"Du siehst aus wie ein Siedler"
Wie ein Begriff zum Schimpfwort wird
von Wladimir Struminski
Nawa ist entrüstet. "Warum kommst du so spät
nach Hause?" herrscht sie ihren Mann David an. Der Gemahl macht mildernde
Umstände geltend: "Du hast ja recht. Aber ich hatte einen Siedler
im Büro." Damit meint David allerdings keinen Gast aus einer
jüdischen Wohnortschaft im Westjordanland oder dem Gasastreifen,
sondern einen hartnäckigen Besucher, der den Termin weit über
die vereinbarte Zeit hinaus ausgedehnt hatte und trotz vielsagender Blicke
des Gastgebers wie angewurzelt sitzen blieb.
"Du siehst aus wie ein Siedler", zieht Alon
seinen Freund Zachi auf. Der Grund für den Vergleich: An Zachis Schulter
hängt eine Uzi. "Ich begleite einen Schulausflug", entschuldigt
sich Zachi - und ohne eine Maschinenpistole geht das eben nicht.
Die Beispiele belegen einen in Israel verbreiteten Sprachgebrauch,
der die Bewohner israelischer Siedlungen in den besetzten Gebieten zu
einem negativen Stereotyp degradiert. Danach steht "Mitnachel"
(Siedler) für einen rücksichtslosen Zeitgenossen, ja einen Eindringling,
dessen Präsenz ebenso lästig wie unabänderlich ist.
Etymologisch gesehen leitet sich "Mitnachel"
vom Wort "Nachala", einem biblischen Wort für Landbesitz,
her. In den ersten Jahrzehnten nach Israels Staatsgründung war "Hitnachlut"
schlicht die Gründung eines neuen Wohnortes. Und genau in dieser
Tradition sahen sich auch die Siedler, die in den 1967 besetzten - aus
ihrer Sicht, befreiten - Teilen der biblischen Heimat ihr Zuhause bauten.
Zunächst erregte der Siedlungsbau im Lande keinen besonderen Widerstand.
In dem Maße aber, in dem die Siedlungspolitik in den Mittelpunkt
eines bitteren ideologischen Streits rückte, bekam auch der Begriff
"Mitnachel" einen zunehmend negativen Beigeschmack - auch im
Volksmund.
Die Siedlerbewegung gibt nicht zuletzt den Medien die
Schuld daran. In der Tat: Eine Stereotypisierung in der Berichterstattung
ist nicht zu übersehen. So sind Schlagzeilen wie "Siedler erschießen
Palästinenser" oder "Polizist von Siedlern zum Krüppel
geschlagen" in israelischen Zeitungen gang und gäbe. Bei den
Betroffenen lösen solche Pauschalisierungen Zorn aus. "Warum",
schäumt Noam, Einwohner des südlich von Jerusalem gelegenen
Etzion- Siedlungsblocks, "schreiben die Zeitungen nach einem Raubüberfall
nicht: ,Tel Aviver schlagen alte Frau zusammen?'"
Solcher Proteste ungeachtet sitzt das Negativimage so
tief, daß auch viele Israelis, die jenseits der alten Grenze wohnen,
sich nicht als Siedler bezeichnen. "Siedler", erklärt Dalia,
seit zwanzig Jahren in Maale Adumim bei Jerusalem daheim, "sind Leute,
die aus ideologischen Gründen in Hebron oder inmitten arabischer
Dörfer wohnen. Ich aber bin nach Maale Adumim gezogen, weil es hier
billige Wohnungen gab." Die Siedlerbewegung selbst scheut den Begriff
"Mitnachel", zumal dieser nur noch für Bewohner der besetzten
Gebiete verwendet wird. Ihre Dachorganisation Jescha spricht deshalb auch
nicht von "Siedlungen", sondern verwendet den neutralen Begriff
"Ortschaften" - wie es auch im Kernland heißt.
Jüdische Allgemeine Wochenzeitung, 17.2.2005
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