Die Illustrationen von Maimonides' Mischne Tora
Von Miriam Magall
Im Judentum diente und dient die Kunst dazu, das Leben
sowie den Dienst an den einen G'tt zu schmücken und zu verschönern.
Neben den bekannten Ritualgegenständen bezieht sich dieses Bestreben
des Schmückens und Verschönerns auch auf die Buchmalerei, bestimmt
für all jene Bücher, die einem frommen Juden als tägliche
Begleiter dienen. Im Gegensatz zur Produktion anderer Ritualgegenstände,
die in der Vergangenheit aufgrund von Zunftzwängen oft genug das
Werk nichtjüdischer Künstler waren, bleibt die Kunst der Buchmalerei
ausschließlich dem jüdischen Künstler vorbehalten. Die
Hypothese sei aufgestellt, dass die Buchmalerei eine sehr alte jüdische
Angelegenheit ist und vermutlich auf Vorbilder schon zur römischen
und byzantinischen Zeit im Land Israel zurückgeht. Denn dass schon
zu jener Zeit Darstellungen von Menschen und Tieren existierten, das beweisen
die Mosaikböden in Maon, Beth-Alpha und Hammath-Tiberias aus dem
4. bis 6. Jahrhundert, um nur einige der bekanntesten zu nennen.
Die Anfänge der Buchmalerei
Die ältesten erhaltenen Handschriften datieren aus
dem 9. bis 10. Jahrhundert aus dem orientalischen Kulturkreis; in Europa
nimmt die Buchmalerei dagegen in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts
ihren Anfang. Das muss aber nicht unbedingt bedeuten, dass es keine älteren
gibt. Dann aber tritt sie praktisch zeitgleich in Spanien, Frankreich
und Deutschland auf, nur Italien schließt sich mit einiger Verspätung,
dann aber fulminant an. Ein jähes Ende erfährt die jüdische
Buchmalerei, als die Juden 1394 aus Frankreich ausgewiesen werden, auf
die 1492 ihre Ausweisung aus Spanien folgt. Sozusagen eines natürlichen
Todes stirbt die Buchmalerei dagegen in Deutschland und Italien, nachdem
im 15. Jahrhundert der Buchdruck erfunden und die Buchmalerei durch den
Holzschnitt ersetzt wird.
Die Arbeitsteilung bei der Herstellung eines illuminierten
Textes ist sehr klar. Der Text war stets das Werk eines voll ausgebildeten
Sofer, also Schreibers, der auch einen Teil der einfachen Dekoration ausführte.
Der Naqdan, d.h. der Punktuator, versah den Text mit Vokalen, gleichzeitig
kopierte er auch die Masora, die textkritischen Bemerkungen am Rand einer
Seite oder am Ende eines Textes in mikrographischer Schrift. Der Miniator
illustrierte den Text entsprechend den Anweisungen des Schreibers und
ein Lehrling kolorierte sie.
Das Material, auf das die Handschrift geschrieben wurde,
war und ist strengen Regeln unterworfen. Die wichtigste besagt, dass es
von einem koscheren Tier stammen muss. Man verwendete überwiegend
Schafshaut, für große Handschriften in Europa und im Orient
auch schon einmal die Haut von Kühen, im Orient wurde auch Ziegenhaut
genommen. Besonders wertvolle Handschriften wurden auf die Haut von Kälbern
geschrieben. Der Text steht generell auf beiden Seiten eines Blattes,
bei ganzseitigen Miniaturen bleibt die Rückseite jedoch unbeschriftet.
Maimonides' Werk
Neben Bibeln, die allerdings strikt für den Hausgebrauch
bestimmt waren, denn in der Synagoge wurden und werden ausschließlich
unverzierte Schriftrollen verwendet, wurden und werden mit Vorliebe die
Ketubba, der Heiratsvertrag, die Haggada, das Buch mit der Pessach-Erzählung,
die Esther-Schriftrolle, die Raschi-Kommentare und auch Schriften des
Maimonides, wie sein Mischne Tora, mit Vorliebe dekoriert und illustriert.
1160, nach seiner Flucht vor den fanatischen Almohaden
aus Córdoba nach Fes in Marokko, ermutigte Maimonides in seinem
Iggeret ha-Schmad ("Sendschreiben über die Apostasie")
die zwangsbekehrten Juden und griff dabei wohl auf eigene Erfahrungen
zurück. 1168 vollendete er in Fostat bei Kairo, in das er 1165 aus
Fes geflohen war, seinen arabischen Kommentar zur Mischna und stellte
in der Einleitung zu Sanhedrin X die 13 verbindlichen Glaubensgrundsätze
(Ikkarim) des Judentums auf. 1180 kam sein halachisches Hauptwerk, der
Kodex Mischne Tora ("Wiederholung der Tora") heraus. Damit beabsichtigte
er, den Traditionsstoff systematisch und, wie er hoffte, endgültig
zu ordnen. Neben seinem philosophischen Hauptwerk More Newuchim ("Führer
der Unschlüssigen") verfasste Maimonides rabbinische Responsa
sowie medizinische Werke zu Diätetik, Hygiene und Psychosomatik.
Der Mischne Tora und seine Illustration
Maimonides' Mischne Tora umfasst insgesamt 14 Bücher
und ist eine Sammlung jüdischer Vorschriften und Bräuche, die
systematisch nach Themen geordnet sind. Dieser Kodex wurde in allen Ländern
der jüdischen Diaspora von Generationen von Schreibern immer wieder
neu abgeschrieben und mit dem Aufkommen der Buchmalerei sowohl im Orient
als auch im Okzident liebevoll dekoriert und illustriert. Fast alle Handschriften,
gleichgültig, ob sie in Spanien, Deutschland oder Italien entstanden,
enthalten eine schematische Skizze des Tempels. Die Dekoration befindet
sich in den meisten Fällen lediglich in der Einleitung der Abhandlung,
der ersten Seite jedes der 14 Bücher, und dem Kolophon.
Der in Köln 1295-1296 entstandene Kaufmann Mischne
Tora gehört, sowohl was die Schrift als auch die Illustrationen angeht,
zu einem der schönsten Beispiele seiner Art, die Ende des 13. Jahrhunderts
in Süddeutschland entstanden sind.
Die erste Seite jedes Buches des Kodex wird, wie in dieser
Abbildung von Folio 118 aus Band I, von einem schmalen Blattband zur Linken
und zur Rechten eingefasst, das oben und unten in geschwungene Schörkel
ausläuft. Am oberen Ende der Seite befindet sich ein großes
Wortfeld, farblich unterteilt in drei Felder, die ihrerseits durch Karos
weiter aufgeteilt sind und den Hintergrund für die Überschrift
Sefer schwi'i ("Das siebte Buch") bilden. Den Boden nehmen Randillustrationen
ein. Auf dem vorliegenden Folio 118 aus Band I ist der Kampf zwischen
David und Goliath zu sehen. Damit gehört diese Szene zu den biblischen
Themen, die zur Illustration dieses Exemplars des Mischne Tora herangezogen
wurden, andere enthalten Szenen ohne einen Bezug auf die Bibel und keine
Illustration bezieht sich direkt auf den im Buch enthaltenen Text. Im
Stil entsprechen diese Illustrationen dem Zartesten, Empfindsamsten, was
die deutsch-gotische Illumination am Mittelrhein hervorgebracht hat. Zarte
Schnörkel, besetzt mit Grotesken, Drachen, Tieren und Vögeln,
eine elegante gotische Schwingung der Figuren, ein weicher Faltenwurf
und feine Gesichtszüge - sie gehören zu den typischen Merkmalen
dieses Stils.
Der Kolophon nennt als Schreiber dieser Handschrift Nathan
b. Simeon ha-Levi und auch seinen Auftraggeber: seinen Schwager R. Abraham
b. Berechia. Er begann die Handschrift 1295 und vollendete sie 16 Monate
später, 1296. Ungefähr einhundert Jahre danach, 1413, teilt
eine Inschrift von Ephraim b. Uri ha-Levi Gumprecht ha-Levi auf Folio
169 v in Band IV am "Sonntag, dem 2. Nissan" mit, dass die Korrekturen
und Erklärungen in Köln vollendet wurden. Demnach dürfte
die Handschrift in Köln geschrieben und illuminiert worden sein,
was auch durch ihren Stil erhärtet wird. Die Handschrift, ein vierbändiges,
großformatiges Werk (50 x 35 cm) wurde von David Kaufmann von der
Trieste Sammlung in Padua erworben; nach seinem Tod gelangte sie in die
Ungarische Akademie der Wissenschaften in Budapest.
Eine völlig andere Dekoration bietet sich im Frankfurter
Mischne Tora dar, der vermutlich im 15. Jahrhundert in Mantua, Italien,
entstanden sein dürfte. Von den Büchern 7 bis 14 hat sich lediglich
ein Teil erhalten, überdies wurde der Kodex falsch gebunden. Er beginnt
bei Buch 8, das sich mit dem Opferdienst im Tempel (Folio 1) befasst,
um dann mit Buch 7, Kapitel 5 (Folio 17), weiterzugehen, was bedeutet,
dass die Illustrationen nicht in der richtigen Reihenfolge angeordnet
sind.
Die Illuminationen der Handschrift bestehen aus sechs
großen Feldern, deren Miniaturen den Text illustrieren und jeweils
am Anfang der erhaltenen Bücher stehen. Die Illustrationen sind in
eine Landschaft gesetzt, darüber steht auf einem gemalten Hintergrund
der Buchtitel in Goldschrift, hier: Folio 1, Buch 8: "Opferdienst
im Tempel".
Zwei Priester im Freien neben dem Tempel werden gezeigt,
die sich anschicken, ein Tier zu opfern. Wie in vielen mittelalterlichen
Darstellungen wird der Tempel als achteckiger Bau mit einer Kuppel darüber
wiedergegeben. Damit ähnelt er dem Felsendom, der an der Stelle des
ursprünglichen Tempels steht. Die schweren Figuren mit dem üppigen
Faltenwurf und die stilisierte Wiedergabe der Landschaft ist einigen Experten
zufolge typisch für den Stil von Mantua in der 2. Hälfte des
15. Jahrhunderts. Da ein Kolophon fehlt, ist der Stil der Illuminationen
der einzige Hinweis, um Entstehungsort und -zeit zu bestimmen.
Die Handschrift (22 x 17,6 cm) verdankt ihren Namen der
Tatsache, dass sie sich bis zum Zweiten Weltkrieg in der Stadtbibliothek
von Frankfurt befand; heute ist sie in einer Privatsammlung in New York.
Zusammenfassung
Es sollte betont werden, dass sich von den vermutlich
sehr zahlreichen Exemplaren des Mischne Tora, die im Laufe der Jahrhunderte
entstanden, leider nur wenige bis in die heutige Zeit gerettet haben.
Die beiden hier vorgestellten Handschriften sind lediglich als ein erster
Hinweis auf diese Gattung von Buchillumination zu verstehen, die den Text,
in dem sie enthalten sind, als einen wichtigen auszeichnen. Das wird weiter
unterstrichen durch die Tatsache, dass die verwendeten Materialien, angefangen
von der Haut eines koscheren Tieres, über die verwendete Tusche,
die von jedem Schreiber nach einem streng gehüteten Rezept gemischt
wurde, sowie die Mehrzahl der Farben, die dauerhaften, hergestellt aus
zerstoßenen Mineralen und farbigen Steinen sowie Gold, vermischt
mit Ocker oder Gelb, sehr teuer waren. Wenn demnach ein Mischne Tora in
mühevoller Arbeit im Verlauf von anderthalb bis zwei Jahren erstellt
wurde und mindestens vier Personen voll beschäftigte, ist davon auszugehen,
dass diesem Text von Maimonides eine so große Bedeutung zukam, wie
sein Verfasser ihm zugedacht hatte. Schließlich wird er durch die
Art seiner Überlieferung auf eine Stufe gehoben mit der Bibel bzw.
einzelnen Büchern aus der Bibel. Nicht umsonst kam er für einige
ganz besonders eifrige Anhänger gleich nach dem ersten Moses auf
den zweiten Platz.
aus: Jüdisches Leben in Bayern. Mitteilungsblatt
des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, Dezember
2004
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