Israelkritik oder Antisemitismus?
Meinungsbildung zwischen Öffentlichkeit, Medien und Tabus
Texte zu Ergebnissen der Umfrage 2004 des Projektes "Gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit"
Wo verläuft die Trennlinie zwischen Antisemitismus
und der Kritik an Israel?
"Heutzutage darf man Israel nicht kritisieren, ohne
gleich als Antisemit zu gelten." So oder so ähnlich lauten Vor-würfe,
die insbesondere seit dem Frühjahr 2002 in unterschiedlichem Maße
die öffentliche Diskussion mitbestim-men und Fragen nach einem möglichen
Zusammenhang zwischen der Kritik an der Politik Israels und Antisemi-tismus
aufwerfen. Nicht nur vonseiten jüdischer Organisationen wird zwar
zwischen der Kritik am Staat Israel und antisemitischen Einstellungen
klar getrennt, Kritik an Israel ist sogar erwünscht. Es stellt sich
trotzdem die Frage: Was ist dran an der These, dass sich hinter der Kritik
an Israel eine antisemitische Einstellung verbergen würde, dass es
sich bei dieser Kritik gar um eine gesellschaftlich akzeptierte Form von
Antisemitismus handele?
Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, gilt es zunächst
herauszuarbeiten, ab wann sich die Kritik an der Poli-tik Israels einem
Antisemitismusvorwurf aussetzen muss. Wo genau verläuft die Trennlinie
zwischen Antisemi-tismus und der Kritik an Israel? Aus dem wissenschaftlichen
und gesellschaftlichen Diskurs lassen sich Kriterien ableiten, die eine
solche Trennlinie markieren. Demnach gilt solche Kritik an Israel als
antisemitisch, die Israel das Existenzrecht und das Recht auf Selbstverteidigung
aberkennt, historische Vergleiche der israelischen Palästinen-serpolitik
mit der Judenverfolgung im Dritten Reich zieht, Israels Politik mit einem
doppelten Standard beurteilt, antisemitische Stereotype auf den Staat
Israel überträgt, oder diese Kritik auf Juden generell überträgt,
und Juden pauschal für die Geschehnisse in Nah-Ost verantwortlich
macht.
Der klassische Antisemitismus in Deutschland stagniert
auf niedrigem Niveau, aber 62 Prozent der Deutschen sind es leid, immer
wieder von den deutschen Verbrechen an den Juden zu hören.
Ausgehend von diesen Kriterien, wurden erstmals in Deutschland
fünf unterschiedliche Facetten einer antisemiti-schen Einstellung
und einer kritischen Einstellung gegenüber der Palästinenserpolitik
Israels erhoben. Die Zu-stimmungsquoten der deutschen Bevölkerung
(siehe Tabelle) sind teilweise erschreckend hoch: Den Aussagen zum offenen
antisemitischen Vorurteil, dem so genannten "klassischen Antisemitismus",
wird mit Werten von 21,5 und 17,4% noch auf niedrigem Niveau zugestimmt,
was im Trend den Zahlen der letzten Jahre entspricht. Bei den anderen
Facetten sieht es jedoch ganz anders aus. 31,7 bzw. 44,4% der Befragten
rechtfertigen ihre Abneigung gegenüber Juden mit der israelischen
Politik ("israelbezogener Antisemitismus") und rund 50% stellen
die Loyali-tät einheimischer Juden zu Deutschland in Frage ("antisemitische
Separation"). Sehr nachdenklich stimmt die Tat-sache, dass ca. 65%
der Befragten eine Abwehrhaltung gegenüber der Beschäftigung
mit den Verbrechen der Deutschen an den Juden im Dritten Reich entwickelt
haben ("sekundärer Antisemitismus"). Eine überraschend
ho-he Zustimmung erfährt zudem der Vergleich der israelischen Politik
mit der Judenvernichtung im Dritten Reich ("NS-vergleichende Israelkritik"):
Über die Hälfte der Befragten stimmen der Aussage zu "Was
der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip
auch nichts anderes, als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden
gemacht haben".
Die höchsten Zustimmungen erfahren allerdings die
beiden Aussagen zur israelkritischen Einstellung. Über 80% der Deutschen
haben eine kritische Haltung gegenüber der Palästinenserpolitik
Israels. Diese Einstellung ist auch entgegen dem sonstigen Trend häufiger
im linken politischen Lager anzutreffen als bei den Befragten rechter
poli-tischer Couleur.
Die Hälfte der Deutschen vergleicht die Politik Israels
mit der des Dritten Reichs
Zwar ist insbesondere das Ergebnis zur NS-vergleichenden
Israelkritik sehr brisant. Jedoch verdeutlicht ein Blick auf die Berichterstattung
zum Nah-Ost-Konflikt, dass ähnliche Vergleiche Bestandteil des öffentlichen
Diskurses sind. Der Konflikt selbst wird mediengerecht zudem sehr brutal
dargestellt. Dies und die nahezu inflationäre Ver-wendung von Vergleichen
mit dem Nationalsozialismus bei anderen kriegerischen Konflikten könnten
für derart hohe Ausprägungen mit verantwortlich sein.
Um herauszufinden, ob hinter solchen Zustimmungen auch
eine antisemitische Einstellung liegt, wurde der Zu-sammenhang zwischen
den unterschiedlichen Antisemitismusfacetten untersucht. Sollte es sich
bei "israelbezoge-nem Antisemitismus", "antisemitischer
Separation" und der "NS-vergleichenden Israelkritik" tatsächlich
um anti-semitisch motivierte Israelkritik handeln, dann müssten sie
in starkem positivem Zusammenhang mit klassischen antisemitischen Vorurteilen
stehen.
Wird Antisemitismus auf Grund von Tabus auf Umwegen kommuniziert?
Dient die Kritik an Israel als "Deckmantel"
für die Kommunikation antisemitischer Einstellungen? Die Ergebnisse
der Untersuchung zeigen, dass die Annahme einer "Umwegkommunikation"
von Antisemitismus eindeutig auf is-raelbezogenen Antisemitismus zutrifft,
aber auch für sekundären Antisemitismus und antisemitische Separation
deutliche Hinweise vorliegen. Der Zusammenhang von klassischem Antisemitismus
und NS-vergleichender Isra-elkritik ist hingegen nicht sehr ausgeprägt.
Dies bedeutet, dass Rückschlüsse auf eine Umwegkommunikation
in Bezug zur NS-vergleichenden Israelkritik nur in begrenztem Maße
zulässig sind.
Es kommt nicht auf das "ob", sondern auf das
"wie" der Kritik an
Schließlich ist noch die zentrale Frage zu beantworten,
ob denn jegliche Kritik an Israel auch immer antisemitisch ist? Eine israelkritische
Einstellung, die keine der eingangs genannten Kriterien erfüllt,
steht laut unserer Studie eindeutig in keinem Zusammenhang mit klassischem
Antisemitismus. Die bloße Kritik an der Palästinenserpolitik
Israels ist also nicht zwangsläufig mit Antisemitismus gleichzusetzen.
Es kommt wie so oft nicht auf das "ob", sondern auf das "wie"
der Kritik an. Mit anderen Worten, kritische Diskussionen über die
Politik anderer Staaten sind nur dann angemessen, wenn sie nicht von Vorurteilen
und Pauschalisierungen geleitet sind und unterschiedli-che Maßstäbe
anlegen.
(BearbeiterInnen: Aribert Heyder, Julia Iser, Peter Schmidt)
Itemformulierungen und Ausmaß der antisemitischen
Facetten und der israelkritischen Einstellung
(GMF-Survey 2004, Angaben in Prozent.)
Werte, die auf antisemitische bzw. israelkritische Einstellungen
hinweisen, sind grau unterlegt.
"Die sind selber schuld, wenn man was gegen sie hat!"
oder wie man sich seiner Vorurteile entledigt
Wie entledigt man sich seiner Vorurteile und hält
sie gleichzeitig aufrecht? Ein einfacher Weg besteht darin, die Schuld
für Vorurteile umzukehren und sie den Adressaten und Opfern aufzubürden:
"Die sind selbst schuld, wenn man etwas gegen sie hat!" Opfer
werden zu vermeintlichen Tätern und tatsächliche Täter
so entlastet, daß der Un-terschied zu den schwächeren Gruppen
zementiert wird. Vom neuen Antisemitismus, der auf die vermeintliche Schuld
aller Juden an der israelischen Politik verweist, kennen wir das.
Die Schuldumkehr ist weit verbreitet
Wir haben im Survey 2004 einen Teil der Befragten (1.254)
gefragt, ob ihrer Meinung nach Ausländer, Homose-xuelle, Obdachlose,
Juden und Moslems selbst schuld sind, dass man etwas gegen sie hat, und
ob Frauen selbst Schuld an ihrer Benachteiligung sind. Die Ergebnisse
sind ernüchternd. Insgesamt sind 46,8 % aller Befragten der Meinung
"Ausländer sind selbst schuld, wenn man etwas gegen sie hat",
32,8% meinen, dass Muslime selbst schuld sind, wenn man etwas gegen sie
hat, 29,1% meinen das von Homosexuellen, 24% von der Gruppe der Ju-den
und 23,6% geben Obdachlosen die Schuld dafür, dass sie abgelehnt
werden. 9,9% der Männer sind der Mei-nung, Frauen seien selbst schuld
daran, wenn sie benachteiligt werden. Offenbar neigen auch Teile der Opfer
von Vorurteilen und Diskriminierung zur Selbstbeschuldigung: 27,6% der
Frauen stimmen dem Schuldvorwurf zu.
Die Daten zeigen auch: Wer einer Opfergruppe Schuld zuschiebt,
neigt dazu, auch anderen Adressaten von Vorur-teilen die Schuld für
ihre Ablehnung aufzubürden. Die Zusammenhänge zwischen der Schuldzuweisung
an die un-terschiedlichen Adressaten sind beachtlich.
Wer Vorurteile hat, neigt dazu, die Schuld dafür
den Adressaten aufzubürden
Diese Schuldumkehr hängt eng mit den Elementen des
Syndroms der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zusammen: Wer Vorurteile
gegenüber einer Gruppe hat (z.B. islamophobisch ist), der neigt auch
dazu, dieser Gruppe die Schuld dafür zuzuschreiben, dass sie abgelehnt
wird (z.B. "Muslime sind selbst schuld, wenn man et-was gegen sie
hat.") (für genauere statistische Kennwerte siehe Beitrag in
den Deutschen Zuständen, Folge 3). So entledigt man sich elegant
der eigenen Vorurteile. Dies erklärt vielleicht, warum sich die Öffentlichkeit
so begierig auf einzelne Mitglieder von Opfergruppen stürzt, die
sich in ihren Augen fehl verhält. Die Beschuldigung rechtfer-tigt
das Urteil, was ohnehin schon vorher da war und entlässt die Lästerer
aus der Schuld, schlecht über andere zu reden.
Gefährliche Immunisierung
Schuldzuweisung und Vorurteile können ein Bündnis
eingehen, das eine Spirale der Abwertung und Diskriminie-rung in Gang
setzt. Es ist eine Diskussion darüber angezeigt, mit welchen Mechanismen
eine Gesellschaft feindse-lige Mentalitäten aufrechterhält und
sich gegen den Vorwurf feindselig zu sein, immunisiert. Das aktuelle Abar-beiten'
an den Muslimen bietet hierfür reichlich Stoff. Eine Verkehrung von
Beweislasten und subtile Generalver-dächtigungen gehören auch
dazu. Es ist leicht, ständig darauf zu verweisen, wer sich falsch
verhält oder besser zu integrieren habe. Viel unangenehmer ist es,
sich zu fragen, ob nicht dieser ständige Verweis auf die Fehler der
an-deren von den eigenen Vorurteilen ablenkt, sie sogar als gerechtfertigte
Urteile erscheinen lässt.
(BearbeiterInnen: Andreas Zick und Beate Küpper)
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