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Maimonides als RechtsgelehrterPsak Halacha oder Talmud Tora1Von Rabbiner Yeshayahu P. Balog
Maimonides beschreibt seine Absicht beim Schreiben der Mischne Tora mit klaren Worten: "Aus diesem Grund habe ich, Moses der Sohn von Maimon des Sefardi, mich aufgerafft, und mich auf den Fels (nämlich auf die Hilfe G'ttes, Y.B.), gelobt sei Er, gestützt, diese Werke aufmerksam studiert, und vor den Augen gehabt, alles, was in diesen Werken erklärt ist, bezüglich dessen, was verboten und erlaubt ist, unrein und rein, und alle anderen Gesetze der Tora zusammenzufassen. Alles mit einfacher Sprache, in kurzem Stil, damit die ganze mündliche Tora von allen systematisch gekannt wird, ohne Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten, ohne dass eine Person so sagt und die andere so, sondern klare und vernünftige Aussagen, gemäß den allen diesen Werken und Erklärungen entnommenen Schlussfolgerungen, die seit der Zeit unseres heiligen Meisters (R. Jehuda) bis jetzt erschienen. Dadurch werden alle Vorschriften zugänglich für Junge und für Alte, sei es biblisches Gesetz oder Verordnung der Rabbiner und der Propheten. Summa summarum, dass kein anderes Werk für die Feststellung der Gesetze Israels mehr benötigt werde, sondern dass dieses Werk (allein) als Kompendium der ganzen mündlichen Tora diene, einschließlich der Verordnungen, Bräuche und Dekrete, die seit unserem Meister Moses bis zum Verfassen des Talmuds verordnet wurden, wie sie für uns von den Geonim erläutert wurden, die ihre Werke nach der Redaktion des Talmuds verfasst haben. Deswegen habe ich diesem Werk den Namen MISCHNE TORA ("Wiederholung der Tora", Y.B.) gegeben. Damit man, wenn man zuerst die schriftliche Tora, und danach dieses Werk liest, die ganze mündliche Tora kennen wird, und kein anderes Buch zwischen den beiden zu konsultieren braucht..."2 Was die Zielsetzung des Maimonides so außergewöhnlich erscheinen lässt, ist im letzten Satz des Zitats zu finden: "Damit man, wenn man zuerst die schriftliche Tora, und danach dieses Werk liest, die ganze mündliche Tora kennen wird, und kein anderes Buch zwischen den beiden zu konsultieren braucht." Dieser Satz, der ein Echo seiner Aussage zu seinem Sefer HaMizwot ist, wurde von vielen zeitgenössischen und späteren Gelehrten scharf kritisiert.3 Maimonides erhob damit den Anspruch, dass seine Mischne Tora die ganze mündliche Lehre und die ganze darauf aufbauende rabbinische Literatur enthalte. Wer die jüdische Tradition lernen will, brauche nur ein Exemplar der Mischne Tora zur Hand zu nehmen und nirgendwo sonst nachzuschlagen. In einem Brief an R. Pinchas ben Meschullam, einem Richter in Alexandria, verteidigt sich Rambam gegen Kritik dieses enormen Anspruchs. Er habe nie gesagt, schreibt er, dass der Talmud oder die Halachot des Rabbi Alfassi4 überflüssig oder gar verboten seien. Seine Mischne Tora sei vielmehr nur für diejenigen Studenten gedacht und geeignet, die keine Geduld haben, in die Tiefe des Talmuds einzutauchen und von dort aus halachische Entscheidungen zu treffen.5 Er bereut, dass er noch kein Quellenbuch zu seiner Mischne Tora geschrieben hätte6 - und leider hat er es nie geschrieben. Aber die Kritik geht über die besonderen Absichten des Maimonides hinaus. Sie betrifft den halachischen Kodex als solchen.7 Das kann man z. B. an der Reaktion des Rosch8 demonstrieren: "Und gleichfalls irren sich diejenigen, die die Lehre aus den Worten des Rambam sel. lehren, aber sie selbst sind nicht kundig genug in der Gemara, um zu wissen, woher er (Rambam) seine Worte entnommen hat. Sie irren sich, und erlauben das Verbotene, und verbieten das Erlaubte, da er (Rambam) nicht so wie andere Verfasser von Kodizes handelte. Diese haben Beweise für ihre Worte, und bezogen sich auf die Stelle, woher sie ihre Worte in der Gemara abgeleitet haben; dadurch blieben sie auf dem Wesen und der Wahrheit stehen. Aber er (Rambam) verfasste sein Buch, als ob er vom Allmächtigen prophezeie, ohne Begründung und ohne Beweis. (Es führte dazu, dass) alle, die es lesen, denken, dass sie es verstünden. Aber es ist nicht so, da der in der Gemara unkundige Leser den Sachverhalt nicht richtig versteht und im Gesetz und in der Lehre stolpern wird. Deswegen sollte niemand sich auf die Lektüre seines (des Rambams) Buches stützen, um daraus das Gesetz zu entscheiden oder zu lehren, wenn er keinen Beweis in der Gemara gefunden hat".9 Außer der Kritik an den fehlenden Quellenangaben in der Mischne Tora findet es der Rosch problematisch, dass ungelehrte oder noch unkundige Studenten des Talmuds und der rabbinischen Literatur das halachische Kompendium des Rambam benutzen. Statt die Grundlage der Entscheidungen in den Quellen nachzuschlagen, den Sachverhalt zu begreifen und erst danach die Schlussfolgerung in der Mischne Tora heranzuziehen, unterrichten die im Talmud Unkundigen sich und andere nur anhand des Kodex. Dadurch straucheln sie sowohl beim Studium wie auch bei ihren halachischen Entscheidungen (Pisskei Halacha). Nicht dass Rambam etwa falsch entschieden hätte, der Fehler liegt vielmehr bei den unkundigen Studenten seines Kompendiums, die ein statisches Gesetzessystem auf Situationen anwenden, die dem im Gesetzkomplex Festgelegten nicht vollkommen entsprechen. Um eine individuelle Frage (Scheile), ein besonderes halachisches Problem beurteilen zu können, genügt es nicht, die Mischne Tora des Rambam zu konsultieren; es muss vielmehr die ganze rabbinische Literatur berücksichtigt werden. Der Einfluss des Rambam im halachischen Prozess wurde von R. Joseph Karo begrenzt.10 Es war die treue Gemeinschaft der Lernenden, und nicht ausschließlich der Urteile Fällenden (Passkenden), die der Mischne Tora ihren würdigen Platz in der Torawelt gesichert haben.11 Der Begriff "der Rambam" wurde eine unverzichtbare Ingredienz insbesondere des intellektuellen, analytischen Gemaralernens, das früher in den litauischen Jeschiwot gepflegt wurde, und das heute die ganze Welt des Toralernens erobert hat. Dieser Modus des Talmud Tora ist das genaue Gegenteil dessen, was Rambam beabsichtigte hat. Man lernt den Talmud mit Rambam. Es ist unmöglich zu einer Tiefenanalyse einer Sugja12 zu kommen, den Talmudabschnitt beIjjun13 zu lernen, ohne die Meinung des Rambam in seiner Mischne Tora zu konsultieren. Diese Methode des Gemaralernens wird sehr schön von Rav Soloveitchik dargestellt: "Der Rambam war ein häufiger Gast bei uns zu Hause. Als mein Vater und Lehrer noch bei seinem Schwiegervater, dem frommen Gaon R. Elijahu Feinstein in Prusan, lebte, saß Vater nur und lernte Tag und Nacht. Um ihn herum sammelte sich eine nicht sehr große Gruppe von jungen Gelehrten und außergewöhnlichen Bachurim14, die begierig seine Vorträge besuchten. Vaters Vorlesungen fanden im Wohnzimmer des Hauses meines Großvaters statt, wo mein Bett stand. Üblicherweise saß ich auf meinem Bett und hörte Vater zu, wenn er die Vorlesung gab. Er redete immer über den Rambam. Das war das Verfahren: Er öffnete die Gemara und las die Sugja vor. Dann sagte er: "Das ist die Erklärung nach dem Ri und den Tosafisten15. Lasst uns jetzt den Rambam anschauen, und sehen wir, wie er es erläutert." Vater fand die Erklärung des Rambam immer verschieden von der der anderen und abweichend von der einfachen Bedeutung des Textes. Dann beschwerte sich Vater, "Wir verstehen weder die Annahme des Rambam noch seine Art und Weise der Erklärung der Sugja." Wie ein Protest gegen den Rambam selbst: "Unser Meister Mosche, warum hast du das getan?"16 Der Rambam hatte die Absicht, ein statisches, fixiertes System der Halacha zu verfassen, dass das Talmudlernen ersetzen sollte. Seine Mischne Tora diente jedoch als Voraussetzung für fortgeschrittenes Talmudlernen. Statt zu einer endgültigen Versteinerung des halachischen Prozesses trägt es auch heute noch zur lebendigen Erfassung der Gemara bei. Zum Schluss ein Beispiel aus den Gesetzen von Krijat Schema.17 In der Mischna im Talmud Bawli Berachot 12b lesen wir: "Man erwähne den Auszug aus Mizrajim [auch] nachts. R. Elasar ben Asarja sprach: Ich bin bereits wie ein Siebzigjähriger, dennoch konnte ich [meine Ansicht] nicht durchsetzen, dass man den [Abschnitt vom] Auszug aus Mizrajim auch nachts lese, bis Ben Soma kam und dies aus der Schrift deutete. Es heißt: "damit du des Tages deines Auszuges aus Mizrajim alle Tage deines Lebens gedenkest" (Devarim 16,3); die "Tage deines Lebens", das sind die Tage, "alle Tage deines Lebens", das sind die Nächte. Die Weisen aber sagen: die "Tage deines Lebens", das ist diese Welt; "alle Tage deines Lebens", dies schließt die messianischen Tage ein."18 Die Rabbinen streiten darüber, ob man zur Erwähnung des Auszugs aus Mizrajim (Ägypten) nachts verpflichtet sei oder nicht. R. Elasar ben Asarja und Ben Soma meinen, man sei dazu verpflichtet. Die Weisen dagegen meinen, man sei nicht dazu verpflichtet. Ben Soma lernt die Pflicht der Erwähnung des Auszugs aus Ägypten von dem überflüssigen Wort "alle", und meint, dass diese Mizwa in der messianischen Zeit nicht mehr erfüllt zu werden braucht. Die Weisen dagegen denken, dass keine Mizwa besteht, den Auszug aus Ägypten nachts zu erwähnen, aber der Auszug wird auch noch in den messianischen Tagen erwähnt werden. Die Entscheidung Rambams schließt sich der Ansicht von R. Elasar ben Asarja und Ben Soma an. Er schreibt in der Mischne Tora, Hilchot Krijat Schema 1, 2-3": "Und was muss man lesen (...) und danach den Abschnitt von den Zizit (...) und obwohl die Mizwa von den Zizit nicht nachts geübt wird, lesen wir ihn (nämlich den Abschnitt von den Zizit) doch auch nachts, da darin der Auszug aus Ägypten erwähnt wird, und es ist eine Mizwa, den Auszug aus Ägypten tags und nachts zu erwähnen." Aber Rambam zählt die Mizwa von der Erwähnung des Auszugs aus Ägypten in seinem Sefer haMizwot nicht auf !19 Wie ist es denn möglich, dass in der Mischne Tora die Pflicht zur Erwähnung des Exodus nachts festgestellt wird, aber nicht im Sefer haMitzwot? Rav Soloveitchiks Erklärung stammt von seinem Vater. Er erläutert zuerst, warum diese Mizwa nicht zu den 613 Mizwot im Sefer haMizwot gezählt wird. Im Sefer haMizwot legt Rambam die Regeln fest, nach denen er die 613 Mizwot gezählt hat. Eine solche Regel ist, dass nur jene Mizwot auf die Liste kamen, die nicht nur in unserer Zeit gültig sind, sondern für immer, d. h. auch in den messianischen Tagen, gültig bleiben werden.20 Da die Mizwa der Erwähnung des Auszugs aus Ägypten nachts nicht in der messianischen Zeit geübt wird, wie die Weisen in der Mischna sagen, kommt sie auch nicht auf die Liste der 613 Mizwot. Danach erläutert Rav Soloveitchik noch, warum der Rambam das Gebot der Erwähnung des Exodus in seiner Mischne Tora doch verzeichnet habe. Die Erwähnung des Exodus ist keine selbständige Mizwa. Sie muss anhand der selbständigen Mizwa der Kabbalat Ol Malchut Schammajim, d. h. des Gebots der Annahme des Jochs des himmlischen Reiches G'ttes, erfüllt werden. Da die Essenz der Mizwa der Krijat Schema die Annahme des G'ttesreiches ist, schließt Rambam die abhängige Mizwa der Erwähnung des Exodus tags und nachts in die Mizwa der Krijat Schema ein. Fußnoten Aus: Jüdisches Leben in Bayern. Mitteilungsblatt des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, Dezember 2004
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