Christlich-islamisch in Deutschland:

Wie geht das weiter?

von Paul Löffler[1]

Die fast täglichen Meldungen lassen aufhorchen. Beispielhaft: Vor kurzem besetzt eine Truppe von 200 bewaffneten Polizisten die marokkanische Moschee im Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main. Was immer sie an belastendem Material finden mögen – ich vermute nichts Bedeutendes -, die Islamphobie in unserem Land wird neu angeheizt. Für mich, der ich mich seit 30 Jahren für die christlich-muslimische Verständigung in Deutschland engagiere, stellt sich da schon die Frage: Was hat das eigentlich gebracht? Und auch die andere: Wie soll und kann es weitergehen?

Wir sind an Grenzen gestoßen

Tatsächlich wurde ja seit 1973 von christlicher Seite einiges unternommen, um der damals ziemlich neuen Präsenz muslimischer Menschen in Deutschland konstruktiv zu begegnen. Bekanntlich war sie fast ausschließlich durch die deutsche Arbeitsmarktpolitik zustande gekommen. Über 3 Mio. Muslime bei uns sind überwiegend das Ergebnis der Anwerbung türkischer Arbeitsmigranten und damit von wirtschaftlichen Interessen, nachdem durch den Mauerbau 1961 der Zustrom von Arbeitskräften aus der damaligen DDR abriss. In dieser Situation bezog der Evangelische Kirchentag ab 1973 in Düsseldorf das Thema Islam in seine Veranstaltungen ein, seit 1981 in Hamburg ganz intensiv mit Hilfe einer christlich-muslimischen Projektgruppe „Begegnung mit dem Islam“, die bis heute einen festen Platz bei jedem Kirchentag besetzt, zuletzt auch beim Ökumenischen 2003 in Berlin. 1974 erschien die erste Handreichung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) „Moslems in der Bundesrepublik“. Koordiniert von ihrem Ausländerreferat, später von einem eigenen Islam- und Dialogreferat in Hannover, wurden immer neue über den Islam aufklärende und für ein Zusammenleben werbende Informationsbroschüren unter die christlichen Gemeinden gebracht: Das Heft „Zusammenleben mit Muslimen“ soll eine Auflage von 300.000 erreicht haben; wichtig die Broschüre „Kirchengemeinden und ihre muslimischen Nachbarn“ und die Faltblattserie, später als Taschenbuch „Was jeder vom Islam wissen muss“ in zehntausendfacher Verteilung.

Mit den schriftlichen Informationen verband sich zusätzlich ein weit gefächertes Bildungsprogramm in den Akademien und auch in zahllosen Kirchengemeinden vor Ort: Vorträge über den Islam und zur Lage der muslimischen Mitbürger und Mitbürgerinnen, zunehmend auch mit muslimischen Referenten und Besuchen in Moscheen, mit Begegnungstagungen und praktischen Projekten wie Hausaufgabenhilfe für türkische Kinder. Die meisten Landeskirchen setzten Islambeauftragte ein, bildeten Islamarbeitskreise, initiierten Arbeitsgemeinschaften von Religionslehrern für interreligiöses Lernen an den Schulen und vieles andere mehr. Ganz Vergleichbares entwickelte sich in der katholischen Kirche, deren Bischofskonferenz eine Christlich-Islamische Dokumentationsleitstelle in Frankfurt am Main unterhält.

Die Anstrengung konnte sich also durchaus sehen lassen. Sie zielte darauf ab, ein authentisches Bild vom Islam zu vermitteln, vorurteilsfreier als das von der abendländischen Kirchengeschichte, aber auch als das von Karl May transportierte. Sie beabsichtigte zu einem friedlichen Zusammenleben, zur guten Nachbarschaft zwischen Kirche und Moschee anzuleiten. Das schloss durchaus kritische Fragen ein und auch dem allgemein üblichen Verhalten der deutschen Mehrheitsgesellschaft widerständige Positionen. Beispielsweise empfahl kürzlich die Württembergische Landeskirche ihren Gemeinden angesichts zunehmender Konflikte in den Kommunen über den Bau von deutlich identifizierbaren Moscheegebäuden, sich da für ein „konstruktives Zusammenleben mit anders gläubigen Menschen“ und damit für die Grundrechte von Moscheegemeinden einzusetzen. Natürlich gab es auch gegenläufige Tendenzen, die vor dem Islam und seiner dämonischen Ausstrahlung warnten.

In 30 Jahren hat sich gezeigt, dass die anti-islamische Erblast unserer westlich-christlichen Theologie viel schwerer wiegt, dass die Feindbilder von der Welt des Islam, von Orientalen und Arabern im besonderen, viel tiefer sitzen, als wir dachten. Auch nach 30 Jahren grassieren unüberwundene Vorurteile, wie das vom muslimischen Hang zum Fanatismus und zur Gewaltbereitschaft aus Rachsucht, die Terrorismus brüten, ebenso wie das von einer Disposition zum Fundamentalismus. Sie haben sich eher unter dem Einfluss der von Medien transportierten Konflikt- und Gewaltbilder aus der muslimischen Welt verstärkt. Als Theologe habe ich gelernt, dass wir es – ganz parallel zum Antijudaismus – in der abendländischen Theologiegeschichte nicht nur mit gelegentlicher Kritik am Islam sondern mit einem durchgängigen Anti-Islamismus zu tun haben. Gemessen daran, kann man eigentlich gar nicht mit schnellen Ergebnissen auf dem schwierigen Weg des christlich-muslimischen Dialogs rechnen.

Doch wir sind darüber hinaus auf unsere Grenzen gestoßen und werden darauf von muslimischer Seite hingewiesen. In ihrer Untersuchung von 1999 „Stereotypisierung statt Dialog“[2] hat beispielsweise die türkische Erwachsnenbildnerin Sevda Niederauer-Demir den christlichen Dialog-Akteuren einiges dazu ins Stammbuch geschrieben. Sie stellte fest, dass der ganze innerchristliche Aufklärungsprozess nicht wirklich dialogisch angelegt war. Zwar bezog er neben der Information über den Islam die Begegnung mit Muslimen ein, war jedoch in Anlage und Ausführung nie wirklich partizipatorisch gestaltet worden, so dass er mehr Stereotypen über den Islam transportiert hat, als einen lebendigen Lernprozess zu befördern. Er ist darüber hinaus nicht in die Mitte des kirchlichen oder gemeindlichen Lebens vorgedrungen, beispielsweise in die Hauptausbildungsgänge für Theologinnen und Theologen oder in das Zentrum von Gemeindearbeit. So ist lediglich eine kirchliche Randgruppe Dialog-Interessierte entstanden.

Vor allem drückt Sevda Demir ihre Enttäuschung darüber aus, dass sich die Kirchen nicht deutlich genug dem vorherrschenden Diskurs in der deutschen Gesellschaft widersetzt und konsequenter an die Seite der Ausgegrenzten gestellt haben. „Als Migrantin und Bürgerin hege ich die Erwartung“. schreibt sie wörtlich, „die Kirchen seien aufgrund ihrer eigenen Aufgabe in der Lage, sich dem herrschenden Diskurs zu widersetzen und ihren Platz an der Seite der Áusgegrenzten` einzunehmen“.[3] Damit macht sie auf die Gefangenschaft der Christen in Deutschland in der bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft aufmerksam: Information über und Begegnung mit dem Islam sind in der Tat überwiegend ein bildungsbürgerliches Projekt geblieben.

Wege aus der Dialogkrise ?

In der selbstkritischen Wahrnehmung dieser Grenzen liegt dann jedoch bereits ein Hinweis auf mögliche Wege über sie hinaus. Die christlich-muslimische Begegnung könnte weiterführen, wenn sie sich zu einem alltäglichen Zusammenleben christlicher Gemeinden mit ihren benachbarten Moscheegemeinden entwickelt. Für den Dialog und gegen Fremdenfeindlichkeit engagierte Gruppen und Initiativen sollten zu einer gemeinsamen gesellschaftlichen Praxis finden. Das ist deshalb nötig, weil wir beispielsweise aus der Erfahrung in Ländern wie Ägypten und Libanon wissen, dass jeder authentische und auf Kontinuität angelegte Dialogversuch mit einer Form nachbarschaftlichen Zusammenlebens beginnt. Sicherlich gibt es funktionierende Dialogveranstaltungen in einem akademischen Rahmen, die zu Zeit erfreulicherweise durch muslimische Gast- und Stiftungsprofessuren an verschiedenen Fakultäten wie Frankfurt am Main oder Münster belebt werden. Sie bleiben jedoch völlig elitär und deshalb in ihren gesellschaftlichen Wirkungsmöglichkeiten beschränkt, wenn sie nicht von einem wachsenden Dialog des Lebens begleitet werden.

Zaghaft sprach die bisher deutlichste Stellungnahme im evangelischen Bereich „Religionen, Religiosität und christlicher Glaube“[4] von der Notwendigkeit der Konvivenz neben Dialog. Tatsächlich ist die Gestaltung eines friedlichen und gleichberechtigten Zusammen-lebens Voraussetzung für einen Dialog ebenso wie für eine Auseinandersetzung über Glaubensüberzeugungen. Entsteht doch in der nachbarschaftlichen Begegnung erst die gemeinsame Sprache, die kommunikationsfähig macht zwischen unterschiedlichen kulturellen Prägungen und sozialen Gegensätzen. Erst Zusammenleben schafft Vertrauen, das Öffnung ermöglicht und Ängste voreinander bannt, die sonst unweigerlich zur Abgrenzung gegeneinander führen. Erst in dieser Atmosphäre wird es möglich, die gemeinsamen Werte zu entdecken, die über einen unverbindlichen Dialog hinaus ein friedliches Zusammenleben langfristig sichern. Die neuste Verlautbarung der Katholischen Bischofskonferenz stellt das folgendermaßen fest: „Eine Bilanz der Kolloquien zwischen Christen und Muslimen … zeigt, dass der Dialog auf der Ebene der Theologie … äußerst schwierig bleibt. … Auf der Ebene der Werte jedoch können Christen und Muslime von ihrer jeweiligen Glaubensauffassung her sich verpflichtet sehen zu gemeinsamen Zeugnis und solidarischem Dienst“.[5]

In diese Richtung zielt etwa der Versuch der „Aktionsgemeinschaft Dienste für den Frieden“ in Zusammenarbeit mit „Pax Christi“ und dem „Zentralrat der Muslime“ wie der „Schura“ in Hamburg (Rat der islamischen Gemeinschaften) christlich-islamische Friedensarbeit in Deutschland zu entwickeln. In diesem Projekt hat im Oktober 2004 der dritte Workshop stattgefunden: Er begleitet konkrete gemeinsame Vorhaben und stärkt gleichzeitig einen menschlichen und geistlichen Zusammenhalt, der sie trägt und in die Religions-gemeinschaften hinein vermittelt. Vergleichbare Ansätze, wenn auch ohne konkrete Handlungsfelder hat es bei den interreligiösen Sommeruniversitäten von Juden, Christen und Muslimen in der Ev. Akademie Loccum gegeben, wo es beispielsweise 2001 um die Erarbeitung gemeinsamer Positionen zur aktuellen politischen Diskussion um Bioethik ging. 2003 wurde auf einer christlich-islamischen Sommeruniversität in der Ev. Akademie Bad Boll an ethischen Grundwerten für ein interreligiöses Zusammenleben gearbeitet.

Der Schritt, von allgemeinen Leitworten wie „Gerechtigkeit“ oder „Friede“, über die schnell Übereinstimmung herzustellen ist, zu konkretisierbaren und damit politikfähigen gemeinsamen Wertekriterien hat sich allerdings als mühsam und konfliktreich erwiesen. Neben der Verständigung über den Kontext der Kernaussagen in den Heiligen Schriften müssen die unterschiedlichen Interpretationstraditionen, geschichtlichen Erfahrungen, kulturellen Kontexte berücksichtigt werden – und eben auch die politischen Interessen-konflikte zwischen Mehrheit und Minderheiten. Im letzten Bereich spielt sich ja zur Zeit der eigentliche Konflikt ab: zwischen den Sicherheitsinteressen der gesellschaftlichen Mehrheit gegen die vermeintliche und auch im Randbereich reale Bedrohung aus der extremistischen Szene der Minderheit (siehe den anfänglich erwähnten Polizeieinsatz in Frankfurt am Main); ebenso der Konflikt um die Sicherung der Lebensrechte der noch nicht durch die Mehrheit akzeptierten „Fremden“; was zur Umgestaltung unserer Gesellschaft in ein multikulturelles Gemeinwesen auf Dauer führen muss. Nur wenn hier bei den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Fortschritte gemacht werden, können die von der Mehrheit als Drohung empfundenen und tatsächlich bedrohlichen muslimischen Parallelgesellschaften in unserem Land überwunden werden. In unserer säkularisierten Gesellschaft wird solche strukturelle Friedenspolitik allerdings nie lediglich von religiösen Gruppen gestaltet werden können. Wir brauchen dazu Verbündete und Bündnisse mit Gruppen, die von ganz anderen ideologischen – und theologischen - Voraussetzungen ausgehen, aber die gleichen humanistischen Ziele teilen.

Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

--------------------------------------------------------------------------------

[1] Pastor Dr.theol. Paul Löffler war ehemals Islambeauftragter in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau und lebt jetzt im Ruhestand in Lauenburg an der Elbe. Der Beitrag wurde zunächst im Juli 2004 für den „Christlichen Friedensdienst“ geschrieben.

[2] Eine Untersuchung von Lehrmaterialien zum Interkulturellen Lernen aus dem Bereich der Erwachsenenbildung der Ev. Kirche in Deutschland, Magisterarbeit, J.W. von Goethe Universität, Frankfurt am Main, Juni 1999 (unveröffentlicht)

[3] zitiert aus: Sevda Demir, Getrennt – Miteinander: Wir sitzen ´am Runden Tisch`, Beitrag (7.2) in: Roswith Gerloff, Das schwarze Lächeln Gottes, Lembeck-Verlag, Frankfurt am Main Ende 2004

[4] Eine Studie, hg. im Auftrag des Vorstands der Arnoldshainer Konferenz und der Kirchenleitung der Vereinigten Ev.-Lutherischen Kirche Deutschlands, Gütersloh 1991, insbesondere Teil IV

[5] Christen und Muslime in Deutschland, Arbeitshilfe 172, hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2003, S. 159

zur Titelseite

zum Seitenanfang


Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
Pfr. U.Schwemer, Theodor-Storm Str.10, 64646 Heppenheim;
Tel: 06252-71270 / Fax: 06252-72606