Informationen aus Israel

von Michael Krupp und Ulrich Sahm, Jerusalem

 

Katholische Delegation weiht christliches Zentrum am See Genezareth ein

Eine hochrangige katholische Delegation von 300 Geistlichen hat Anfang April die Bibliothek des christlichen Zentrum Domus Galilaeae eingeweiht. Unter der Delegation befanden sich der katholisch-armenische Patriarch des Libanon, 12 Kardinäle und 70 Erzbischöfe. Unter den Kardinälen sind die Kardinäle von Madrid, Alexandrien, Washington und Wien. Die Reise hat zum Anlass, das katholische Pilgerwesen nach Jahren des Stillstands durch die zweite Intifada wieder anzuregen.

Das Domus Galilaeae wurde zum Besuch des Papstes im Jahr 2000 gebaut und befindet sich auf den nördlichen Abhängen, die zum See Genezareth führen, unweit der Ruinenstadt Korazim. Es soll das Zentrum des gesamten katholischen Pilgerwesens im Norden Israels werden. Bisher wurde es mangels Pilgern noch nicht voll benutzt. Michael Krupp

Karfreitag, Ostern und Purim in Jerusalem

"Ziemlich traurig", sagte ein deutscher Student, der die Nacht in der Grabes- oder Auferstehungskirche zugebracht hatte, "wie viele katholische und protestantische Christen gibt es in der Welt, und nur 200 waren bei der Mitternachtsmesse um das Grab herum, in dem alles vor 1975 Jahren geschehen war." Die Messe wurde mit dem üblichen Prunk gefeiert und mit den Umzügen des Klerus um die Grabkapelle, die mitten unter der großen Kuppel des ehrenwürdigsten Kirche der Christenheit steht.

Eifersüchtig wachten die Griechen, denen die benachbarte Basilika gehört, auf das Ende des lateinischen Gottesdienstes, und obwohl nach Mitternacht, war ein stattliches Aufgebot orthodoxer Gläubiger versammelt, die den Beginn der Fastenzeit begehen, und begannen mit ihrem Gottesdienst um das Grab herum, das allen historischen christlichen Gemeinschaften gehört. Später folgten die Kopten und die Syrer. Die Protestanten begaben sich dann um 5 Uhr früh zum Gartengrab, einer vor über hundert Jahren ausgegrabenen Grabanlage aus der Zeit Jesu jenseits des Damaskustors außerhalb der Stadtmauern, von dem einige evangelikale Christen annehmen, dass es sich um das historische Grab Jesu handelt. Die Protestanten kamen auf alle Fälle zu spät ins Heilige Land, um noch eine alte heilige Stätte mitzubekommen. Richtig ist auf alle Fälle, dass dieses Grab wie Tausende in der Peripherie Jerusalems aus der Zeit einen authentischeren Eindruck von einem Grab zur Zeit Jesu geben als das von der Kapelle mit Marmor ganz zu gedeckte Grab Jesu in der Grabeskirche.

Seitdem die Verwaltung des Gartengrabes die deutsche protestantische Gemeinde vor zwei Jahren mit ihrem Frühgottesdienst im Gartengrab ausgeladen hatten, feierten die Deutschen ihren Frühgottesdienst um 5 Uhr 30 auf dem Ölberg, dem Geländer der Auguste Viktoria Kirche. Der Gottesdienst in der Erlöserkirche um halb elf war sehr gut besucht, wie seit 5 Jahren nicht mehr. Die Kirche war fast gefüllt wie in den guten alten Zeiten. Die meisten Gottesdienstbesucher waren Touristen oder Pilger, mehrere hundert, die die Entspannung im Nahen Osten nutzten, die längst geplante und immer wieder verschobene Reise nach Jerusalem endlich anzutreten.

Auf dem Weg zur Kirche durch die Altstadt und durch die Neustadt begegneten Scharen von bunt gekleideten orthodoxen und nichtorthodoxen jüdischen Jugendlichen, die ausgelassen das Purimfest feierten, das in Jerusalem eigentlich am Schabbat hätte stattfinden sollen, wegen der Heiligkeit des Schabbats aber auf den Freitag und den Sonntag verteilt worden war.

"Solange kein Friede ist, können wir nicht feiern", sagte in der Via Dolorosa ein palästinensischer Christ im mittleren Alter beim Durchzug einer italienischen Pilgergruppe. "Aber Karfreitag ist anders", fuhr er fort, "da gedenken wir des Leidens Jesu. Das ist kein Feiern, das ist unser Alltag."

Einmal im Jahr wird die winklige, an beiden Seiten mit hohen Mauern umgebene Gasse in der Altstadt von Jerusalem zum Zentrum der christlichen Welt, in der Karwoche mit dem Höhepunkt am Karfreitag, die Via Dolorosa. Sie zieht sich durch die halbe Stadt. Sie beginnt im moslemischen Viertel und endet im christlichen, in der Grabeskirche. Neben vielen Geschäften und Läden liegen auch zahlreiche Kapellen und Kirchen an dem geplasterten Weg mit vielen Stufen, entlang der vierzehn Stationen, die die frommen Pilger aus aller Welt passieren, beladen mit schweren Kreuzen. Angeführt von ihren Geistlichen, singend und betend, ziehen Gruppe für Gruppe, jede in ihrer Sprache, den Weg entlang, den nach der Tradition Jesu zu seiner Hinrichtung auf dem Berg Golgatha gezogen ist.

Den Verlauf haben die Kreuzfahrer auf Grund von alten Traditionen festgelegt und die Franziskaner haben sie im 16. Jahrhundert erneuert, nachdem Christen wieder öffentlich durch die Stadt ziehen durften. Der historische Weg, den Jesus beschritten haben mag, liegt tiefer und ist vom Müll der Jahrhunderte bei der mehrfachen Zerstörung der Stadt verschüttet worden. Ausgrabungen an einigen Stellen haben zum Teil 20 m unter dem heutigen Weg das originale Pflaster aus römischer Zeit wieder ans Tageslicht gebracht, dass Jesu Füße berührt haben mögen.

Wie genau der letzte Leidensweg Jesu verlaufen sein mag, ist heute nicht mehr fest zu stellen. Ausgangspunkt und Ziel aber sind wahrscheinlich historisch korrekt, die Burg Antonia, in der Jesus von Pontius Pilatus zum Tode verurteilt wurde, und der Berg Golgatha, die alten Hinrichtungsstätte mitten in einem Steinbruch vor den Toren der Stadt. Wenn man in die unteren Gewölbe des Klosters der Zionsschwestern Ecce homo hinuntersteigt, steht man dort auf dem Pflaster des Hofs der Burg Antonia, in das die von Langweile geplagten römischen Soldaten ihre Spiele eingeritzt haben, Spiele, die bei Kindern und Erwachsenen bis zum heutigen Tage beliebt sind, wie das Mühlespiel.

Ausgrabungen unter dem Boden der deutsch-protestantischen Erlöserkirche in den siebziger Jahren haben ergeben, dass das Gebiet zur Zeit Jesu außerhalb der Stadtmauer lag und als Steinbruch benutzt wurde. Die Erlöserkirche, heute mitten in der Altstadt, liegt neben der Grabeskirche. Der Berg Golgatha in dieser Kirche ist ein stehen gebliebener Felsen in den Steinbruch, der sich einige Meter über seiner näheren Umgebung erhebt.

Das westliche Osterfest liegt in diesem Jahr besonders früh, die Ostkirchen feiern es fünf Wochen später, so dass nur Angehörige der Westkirchen den letzten Leidensweg Jesu durchziehen werden. Schon am Palmsonntag wurde es deutlich, dass dieses Jahr wieder mehr ausländische Besucher und Pilger von der Stadt Besitz genommen haben. Dazu kommen die paar tausend Kleriker, die Jerusalem beherbergt und die einheimischen katholischen Christen der Stadt. Viele Christen aus der Jerusalemer Nachbarschaft werden sich an den Prozessionen nicht beteiligen können, weil Israel wegen des Purimfestes eine allgemeine Abriegelung der palästinensischen Gebiete von Mittwoch bis Sonntag verfügt hat.

In diesem Jahr ergibt sich die seltene Kombination durch das frühe Osterfest und den jüdischen Schaltmonat Adar, dass Karfreitag und das jüdische Purimfest auf denselben Tag fallen. In Jerusalem, der jüdischen Hauptstadt, wird das Purimfest nach biblischer Tradition ein Tag später gefeiert, weil in Schoschan der Hauptstadt in Persien an diesem Tag noch gekämpft wurde. Da dies aber in diesem Jahr der Schabbat wäre, wird das Fest auch in Jerusalem am Freitag begangen. Purim ist ein ausgelassenes Fest, das an die Erettung der Juden in Persien vor 2500 Jahren erinnert. Es wird ähnlich wie Karneval gefeiert, mit Verkleidungen, Umzügen, fröhlichen Gelagen und Heiterkeit.

Ein größerer Gegensatz zwischen Purim und Karfreitag ist wohl kaum denkbar. Beides geschieht nun zur selben Zeit in der selben Stadt, nur wenige Meter getrennt zwischen dem jüdischen Viertel und dem moslemischen und christlichen. Beide Umzüge werden sich nicht begegnen, zwei getrennte Welten. Michael Krupp

Verbot der Verwendung von Nazisymbolen

In erster Lesung ist Mitte März ein Gesetz im israelischen Parlament durchgekommen, das die Verwendung von Nazisymbolen und den Gebrauch des Wortes "Nazi" verbietet. Unter den geächteten Symbolen ist neben dem Hakenkreuz auch der Judenstern, wie Juden ihn unter der Naziherrschaft zu tragen hatten. Das Gesetz war von Vertretern der Arbeiterpartei eingebracht worden und kam mit den Stimmen der Arbeiterpartei, der arabischen Abgeordneten und der oppositionellen linken Jachad durch. Von der regierenden Likudpartei stimmte nur Außenminister Silvan Schalom dafür. Die wenigen anderen Mitglieder der Partei enthielten sich oder stimmten dagegen. Ebenso Vertreter der Rechtspartei sprachen sich gegen das Gesetz aus, weil es die Meinungsfreiheit einschränke. In der letzten Zeit hatte die Verwendung von Nazisymbolen im politischen Kampf zugenommen. Befürworter der Rückzugspolitik waren als Nazis beschimpft worden und Siedler hatten einen rosa Stern angelegt, der dem gelben Judenstern sehr ähnlich ist. Michael Krupp

Eröffnung des neuen Holocaust Museums Yad Vashem

Der Holocaust war nicht "die Unmenschlichkeit des Menschen gegen den Menschen", sagte Nobel-Friedenspreisträger und Holocaust Überlebender Eli Wiesel bei der Eröffnung des neuen Holocaust-Museums Yad Vashem,"nein", fuhr er fort, "es war die Unmenschlichkeit des Menschen gegen Juden. Juden wurden ermordet nicht als menschliche Wesen. In den Augen ihrer Mörder waren sie keine menschlichen Wesen, sondern Juden."

Wiesel war der letzte Redner auf einer langen Liste bei der zweistündigen Eröffnungsfeier vor 2000 Menschen unter freiem Himmel in der Jerusalemer Abendkälte von 7 Grad. Auf die Kälte spielte der Vorsitzende von Yad Vashem, der ehemalige Parlamentssprecher und Holocaust-Überlebende, Shevach Weiss an. Sie erinnere ihn an die Kälte vor sechs Wochen bei der Zeremonie in Auschwitz zum Gedenken an die Befreiung des größten Todeslagers der Nazis vor 60 Jahren. Weiss sprach einen weiteren wichtigen Satz aus. "Der Mord an den Juden währt bis heute, denn die Kinder und die Enkelkinder, die die Ermordeten heute gebären würden, werden nicht geboren, weil die Nazis ihre Großeltern ermordet haben."

Präsident Katsav rief die versammelten Staatsoberhäupter Europas auf, dem neuen Antisemitismus, der wieder sein Haupt erhebe, keine Chance zu geben. "Wir sind über Holocaust-Leugnung und Antisemitismus tief besorgt", sagte er, Europa müsse an der Erinnerung festhalten und die Lehre aus dem Holocaust bei dem Aufbau einer neuen Gesellschaft ziehen, denn der Holocaust habe auf europäischem Boden stattgefunden.

Ministerpräsident Scharon begann mit einer persönlichen Geschichte, der Alltagsgeschichte eines Juden Nissan, der mit seiner Frau Esther sein Glück in Paris habe aufbauen wollen und von den Nazis deportiert wurde, als sein Sohn Richard gerade 2 Jahre alt war. Er verlas die Postkate, die Esther aus dem Zug nach Auschwitz geworfen hatte, getrennt von Nissan und Richard. Yad Vashem sei dazu da, Nissan, Esther und Richard, die alle umgekommen sind, nicht zu vergessen. Scharon schloss mit dem Bekenntnis: "Der Staat Israel ist der einzige Platz auf der Welt, wo Juden das Recht und die Macht haben, sich selbst zu beschützen. Dies ist die einzige Garantie, dass das jüdische Volk niemals wieder einen Holocaust erleben muss."

Der einzige nichtisraelische Redner und dessen Rede nicht in Hebräisch vorgetragen wurde war UNO-Generalsekretär Kofi Anan. Er nannte das Museum eine Ermutigung, einen besseren Weg als den des Hasses zu gehen, Antisemitismus und anderen Rassismus hinter sich zu lassen. Israel sei wie die Vereinigten Nationen aus der Asche der Vernichtung hervorgewachsen. "Unsere globale Mission von Frieden und menschlicher Würde wurde buchstäblich im Feuer geschmiedet, in der Tat, in dem schrecklichsten Feuer, das die Menschheit je gesehen hat." Dies sei eine heilige Verpflichtung an die Vereinten Nationen gegen Hass und Intoleranz vorzugehen. Diese Verpflichtung binde die Vereinten Nationen an das jüdische Volk. Michael Krupp

Reaktionen in Israel auf den Tod des Papstes

"Israel, das jüdische Volk und die gesamte Welt haben heute einen großen Freund der Versöhnung und der Verbrüderung unter den Religionen verloren", sagte Silvan Schalom in einer offiziellen Erklärung des Außenministeriums. "Im Namen der Regierung und des Volkes in Israel drücken wir unser tiefes Mitleid mit der Katholischen Kirche aus und der Herde des Papstes Johannes Paul II." Silvan Schalom sprach wie viele nach ihm, unter anderem die beiden Oberrabbiner, im israelischen Radio, um die Bedeutung dieses Mannes herauszustellen, der diplomatische Beziehungen zwischen Israel und dem Vatikan angeknüpfte und einen Versöhnungsprozess zwischen der Kirche und dem jüdischen Volk in Gang gesetzt hatte.

Alle Sprecher betonten die wichtige Rolle, die der Papst in der Versöhnung mit dem jüdischen Volk eingenommen hat. Oberrabbiner Jona Metzger sagte im Radio, der Papst habe eine 2000jährige Tradition der katholischen Kirche durchbrochen und den Antijudaismus und Antisemitismus in der Kirche und in der Welt als "Sünde wider Gott und die Menschheit" bezeichnet und zur aktiven Bekämpfung aufgerufen. Der orientalische Oberrabbiner Schlomo Amar erinnerte an die Einladung des Papstes an die beiden Oberrabbiner, die er wie Brüder behandelt habe und den ersten Besuch eines Papste in einer Synagoge, in Rom 1986, bei dem er von den Juden "als meinem älteren Bruder" gesprochen habe.

Der Staatspräsident Israels, Mosche Katsav, sagte: "Das jüdische Volk wird den Papst in ewiger Erinnerung behalten als einen Mann, der mutig historische Ungerechtigkeit beseitigt und offiziell Voruteile und Anschuldigungen gegen das jüdische Volk zurückgewiesen hat". Der stellvertretende Ministerpräsident und Vorsitzende der Arbeiterpartei, Schimon Peres, lobte den verstorbenen Papst "als einen echten geistigen Führer, dessen Einfluss weit über seine Gläubigerschar hinausreichte. In seiner Persönlichkeit vereinigte er alle Eigenschaften, die Menschen als solche einen". Der ehemalige Oberrabbiner von Irland und der Rabbiner, der von israelischer Seite führend an dem Zustandekommen der diplomatischen Beziehungen beteiligt war, David Rosen, bezeichnete den Papst, den er in vielen Treffen sehr nahe kennen gelernt hatte, "als den großen Held der katholisch-jüdischen Versöhnung".

Auch die befragten Israelis auf der Straße zeigten sich vom Tod den Papstes tief berührt. Für die meisten war der Besuch des Papstes in Yad Vashem im März 2000, die Begegnung mit Holocaustüberlebenden aus seiner polnischen Heimat, und der Besuch an der sogenannten Klagemauer, wo der Papst einen Zettel in die Ritzen der alten Mauern steckte mit der Bitte um Vergebung für die Sünden, die die Christenheit gegen das jüdische Volk begangen hat, das Wichtigste, woran sie sich erinnerten. Für sie werde der Papst in die Geschichte eingehen als derjenige, der zahlreiche Juden im Holocaust persönlich und unter Lebensgefahr gerettet hat.

Auch die palästinensische Seite betrauert den Tod des Papstes. Der palästinensische Informationsminister, Jassir Abed Rabbo, sagte: "Der Papst hat viel Mitgefühl für das Leiden des palästinensischen Volkes gezeigt. Wir werden uns nach ihm sehnen."

Der Custos der Franziskaner in der Jerusalemer Altstadt, Piedro Battista, der vierthöchste Geistliche im Heiligen Land nach den drei Patriarchen, sprach im israelischen Radio in Hebräisch und zeigte sich bewegt über die Anteilnahme der israelischen Bevölkerung am Tod des Papstes. "Der Papst hat Schritte getan, die nicht umgestoßen werden können."

In allen Kirchen in Jerusalem am Sonntag, nicht nur in den katholischen, wurde für den Papst gebetet. In Bethlehem in der Geburtskirche läuteten nach Bekanntwerden des Todes die Glocken. An dem Gottesdienst in der Grabeskirche beteiligten sich nicht nur Katholiken, sondern auch Gläubige und Priester aller anderen Denominationen, sowie Juden und Moslems. Michael Krupp

Erste israelische Kommentare über den neuen Papst

"Wir haben einen Papst", zitierte der Nachrichtensprecher Chaim Javin das "Habemus Papam" und korrigierte sich sofort: "Nein, es muss natürlich heißen, Sie haben einen Papst."

Der Minister Jakov Herzog reagierte vorsichtig und sagte zu Ratzinger nur: "Der Mann ist nicht bekannt für besondere Beziehungen zum Judentum." Er schlug aber vor, "abzuwarten".

Israelische Reporter reagierten sehr giftig auf die Wahl des Deutschen zum neuen Papst. Ratzinger sei ein Hitlerjunge gewesen, obgleich seine Familie eher dafür bekannt gewesen sei, gegen Hitler zu sein. Ratzinger war auch in der Wehrmacht, obgleich er das immer dementiert hatte, sagte der Auslandschef des israelischen Fernsehens. Ratzinger wurde als "extrem konservativ" und "hart" bezeichnet. Er sei Vorsitzender der "Inquisition" gewesen, also jener katholischen Institution, die 1492 zu einer Vertreibung aller Juden aus Spanien geführt hatte und zur Zwangstaufe jener, die in Spanien geblieben waren. Die Inquisition hat im Judentum ein schweres Trauma verursacht, dem am gleichen Tag gedacht wird, wie der Zerstörung des Jerusalemer Tempels.

Die Mitgliedschaft des 1927 geborenen Papstes bei der Hitlerjugend steht im Mittelpunkt des Interesses von bekannten Israelis und Juden, wenn sie nach Reaktionen zu der Wahl von Josef Kardinal Ratzinger zum Papst Benedikt XVI gefragt werden. Die Zeitung "Haaretz" berichtet ihren Lesern, dass Ratzinger 6 Jahre alt war, als Hitler an die Macht kam. Er sei eine kurze Zeit Mitglied bei der HJ gewesen und habe bei einer Flakeinheit der Wehrmacht gedient. "Aber niemand behauptete jemals, dass er sich an den Gräueltaten der Nazis beteiligt habe."

Seine Erfahrung während des Zweiten Weltkriegs kontrastiere jedoch mit den Erfahrungen seines Vorgängers, dem in Polen geborenen Papst Johannes Paul II. Woytila habe sich an Anti-Nazi Aktivitäten beteiligt, während Ratzinger nach Angaben des Haaretz behauptet haben soll: "Wir konnten nichts gegen die Nazis tun."

Ratzingers Vater, ein Polizist in Bayern, soll versucht haben, den Einfluss der "Braunhemden" einzudämmen. Deshalb sei die Familie mehrfach gezwungen worden, die Wohnung zu wechseln.

Der junge Ratzinger sei eine kurze Zeit bei der HJ gewesen, nachdem die Nazis das zur Pflicht gemacht hätten. Doch habe er die HJ wieder verlassen, als er ein katholisches Seminar besuchte. Zwei Jahre später sei Ratzinger zum Dienst bei einer Flakeinheit eingezogen worden, um BMW zu verteidigen, die Flugzeugmotoren herstellte. Diese Fabrik, so Haaretz, habe Zwangsarbeiter aus dem KZ Dachau eingesetzt.

Ratzinger, so Haaretz, habe behauptet, niemals eine einzige Kugel abgeschossen zu haben. Während seiner ganzen Dienstzeit sei sein Gewehr nicht einmal geladen gewesen.

Die Wehrmacht habe ihn nach Ungarn geschickt, wo er die Aufgabe hatte, Panzerfallen zu legen. Laut Haaretz sei Ratzinger in Ungarn Zeuge geworden, wie Juden in die Todeslager verschickt worden sind. Im April 1944 sei Ratzinger desertiert und habe danach mehrere Wochen in einem Kriegsgefangenenlager der Alliierten verbracht. Ratzinger und sein pensionierter Bruder, ein ehemaliger Priester, behaupteten, dass sie "unfähig" gewesen sein, Widerstand gegen die Nazis zu leisten. Im Zwischentitel in Haaretz heißt es, dass "Israel die Vergangenheit des Papstes herunterspiele".

Efraim Zuroff, ein bekannter Nazi-Jäger und Leiter des israelischen Simon Wiesenthal Centers will Ratzinger den "Vorzug der Zweifel" zubilligen. "Mitgliedschaft bei der Hitler Jugend disqualifiziert niemanden, Papst zu werden," sagte Zuroff. "Die Lage ware völlig anders, wenn er Kriegsverbrechen verübt hätte. Entscheidend ist, was er nach dem Krieg getan hat und soweit uns bekannt ist, war er nicht in Kriegsverbrechen involviert."

Rabbi David Rosen vom American Jewish Committee verwarf geäußerte Sorgen. "Es gibt historische Gründe für eine jüdische Paranoia." Rosen sagte weiter: "Als Erwachsener zeigte er tiefes Verständnis für unsere Belange."

Der ultraorthodoxe Abgeordnete Rabbi Avraham Ravitz von der vereinigten Tora-Partei gedachte sorgenvoller Gefühle, die bei Juden unter solchen Umständen an die Oberfläche kommen: "Ich weiß nicht, ob die Beteiligung an der Hitlerjugend bei ihm feindselige Gefühle gegenüber dem jüdischen Volk hinterlassen hat."

Ravitz sagte, dass der Papst als moralischer Führer eine kritische Rolle bei dem Kampf gegen den Antisemitismus in der Welt spiele. "Ein einziges Wort vom Papst oder Schweigen macht den ganzen Unterschied."

Aber selbst Ravitz sei bereit, sich überraschen zu lassen. "Dieser Papst wird da anknüpfen, wo sein Vorgänger aufgehört hat. Es wird nicht ausreichen, die katholisch-jüdischen Beziehungen da stehen zu lassen, wo sie sich heute befinden."

Der israelische Staatspräsident Mosche Katzav gratulierte Josef Ratzinger zur Wahl als Papst Benedikt XVI. Israels Staatsoberhaupt äußerte den Wunsch, dass der neue Papst weiterhin zur "Brüderlichkeit unter den Religionen und zum Frieden unter den Völkern" hinarbeiten möge. Außenminister Silvan Schalom gratulierte ebenfalls und hoffte auf eine Fortsetzung der Politik seines Vorgängers, was Israel und die Juden anginge. Schalom erwartet vom neuen Papst auch einen energischen Einsatz gegen den Antisemitismus.

Der frisch gewählte Oberrabbiner von Tel Aviv und ehemalige Oberrabbiner Israels, Israel Meir Lau, erklärte, Ratzinger des öfteren getroffen zu haben. "Er ist ein echter Freund der Juden", sagte Lau. Ulrich Sahm

Israel und der Vatikan - ein historischer Gesinnungswandel

Zwei israelische Botschafter, Avi Pazner und Aharon Lopez, erinnerten sich kürzlich an den von Papst Johannes Paul II beschlossen historischen Wandel. Avi Pazner habe ihn bei einer denkwürdigen Privataudienz am 19. April 1992 ausgelöst. Aharon Lopez hat sie als israelischer Botschafter beim Heiligen Stuhl zwischen 1997 und 2000 zum Höhepunkt des Papstbesuches im Heiligen Land führen können: die diplomatische Anerkennung Israels durch den Vatikan.

Als der Gründer der zionistischen Bewegung, Theodor Herzl, Papst Pius X um Unterstützung für die Nationalbewegung des jüdischen Volkes bat, damit es in seine biblische Heimat heimkehren könne, gab es theologische Widerstände: "Ich kann Ihnen nicht helfen. Die Juden haben unseren Herrn nicht anerkannt, weshalb wir das jüdische Volk nicht anerkennen können." Weiter sagte der Papst: "Es ist nicht angenehm, dass die Türken unsere Heiligen Stätten besitzen. Das müssen wir eben ertragen. Aber die Juden in der Erlangung der heiligen Stätten begünstigen, das können wir nicht." Das theologische Hauptargument war 1904, dass die Juden Jesus nicht als Messias anerkannt hätten und deshalb mit der Verstreuung ins Exil bestraft worden seien. So erzählt es Theodor Herzl in seinen Tagebüchern.

Aharon Lopez sagt, dass die Existenz des Staates Israel mit eigener Armee und Regierung sowie der Schock über den Holocaust, dessen ideologischer Hintergrund in der kirchlichen Judenfeindschaft zu suchen sei, zu einem Sinneswandel der Kurie geführt habe. Papst Johannes XXIII initiierte den Wandel und Paul VI vollendete ihn 1965 mit "Nostra Aetate". Nach fast 2000 Jahren befreite die Kirche "die Juden" vom Fluch des "Gottesmordes". So endete offiziell der kirchliche Judenhass. Aber selbst vierzig Jahre nach dieser bemerkenswerten Deklaration, begegneten Botschafter Lopez immer wieder antisemitische Schriften und antijüdische Aussagen, sogar bei Messen von Johannes Paul II.

Das "Mea Culpa" zur Schoah, als Bulle von Johannes Paul II an der Klagemauer hinterlegt und heute in Yad Vaschem aufbewahrt, war offenbar das Produkt diplomatischer Verhandlungen zwischen Israel und dem Vatikan vor der Papstvisite im Heiligen Land 2000. Lopez beklagte sich bei Kardinal Cassidy, dass nur die Fehler von Individuen für die Judenverfolgungen erwähnt worden seien, nicht aber die Verantwortung der Kirche. Kardinal Biffi von Bologna erklärte, dass die Kirche unfehlbar sei. Deshalb könne sie für nichts Vergebung ersuchen. Ein Eingeständnis von Irrtümern zerstöre die Theologie, so die Interpretation von Lopez. Der Botschafter antwortete nach eigenen Angaben: "Die Kirche war sehr wohl fähig, die Kluft zwischen theologischen Mängeln und der Wirklichkeit zu überbrücken." Deshalb sollte sie auch eine kollektive Verantwortung übernehmen. "Nur wer Verantwortung für seine Taten akzeptiert, kann sinnvoll um Vergebung bitten", behauptet Lopez.

Botschafter Avi Pazner sagt von sich, Papst Johannes Paul II bei einer Privataudienz am 19. April 1992 zur Überwindung der theologischen Hemmungen bewegt zu haben, die letztlich zu einer diplomatischen Anerkennung führten. Zuvor schon hatte der aus Polen stammende Papst, der den Holocaust hautnah miterlebt und in seiner Jugend unter Juden gelebt hat, seinen historischen Papstbesuch in der Synagoge von Rom 1996 gemacht. Bei Gesprächen mit dem Vatikan-Außenminister, Erzbischof Jean-Louis Tauran, bemerkte Pazner eine Bereitschaft der Kirche, sich dem jüdischen Staat und nicht nur den Juden zu öffnen. Die Entscheidung lag aber allein beim Papst, erklärte Tauran. Pazner, Botschafter in Italien, verlangte eine Audienz beim Papst. Tauran erklärte: "Das geht nicht, weil Sie nicht Botschafter beim Heiligen Stuhl sind." Die Catch-22 Situation löste Tauran elegant, indem er eine für 20 Minuten angesetzte "Privataudienz" arrangierte, zu der auch Pazners Frau eingeladen wurde. Fieberhaft suchte Pazner zusammen mit Forschern und dem israelischen Außenministerium alle "guten Argumente" zusammen. "Es durfte keinen Raum für Fehler bleiben", sagt Pazner.

Nach einem freundlichen "Schalom" bestand Johannes Paul II darauf, dass entgegen dem Protokoll auch Pazners Frau an der Audienz teilnehmen sollte. Der Papst fragte nach ihrer Herkunft. Sie sagte Argentinien, woraufhin kostbare Minuten für "small-talk" in Spanisch verloren gingen. Der Papst fragte dann Pazner. Als er "Danzig" sagte, rief der Papst erfreut "Gdansk" und überschüttete den israelischen Botschafter mit einem nicht enden wollenden Schwall auf Polnisch. Pazner verstand kein Wort, weil seine Familie Jiddisch sprach. 15 von 20 Minuten waren vergangen. Jetzt erst kam Pazner nach eigenen Angaben zur Sache. Russland, China und Indien hätten Israel schon anerkannt. Arabische Länder sprächen mit Israel, nur Libyen, Irak und Iran nicht. Der Botschafter hörte nicht auf zu reden. Nach 40 Minuten saß der Papst schweigend da "in der Pose von Rodins Denker" und sagte nach langer Pause: "Herr Botschafter, wollen Sie sagen, dass wir die Schlimmsten sind?" Erschrocken erwiderte Pazner: "Nein, nicht die Schlimmsten, nur unter den Letzten." Lächelnd erwiderte der Papst: "Schauen Sie, Herr Botschafter. Unsere christliche Tradition besagt: Der Letzte wird der Erste sein." (Jesaja 44, 6)

Zwei Wochen später erhielt Pazner einen Anruf von Außenminister Tauran: "Der Heilige Vater hat beschlossen, Verhandlungen (mit Israel) zu eröffnen." Ulrich Sahm

Religiöse Bedenken gegen Räumung der Siedlungen

Die verantwortlichen israelischen Politiker, darunter auch Ariel Scharon, kennen sich in der jüdischen Religion und ihren Gebräuchen offenbar nicht gut aus. Der beschlossene Stichtag für die endgültige Räumung der Siedlungen im Gazastreifen und im nördlichen Westjordanland, der 25. Juli, fällt nämlich in die Periode "Beijn Hamezarim" ("Zwischen den Bedrängnissen"). Die Tage zwischen dem 24. Juli und dem 14. August gilt als Trauerzeit wegen der Zerstörung des Jerusalemer Tempels. Gemäß der Sitte ist es einem Juden in diesen Wochen verboten, "etwas Neues zu kaufen", sei es eine Wohnung oder Kleidung. Fromme Juden rasieren sich in dieser Trauerperiode nicht, verbieten Hochzeiten, das Hören von Musik oder die Teilnahme an fröhlichen Veranstaltungen.

Jonathan Bassie, der (fromme) Hauptbeauftragte für die Umsetzung des Rückzugs habe Scharon auf das Problem hingewiesen. Der überraschte Scharon soll geantwortet haben, dass unter allen Umständen "religiöse Elemente" aus dem ohnehin problematischen Rückzug herausgehalten werden sollten. Der Ministerpräsident hat die Bitte von Bassie, den Stichtag zu verschieben, weder ausgeschlagen noch angenommen. Eine Verschiebung des Rückzugs bis Ende August würde jedoch neue Probleme für die rund 8000 Siedler schaffen, denn am 1. September beginnt in Israel das Schuljahr. Die nach Israel umgezogenen Siedler sollen genügend Zeit haben, sich einzurichten, damit ihre Kinder ohne Probleme ihre neue Schule besuchen können. Ulrich W. Sahm

Oppositionschef Josef Lapid von der weltlich ausgerichteten Schinui-Partei forderte eine Zerstörung aller Synagogen in den zur Räumung bestimmten Siedlungen im Gazastreifen und im Norden des Westjordanlandes. So sollte verhindert werden, dass nach dem Rückzug in den Synagogen Moscheen eingerichtet werden. Die Häuser der Siedler sollten jedoch bestehen bleiben, erklärte Lapid während einer Beratung mit Ministerpräsident Scharon. Lapid befürchtet: "Bulldozer (gegen die Siedlerhäuser) könnten unseren guten Ruf in der Welt zerstören. Anstatt die Abtrennung (von den Palästinensern) zu loben, wird man in der Welt nur über die Zerstörung der Häuser reden."

Scharon erwiderte, dass weiterhin der Beschluss stehe, die Siedlerhäuser abzureißen. Gleichwohl führe Vizepremier Schimon Peres mit den Palästinensern Gespräche, um möglicherweise eine andere Lösung zu finden.

Die Räumung der radikalen Siedler könnte zu einem Bürgerkrieg, zu Blutvergießen und sogar zu Toten führen, wenn man den Schwarzmalern glauben darf. Doch die Räumung der toten Siedler könnte noch schlimmere Emotionen erwecken als die Räumung der Lebenden. 47 Gräber gibt es auch dem Siedlerfriedhof von Gusch Katif, dem Siedlungsblock im Süden des Gazastreifens, der schon im Juli von den Israelis geräumt werden soll. Das Militär und Rabbiner zerbrechen sich nach Angaben von Jedijot Achronot schon den Kopf, wie der Friedhof geräumt werden könne, ohne die Ruhe der Toten übermäßig zu stören oder gar peinliche Verwechslungen zu provozieren. Demnächst will das Militär eine Weisung ausgeben, keine Toten mehr im Gazastreifen zu begraben.

Gedacht wird an eine "Komplettlösung". Die Toten sollen nicht exhumiert und erneut begraben werden, sondern mit einem Bagger soll wohl das gesamt Grab mit Leiche und Grabstein herausgehoben und am neuen Orten wieder in die Erde gelassen werden.

Das andere Problem: wohin mit den Toten? Denn manche Siedler wissen noch gar nicht, wo sie hinziehen sollen oder wollen, zumal einige gar nicht umziehen wollen. Die Gräber könnten deshalb zu einem provisorischen Friedhof gebracht werden, um danach in der Nähe des künftigen Wohnortes der Angehörigen erneut umgebettet zu werden.

Seit Wochen gebe es Gespräche mit den Angehörigen, aber weil es ein "delikates Thema" ist, gibt es noch keine Einigung. In jedem Fall, so die Militärs, werde alles im Rahmen des jüdischen Religionsgesetzes geschehen und gemäß den Anweisungen von Rabbinern. Ulrich W. Sahm

90 Jahre Völkermord an den Armeniern

Der türkische Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern wird bis heute von der Türkei als "Aufstand der Armenier" und "tragische Kriegsereignisse" abgetan. Der deutsche Bundestag hat inzwischen den "Gräueltaten" an den Armeniern gedacht. In einer Aufforderung an die Türkei, dafür Verantwortung zu übernehmen, fehlt jedoch der Begriff "Völkermord". In einem Gespräch in Jerusalem sagte die Abgeordnete Hannelore Roedel, dass sie schon scharfe Proteste sowohl der türkischen Regierung wie auch türkischer Verbände in Deutschland gegen die Initiative erhalten habe. Die Initiative werde von mehreren Parteien mitgetragen, sagte sie während ihres Besuchs in Israel.

Nur wenige Länder haben bisher den Völkermord an den Armeniern vor 90 Jahren thematisiert, darunter Russland, Italien und Kanada. Das offizielle Israel und selbst die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vaschem haben ein gebrochenes Verhältnis zu jenem Völkermord in Anatolien, der in vielerlei Hinsicht ein Vorläufer des Holocaust an den Juden war. Der Staat Israel nimmt Rücksicht auf die Türkei als einem seiner wichtigsten militärpolitischen Verbündeten, während die Völkermorde an Armeniern, in Tibet oder Ruwanda eine "Konkurrenz" zur "Einzigartigkeit" der Schoah an den Juden darstelle, wie der israelische Forscher Jair Oron in seinem 2003 erschienen Buches "Die Banalität des Leugnens" herausgearbeitet hat. Unter dem Titel "Leugnen. Israel und der armenische Völkermord" ist sein Buch dieser Tage auf Hebräisch erschienen und lag bei Gedenkveranstaltungen der Armenier in Jerusalem aus.

Für die Armeniern gewann Jerusalem nach 1915 an Bedeutung, als zehntausende Armenier von den Jungtürken auf Todesmärschen in Richtung Wüste bei Aleppo deportiert wurden. Nur wenige überlebten und konnten sich nach Jerusalem durchschlagen.

Bei einer Tagung im armenischen Seminar in der Altstadt Jerusalems am Dienstag Abend waren mehrere Vorträge der deutschen Rolle während des armenischen Genozid gewidmet. Forscher aus Paris und Deutschland, darunter Hilmar Kaiser und Kai Seyffahrt beschrieben ein vielschichtiges Verhalten der deutschen Offiziere, Diplomaten und Geschäftsleute. Geschäftsleute beklagten sich bei den osmanischen Behörden, weil ausstehende Schulden ermordeter Armenier nicht beglichen wurden, während deren Eigentum von den Osmanen enteignet und geraubt wurde. Drei von fünf türkischen Armeen wurden damals von deutschen Offizieren befehligt. Einige verhinderten zeitweilig die Deportation oder Ermordung von Armeniern, etwa aus Smyrna, andere beteiligten sich aktiv an der Organisation der Todesmärsche.

Auch unter den Diplomaten gab es ein widersprüchliches Verhalten. Konsul Walter Roessler schickte von Aleppo verschlüsselte Botschaften nach Berlin, um mit öffentlichem Protest und diplomatischen Demarchen das Morden zu beenden. Illegal versorgte Roessler die Armenier in einem Konzentrationslager in der Wüste bei Aleppo mit Nahrungsmitteln, bis Zehntausende von ihnen ermordet wurden. Berlin schwieg zu den Vorgängen, weil die Türkei während des Ersten Weltkriegs ein Verbündeter Deutschlands war. Das Schweigen dauert bis heute an, wobei Abgeordnete jetzt versuchen, ein türkisches Bekenntnis zu dem Genozid zur moralischen Bedingung für die Aufnahme der Türkei in die EU zu machen. "Die EU ist auch eine Wertegemeinschaft. Wie können wir die Türkei zulassen, wenn sie einen Völkermord abstreitet", sagte Hilmar Kaiser. Ulrich W. Sahm

Religionsführer wettern gemeinsam gegen Schwule und Lesben

Homosexualität heißt auf Hebräisch "Sodom-Tat". Im Jerusalemer Hotel "Olivenbaum" zog sich wie ein roter Faden "Sodom und Gomorra" durch die Worte der Religionsführer gegen eine für August in der "Heiligen Stadt" geplante "stolze Parade" ("Gay Parade") von Homosexuellen aus aller Welt. Die Pressekonferenz war "historisch". Denn erstmals stellten sich gemeinsam beide israelische Oberrabbiner, der Lateinische Patriarch Michel Sabbah, hochrangige Vertreter des griechischen wie armenischen Patriarchats und Vertreter des Islam der Presse.

Ganz so schwergewichtig, wie die Organisatoren es auf ihren Presseeinladungen angekündigt hatten, war die Pressekonferenz dennoch nicht. "Der armenische Patriarch redet grundsätzlich nicht mit Reportern und ähnlich halten es die Griechen", erklärte ein armenischer Sprecher das Fernbleiben seines Patriarchen. Die Patriarchen waren angekündigt. Aber die Organisatoren kannten nicht die Feinheiten des Protokolls in Jerusalems Kirchenwelt.

Im Falle der Moslems war auch nur die zweite Riege vertreten, angeblich, weil der geladene Scheich Tamimi aus Hebron keine Sondergenehmigung erhielt, israelische Straßensperren zu passieren. So deutete es Rabbi Menachem Frouman an, einer der ersten Siedler, wohnhaft in Tekoa und gleichzeitig Freund von Scheich Jassin und Arafat. Ob der Mufti von Jerusalem, Ekrem el Sabri, überhaupt eingeladen war, war nicht herauszufinden. Unter Jerusalems Kirchen und Religionen wird Diplomatie mit zweitausendjähriger Erfahrung betrieben. Nichts bleibt dem Zufall überlassen.

Die beiden Oberrabbiner, Yona Metzger und Schlomo Amar, kamen mit demonstrativer halbstündiger Verspätung, durften aber als Erste das Wort ergreifen. Der Sepharde Schlomo Amar redete von "jenen Menschen", die ihren Weg gewechselt hätten. Jene mögen doch die "Beleidigung Jerusalems" vermeiden. Es gebe schon genügend Spannungen in der Heiligen Stadt. Sein aschkenasischer Amtskollege Yona Metzger prangerte die "geplante Provokation gegen alle Religionen" an. Das gelte besonders für Juden, da sie als Einzige "in Richtung Jerusalem beten". Der aus Nazareth stammende Lateinische Patriarch, Michel Sabbah, ein Palästinenser, äußerte "Freude darüber, dass wir zusammengekommen sind. Mögen wir das nächste Mal zusammenkommen, um über Frieden in Jerusalem zu reden und nicht über eine Manifestation (Demonstration) gegen die Heiligkeit Jerusalems". Die Freiheit des Einen ende an den Grenzen der Freiheit der Anderen, sagte Sabbah, ohne die Homosexuellen beim Namen zu nennen. Er forderte die israelischen Behörden auf, "die Heiligkeit Jerusalems zu respektieren".

Bischof Aris Scherevian sprach im Namen des armenischen Patriarchen. Gott habe "Adam and Eve, not Adam and Steve" geschaffen. Er kam auf das alttestamentliche "Sodom und Gomorra" und sagte: "Wir sind für Menschenrechte, aber gegen Sünde und Verbrechen, auf die in der Bibel die Todesstrafe stand."

Erzbischof Aristachos, Vertreter des umstrittenen griechischen Patriarchen, sagte in bestem Hebräisch, dass Homosexuelle gegen den Willen Gottes ein "ungerechtfertigtes Verhalten" zeigten. Sie hätten "kein Recht dazu. Das unnatürliche Verhalten ist Sünde".

Der muslimische Scheich Abed el Salam Menasra vergas ein paar Augenblicke lang, dass er vor Journalisten und nicht vor Gläubigen in der Moschee sprach. Mit lauter Stimme hämmerte er den Reportern ein, dass Jerusalem den "Jahud" (Juden), den "Messianern" (Christen) und dem Islam gleichermaßen heilig sei. Die Stadt dürfe nicht entweiht werden. Homosexualität gebe es bei Tieren nur unter Affen. Er übersetzte sich selber ins Hebräische und sagte, dass Judentum und Christentum "auf der Heiligkeit Jerusalems begründet sind, während der Islam Jerusalem respektiert, wegen der Nachtreise des Propheten von El Kuds (Jerusalem)". Er drohte damit "Jerusalem auf den Kopf zu stellen, mitsamt den Juden und Christen", falls es zu der teuflischen Demonstration kommen sollte.

Überraschend meldete sich der offizielle Vertreter des Vatikans zu Wort, Nuntius Pietro Sambi. Ohne eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Staates Israels zu scheuen, sprach er von einer "Provokation" und sagte: "Wenn diese Leute erwarten, dass wir sie respektieren, dann sollten sie auch uns respektieren."

Nur wenige Journalistenfragen wurden zugelassen. Ein Redakteur der Ynet-Internetseite für Homosexuelle erklärte den Kirchenfürsten, dass es sich bei der Parade um eine "Demonstration der Liebe" handle. Der Sephardische Oberrabbiner erwiderte: "Wenn sich diese Menschen anständig benehmen und nicht öffentlich zu Sünde aufrufen, sind sie herzlich willkommen." Er gestand erneut, dass diese seltene Pressekonferenz mit Vertretern aller drei Religionen nicht zustande gekommen wäre, ohne die geplante Demonstration der Homosexuellen. "Auch das ist eine Demonstration der Liebe." Ulrich W. Sahm

zur Titelseite

zum Seitenanfang

Evangelischer Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau
Pfr. U.Schwemer, Theodor-Storm Str.10, 64646 Heppenheim;
Tel: 06252-71270 / Fax: 06252-72606