Woher wir kommen
Das Verhältnis von christlichem und jüdischem Glauben
in negativen und positiven Beispielen in Kunst und Wissenschaft

von Marianne Lebrecht

Übereinstimmung mit mir selbst, identisch sein mit mir selbst, das will ich und wollen auch andere erreichen. Aber wer bin ich selbst? Wer bin ich selbst als Christin, als Christ? Erfahren mich andere als Christin oder als Christ? Wie finde ich meine Identität als Christin, als Christ?

Ist das Gelingen dieser Identitätssuche von Christen von dem Verhältnis zwischen Christen und Juden, zwischen Christentum und Judentum, abhängig? Die Geschichte des Verhältnisses zwischen Christen und Juden, zwischen Christentum und Judentum vom 1. bis 20. Jahrhundert n. Chr. war meistens eine leidvolle und zuletzt für die Juden eine tödliche; sie scheint die Frage zu verneinen.

Darüber soll im Folgenden nachgedacht werden. Das Betrachten einiger künstlerischer Werke aus verschiedenen Jahrhunderten und verschiedenen Ländern soll helfen, eine Antwort zu finden.

Die Entjudaisierung der neutestamentlichen Kreuzigungsgeschichte in der Bemalung des Altarraumes in der Lutherkirche Offenbach-Bieber, 1935

Die Lutherkirche in Offenbach-Bieber wurde 1935 als Neubau eingeweiht. Die Saalkirche, eine Predigtkirche mit einer Holzkassettendecke, ist beherrscht von dem Altarraum, dessen Wände mit drei großen, mehrere Meter breiten und hohen Darstellungen bemalt sind: Geburt Jesu auf der linken Seite, Kreuzigung Jesu Christi in der Mitte über dem Altar (sieben Meter breit und vier Meter hoch) und Auferstehung Jesu Christi auf der rechten Seite.

Die Frische und Leuchtkraft der Farben erreichte der Frankfurter Maler Hans Kohl (1) durch die Maltechnik der Enkaustik. Wachs und Farben wurden in heißem Zustand auf der vorbereiteten und erwärmten Wand aufgetragen und dann eingebrannt. Dieses Verfahren ist fünftausend Jahre alt. Auf Grund dieser Maltechnik haben zum Beispiel altägyptische Bemalungen ihre Leuchtkraft bis heute bewahrt. (2)

Licht erhalten die Darstellungen durch zwölf hohe farblich getönte Fenster des Kirchensaales. Der Maler Hans Kohl beschreibt die Kreuzigung Jesu Christi aus einer bestimmten Sicht, die er aus der Zusammenfassung der Kreuzigungserzählungen der vier Evangelien entwickelt. Er gibt seinem Bild eine einzige beherrschende Erzählperspektive, während im Neuen Testament vier Erzählperspektiven der vier Evangelien vorliegen, die viele Übereinstimmungen haben. Vor allem mit dem Gegensatz von Licht und Dunkel macht Kohl seine malerische Interpretation, seine Aussage deutlich. Helles Licht fällt in der Mitte des Bildes auf den Jünger Petrus. Von dieser Mitte geht Licht aus auf die vielen Personen, die zur Kreuzigung gekommen sind. Petrus mit weißem Bart und weißem bodenlangen Gewand wird auch von hinten, vom Horizont des Himmels beleuchtet. Petrus geht in Richtung des Kreuzes Jesu, das auf der linken Seite des Bildes steht. Er scheint die Gruppe von mehreren Männern, der Jünger Jesu, anzuführen. Frauen, Jüngerinnen Jesu, sind bereits am Kreuzigungsort angekommen. Hinter den Jüngern und Jüngerinnen Jesu nähern sich römische Soldaten, mit Speeren bewaffnet. Petrus schaut noch nicht auf zu dem Kreuz Jesu Christi, sondern er sieht bedrückt zu Boden.

Die Ausmalung des Altarraumes lebt von den Unterschieden zwischen Licht und Dunkel. So sind Körper, Füße, Gesicht, Augen, Dornenkrone Jesu im Licht zu sehen. Das Licht nimmt ab auf der rechten Seite des Kreuzes Jesu. Dennoch ist zu erkennen, dass rechts neben Jesus der eine Aufrührer gekreuzigt ist. Es mag wohl der Aufrührer sein, der Jesus laut um Vergebung bittet und dem Jesus verheißt: "Heute wirst du mit mir im Paradies sein." (Lukas, 23, 43) Manche Betrachter des Gemäldes sehen in diesem Aufrührer einen Schwarzen. Auf der rechten Seite des Kreuzes Jesu steht das Kreuz mit dem anderen Aufrührer, der Jesus verächtlich macht. (Lukas 23,39 ) Hier ist der zweite Schwerpunkt des Bildes: der gespenstische Gegensatz zur Mitte, zum strahlenden Licht. Dieser Aufrührer ist kaum zu erkennen, hier herrscht Finsternis, Schwärze, Unklarheit. Der Aufrührer hängt tiefer an seinem Kreuz als Jesus, seine Augen richten sich auf Unbestimmtes geradeaus. Sein Gesicht scheint den gefährlichen, drohenden, aber unsicheren Juden darzustellen. Sein Profil mit der ausgeprägten, stark gebogenen Nase und stechenden Augen ist das Abbild eines Juden, wie er um 1934, in der Zeit des Nationalsozialismus in der NSDAP-Zeitung "Der Stürmer" oder auch in Darstellungen des Mittelalters gezeigt wurde. So macht die Konfrontation zwischen Licht und Dunkel in diesem Gemälde das Gegenüber von Gut und Böse deutlich. Diese Konfrontation verkörpert in Jesus Christus, sowie Petrus und auch in dem bereuenden Aufrührer auf der einen Seite und dem verächtlich machenden Aufrührer, der als Jude erkennbar ist, auf der anderen Seite den Gegensatz zwischen Christen und Juden.

"Die Kreuzigung zeigt keinen ausgemergelten Christus..., sondern eher einen heroisierten Gekreuzigten "...
(3) In der Zeit des Nationalsozialismus herrschte Desinteresse und Abneigung gegenüber dem Leiden, vielmehr verehrte man sogenannte Helden.

Exemplarisch soll deutlich werden, dass Hans Kohl mit dem Gemälde "Kreuzigung Jesu Christi" sich in den Trend der "Deutschen Christen" stellte, der darin bestand, ein Christentum frei vom Judentum zu schaffen: "Entjudaisierung" des Christentums hieß das Ziel.

Pfarrer Heinrich Gebhard, Ortspfarrer der Luthergemeinde in Offenbach-Bieber, war Mitglied der "Deutschen Christen" und überzeugter Nationalsozialist; am 18.4.1933 trat er der NSDAP bei. Die Landeskirche Nassau-Hessen war 1933 eine sogenannte Deutschchristliche Kirche geworden. Als "Deutscher Christ" sympathisierte Pfarrer Gebhard mit dem Landesbischof von Nassau-Hessen, Dr. Ernst-Ludwig Dietrich, der als Deutscher Christ Landesbischof geworden war. Der Landesbischof fand Gefallen an dem einzigen Neubau einer Kirche in Nassau-Hessen in der Zeit der Dreißiger Jahre und gewann den mit ihm befreundeten Maler Hans Kohl zur Ausmalung der Luther-Kirche. Die Deutschen Christen bestimmten die landeskirchliche Kirchenpolitik. Ihnen entgegen standen die Mitglieder der "Bekennenden Kirche".

Die "Deutschen Christen", zunächst eine Theologengruppe aus verschiedenen Teilen Deutschlands, existierten bereits 1932 und schlossen sich 1933 den Inhalten der NSDAP an. Sie wünschten eine Reichskirche für Deutschland ohne landeskirchliche und ohne synodale Struktur. Eine in dieser Art autoritär strukturierte und theologisch geprägte "Reichskirche" entstand 1933 für die evangelische Kirche Deutschlands unter deutschchristlicher Führung. Die "Deutschen Christen" schlossen sich dem Parteiprogramm der NSDAP und ihrem Punkt 24 an : "Die Partei bekämpft den jüdisch-materialistischen Geist in und außer uns ..." (4) Damit war die geistliche und geistige Richtung gegeben: Kirche, christlicher Glaube sollen ohne das Alte Testament und ohne die Juden sein.

Welche Folgen hatte diese Art der Theologie und diese Art des Glaubens? An einem Beispiel wird hier berichtet. Als das staatliche Gesetz der Reichsregierung über das "Berufsbeamtentum" am 7.4.1933 erlassen wurde, nahmen die meisten evangelischen Kirchen in Deutschland eine "Gleichschaltung" vor. Sie übernahmen dieses Gesetz in den Raum der Kirche. (Die Kirchen von Bayern, Württemberg und Hannover weigerten sich.)

Ein Beispiel für die Anwendung dieses Gesetzes in der Landeskirche Nassau-Hessen sei genannt. Auf dem "Braunen Kirchentag" in Wiesbaden, Nassau-Hessen, am 12.9.1933, - die Kirchensynode dauerte auf Grund autoritärer Führung nur 105 Minuten - stimmten alle Abgeordneten der Synode - außer einer Person, Pfarrer Karl Amborn - für die Durchführung des "Gesetzes über das Berufsbeamtentum" auch im Raum der Kirche. Entsprechende Folge war die Entfernung von "nichtarischen" Pfarrern und Kirchenbeamten aus ihrem Beruf. Ein Entwicklungsprozeß kam in Gang, in dem die EKNH die Beseitigung von getauften Juden aus dem Raum der Kirche, von "nichtarischen" Pfarrern, "nichtarischen" kirchlichen Mitarbeitern aus dem Raum der Kirche durchführte.

Ihr grundsätzliches Einverständnis mit dem Ausschluss "nichtarischer" Mitglieder und Mitarbeiter in der evangelischen Kirche bezeugten die Deutschen Chrísten in der sogenannte "Godesberger Erklärung" der Deutschen Christen vom 4.4.1939. Sie wurde wenige Monate nach der "Reichskristallnacht" und wenige Monate vor Ausbruch des Krieges abgegeben. Elf Landeskirchen, darunter Nassau-Hessen, schlossen sich der Erklärung an. Der zweite Satz der Erklärung lautet: "Der christliche Glaube ist der unüberbrückbare religiöse Gegensatz zum Judentum.." (5)

Die Entjudaisierung des Neuen Testaments in der Theologischen Wissenschaft, 1939

Mit der "Godesberger Erklärung" verbanden die Deutschchristlichen Kirchen den Zusatz, die Intention der "Erklärung" in die Tat umsetzen zu wollen, indem sie ein Institut errichteten. In Eisenach/Thüringen entsteht 1939 ein Evangelisch-Theologisches Institut zur "Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben". (6)

Ein Beispiel aus der Arbeit des Instituts soll hier gegeben werden. Das Institut widmete sich in gemeinsamer Arbeit von Theologieprofessoren und Pfarrern einer "Neuschreibung" der Evangelien des Neuen Testaments, in der nicht einzelne Evangelien stehen sollten, sondern eine Zusammenfassung der Evangelien Matthäus, Markus und Lukas als erster Teil des neuen Werkes.

Das kleine Büchlein mit 96 Seiten Text mit dem Titel "Die Botschaft Gottes", "Jesus der Heiland". "Die Jesus-Überlieferungen der ersten drei Evangelien" liegt uns vor. (7)

Ziele dieser Arbeit sind erkennbar:
1. Die drei Perspektiven der Evangelien sollen mit einer einzigen herrschenden Perspektive gestaltet werden.
2. Adressat soll die deutsche Bevölkerung, vor allem Jugendliche und Kinder sein.
3. Hilde Damm (8) fand als Konfirmandin, damals in Altheim (Landeskirche Nassau-Hessen) Gefallen an dem kleinen Büchlein, das der Pfarrer im Urlaub vom Soldatendienst mit den Konfirmanden las. Heute beurteilt sie das Büchlein anders.
4. Durch eine Entjudaisierung der Evangelien sollte ein Neues Testament für christliche Deutsche ohne Juden entstehen.

Im Blick auf das Bild "Kreuzigung Jesu Christi" von Hans Kohl wählen wir die Lektüre der Kreuzigungsgeschichte aus "Die Botschaft Gottes" in "Im Zeichen des Kreuzes" (S. 93 - 94). Der Text der Eisenacher "Kreuzigungsgeschichte" lässt die Leser, Konfirmanden und Jugendliche fragen: Hat Jesus sich in Verzweiflung mit dem Ruf "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen", von Gott abgewendet? Die Eisenacher Theologen lehnen es ab, hier zu erklären, dass Jesus als Jude betet, aus dem Gebetbuch der Juden, den Psalmen: Psalm 22, 11. Die jüdischen Psalmen gehören zu den meistgelesenen Teilen der Bibel. Bereits für die frühjüdische Gemeinde wurde diese Sammlung von 150 gottesdienstlichen Liedern - die etwa gegen Ende des 2. Jahrhunderts vor Christus in der uns bekannten Form vorlag - das Gesangbuch und Erbauungsbuch, aus dem Juden und später Christen singen und beten. Der Psalm 22 ist ein Gebet in höchster Not des Betenden, der Psalm schließt in 22,23-32 mit einem Danklied des Geretteten und des geretteten Volkes aus der Not. (9)

Leser und Leserinnen der Eisenacher Darstellung, die das Danklied des Psalms 22 nicht kennen, müssen annehmen, dass Jesus eine unerklärliche Wende in seinem Gebet "Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist" gemacht habe. Aber auch dieses Gebet, diese letzten Worte Jesu vor seinem Tod, die Lukas von Jesus überliefert (Lukas 23,46), sind ein Gebet aus dem Psalmenbuch der Juden, Psalm 31,6. Den Händen der Menschen, und damit dem Tod, ausgeliefert, befiehlt Jesus seinen Geist, sein Leben in die Hände Gottes. (10). Auch in diesem Psalm geht es um einen Beter in größter Not, der auf die Hilfe Gottes vertraut. "Sei mir ein Fels und eine Burg, dass du mir helfest. In deine Hände befehle ich meinen Geist."

Die Eisenacher Erzählung von dem Tod Jesu gibt dem Leser keine Möglichkeit, das Verhalten Jesu zu verstehen, da sie den Glaubenshorizont des Juden Jesus bewusst verschweigt.

Den Lesern des Büchleins "Die Botschaft Gottes" muss auch mangels Wissens um die verschiedenen Perspektiven der Evangelien entgehen, was der Evangelist Lukas von den Übeltätern berichtet, die zu beiden Seiten des Kreuzes Jesu gekreuzigt worden waren. Der eine Übeltäter lästert Jesus, der andere erkennt sein zu strafendes Unrecht; diesem verspricht Jesus die Nähe und Zukunft Gottes.

Schauen wir auf die Gesamtkonzeption der Passionsgeschichte des Matthäus Evangeliums, aber auch des ganzen Evangeliums im Neuen Testament. Der Evangelist stellt in der Passionsgeschichte (Kap. 26 und 27) Jesus als den Leidenden, "Gerechten", als den "Gottesknecht" aus dem Alten Testament dar. Das ganze Matthäusevangelium verkündet Jesus als den leidenden "Gottesknecht", von der Geburtsgeschichte an. Worte vom "Gottesknecht" werden ausdrücklich auf Jesus bezogen. Jesus ist der Arme, Niedrige, auf Gott Angewiesene, und das ist er gerade als der Gekreuzigte. So interpretiert der Theologe Julius Schniewind (11). Für den Evangelisten Matthäus "erfüllt Jesus die Prophetie des alttestamentlichen Gottesknechtsliedes Jesaja 52 -53,12 nicht erst in seiner Passion, sondern zum Beispiel schon da, wo er sich der Kranken und Besessenen annimmt." (12) "Damit erfüllt werde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht (Jes. 53,4): "Er hat unsre Schwachheit auf sich genommen, und unsre Krankheit hat er getragen."

Kann es richtig sein, diese Grundkonzeption des Matthäusevangeliums zu übergehen, wenn man die Passionsgeschichte des Matthäus verstehen will? Kann es sinnvoll sein, die Grundkonzeptionen der drei ersten Evangelien zu übergehen, um ein einheitliches Evangeliumsbüchlein zu schaffen? Die Eisenacher Deutschen Christen des genannten Instituts haben dies getan. Sie wollten damit ihr wichtigstes Ziel erfüllen: die Entjudaisierung des Neuen Testaments und die Beseitigung der Bedeutung des Alten Testaments.

Auch die anderen Evangelisten haben eigene theologische Gesamtkonzeptionen in den von ihnen geschriebenen Evangelien mit deren Passionsgeschichten. Sie unterscheiden sich voneinander und von der Konzeption des Matthäus. Es soll darauf hier nicht eingegangen werden.

In dem Nachwort zu der "Botschaft Gottes" geben die Deutschen Christen einige Grundsätze an, denen gemäß sie ihr Büchlein zusammengestellt haben. Der eine und wichtigste Grundsatz ist das schon genannte Ziel: Das Christentum soll von jüdischem Einfluss und Denken befreit werden. Ein zweites Ziel streben sie an. Für die "gegenwärtige sich vom christlichen Glauben entfernende deutsche Bevölkerung sollen einfache und gut verständliche Bibeltexte" geschaffen werden. (13)

Die beiden Aufrührer, rechts und links neben Jesus gekreuzigt, spielen in dem Büchlein " Botschaft Gottes" eine geringe Rolle, anders auf dem Gemälde von Hans Kohl. Wenden wir uns jetzt dem Aufrührer zur rechten Seite des gekreuzigten Jesus Christus zu. Diesen Aufrührer hat der Maler Hans Kohl offensichtlich als einen Schwarzen dargestellt. Jesus Christus also nicht nur der Erlöser für die Weißen, sondern auch für die Schwarzen? Will der Maler Kohl dies aussagen, oder aber schließt er sich auch hier der nationalsozialistischen Ideologie an? Schüler und Schülerinnen mussten in der Zeit des Dritten Reiches im Biologieunterricht ihre Aufmerksamkeit einerseits auf die nordische Rasse und andererseits auf Juden und "Neger", wie Schwarze damals genannt wurden, besonders richten. Das Buch "Biologie für Oberschule und Gymnasium für Klasse V" (14) handelt ausführlich von der Entstehung der Menschenrassen. Umwelteinflüsse, Erbsprünge und Auslese hätten zur Entstehung verschiedener Menschenrassen geführt. Dabei sei die Entwicklung bei den Bewohnern der nördlichen Erdhälfte, also in Europa, am weitesten fortgeschritten. Die "Neger" und die Ureinwohner Australiens zeigten ein kindliches und unfertiges Wesen im Vergleich zu den europäischen Menschen. Besondere negative Charaktereigenschaften kennzeichneten den "Neger": Mangel an Voraussicht, an Ausdauer, an Unternehmungsgeist, an Strebsamkeit, an Verantwortungsbewusstsein, an Führerbegabung. Der "Neger" sei von Natur auf Genuss des Augenblickes aus. Wie ein Kind sei er dem unmittelbaren Sinneseindruck hingegeben, er lasse sich blenden und begehe leicht Verbrechen, weil es ihm an der nötigen Voraussicht und Selbstbeherrschung fehle. Das deutsche Volk stelle ein günstiges und harmonisches Rassengemisch der "Arier" dar. Diese "Arier" seien wesensverschieden gegenüber den "Nichtariern". Zwischen diesen beiden Menschengruppen bestehe nicht nur hinsichtlich der leiblichen Erscheinung, sondern auch im seelischen Wesen "ein großer, unüberbrückbarer Gegensatz." In diesem Schulbuch für den Biologie - Unterricht lasen Schülerinnen und Schüler auch die Drohung: "Jede blutsmäßige Verbindung eines Deutschen mit einem Neger oder mit einem Juden ist eine schwere Versündigung." (15)

Die Deutschchristliche Kirche, wie sie zur Zeit des Dritten Reiches bestand und wie sie in der Lutherkirche in Offenbach-Bieber in den Bereichen: Kunst, Kirche, Kirchliche Pädagogik arbeitete, unterstützte das gemeinsame "deutschchristliche" Ziel: Entjudaisierung des Glaubens, der Kirche, unter Nichtbeachtung des Alten Testaments.

Die Luthergemeinde hatte sich in der Nachkriegszeit mit dem Gedanken beschäftigt, die Ausmalung des Altarraumes ihrer Kirche zu beseitigen. Sie verwarf diesen Plan auf Anraten von Kunstexperten, die das Gemälde als eines der wenigen wichtigen Dokumente aus der Zeit des Dritten Reiches bezeichneten. Die Gemeinde macht heute unter anderem mit mehreren im Altarraum aufgestellten Zeichen sichtbar, dass sie daran glaubt, die Identität des Christseins nur mit dem Judentum und mit dem Alten Testament zu finden. Eines der Zeichen dafür ist der Lesepult aus Eichenholz mit der Aufschrift "Schalom" in hebräischer Schrift.

Textprobe aus: "Die Botschaft Gottes". "Jesus der Heiland". Die Jesus-Überlieferungen der drei ersten Evangelien" (S. 7 -96), herausgegeben vom "Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben", Otto Wigand'sche Buchdruckerei in Leipzig 1940 Aus: "Sein Kreuz", S. 76- 96, hier: "Im Zeichen des Kreuzes", S. 93-94

"Sie brachten Jesus nach Golgatha, das heißt: Schädelstätte, und reichten ihm betäubenden Wein mit Myrrhe gemischt. Er aber lehnte ihn ab. Und sie kreuzigten ihn. Über seine Kleider warfen die Soldaten das Los, um festzustellen, was jeder bekommen sollte, und verteilten sie. Es war neun Uhr, als sie ihn kreuzigten. Als seine Schuld gab die Aufschrift am Kreuz an: "Der König der Juden". Zusammen mit ihm kreuzigten sie zwei Räuber, einen rechts, den anderen links. Die Vorübergehenden aber lästerten ihn, schüttelten ihren Kopf und sprachen: "Seht da! Der du den Tempel abbrichst und in drei Tagen neu baust, hilf dir doch selbst, steige herab vom Kreuz!" Gleicherweise spotteten die Hohenpriester samt den Schriftgelehrten untereinander: "Anderen hat er geholfen, sich selber kann er nicht helfen. Der Messias, der König von Israel, steige jetzt vom Kreuz herab, dass wir sehen und glauben." Auch die mit ihm gekreuzigt waren, schmähten ihn.

Um die Mittagsstunde ward eine Finsternis über das ganze Land bis in die dritte Stunde. Und in der dritten Stunde rief Jesus laut: "Eli, Eli, lama sabachthani", das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und einige, die dabeistanden, hörten es und sagten: "Sieh, er ruft den Nothelfer Elia!" Da lief einer, füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf einen Stab, gab ihm zu trinken und sprach: "Wir wollen doch sehen, ob Elia kommt und ihn herunterholt." Jesus aber rief mit lauter Stimme: "Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist." Da er das gesagt, neigte er das Haupt und verschied.

Und der Vorhang im Tempel riss entzwei von oben an bis unten aus. Als der Hauptmann, der ihm gegenüber stand, sah, dass er so verschied, sprach er: "Wahrlich! Dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!" Und es schauten von ferne zu: Maria, die Magdalene, Maria, die Mutter des Jakobus des Kleinen und des Joses, und Salome, die Mutter der Zebedäussöhne, und viele andere Frauen, die ihm schon in Galiläa gefolgt waren, aufgewartet hatten und mit ihm hinaufgezogen waren nach Jerusalem."

Das Lied vom Knecht Gottes und das Kruzifix am Lebensbaum in der Jakobskirche in Thorn, Polen, 14. Jahrhundert

"Das Kruzifix am Lebensbaum" im Südschiff der Jakobskirche (16) in Thorn, Torun in Polen, ist ein Beispiel für tiefste Verbindung zwischen christlichem und jüdischem Glauben. Es entstand gegen Ende des 14. Jahrhunderts für die Kirche der Mönche des Dominikanerordens in Thorn, Torun in Polen. Heute gibt es die Kirchen- und Klostergebäude des Dominikanerordens in Thorn nicht mehr. Das Kruzifix wurde in einer anderen Kirche, der Jakobskirche in Thorn, aufgebaut. Ob sich die soziale Geschichte der Dominikaner in Thorn und die Geschichte ihres Verhältnisses zu den Juden in Thorn durch dieses Kruzifix widerspiegelt, ist damit nicht belegt. Die Frage nach einer gelungenen Identitätsfindung von Christen im Zusammenhang mit dem Judentum in Thorn ist damit nicht beantwortet. Aber eine Identitätssuche von Christen des Dominikanerordens im Gegenüber mit dem Judentum findet hier in hervorragendem Sinne künstlerischen Ausdruck.

Die gotische Jakobskirche wurde in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts als eine dreischiffige Basilika errichtet. Als Teil des im 13. Jahrhundert entstehenden Staates der Deutschordensritter war Thorn im Jahrhundert wichtiges Handelszentrum, eine Art Hafenstadt an der Weichsel, zu der Hochseeschiffe zwischen Ostsee und Thorn zeitweise fahren konnten.

Man betritt die Katholische Jakobskirche vom Neuen Marktplatz aus. Ein gotisches Langhausgewölbe umfängt einen. Der Blick fällt schnell auf das mehrere Meter hochragende Kruzifix aus bemaltem Holz. Das Kruzifix ist umgeben von einem Baum, aus Holz gearbeitet, dessen Äste Zweige tragen, die dicht mit grünen Blättern bewachsen sind. Aus dem dicken Stamm des Baumes erwächst das Kreuz mit dem Körper des Gekreuzigten, des Jesus Christus. Die Thorner nennen das Kruzifix "das mystische Kreuz" oder "Das Kreuz am Lebensbaum".

Die Blätter des Baumes haben die Form der Blätter des Weinstocks. "Hauptanbaugebiet des Weinstocks war in alttestamentlicher Zeit das Stammland Juda. In den Gebirgen Mittel- und Nordsyriens wuchs er wild. Sein Stamm erreichte Schenkeldicke. Es gab aufrechtstehende Bäume, am Boden hinrankende Weinstöcke... Der Tempeleingang in das Heilige trug zur Zeit des Neuen Testaments einen mächtigen goldenen Weinstock." (17) Im Bereich des Tempels erfuhr der angefochtene Beter "das wirklich Befreiende ... die Erfahrung der Nähe Gottes. ... Diese Nähe bedeutet 'Leben'. In den weiten Vorhöfen mit ihren Bäumen ... in den Bildern vom Lebensbaum, der von Cheruben bewacht wird, manifestiert sich das von Gott auf dem Zion entbotene Leben..." (18) Der Lebensbaum als Weinstock symbolisierte ‚Leben' in der Nähe Gottes, ‚Fülle des Lebens', ‚Freude über das Leben'.

Der Gekreuzigte am Stamm des Lebensbaumes ist von Leiden geprägt. Christus hängt am Baum des Lebens mit ausgestreckten Armen. Durch die schlanken Hände hindurch sind die Kreuzigungsnägel in das Holz eingehauen. Die Wangen sind eingefallen, die Augenbrauen hochgezogen. Der Brustkorb erscheint eingezogen und ist leicht modelliert. Die Füße sind stark und kräftig. Die Hüfte des Gekreuzigten wird von einem langen Tuch bedeckt.

Die Zweige des Weinstocks, an dessen Stamm der Gekreuzigte hängt, bilden an ihren Enden jeweils ein Medallion, in dessen dichtem Grün jeweils das Portrait eines Propheten, evt. auch eines Königs aus dem Alten Testament zu erkennen ist. Im Unterschied zu der großen Plastik von Jesus Christus sind die Gestalten der Propheten klein und wenig modelliert. Die Propheten tragen Banderolen, halten sie hoch, man soll die Inschriften - in lateinischer Sprache geschrieben - lesen.

Zunächst glaubt man, die Schriften seien nicht mehr lesbar. Sie erscheinen undeutlich, manchmal offenbar durch Zerstörung unterbrochen. Aber dann erkennt man: Es ist nicht ein zusammenhängender Text aus dem Alten Testament einfach wiedergegeben in der Form der Vulgata, sondern es werden bewusst einige Aussagen auf den einzelnen Banderolen geradezu hymnisch wiederholt und zu einem gleichsam akustisch hörbaren Höhepunkt geführt.

Dreimal geht es um den Betrachter, den Beter, der vor dem Kreuz steht. Dreimal wird in der 1. Person Plural von "wir" und im Possessivpronomen von "uns" gesprochen. Es sollten wohl die Mönche u.a. angesprochen sein. Diese 1. Person Plural "wir" ist gekennzeichnet als mit "Sünde" belastet. Der Gekreuzigte leidet für unsere Sünden.

"wegen unserer Sünden wuchs er auf"
"für unsere Sünden"
"uns wird Heilung durch seine Wunden"

Als zweites fällt der Ausdruck auf: "für die Vielen", "für die anderen" leidet Christus. Sind mit "den Vielen, den anderen", die Nichtjuden gemeint?
"er trug die Sünden der Vielen und trat für die Übeltäter ein"
"denn die Sünden der anderen, er trägt sie".

Auffallend ist die Beschreibung des Lebens und Handelns des Gekreuzigten.
"wie ein Lamm, das geschoren wird, verstummt er".
Er klagt nicht, er wehrt sich nicht, das Leiden "für uns", "für die Vielen" auf sich zu nehmen.

"Wir hielten ihn für einen von Gott Geschlagenen"
"er ließ sich unter die Frevler rechnen"
das bedeutet, es liegt eine Täuschung vor: er ist nicht der von Gott Geschlagene.

"Der unsere Sünden und die Sünden der anderen trägt:
Er erleidet den Tod".
Die Dominikaner mögen den Text gesungen haben. Es handelt sich um hymnische Teile des alttestamentlichen prophetischen Liedes vom "Knecht Gottes". Es ist das 4. Lied vom "Knecht Gottes" (Deuterojesaja 52, 13 - 53,12). (19)

Das Leiden, in dem das Volk Israel sich zur Zeit des prophetischen Wirkens des Deuterojesaja befindet, ist das Exil im Zweistromland von Euphrat und Tigris, heute Irak, fern von Jerusalem, von Zion. Mehr als vierzig Jahre dauerte dieses Leiden, begonnen hatte es durch die Eroberung Jerusalems durch den Assyrer Nebukadnezar 587 vor Christus durch mehrere Deportationen der jüdischen Bevölkerung nach Babylon. Mit der Eroberung Babylons durch den Perserkönig Kyros 539 vor Christus und damit dem Ende des neubabylonischen Reiches durfte die jüdische Bevölkerung, die ältere Generation, nach Jerusalem zurückkehren, die jüngere Generation zum ersten Mal in ihr Heimatland einziehen.

Das prophetische Wirken des Deuterojesaja fällt in die Zeit kurz vor Ende des Exils, etwa zwischen 550- 540 vor Christus. Deuterojesaja sieht prophetisch klar den Sieg des Perserkönigs Kyros voraus und predigt mit Freude und Begeisterung über die Befreiung des jüdischen Volkes und die Heimkehr in das Heimatland, die Gott der HERR bewirken wird. Nicht nur Israel, auch die politische Umwelt Israels, die "Völker der Welt", werden an dem Kommen Gottes teilhaben, so die Aussage Deuterojesajas, (Jesaja 45,22).

Wer ist der Knecht Gottes in den Prophezeiungen des Deuterojesaja? Welches Amt wird dem Knecht Gottes zuerkannt?

"Die Grundfunktion, die das Prophetenbild zur Zeit des Deuterojesaja konstituierte, die des Verkündigens und des Leidens, das ist das Thema der "Gottesknechts - Lieder". Ist der Knecht als Individuum vorgestellt oder "soll er das Volk Israel im ganzen in seinem weltgeschichtlichen Auftrag symbolisieren? Diese Deutung ist uralt. Es ist aber unmöglich, das kleingläubige, unwillige Israel bei Deuterojesaja mit dem willigen glaubensstarken Knecht der Lieder zu identifizieren. Am wenigsten war das Leiden Israels nach der Auffassung Deuterojesajas schuldlos." (20) Im vierten Gottesknechtslied wird der Knecht Gottes als schuldlos dargestellt.

Beschreibt der Prophet Deuterojesaja sich selbst? Wir kennen nur die Botschaft des Propheten, der Deuterojesaja genannt wird, seine Person lässt er in allem, was er äußert, völlig zurücktreten, weder Name noch genauer Ort seiner Tätigkeit sind bekannt.

Moses wird im Alten Testament vierzigmal als Gottesknecht bezeichnet, der Gott gehorsam war und dessen Auftrag ausführte, das Volk Israel aus der Verbannung aus Ägypten zu führen. Er selbst, das gehört zu seinem Leiden, starb, bevor er das verheißene Land hatte betreten können.

Deuterojesaja verstand die Situation Israels zu seiner Zeit als in der Tradition der Geschichte des Mose vorgebildet, aber als etwas Neues.

Gott der HERR stellt sich auf die Seite der Leidenden, auf die Seite des Knechtes Gottes. So steht es am Ende des vierten Gottesknechtsliedes, Jes. 53,10 a. "Aber Jahwe fand Gefallen an seinem Zerschlagenen, heilte den, der sein Leben zum Schuldopfer gab." (Übersetzung Claus Westermann, s. Anm. 19)

Was kann das Betrachten des "Kreuzes am Lebensbaum" mit den Versen des "Gottesknechtsliedes" in der Jakobskirche von Thorn bei dem Schauenden bewirken? Betrachten des Leidens, darüber "Nachdenken" kann "Mitleiden", "Mitleid" erwecken, es entsteht aus dem "contemplari", dem sich "Hineinversenken".

Beim Betrachten des Leidens Jesu kann die Haltung erwachsen, das Leiden anderer Menschen aktiv zu teilen, "compassio", "Sensibilität für das Leiden anderer" kann entstehen. Nicht zufällig werden im Mittelalter von Mönchen christliche Hospitäler als Orte des Leidens und als Ausdruck des Mitleidens gegründet. Die Antoniter zum Beispiel, die sich Schwerstkranker annahmen, beauftragten Matthias Grünewald mit der Schaffung des Isenheimer Altars mit der Kreuzigungsdarstellung in der Mitte. "Leidende Menschen können sich im Gegeißelten und Gekreuzigten wiedererkennen. Seit Jesus gilt nämlich: Der Kranke oder Leidende, der Geschundene ... ist nicht allein, ist nicht von Gott gestraft. Diese christliche Deutung von Leiden, Misshandlung und Todesangst ist eine wahrhafte Revolution in der Auffassung der Menschen von der Nachtseite des Lebens, vorbereitet durch die Zukunftsvision des Jesaja 53." (21) In den Kreuzigungsdarstellungen des Mittelalters haben die Künstler, oder in dem Film "Passion" hat Mel Gibson im Jahr 2004 die Betrachter schonungslos mit "Blut und Wunden Jesu Christi" konfrontiert. Dabei können die Betrachter zur Erkenntnis kommen, dass Menschen die Zerstörung des Menschen anrichten, und sie können die Erfahrung der Schuld der Menschen und ihrer eigenen Schuld machen. "Nun, was du Herr erduldet, ist alles meine Last, ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast." In dem Lied "O Haupt voll Blut und Wunden" stellt Paul Gerhardt diese Erfahrung dar. (Evangelisches Kirchengesangbuch Nr.85)

Der Theologe Klaus Berger beschreibt angesichts des Films "Die Passion Jesu Christi": "Zwei Dinge also sagt das Kreuz: wer wir sind und wer Gott ist. Es sagt, wer wir Menschen sind, dass wir andere ans Kreuz bringen und selbst oft Opfer sind. Und es sagt, wer Gott ist, weil er angesichts des Hasses der Menschen bei dem Prozess Jesu und der Kreuzigung Jesu uns als seine Feinde erst recht liebt. Gott lässt das Zeichen des Hasses zum Zeichen der Vergebung werden." (21) "Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun." (Lukas 23,34) In den Kreuzigungsgeschichten der Evangelien wird der Zusammenhang von Liebe Gottes und Leiden Jesu Christi deutlich. Noch einmal Klaus Berger: "Jesus blieb der Liebe Gottes gehorsam als der Sohn, den Gott gesandt hat, obwohl das Leiden bedeutete. Er blieb der Liebe zu den Menschen treu, obwohl sich diese immer aggressiver zeigten."

Die christlichen Dominikaner des 14. Jahrhunderts haben sich mit dem Werk "Der Kruzifixus am Lebensbaum" entschieden, in dem leidenden Gottesknecht, wie Deuterojesaja ihn schildert, den Gekreuzigten Jesus Christus zu erkennen und zu bekennen. Sie taten es mit dem Vorbild der ersten Christen des Neuen Testaments im ersten Jahrhundert nach Christus. Beide, die ersten Christen und die Dominikaner des 14. Jahrhunderts, schlossen sich der heute 2500 Jahre alten gläubigen Freude der Juden über den Gottesknecht an, der stellvertretend "für uns", "für die vielen" litt und starb.

Sowohl diese genannten Juden als diese genannten Christen glauben, dass stellvertretendes Leiden "für uns", "für die Vielen" das wesentliche Handeln Gottes beinhaltet.

Die lateinischen Inschriften lesen sich wie folgt:

von links unten:
6 Pro tui in peccatis nostris
Für unsere Sünden.
5 Vidimus eium quasi percussum Vulgata 4
Wir hielten ihn für einen (von Gott) Geschlagenen.
4 Quasi (Agnus) tondenter se obmutesco. Vulgata 7
Wie ein Lamm, das geschoren wird, verstummt er.
3 Et peccatorum multorum tulit pro trangressibus rogavit. Vulgata 12
Er trug die Sünden der Vielen und trat für die Übeltäter ein.
2 IA Ipse volvit
wuchs er auf
1 Iniquitates Nostras Vulgata 5 ISA 53
Wegen unserer Sünden

von rechts unten:
12 Livore eius sanati sumus Vulgata 5 ISA 53
Uns wird Heilung durch seine Wunden
11 Et cum sceleratis reputatus est Vulgata 12 ISA
Er ließ sich unter die Frevler rechnen
10 Abscisus pedibus ad verticem non est (?) Vulgata 8 (?)
Abgeschnitten von unserer Welt (Land), von wo man zu Fuß nicht umkehren kann
9 Darit percutienti maximilian THREN (?) Vulgata 8 (?)
Er erleidet den Tod (die Durchbohrung)
8 Saturabitur ob probra Vulgata 10
Es wurde vollbracht um unserer Schandtaten willen
7 Iniquitates eorum ipse ponet Vulgata 11 ISA 53
denn die Sünden der anderen, er trägt sie.

Das Lied vom Knecht Gottes im Glasfenster der Stephanskirche in Mainz, von Marc Chagall

Dem katholischen Monsignore Klaus Mayer, Pfarrer an der im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstörten St. Stephan Kirche in Mainz, gelang es, den Maler Marc Chagall 1978 für die Aufgabe zu gewinnen, die heute weltberühmten drei Glasfenster des Ostchores der wieder aufgebauten St. Stephan-Kirche in Mainz zu schaffen. Mayer und Chagall und dessen Frau trafen sich in Chagalls Atelier in Reims und betrachteten die Entwürfe Chagalls für die drei Fenster des Ostchores. Sie wurden Freunde über dieser Arbeit. In Tag- und Nachtarbeit hatte der einundneunzigjährige Chagall die Entwürfe erarbeitet. In Schwarzlotmalerei (22) schuf der Künstler eigenhändig die Bildelemente der Fenster.

In der Maßwerkkrone des südöstlichen Fensters des Ostchores ist das Fenster mit den Tafeln des Bundes, den Weisungen Gottes, auf rotem Hintergrund dargestellt. Mit der Farbe Rot symbolisierte Chagall die Liebe - zum Beispiel in seinen Darstellungen des alttestamentlichen "Hohenliedes der Liebe". "Gott ist Liebe" - diesen Titel gibt Mayer in seinem Buch (23) der Beschreibung dieses Fensters über die "Weisungen Gottes". Unter dieses Fenster in dem rechten Ostchorfensterprogramm der Kirche ordnete Chagall das Fenster mit dem Gekreuzigten Jesus Christus.

Der gekreuzigte Jesus Christus ist groß im Vergleich zu den Figuren an anderen Fenstern des Ostchores. Er hängt nicht, scheint zu stehen und ist umgeben von einem leuchtenden vielfarbschichtig scheinenden Blau. Auf der rechten Seite des Kreuzes lehnt eine Leiter. Sie beginnt im rechten unteren Teil, wo staunende Menschen zu Füßen des Gekreuzigten stehen, und reicht bis an das lebendige Blau an der Seite und über dem Kopf des Gekreuzigten. Mayer beschreibt: "Die Leiter, die hinter dem Kreuz aufragt und ins Leere geht, ist die 'Himmelsleiter', die veranschaulicht, dass sich hier Geschichte zwischen Gott und Mensch, Himmel und Erde ereignet. ... Die Leiter ragt in den blauen Grundton des Fensters, das unergründliche Mysterium Gottes, hinein, wohin auch der rechte Arm des Gekreuzigten, gleichsam über ihn hinaus, weist. Hier geht es nicht nur um Tun und Leiden eines Menschen, sondern hier ist Gott am Werk, wie Jesaja von dem Gottesknecht sagt: "Der Plan Jahwes wird durch seine Hand gewinnen." Jes. 53, 10. In seinem Buch über die Chagallfenster des Ostchores in St. Stefan interpretiert Mayer das Kreuzigungsfenster durch das vierte Gottesknechtslied des Deuterojesaja. (24)

Der Katholik Klaus Mayer bekennt sich zu dem jüdischen Gottesknecht, wie Deuterojesaja von ihm im vierten Gottesknechtslied (Jesaja 52, 13 - 53, 12) gepredigt hat und wie die Juden in der Emigration in Babylon vor ca. 2500 Jahren ihn erkannt, verstanden und sich zu ihm bekannt haben und wie sie auf ihn als den Befreier aus der Gefangenschaft gehofft haben. Mayer: "Es bleibt unbenommen, bei diesen Verheißungen an einen anderen unschuldig Leidenden zu denken oder an das leidende Gottesvolk; uns sind sie in Jesus Christus erfüllt." ... "durch seine Striemen ist uns Heilung geworden" (Jes. 53, 4, 5) (25)

Hat Mayer die Bedeutung des alttestamentlichen Gottesknechts den Juden und ihrem Glauben entreißen wollen, um den "Knecht Gottes" zum gekreuzigten Jesus Christus der Christen umzufunktionieren? Wohl kaum hätte eine Freundschaft zwischen dem Juden Marc Chagall und dem Christen Klaus Mayer zustande kommen und bis zum Tode Chagalls bestehen können, wenn Chagall den Eindruck einer Entjudaisierung des alttestamentlichen Gottesknechts und letztlich auch der Passion und des Kreuzigungstodes Jesu Christi in den Worten und den Äußerungen des Glaubens seines Freundes Mayer empfunden hätte, der für die Kirche der katholischen Glaubenden den jüdischen Künstler engagiert hatte und für dessen Kirche der jüdische Künstler Chagall mit Freude arbeitete. Unsere Identität als Christen wächst und lebt aus dem jüdischen Glauben mit seinen Erkenntnissen und Bekenntnissen.

Die prophetischen Gottesknechtslieder sind geprägt von der Zeit des Endes des Exils des Volkes Israel in Babylon und von der Hoffnung auf die Befreiung durch den Perserkönig Kyros. Die Rückkehr nach Jerusalem setzte ab 538 vor Chr. allmählich ein.

"Darin hatte die Botschaft der Propheten ihre Mitte und ihre bestürzende Sprengwirkung, dass sie die bisherige Existenz Israels vor Jahwe zerschlagen und den Geschichtshorizont eines ganz neuen Gotteshandelns mit Israel aufgerissen hat." (26) Das Neue in der Prophetie des Deuterojasaja steht in fundamentalem Unterschied zu den die Exilierten umgebenden Religionen, die ihre Geschichte in einem Kreislauf der Zeit und der Geschichte verstanden. Für Deuterojesaja schafft Gott das Neue: durch den Gottesknecht handelt Gott neu an Israel, beginnt Gott eine neue Geschichte, eine Zukunft.

Der Bund Gottes mit Israel bleibt immer bestehen: Abraham und die Drei Engel, von Marc Chagall

Anders als die prophetische Schrift des Deuterojesaja wurde das Werk: die fünf Bücher Mose, der Pentateuch, die Tora ebenfalls im Babylonischen Exil - allerdings zu Beginn des Exils in Babylon - nach 587 vor Chr. von jüdischen Exilierten erarbeitet. Die vorhandenen Überlieferungskomplexe über die Geschichte Israels und die Gesetze wurden nicht nur gesammelt, sondern es sollte eine für das Gottesvolk aktualisierende Deutung seiner Geschichte, eine Perspektive für das Volk Israel gegeben werden, die über die Katastrophe des Exils hinaus Bestand hätte. (27) Diese vorhandenen Überlieferungen haben durch die theologische Arbeit der Exilierten eine Gliederung, eine Periodisierung der Geschichte erhalten, durch die ganz bestimmte theologische Bezüge der Geschichte Israels zueinander deutlich werden. Die markantesten Schwerpunkte dieser Art sind die Bundesschlüsse Gottes mit Israel (28): der Bund Gottes mit Noah, der Bund Gottes mit Abraham, der Bund Gottes mit Mose.

Handelnd in den Bundesschlüssen ist allein Gott, der irdische Partner ist Empfänger. Aus der Tradition der Priesterschrift stammen die Bundeschlüsse Gottes mit Noah und Abraham. Gen. 9,1 ff. und 17,1 ff. Nachdem Gott die Erde und die Menschen geschaffen hat und nachdem Menschen und Erde in der Sintflut vernichtet wurden, gab Gott ihnen im Bund mit Noah das Versprechen, die Menschheit zu erhalten und ihren Lebensraum zu bewahren.

Marc Chagall hat das Thema der Bundesschlüsse Gottes mit Israel zum Thema seiner Ölbilder gemacht, die in Nizza im "Musee Message Biblique", "Museum für die Botschaft der Bibel" seit 1973 ausgestellt sind.

Überwältigend ist das strahlende Rot, das das ganze Bild beherrscht. "Rot und Gelb sind die Farben, die Chagall der göttlichen Offenbarung vorbehält und auch der Liebe. Die Komposition des Bildes "Abraham und die Drei Engel" (29)ist bestimmt durch die Darstellung eines Mahles. Drei Engel mit großen, vorwiegend weißen Flügeln, sitzen an einem Tisch, zwei Engel kehren dem Betrachter den Rücken. Nur ein Engel sitzt direkt Abraham gegenüber. Abraham steht als Gastgeber auf der linken Seite dicht neben den Engeln. Hinter ihm trägt seine Frau Sara Speisen auf. Durch die Farbe blau-violett korrespondieren der Engel auf der rechten Seite in blau-violettem Gewand mit gelbroten Flügeln und Abraham, ebenfalls im blau-violetten Gewand, dem Engel am anderen Ende des Tisches gegenüberstehend.

In dem leuchtenden Rot des gesamten Vorder- und Hintergrund des Bildes sind Gefälle und Berge des Wüstenlandes durch Striche und Tönungen angedeutet, worauf die genannten Personen zu schweben scheinen.

Vielleicht deutet Chagall die Gegend um Hebron an, wo das Gespräch zwischen Gott und Abraham stattgefunden haben soll. Wie in einem Rahmen ist die Bildmitte der Szene zwischen den Engeln und Abraham und Sara umgeben von der Vergangenheit und Zukunft der Geschichte Abrahams. Unter Sara wächst ein Baum mit einem Korb mit Früchten darunter. Über Sara und Abraham in der linken Bildhälfte weist der Eingang zu einem Haus mit blauen Farben und Stufen vielleicht auf das Haus am Euphrat hin, das Abraham mit Sara auf Befehl Gottes verließ und damit das Zweistromland, seine Heimat. In Begleitung seiner Knechte, seiner Mitarbeiter, zog er in ein Land, das er nicht kannte, das Gott ihm zeigen werde (1.Mose 12,1). Rechts verlässt ein Kamelreiter das Haus. Vor diesem erscheint eine Hand, aus den Wolken kommend, die ihm den Weg weist aus der Vergangenheit heraus in eine ihm unbekannte Zukunft.

In der rechten oberen Bildecke erscheint auf dem Hintergrund der Farbe Rot in einem Halbkreis eine Geschichte aus der Zukunft Abrahams. Es handelt sich wahrscheinlich um das Gespräch zwischen Gott und Abraham über Sodom (1. Mose 18, 16-33). Auf seinem Weg in die Fremde nahm Abraham Lot mit, den Sohn seines Bruders, sowie dessen Familie und Knechte. Abraham erlebte Fremdsein, Not, Kriege. In Kanaan angekommen, lässt Abraham seinen Neffen um des Friedens willen wählen, welchen Teil des Landes er besiedeln wolle. Lot wählt das fruchtbare Land an der Jordansenke. Das in der rechten oberen Bildhälfte im Halbkreis eingeschlossene Bild zeigt Abraham mit drei Engeln, die ihn zu stützen scheinen bei dem Blick in den Abgrund. Abraham bittet, ja er kämpft mit Gott, indem er von Gott verlangt, nicht fünfzig unschuldige Menschen, nicht 45, nicht 40, nicht 30, nicht 20, nicht zehn nichtschuldige Menschen bei der bevorstehenden Naturkatastrophe sterben zu lassen. Der Herr hört ihm geduldig zu und gewährt die Bitte.

In dieser Gegend von Abrahams Vergangenheit und Zukunft besucht Gott in der Gestalt der drei Engel Abraham und seine Frau Sara. Sinnend und lauschend steht Abraham vor dem Engel in dem blau-violetten Gewand und hört, dass seine Frau von ihm einen Sohn gebären werde. 1. Mose 15,6 heißt es über die Verhaltensweise des Abraham: "Und Abraham glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit". Der Geschichte von dem Besuch der drei Engel geht in 1. Mose 17, 1 ff. der Bericht voraus: Gott schließt einen Bund mit Abraham. Drei Verheißungen enthält dieser Bund mit Abraham, von der Erfüllung dieser drei Verheißungen wird im Pentateuch berichtet. "Als nun Abraham neunundneunzig Jahre alt war, erschien ihm der Herr und sprach zu ihm: Ich bin der allmächtige Gott; wandle vor mir und sei ganz mir. Und ich will meinen Bund zwischen mir und dir schließen und will dich über alle Maßen mehren." Das ist die eine Verheißung: ein neues Gottesverhältnis soll entstehen, so wie der Glaube Abrahams es lebte. Der Bund Gottes mit Abraham enthält auch die Verheißung, dass aus Abrahams und Saras Sohn ein großes Volk werden solle. Und drittens beinhaltet der Bund: Gott will den Nachkommen Abrahams das Land Kanaan als dauernden Besitz geben. Zeichen dieses Bundes soll die Beschneidung aller männlichen Israeliten sein.

Der Bund Gottes mit Israel bleibt immer bestehen: Mose empfängt die Gesetzestafeln, von Marc Chagall

Goldgelb ist die dominante Farbe des Bildes. Im Mittelpunkt des Bildes steht die große Gestalt des Mose als Bilddiagonale. Mose empfängt aus den Händen Gottes die Tafeln des Gesetzes (vgl. 30).

Im oberen Bildteil ist auf einem Podest das Goldene Kalb als Zeichen der Götzenverehrung zu erkennen, das nur von wenigen Menschen beachtet wird. Die anderen schauen aus der Ferne in die Wolken, wohin Mose gegangen ist. Die Gruppe an dem linken unteren Bildrand wartet offensichtlich auf den vom Berge zurückkehrenden Mose. An der rechten unteren Bildecke steht Aaron, Bruder, Mitstreiter des Mose bei dem Auszug aus Ägypten, und Priester. Er schaut auf den siebenarmige Tempelleuchter, den er im Arm trägt. Im oberen Bildraum herrscht das Gold des Himmels, Strahlen durchdringen ihn. Sonne und Mond sind angedeutet. In der oberen linken Bildecke öffnet sich das Strahlen des Himmels. Wolken, schwarz und weiß in vielen Formen, verhindern die Blendung des Auges durch das strahlende Licht. Durch die verhüllenden Wolken hindurch erscheinen die Hände Gottes und übergeben Mose die Tafeln des Gesetzes.

In der Bildmitte kniet Mose, aber er hat sich hoch aufgerichtet und seine Arme sind weit zum Empfang der Tafeln ausgestreckt. Die Gestalt des Mose hat die gleiche Farbe wie das hellgraue Felsgestein der Berge auf der Sinaihalbinsel. Steil fällt der Berg ab und bietet nirgends Halt. Völlige Hingabe des Mose in diesem Augenblick zeigen der offene staunende Mund und das völlig konzentrierte Auge des Mose, das im Profil gezeigt wird.

Im 2. Buch Mose geht der Geschichte von dem Empfang der Tafeln des Gesetzes die Erzählung von der Ankunft der Israeliten auf dem Sinai, aus Ägypten kommend, voraus. " Und Mose stieg hinauf zu Gott. Und der Herr rief ihm vom Berge zu und sprach: So sollst du sagen zu dem Hause Jakob und den Israeliten verkündigen: Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlers Flügeln und euch zu mir gebracht. Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein". (2. Mose 19, 3-5)

Die Verheißungen des Bundes, den Gott mit Abraham schloss, gehen in Erfüllung im Bund Gottes mit Mose. Abraham hat eine große Nachkommenschaft bekommen, Israel ist in Ägypten ein großes Volk geworden.
Ein neues Verhältnis zwischen Gott und dem Volk Israel ist lebendig geworden. "Denn du bist ein heiliges Volk dem Herrn, deinem Gott. Dich hat der Herr, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf Erden sind." 5. Mose 7,6. Die Gabe der 10 Gebote soll nicht willkürlich menschliche Freiheit beschränken, sondern helfen, das Leben in Freiheit zu schützen. Auch die dritte Verheißung des Bundes mit Abraham geht in Erfüllung: Josua wird die Israeliten, die mit Mose aus Ägypten ausgewandert waren, in das Land Kanaan führen. (Das Buch Josua, Deuteronomistisches Geschichtswerk)

Der Bund Gottes in der Sicht des Propheten Jeremia

In den letzten Jahrzehnten vor der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier unter König Nebukadnezar im Jahr 587 vor Chr. wirkte in Jerusalem der Prophet Jeremia. Die Macht des Assyrischen Reiches, durch die das Nordreich Israel untergegangen war, zerbrach. Aber schon zeigte sich neue Bedrohung Judas durch die Babylonische Großmacht. 597 vor Chr. war Nebukadnezar mit seiner Armee zum ersten Mal vor Jerusalem. Der damalige israelische König und Teile der jüdischen Oberschicht wurden nach Babylon deportiert. (1. Exil)

Zehn Jahre später, gegen Ende der Tätigkeit des Propheten Jeremia, war Jerusalem dem Erdboden gleichgemacht und der größte Teil der Bevölkerung nach Babylon deportiert. (2.Exil)

Jeremia sah als Prophet die Hintergründe der Ereignisse nicht nur in politischen Vorgehensweisen, sondern im Verhalten, das die Juden gegenüber Gott einnahmen, es gab Hinwendungen zum Baalskult, zum Beispiel.

Jeremia stammte aus einer jüdischen Priesterfamilie. Er wurde jung berufen. Die bevorstehende Katastrophe erkennend und auf Gottes Weisung hörend, heiratete er nicht und hatte keine Kinder. Anklagen und Unheilsankündigungen, die Jeremia sich verpflichtet fühlte, den Menschen zu sagen, bedrückten ihn nachhaltig. "Herr, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich und jedermann verlacht mich. Denn sooft ich rede, muss ich schreien; ‚Frevel und Gewalt' muss ich rufen." (Jeremia 20, 7 und 8)

Trotz den schwer auf Jeremia lastenden Klagen über das Verhalten des Volkes Israel gegenüber dem mit den "Vätern" geschlossenen Bund mit Gott äußert Jeremia prophetische, in die nahe und in die ferne Zukunft weisende Verheißungen.

"Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen. ... Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein...." (Jeremia 31,31 und 33)

Insbesondere der christliche Apostel Paulus nimmt im Neuen Testament diese Verheißung des Propheten Jeremia als für die Juden und auch für die Christen geltend auf. Paulus bezieht die Einsetzungsworte für das christliche Herrenmahl bewusst auf den von Jeremia verheißenen neuen Bund: Durch Tod und Auferstehung Jesu Christi ist die Erneuerung des Bundes, wie von Jeremia prophezeit, möglich geworden. Im Brot, das bei dem Herrenmahl ausgeteilt wird, ist Christus gegenwärtig, der sich selbst ("mein Leib") für die Menschen in den Tod gibt. Der Kelch mit dem Wein, der ausgeteilt wird, ist und symbolisiert das Blut Jesu Christi, sein Sterben, und der davon trinkt, erhält Anteil an dem Werk Gottes durch Jesus Christus. "Der Herr Jesus in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach`s und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird, das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, so oft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt." 1. Kor. 11, 23 -26

Woher wir kommen, wer wir sind als Christen, haben wir uns zu Anfang gefragt. Unsere Identität als Christen kann nur gemeinsam mit den Juden und ihrer Glaubensgeschichte gelebt werden. Dazu gehört auch, dass wir Christen neben dem Neuen Testament das Alte Testament niemals aufgeben können.

Wer das AT wegnimmt, nimmt auch das NT weg - Karl Barth 1934

71 Jahre sind heute vergangen, nachdem die Freie Reformierte Synode zu Barmen-Gemarke am 3. und 4. Januar 1934 getagt hatte zur Vorbereitung auf die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Barmen im Mai 1934, die der Erneuerung der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihres Weges im Dritten Reich dienen sollte. Professor Karl Barth, der maßgeblich die "Theologische Erklärung zur gegenwärtigen Lage der Deutschen Evangelischen Kirche" in der Auseinandersetzung gegen die Deutschen Christen erarbeitete, trug damals seine theologische Überzeugung über die Bedeutung des Alten Testaments vor, die für Christen, aber auch für Juden wichtig ist. (31)

"Die Kirche hört das ein für allemal gesprochene Wort Gottes durch die freie Gnade des Heiligen Geistes in dem doppelten, aber einheitlichen und in seinen beiden Bestandteilen sich gegenseitig bedingenden Zeugnis des Alten und des Neuen Testamentes, das heißt, in dem Zeugnis des Mose und der Propheten von dem kommenden, und in dem Zeugnis der Evangelisten und Apostel von dem gekommenen Jesus Christus.

Damit ist abgelehnt die Ansicht, die biblischen Schriften seien zu verstehen als Zeugnis der Geschichte menschlicher Frömmigkeit; maßgebend für die christliche Frömmigkeit sei aber vorwiegend oder ausschließlich das Neue Testament; es könne oder müsse darum das Alte Testament zugunsten des Neuen Testaments abgewertet, zurückgedrängt oder gar ausgeschieden werden. ...

Ein doppelter Irrtum unserer Zeit ist hier abzuwehren. Einmal, die biblischen Schriften seien Zeugnisse menschlicher Frömmigkeit. Dann ist der Weg nicht weit, dass zwischen Altem und Neuem Testament unterschieden wird. Das Ausscheiden, Zurückdrängen oder Abwerten des Alten Testaments kommt daher, dass man in der Bibel Religion zu hören meint. Die Kirche aber hört hier nicht Frömmigkeit, sondern Zeugnis von solchen, die das Wort Gottes selbst gehört und gesehen und betastet haben. Das sind miteinander dort Mose und die Propheten, hier die Evangelisten und die Apostel. Altes und Neues Testament sind nicht dasselbe. Dort wird von Christus gesprochen als dem Kommenden, hier als dem Gekommenen. Immer wieder als kommend und als der Gekommene ist Christus der Herr der Kirche. Nur in diesen zwei Worten lässt sich sagen, was uns gesagt sein muss vom Kommen des Reiches Gottes, dem Geschehen des Willens Gottes an und unter uns. Darum ist Altes und Neues Testament das Zeugnis von ihm. Eines weist auf das Andere hin und ist durch es bedingt. Wer eins wegnimmt, nimmt auch das Andere weg."


Anmerkungen
1 Hans Kohl, geb. 1897 in Mainz, gest. 1990 in Heppenheim, Bergstraße
2 Regierungsbaumeister Röhricht, Darmstadt. In: Pfarrer Michael Frase, Offenbach Post (ew) 4.4.1988
3 Pfarrer Michael Frase, Offenbach-Post 4.4.1988
4 Volker Fabricius, Arbeitstext Religion Sek. II, Diesterweg Verlag, 1982, S.3
5 Susannah Heschel, Deutsche Theologen für Hitler, in: Peter von der Osten-Sacken, Hrsg.: Das missbrauchte Evangelium, Studien zu Theologie und Praxis der Thüringer Deutschen Christen, Institut Kirche und Judentum, Berlin 2002, S.75 f.
6 Susannah Heschel, a.a.O. S. 75
7 "Die Botschaft Gottes", "Jesus der Heiland", "Die Jesus - Überlieferungen der ersten drei Evangelien". Hrsg. "Institut zur Erforschung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben", Leipzig 1940. Ohne Angabe der Verfasser.
8 Hilde Damm heuteWuppertal
9 Stuttgarter Erklärungsbibel, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart, Stuttgart , 2. A. 1992, S. 664, 681
10 ebd., Erklärung zu Lukas 23,46
11 Julius Schniewind. Das NT Deutsch 2. Das Evangelium nach Matthäus, übersetzt und erklärt von J. Schniewind. Göttingen 1964, S.270 f.
12 Stuttgarter Erklärungsbibel, a.a.O. Erklärung zu Matthäus 8,17
13 "Nachwort" zu "Die Botschaft Gottes" a.a.O. S. IX ff.
14 Jakob Graf, "Biologie für Oberschule und Gymnasium, 3. Band für Klasse V". J.F. Lehmanns Verlag München/Berlin 1940, S. 116 ff
15 ebd., S. 139
16 "Kosciol sw Jakuba w Toruniu/ Torun 2001", "Die Jakobskirche in Thorn", Autoren: Liliana Krantz-Domaslowska, Jerzy Domaslowski, Schriftenreihe: Prace popularnonaukowe Toruniu, ISBN -8387639-41-9, Polnisch mit Zusammenfassungen in englischer und deutscher Sprache
17 Bo Reicke, Leonhard Rost, Biblisch-Historisches Handwörterbuch, Göttingen 1966, "Weinstock"
18 Othmar Keel, "Die Welt der altorientalischen Bildsymbolik und das Alte Testament am Beispiel der Psalmen", Neukirchen - Vluyn, 1984, 4.A., S. 165 ff.
19 Zu Deuterojesaja: Gerhard von Rad, Theologie des AT, Band 2, "Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels", Gütersloh 1960, 10. A. 1993, S. 248-270 u.a., Claus Westermann, Das Buch Jesaja, Kap. 40 - 66, Das Alte Testament Deutsch, Göttingen 1986, 5. A.
20 von Rad a.a.O., S. 268
21 Klaus Berger, Weil es unser Herz ergreift, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.4.2004, S. 48
22 Schwarzlot: Schmelzfarbe für Glasmalereien aus Eisen- und Kupferpulver mit Bleiglaspulver. Aus: Neues Großes Lexikon in Farbe, Buch und Zeit Verlagsgesellschaft, Köln, 1992
23 Klaus Mayer, "Ich stelle meinen Bogen in die Wolken". Die Chagallfenster zu St. Stephan in Mainz. Echter Verlag, Würzburg 1979
24 ebd., S. 62 ff.
25 ebd.
26 von Rad, "Theologie des Alten Testaments, Band 2", Gütersloh 1960, S. 134, Stuttgarter Erklärungsbibel zu: Priesterschrift, Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart, 1992, S. 3 ff.
27 von Rad, "Theologie des AT, Band 1, Die Theologie des Hexateuch", a.a.O. S. 135 ff
28 ebd., S. 139
29 Christoph Goldmann, Bild-Zeichen bei Marc Chagall, Enzyklopädie zu den "Bildern der Biblischen Botschaft" Göttingen, 1995
30 ebd., S.92 ff., S. 176 ff.
31 Freie Reformierte Synode zu Barmen-Gemarke am 3. und 4. Januar 1934. Herausgeber Karl Immer, 1934, S. 24 ff. Karl Barth, "Die Kirche unter der Heiligen Schrift"

 

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