Muss der jüdisch-christliche Dialog zum Trialog mit dem Islam werden?

Pro von Karl- Josef Kuschel

Um nicht mißverstanden zu werden: Die Doppelagenda behält auch in Zukunft ihr Recht. Die Agenda des jüdisch-christlichen Dialogs, die ohnehin Jahrhunderte älter ist als die Agenda unter Einschluß des Islam, aber auch die deutsch-jüdische, der die Schoa wie ein Brandmal eingeprägt ist, und in der es immer wieder neu um die Frage gehen muß, wozu Antisemitismus Menschen fähig macht und wie er überwunden werden kann.

Aber die religionsgeographische Situation in Deutschland ist nicht mehr dieselbe. Seit den neunziger Jahren lebt hier nicht nur ein wiedererstarktes Judentum, sondern eine signifikante muslimische Minderheit. Man geht von 3 bis 3,5 Millionen aus. Noch nie gab es eine so große religiöse Minderheit. Entsprechend unvorbereitet ist man auf allen Seiten. Trilateral zu denken, ist vielen noch ungewohnt.

Doch vor Jahren haben Verantwortliche in den Religionen begriffen, daß sie vor gemeinsamen gesellschaftlichen Herausforderungen stehen, die sie nur in Solidarität miteinander bewältigen werden. Es war der unvergessene Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis sel. A., der Ende der neunziger Jahre dafür eintrat, bei der jährlichen Woche der Brüderlichkeit auch Muslime zu integrieren. Er wußte, warum er dies forderte. Pauschalverdächtigungen, Sündenbock-Denken, rechtsextremes Gedankengut macht Muslime wie Juden zu Opfern. "Gerade die Juden", so auch Zentralratspräsident Paul Spiegel,wüßten "was es heiße, unter Verallgemeinerungen leiden zu müssen". Für ihn stehe fest, daß "die übergroße Mehrheit der Muslime in Frieden mit den Deutschen zusammenleben wollen."

Doch gegenseitige Solidarität in gesellschaftlichen Fragen ist noch kein Trialog. Er begründet sich tiefer - oder gar nicht. Er begründet sich aus Wurzeln in den jeweiligen Religionen selbst. Daß Juden, Christen und Muslime nicht nur zusammen leben, sondern auch zusammen glauben und zusammen beten können, hat seinen Grund in den Heiligen Schriften. Das Christentum ist ohne die Hebräische Bibel so undenkbar wie der Islam ohne die Tora und das Neue Testament. Juden, Christen und Muslimen teilen ein grandioses Erbe. Wer beginnt, den Koran zu studieren, trifft auf Schritt und Tritt auf die Auslegung großer biblischer Gestalten: auf Adam, Noah, Moses, Josef, Hiob, Josef, Jesus, Maria.

In Abraham erblicken alle drei den Vater ihres Glaubens. Israel ist ohne den Abraham- Bund undenkbar, Christen verstehen sich in ihrem Glauben an Jesus Christus als "Kinder Abrahams" im Geist. Der Islam versteht sich als "millat Ibrahim", als Religion, die den reinen Glauben Abrahams wiederherstellt. Das ist die gemeinsame Wurzel, aus der Juden, Christen und Muslime zusammengebunden sind, aus dem sie spirituelle, moralische, weisheitliche Energie ziehen. Diese Wurzeln können die Stürme der Tagespolitik nicht ausreißen. Juden, Christen und Muslime sind füreinander nicht Fremde, Ungläubige, Abgefallene, Überholte, sondern Geschwister im Glauben an den Gott Abrahams. Eingedenk ihres Ursprungs bilden sie eine besondere Glaubensgemeinschaft vor Gott, die sie von Religionen chinesischen und indischen Ursprungs unterscheidet. Man kann von der Ökumene der Kinder Abrahams sprechen.

Dies ist weder das Zauberwort, das alle Unterschiede zwischen den drei Religionen zum Verschwinden bringt, noch eine Art imperialer Zwangsbegriff, der Juden, Christen und Muslimen ihre religiöse Eigenständigkeit rauben soll. Abrahamische Ökumene meint ganz elementar: Juden, die sich nach Moses, ihrem Lehrer, richten, Christen, die sich an Jesus orientieren, Muslime, die ihr Leben nach der Botschaft ihres Propheten ausrichten. Sie erkennen ihre besondere Verbindung miteinander, Achtung voreinander und Verantwortung füreinander, weil sie ihren gemeinsamen Ursprung ernst nehmen: Abraham, Hagar und Sara, die Stammeltern ihres Glaubens.

Wer ökumenisch im Geiste des Urvaters und der Urmütter denkt, hört auf, allein an das Wohl der Synagoge, der Kirche oder der Umma zu denken. Dem ist es nicht gleichgültig, wie es um das Schicksal der "Geschwister" bestellt ist. Der praktiziert echte Geschwisterlichkeit im besten Sinne. Wo immer es sinnvoll ist, sollten wir den Aufbau trialogischer Strukturen beginnen.

Contra von Christian Staffa

Zunächst scheint es schlüssig: Das "Problem Islam" verursacht im Augenblick große internationale Verwerfungen, die auch in Deutschland ankommen, und angegangen werden müssen. Der sich muslimisch gebende internationale Terrorismus, die Islamisierung der deutschen oder in Deutschland lebenden Muslime, die feindliche Haltung der vergangenen Jahrzehnte gegenüber den Einwanderern aus muslimischen Ländern, die merkwürdigerweise hier romantischer Multikulturalismus genannt wird, die keinen ernsthaften Austausch und kein gegenseitiges Verständnis produziert - all dies schreit geradezu nach einem ernsthaften interreligiösen Gespräch.

Bedeutet das aber, daß wir das jüdischchristliche Gespräch um einen muslimischen Gesprächspartner erweitern müssen, aus dem Dialog also einen Trialog machen müssen? Ich glaube nicht. Ohne Frage brauchen wir das christlich-muslimische Gespräch dort, wo mit den je unterschiedlichen Rollenfragen sensibel umgegangen wird. Hier läßt sich in Deutschland auch ein Trialog denken. Ganz sicher aber ersetzt er das jüdisch-christliche Gespräch nicht.

Wer diese Ergänzung zuungunsten des jüdisch-christlichen Gesprächs fordert, suggeriert, daß dieses Gespräch sich erledigt hat. Das Gegenteil ist wahr. Geht doch die Fiktion des "Erledigtseins" von einer falschen theologischen Voraussetzung aus. Juden und Christen sind nicht nur historisch, sondern theologisch aufeinander bezogen. Insbesondere gilt das für die Christen. Keinen Satz, den sie aus der Heiligen Schrift lesen können, der nicht jüdische Hintergründe, jüdische Realitäten aufruft.

Wir lesen dieselben Schriften in anderer Anordnung. Das teilen wir mit keiner anderen Religion, auch nicht mit dem Islam. Sicherlich haben "wir drei" - Juden, Christen, Moslems - in Abraham einen gemeinsamen Bezugspunkt. Aber die so direkte, damit natürlich auch spannungsreiche, aber auch - wenn sie wahrgenommen wird - sogar einzigartig lehrreiche Beziehung gibt es nur zwischen Juden und Christen. Das würde dieses bilaterale Gespräch auch noch spezifisch nötig machen, wenn es seinen anderen wichtigen Grund verloren hätte: den bleibenden Antijudaismus der Christen in Deutschland.

Sicherlich ist seit der Gründung von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste und der Arbeitgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, der Zeit von Nostra aetate (der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen) und dem Besuch des Papstes in Israel viel Positives in der Verhältnisbestimmung zwischen Christen und Juden geschehen. Aber sind wir schon soweit, daß die christliche Theologie die jüdische Auslegung des sogenannten Alten und auch des Neuen Testamentes mitdenkt? Spüren die Menschen in den Kirchen, daß mit "ihrem" Antijudaismus ein tragendes Element der nationalsozialistischen Ideologie bereitgestellt war?

Aufgrund der Erfahrungen nicht zuletzt im Nationalsozialismus müssen wir sagen: Das jüdisch-christliche Gespräch ist dann für den echten Dialog gerüstet, wenn Juden in den Kirchen einen verläßlichen Bündnispartner und Fürsprecher in einer immer mal wieder feindlich gestimmten Umwelt sehen. Und dann gibt es aneinander und füreinander noch so viel zu entdecken, was spezifisch in dieser jüdischchristlichen "Zweierbeziehung" ist, das diese Fokussierung auch in ferner Zukunft nicht überflüssig werden läßt, vermutlich bis zum Ende der Zeiten, wo wir sehen werden, wer der kommende Messias ist, der Gott alles zu Füßen legen wird.

Wichtig scheint mir auch zu sehen, daß wir im jüdisch-christlichen Zwiegespräch noch viel vor uns haben. Das zeigt sich etwa, wenn eine Schrift der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) - "Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen" - völlig ohne Verweis auf die Beziehung zum Judentum auskommt und formulieren kann. "In ihm (Jesus Christus) ist Gott der Menschheit geschichtlich-konkret begegnet" heißt es in EKD Texte 77, (Hannover 2003, S. 8), ohne die konkrete geschichtliche Begegnung Gottes mit dem Volk Israel auch nur zu erwähnen und diese beiden Erscheinungen in Beziehung zueinander zu setzen. Unter anderem an diesem Beispiel wird deutlich, wie weit der Weg noch ist.

Vor diesem Hintergrund kann ich gegenüber einer Position, die das bilaterale Gespräch ablösen möchte zugunsten des trilateralen, nur den Verdacht haben, daß hier der Komplexität und dem Wandel ausgewichen werden soll, den das Christentum in dieser Hinsicht spezifisch bezogen auf seine Beziehung zum Judentum noch vor sich hat - oder daß zumindest die Gefahr eines solchen Ausweichen-Wollens unterschätzt wird.

Ohne die Erkenntnisse des trilateralen Gesprächs kleinreden zu wollen, ist der Ertrag ein anderer. Das spezifische Potential des jüdisch-christlichen Gesprächs ist gerade aus selbstkritischer christlicher Perspektive noch nicht annähernd erschöpft.

Christian Staffa ist Theologe und arbeitet in Berlin als Geschäftsführer der "Aktion Sühnezeichen/ Friedensdienste (ASF)" Karl-Josef Kuschel ist Professor für Theologie an der Universität Tübingen und Autor des Buchs "Streit um Abraham. Was Juden, Christen und Muslime trennt - und was sie eint"
Jüdische Allgemeine, 17.3.2005

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