jerusalem geboren. Sein Vater war
aus Gaza und seine Mutter aus einer alten Jerusalemer Familie. Sie hatten
in den 1920er Jahren geheiratet und waren dann nach Kairo gezogen. Als
Arafat etwa vier Jahre alt war, starb seine Mutter. Er kam zur Familie
seiner Mutter, den Abu Sauds, nach Jerusalem, das damals zum britischen
Mandatsgebiet Palästina gehörte. Er lebte teilweise dort und
teilweise in Gaza, bis sein Vater wieder heiratete. Nach Kairo zurückgekehrt,
ging er dort zur Schule und besuchte später die Universität.
Eine Zeitlang beschäftigte er sich mit dem jüdischen Leben,
hatte jüdische Bekannte und las zionistische Werke, z. B. von Theodor
Herzl.
Doch im Jahr 1946 setzte sich Arafat der palästinensisch-arabischen
Politik aus. In diesem Jahr kam der Mufti von Jerusalem, Haj Amin al-Husseini,
nach Kairo. Er hatte die Kriegsjahre in Berlin verbracht, wo er sich mit
Hitler getroffen hatte, und versammelte nun Aktivisten, um sie im Kampf
gegen die Juden in Palästina zu organisieren. Arafat wurde ein palästinensischer
Nationalist und beschaffte u. a. Waffen, die für die arabische Sache
nach Palästina geschmuggelt wurden.
Im November 1947 stimmten die Vereinten Nationen für
ein Ende des britischen Mandats in Palästina und für die Teilung
in einen jüdischen und einen arabischen Staat mit Jerusalem als internationaler
Hauptstadt. Die Juden in Palästina und überall auf der Welt
akzeptierten diesen Teilungsplan. Die Reaktion der Araber war deutlich
negativ. Sie wollten keine jüdische Einheit in der Region und verwarfen
den Plan.
In Kairo hatte sich Jassir Arafat mit Abdel Khader al-Husseini
angefreundet, der 1948 die Einheiten palästinensischer Araber in
der Region Jerusalem anführte. Als Arafat von al-Husseinis Tod im
Kampf am Kastel-Berg im April 1948 hörte, verließ er die Universität
in Kairo und meldete sich zum Kampf in Palästina. Er trat der Moslem-Bruderschaft
bei, die im Gazastreifen und in der Schlacht bei Kfar Darom kämpfte.
Als die ägyptische Armee am 15. Mai 1948 zu den Auseinandersetzungen
hinzukam, wurde ihm und seinen Kameraden befohlen, die Szene zu verlassen.
Dies war für ihn ein prägendes Erlebnis und er beschuldigte
die arabischen Staaten immer des Verrates, weil sie den Palästinensern
nicht geholfen hätten, die Schlacht zu gewinnen und ihnen nicht erlaubt
hätten zu kämpfen. Israel gewann den Krieg. Die palästinensischen
Araber erlitten eine deutliche Niederlage, weil 750.000 von ihnen ohne
einen eigenen Staat zurück blieben.
Gründung der Fatah
Arafat beendete sein Ingenieursstudium in Kairo. In den
1950er Jahren wurde er in die ägyptische Armee eingezogen. Er kämpfte
im Suezkrieg im Jahr 1956. Nach Verlassen der Armee arbeitete er als Ingenieur
in Kuwait. Während dieser Zeit gründete er mit mehreren Freunden
eine kleine Bewegung namens Al Fatah - eine Untergrund-Terrororganisation,
die sich dem Ziel widmete, Palästina für die palästinensischen
Araber zurückzufordern. Diese Gruppe und weitere wurden schließlich
zum militärischen Flügel der palästinensischen Befreiungsorganisation
PLO - eine Dachorganisation, die 1964 gegründet wurde. Die Leitung
von Fatah wurde zu Arafats Hauptbeschäftigung. Ab 1965 führte
die Organisation Guerillaangriffe und Terroranschläge in Israel aus.
Im Jahr 1966 hatte Fatah eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem syrischen
Ba'ath-Regime, die bis zum heutigen Tag nicht gelöst ist.
Sechstagekrieg und Flucht aus Jordanien
Israel ging aus dem Sechstagekrieg 1967 als Sieger hervor,
es eroberte die Golanhöhen von Syrien, das Westjordanland von Jordanien
und den Gazastreifen und beinahe die gesamte Sinaihalbinsel von Ägypten.
Fatah war nach diesem Krieg die einzige arabische Gruppe, die den Guerillakrieg
gegen die israelische Besatzung fortführte. Dadurch gewann sie die
Bewunderung der arabischen Massen. Tausende wurden Mitglied der Fatah.
Im Jahr 1968 wählten die Palästinenser Arafat zum Vorsitzenden
der PLO. Sein Motto als Vorsitzender lautete: Die Palästinenser können
sich nur auf sich selbst verlassen.
Arafat und Al Fatah ließen sich in Jordanien nieder.
Unter Arafats Führung unternahmen verschiedene Abteilungen der PLO
eine Serie von Anschlägen und Entführungen in Europa und im
Nahen Osten. Arafat übernahm nie persönlich die Verantwortung
für diese Anschläge, er verurteilte sie jedoch auch nicht.
Im Jahr 1970 versuchte Arafat während des "Schwarzen
September" einen eigenen Staat innerhalb des Staates Jordanien zu
errichten. Nach dem Bürgerkrieg, der in diesem Zusammenhang stattfand,
zwang König Hussein die Palästinenser Jordanien zu verlassen.
Arafat verlegte sein Hauptquartier in den Libanon, nach Beirut. Von dort
aus organisierte er weitere Angriffe auf Israel.
Trotz seiner mutmaßlichen Beteiligung am Mord von
israelischen Sportlern bei den Olympischen Spielen in München 1972
-ausgeführt von der Organisation "Schwarzer September"-,
wurde Arafat 1974 erlaubt, eine Rede vor der Generalversammlung der Vereinten
Nationen zu halten. Bei dieser Rede trug Arafat eine Pistole. Der PLO
wurde im Folgenden ein Beobachterstatus bei der UNO gewährt.
Libanonkrieg und Flucht nach Tunis
Im Juni 1982 führte Israel nach einer Reihe von PLO-Angriffen
aus dem Libanon einen umfassenden Gegenangriff aus, bei dem das PLO-Hauptquartier
in Beirut zerstört wurde. Zu dieser Zeit war Arafat zum bekanntesten
arabischen Führer in der Welt geworden, der den Friedensvertrag zwischen
Ägypten und Israel vehement ablehnte.
Arafat wurde aus dem Libanon vertrieben und verlegte sein
Hauptquartier nach Tunesien. Zur Zeit der ersten Intifada, die 1987 ausbrach,
unterstützte er die Palästinenser in der Westbank von Tunis
aus. Auf Grund der Intifada brach König Hussein von Jordanien seine
Verbindungen zum Westjordanland ab und Arafat wurde gezwungen einen moderateren
Standpunkt einzunehmen und Verhandlungen mit Israel zu beginnen. Im Jahr
1988 traf sich der palästinensische Nationalrat in Algier, akzeptierte
die UN-Resolution 242 und erkannte Israel und das Recht zweier Staaten,
die Seite an Seite existieren, de facto an. Arafat rief einen unabhängigen
palästinensischen Staat im Westjordanland und im Gazastreifen aus
und teilte der UNO mit, die PLO werde auf Terror verzichten und das Recht
aller Parteien -inklusive Israel- auf Frieden unterstützen. Ende
des Jahres hatten 70 Länder die PLO anerkannt, doch verlor sie durch
die Unterstützung des Irak im ersten Golfkrieg wieder an Glaubwürdigkeit.
Osloer Friedensabkommen, Nobelpreis und Rückkehr
in die Gebiete
Im Jahr 1992 erwies sich Arafat als Meister im Überleben
als er einen Flugzeugabsturz auf Grund eines Sandsturmes in der libyschen
Wüste überlebte. In seinem Kopf bildete sich ein Blutgerinnsel,
doch auch das überstand er.
Nach geheimen Friedensverhandlungen mit israelischen Repräsentanten
erkannte die PLO Israel im Jahr 1993 offiziell an. Arafat und Israels
damaliger Premierminister Jitzchak Rabin unterschrieben das Osloer Friedensabkommen
und gaben sich auf dem Rasen vor dem Weißen Haus in Anwesenheit
des damaligen US-Präsidenten Bill Clinton die Hand. Das Friedensabkommen
rief zum Ende der Gewalt auf, zum allmählichen Rückzug der israelischen
Truppen aus dem Gazastreifen und aus dem Westjordanland und zur Gründung
der palästinensischen Autonomiebehörde (PA) als Regierungsorgan
in diesen Gebieten. Arafat erhielt gemeinsam mit Rabin und Shimon Peres
den Friedensnobelpreis. Allerdings stellten schon damals einige in Frage,
ob Arafat diesen Preis überhaupt verdient habe.
In Folge des politischen Prozesses kam Arafat im Jahr
1994 nach Dutzenden von Jahren, in denen es ihm verboten war, die besetzten
Gebiete zu betreten, wieder nach Gaza. Im Jahr 1996 wurde er Präsident
der palästinensischen Autonomiebehörde. Er traf sich zahlreiche
Male mit führenden israelischen Politikern und reiste frei durch
die Welt in dem Versuch, Unterstützung für die PA zu gewinnen.
Arafats Aktivitäten in diesem vergangenen Jahrzehnt
werden kontrovers betrachtet. Manche sagen, er habe niemals den bewaffneten
Kampf aufgegeben, den er in den Jahren zuvor Dutzende Male gewählt
hatte. Andere glauben, er versuchte, den politischen Prozess fortzuführen,
jedoch wollte sein Volk diesen Weg nicht gehen.
Ende des Osloer Prozesses und Ausbruch der zweiten Intifada
Wie dem auch sei: Im Jahr 2000 brach der Friedensprozess,
der all die Jahre sowieso nur schleppend lief, vollständig zusammen.
Durch den Ausbruch der so genannten Al-Aksa-Intifada wurde das Land in
eine eskalierende Gewalt gezogen. Ariel Sharon, der 2001 zum Ministerpräsidenten
Israels gewählt wurde, stand Arafat erneut im Kampf gegenüber,
nachdem er als Verteidigungsminister im Libanon bereits gegen ihn gekämpft
hatte. Sharon forderte Arafat auf, etwas gegen die wiederholten Terrorangriffe
von Palästinensern gegen Israelis zu unternehmen. Doch Arafat behauptete,
er habe keine Kontrolle über Gewaltakte von militanten Gruppen. Die
palästinensische Gewalt gegen Israelis umfasst Selbstmordanschläge
-u. a. auf Linienbusse, Discos, Restaurants und religiöse Feiern-,
Gewehrfeuer aus dem Hinterhalt -z. B. auf fahrende Autos- und Massaker
an Familien -z. B. nach Eindringen in deren Häuser-. Auf Grund seiner
Untätigkeit bezüglich des Terrors, stand Arafat in seiner Mukata
in den letzten drei Jahren unter de facto Hausarrest.
David Shipler, Autor von "Araber und Juden",
sagt über Arafat: "Er befindet sich in einer Zwickmühle.
Je moderater er im Umgang mit den Israelis ist, desto weniger Glaubwürdigkeit
besitzt er im eigenen Volk. Je militanter er ist, desto mehr Glaubwürdigkeit
besitzt er im eigenen Volk, desto weniger versöhnlich sind jedoch
die Israelis. Er ist ein Überlebenskünstler. Doch er ist kein
guter Führer, weil er es nicht schafft, eine andere Richtung einzuschlagen."
NahostFocus, 31.10.2004
Zusammengestellt aus den Biografien Jassir Arafats bei CNN und Ha'aretz
Quellen: www.cnn.com
und www.haaretz.com
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