Die Altargemälde der evangelischen Kirche in Offenbach-
Bieber
von Angelika Meder
Die Gnade der späten Geburt ist ja schon fast sprichwörtlich
bemüht worden, wenn es um die Zeit des Nationalsozialismus geht.
Dass es wichtig sein kann, Erinnerungen wach zuhalten, um neuem Unrecht
entgegenzustehen ist eine Erkenntnis, der wohl viele Menschen zustimmen.
Auch dem Satz, dass man aus der Geschichte lernen soll, dürfte so
leicht keiner widersprechen. Doch wie sieht solches Lernen aus, wenn man
sich ständig mit der Vergangenheit auseinandersetzen muss, weil sie
weiter in die Gegenwart wirkt? Das kostet Kraft, aber es kann auch Bewusstsein
schärfen. Als einen besonderen Anreiz zur Auseinandersetzung verstehe
ich die Darstellungen der Geburt, der Kreuzigung und der Auferstehung
Jesu Christi im Altarraum der Kirche in Offenbach-Bieber. Sie wurde 1935
gebaut und ist ein Dokument der Zeit des Kirchenkampfes im Nationalsozialismus.
Mit Bildern statt Worten wurde eine Botschaft vermittelt, die zur Überzeugung
des damaligen Pfarrers Gebhard, der den deutschen Christen angehörte,
passt. Damit hat das Gebäude eine besondere Prägung erfahren.
Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, ist sie ein gutes Beispiel dafür,
dass eine lebendige Gemeinde sich in jeder Zeit und an jedem Ort allein
durch Gottes Geist erbaut.
Als ich 1996 meine Arbeit in Bieber aufnahm, kannte ich
die Kirche nicht. Ich war wohl schon einige Jahre in Offenbach Pfarrerin
in der Innenstadt, aber die Gemeinde am Stadtrand gehörte nicht zu
meinem Erfahrungshorizont. Dass man hier schnell im Grünen ist, dass
man sich kennt, dass es früher in jedem zweiten oder dritten Haus
Bordefeller gab, dass originelle Gaststätten dem Ortsteil Bekanntheit
verleihen, all das wusste ich. Aber dass in Bieber eine Kirche steht,
die im Altarraum monumentale Gemälde hat mit denen darüber hinaus
eine geschichtliche Bedeutung verbunden ist, das erkannte ich erst bei
meinem Vorstellungsgottesdienst. Die Größenordnung und die
Art der Ausmalung fand ich zunächst sehr bestimmend. Auch die Botschaft
der Bilder, die die Sprache des Raumes so stark dominieren, machte mir
Probleme. Ich wurde neugierig auf die Haltung der Menschen, die hier arbeiten
und Gottesdienst feiern.
Auf den zweiten Blick konnte man sofort die Auseinandersetzung
mit den Bildern erkennen: am Lesepult mit den hebräischen Buchstaben
des Schalom, an dem besonderen Kreuz und den Leuchtern, an den modernen
Bildern, die zu einer Ausstellung an den Wänden zwischen den Fenstern
angebracht waren. Das hat mir so sehr gefallen, dass ich diese Idee einer
Ausstellung mit verschiedenen Bildern auf den Predigttext meiner Antrittspredigt
angewandt habe. Menschen, die bewusst nachdenken sind mir immer ein interessantes
Gegenüber. In Bieber habe ich viele gefunden, auch weil der Innenraum
der Kirche eine Auseinandersetzung herausfordert und wie ein Hinweis wirkt
auf ein Thema, das man nicht vergessen und verschweigen darf.
Die Ausstellungen und die Altargestaltung sowie das Pult
setzen ebenfalls ein Zeichen. Sie sagten mir: Hier wissen Menschen um
die Geschichte und halten den Widerspruch zwischen Vergangenheit und Gegenwart
aus. Diesen Faden wollte ich gerne aufnehmen. Seither habe ich einige
Ausstellungen organisiert, Schulklassen durch die Kirche geführt,
Besuchern meine Eindrücke weitergegeben. Ich habe in dieser Kirche
viele Gottesdienste gefeiert und Gespräche mit Menschen geführt.
Dabei habe ich die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht. Von Kindern,
die den Jesus toll fanden, weil er wie Supermann aussieht, über Jugendliche,
die "ihre" Kirche verteidigten, die doch mit den Bildern gar
nichts zu tun hätte bis zu solchen Menschen, die sagten, sie könnten
in diesem Raum nicht unbelastet und ohne an die Vergangenheit zu denken
an einem Gottesdienst teilnehmen, war alles vertreten, in der ganzen Bandbreite
des Widerspruchs.
Bei der Ausstellung mit Videoinstallation eines Künstlers,
der farbige Monitore im Altarraum aufstellte um zu demonstrieren, dass
wir vielmehr auf die Botschaft der Medien achten als auf Gottes Botschaften,
gab es viele Diskussionen. Immer wieder ging es auch um die Bilder, die
von einem Laserstrahl angestrahlt wurden. Das sei doch keine Kunst, meinten
die einen. Das, was die Bilder darstellten, auch nicht, sagten die anderen.
Und wieder waren wir mitten in der Auseinandersetzung darüber, was
den Geist einer Kirche ausmacht, was ärgert und was einladend wirkt.
Ich fand diese Gespräche gut. Ebenso wie unsere Aktion zum Kirchentag
in Frankfurt, bei der wir die Bilder mit großen Tüchern verhängten.
Das hat einigen Besuchern erst die Frage nahe gelegt, sich mit dem zu
beschäftigen, was dahinter steckt, auch mit den historischen Hintergründen.
Für manches musste ich Kritik einstecken, aber es gab auch Interesse
und gute Rückmeldungen. Dabei war es mir wichtig, dass es in der
Kirche Angebote gibt, über diesen Raum hinaus zu denken, ihn als
Ort der Transzendenz zu verstehen. Ich hoffe, es ist manchmal gelungen.
Es wird immer Besucher geben, die der Geschichte wegen
in diese Kirche kommen. Doch zur Gemeinde gehören auch andere Stimmen:
"Ich möchte nicht mit einem schlechten Gewissen hierher kommen
und immer wieder nur über diese Bilder reden", sagte mir eine
Frau vor kurzem. Ich kann dieses Bedürfnis gut verstehen. Die Gemeinde
Bieber ist kein Museum. Sie ist nicht besser oder schlechter als andere
Gemeinden, die sich in einem modernen Kirchenraum treffen. Unsere Gottesdienste
sind lebendig, weil Menschen zusammenkommen, die ihren Glauben teilen.
Weil wir es in einem Kirchengebäude tun, dem man seine Vergangenheit
ansieht, sind wir nicht die schlechteren oder schuldbeladeneren Christen.
"Mir gefallen diese Bilder", gestand mir eine Braut sogar bei
der Probe zur Trauung. "Denn neue Kirchen wirken so kalt und Bemalungen
habe ich sonst nur in katholischen Kirchen gesehen." Sollte ich ihr
sagen, dass sie sich aber zunächst einmal mit diesen Bildern als
Dokumente der Zeit, in der sie gemalt wurden, auseinandersetzen sollte?
Sollte ich sie darauf hinweisen, dass man ihre Aussage als unreflektierte
Verharmlosung nationalsozialistischen Gedankengutes missverstehen könnte?
Ich habe es nicht getan, denn wenn ich ehrlich bin, hat mein Sendungsbewusstsein
Grenzen. Ich möchte einladen, in dieser Kirche Gott zu suchen und
nicht mit erhobenem Zeigefinger Menschen darauf hinweisen, dass sie eigentlich
hier Geschichte bearbeiten müssen. Die Kirche ist mehr als das Gebäude,
sie lebt von den Menschen, die sich darin versammeln.
Seit kurzem sind die Kinder mit dem Kindergottesdienst
vom Gemeindesaal wieder in die Kirche eingezogen. Das wäre doch die
"richtige Kirche", meinten sie. Und wenn sie auf ihren Sitzkissen
im Altarraum sitzen, dann schauen sie sich mit großen Augen um,
deuten auf die Bilder und fragen: "Ist das der Jesus? Was machen
die denn da?" Sie fragen nicht, wer diese Bilder wann und warum gemalt
hat. Ihre Fragen nach Jesus sind auch eine Reaktion auf die lebensgroßen
Darstellungen, denke ich. Dann vergesse ich auch manchmal meine Bedenken
und bin sogar ein wenig froh über diese Bilder. Wichtig sind sie
mir auch, weil sie mich wach halten in meinen Gedanken über die Gestalt
der Kirche. Die wandelt sich ja, wenn wir mit Luther sprechen, beständig.
Daher kommt Bequemlichkeit nicht in Frage. Auch wenn es manchmal leichter
wäre. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern, dass sie ihre
Orte des Glaubens finden und nicht aufhören, nach Gott zu fragen.
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