Informationen aus Israel

von Michael Krupp und Ulrich Sahm, Jerusalem

 

Beduinenschüler fahren nach Auschwitz
Beduienenfrauen demonstrieren

Zum ersten Mal werden unter den Schülern, die Auschwitz und die ehemaligen Konzentrationslager in Polen besuchen, auch Beduinenschüler sein. Das Erziehungsministerium willigte ein, eine Gruppe von 16 Schüern aus verschiedenen Beduinenschulen im Negev in das Programm mit aufzunehmen. Die Initiative dazu geht von jüdischen und arabischen Kreisen aus, die versuchen, die Spannungen zwischen Beduinen und jüdischer Bevölkerung abzubauen.

Die Intiatoren des Plans versprechen sich von dem Besuch eine größere Offenheit beider Gesellschaften gegenüber der anderen. Die Beduinenschüler werden etwas über das jüdische Trauma an der Stelle der Welt erfahren, die den Tiefpunkt des jüdischen Leidens in der Neuzeit symbolisiert. Die jüdische Öffentlichkeit wird von der Offenheit der beduinischen Bevölkerung, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen, ihrerseits beeindruckt sein.

Die beduinische Führung steht dem Unternehmen positiv gegenüber. Der Bürgermeister der Beduinenstadt Rahat, Talal al Krinawi, hat von sich aus angeboten, jeden Schüler, der nach Polen fährt, mit umgerechnet 180 Euro zu unterstützen. 350 Euro gibt das Erziehungsministerium dazu und ca. 400 Euro müssen die Eltern der Schüler auftreiben.

Abu Siam, dessen Töchter Habil und Amir für die Reise ausersehen sind, sagte der Zeitung Haaretz gegenüber, dass er das Unternehmen voll und ganz unterstütze. "Ich glaube, es ist wirklich wichtig", sagte Abu Siam, "dass sie fahren und genau sehen, was dem jüdischen Volk im Holocaust pqssiert ist, damit sie verstehen lernen, was einer Minderheit von einer aggressiven Mehrheit angetan werden kann, und dass die Welt dazu schweigt."

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Frauen aus der Beduinensiedlung Lakija haben gegen die Inbrandsetzung einer Textilverabeitungsfabrik protestiert, wo 165 Frauen beschäftigt waren. Als Brandstifter vermutet die Polizei junge Beduinen, die gegen das Arbeiten von Frauen außer Hauses sind. Die Fabrik ist die größte Beschäftigungsstätte für Beduinenfrauen. Sie wurde von der Gesellschaft zur Förderung des Status von Frauen eingerichtet. Sie stellt klassische Beduinen-Textilien her, die meist in Museen verkauft werden.

Die Gesellschaft zur Förderung des Status von Frauen unterhält auch den einzigen Kindergarten in der Siedlung, ebenso eine mobile Leihbibliothek für mehr als 400 Kinder und ein Ausbildungsprogramm für junge Frauen. Über 85 Prozent der Beduinenfrauen sind ohne Arbeit. Auf der Protestversammlung sprachen auch Männer, unter anderem der Parlamentsabgeordnete aus Lakija, Taleb al Sana. Er geißelte die Rückständigkeit der (männlichen) Beduinengesellschaft. Der Vater der Vorsitzenden der Gesellschaft, Karim al-Sana, verurteilte den Abstieg der Beduinengesellschaft in Räuberei und Zuhälterei, was es früher nicht gegeben habe. Michael Krupp

Araber akzeptieren keinen zionistischen jüdischen Staat

70 Prozent der in Israel lebenden Araber bekennen sich zu dem Satz: "Israel in den Grenzen von 1967 hat ein Existenzrecht als jüdischer Staat, in dem Juden und Araber gleichberechtigt zusammenleben." Aber nur 13,8 Prozent sind bereit, einen zionistischen Staat zu akzeptieren. Dies ist das Ergebnis einer Umfrage des arabisch-jüdischen Zentrums der Universität Haifa unter der Leitung von Sami Smooha. Andererseits sind 75 Prozent der Juden in Israel bereit, die Araber als vollberechtigte Bürger zu akzeptieren, nicht aber, wenn sie sich als "palästinensische Araber" in Israel bezeichnen.

Smooha zeigte sich von dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Araber in Israel einen jüdischen Staat zu akzeptieren bereit ist, überrascht. Er interpretierte die Ablehnung des zionistischen Charakters dahin, dass die Araber gegen eine Bevorzugung von Juden bei Einwanderung und Eingliederung sind. Die Mehrheit der Araber habe akzepotiert, dass sie in einem vorwiegend jüdischen Staat leben. Die Gleichheit der Rechte der Araber werde aber durch zionistische Tendenzen des Staates eingeschränkt.

Die Akzeptanz der Araber durch die Mehrheit des jüdischen Bevölkerungsteils, aber die Ablehnung palästinensisch-arabischer Ambitionen wertete Smooha dahin gehend, dass Juden Araber dann akzeptieren, wenn sie keine nationalen Ansprüche haben, sondern den zionistischen Charakter Israels als Staat für alle Juden in der Welt anerkennen. Die Umfrage erstreckte sich auf 700 Juden und 700 Araber von 18 Jahren aufwärts. Michael Krupp

Die israelische Post weiß, wo Gott wohnt

Die israelische Post stellt einmal im Jahr Post zu, die an Gott, den Heiligen Geist oder den Messias adressiert ist. Sie steckt sie in die Ritzen der Westmauer des Tempelplatzes, der sogenannten Klagemauer. Bei der Zeremonie war der Generaldirektor der Post, Yossi Sheli, und der Rabbiner der Mauer, Shmuel Rabinowich persönlich anwesend. Tausend Briefe sind es ungefähr im Jahr, sagte der Sprecher der Post, Itzhak Rav Yihiya. Was mit den anderen Briefen geschieht, die an Jesus und Santa Klaus addressiert sind, sagte der Sprecher nicht.

Der Brauch, die Briefe in die Klagemauer zu stecken, soll auf einer Legende basieren, die die Postangestellten sich erzählen. Früher habe man die Briefe geöffnet, um sie vielleicht doch zustellen zu können. Dabei sei ein Brief gewesen, der so herzergreifend gewesen sei, dass die Postbeamten Mitleid bekommen hätten. Der Briefschreiber sei so verzweifelt gewesen, dass ihm 5000 Schekel (umgerechnet ca. 1000 Euro) fehlten, um seine Schulden zu bezahlen. So bat er Gott, ihm das Geld zu schicken.

Die Postbeamten sammelten unter sich und bekamen 4300 Schekel zusammen, die sie dem Mann anonym in einem Umschlag schickten. Nach einiger Zeit kam wieder ein Brief von dem Mann bei der Post an Gott addressiert an, ein Dankesbrief wie die Beamten feststellten, aber mit einer Beschwerde. In dem Schreiben bat er Gott, beim nächsten Mal das Geld nicht per Post zu schicken, denn die Postbeamten seien nicht zuverlässig und hätten 700 Schekel gestohlen.

Danach habe man beschlossen, die Briefe ungeöffnet in die Ritzen der Klagemauer zu stecken zusammen mit den abertausenden Bittgesuchen, die die Beter dort täglich hinterlassen. Seitdem diese Praxis bekannt wurde, habe der Strom der Briefe, jetzt an Gott in der Klagemauer gerichtet, zugenommen, sagte der Sprecher. Was die Leute so schreiben, könne man nicht wissen, aber wahrscheinlich dasselbe, was frühere Briefe enthielten, Bitten um ein besseres Leben, Bitte um Vergebung, um Geld und Liebe. Michael Krupp

Versuch in Israel ein Synhedrion zu gründen

In Israel ist ein erneuter Versuch unternommen worden, das Synhedrion, den obersten Rat von 71 Rabbinern zur Festlegung des Religionsgesetzes, neu zu gründen. Zum provisorischen Vorsitzenden wurde der Talmudgelehrte Adin Steinsalz gewählt. Das Synhedrion soll auch über die Wiedererrichtung des jüdischen Tempels bestimmen. Die Aussichten für die Errichtung des Synhedrions werden aufgrund der Zersplitterung im religiösen Lager als schlecht bezeichnet.

Das Synhedrion war zur Zeit des Zweiten Tempels und bis zum Jahr 429 n.Chr. das wichtigste Gremium der Juden für die Selbstverwaltung in Palästina. An der Spitze standen die Patriarchen des Hauses Hillel. Hillel hat kurze Zeit vor Jesus gelebt und hat die Lehre Jesu bedeutend beeinflusst. Das Patriarchat und damit das Synhedrion wurde von den Byzantinern zwangweise aufgelöst. Bestrebungen, es wieder zu beleben, gab es mehrfach in der Geschichte. Die wichtigsten Versuche fanden im 16. Jahrhundert in Sefat, dem damals geistigen Zentrum des Judentums, statt und Anfang des 19. Jahrhunderts in Frankreich durch Napoleon. Alle diese Versuche sind am Widerstand einzelner Rabbinen gescheitert.

Da die Initiatoren auch heute mit heftigem Widerstand von verschiedener religiöser Seite rechnen, haben sie sich geweigert, Namen von Rabbinen, die bereit sind, im Synhedrion mitzuwirken, bekannt zu geben. Lediglich einige Namen der Initiatoren sind veröffentlicht worden. So gehören zu den Begründern der Idee Rabbi Nachman Kahane, der Bruder des ermordeten Rechtsradikalen Meir Kahane, Rabbi Dov Lavanon, ein Lubawitzer Chassid und Direktor eines Instituts des Tempeldienstes in Jerusalem, sowie Rabbi Joel Schwartz, Begründer einer Miltäreinheit ultraorthodoxer Juden und Verfasser von 200 Büchern. Der Bekannteste ist zweifellos Rabbi Adin Steinsalz, Bearbeiter des baylonischen Talmuds und Vorsitzender mehrerer Talmudinstitute. Von dem modernen Kommentar zum Talmud sind inzwischen 36 Bände erschienen. Michael Krupp

Der Teich von Siloah mit Sicherheit identifiziert

In einem Vortrag vor dem deutschen archäologischen Institut in Jerusalem hat Ronny Reich, Professor für Archäologie an der Universität Haifa, nachgewiesen, dass die große Bauanlage südlich des Siloah Teiches, die im vorigen Jahr entdeckt und inzwischen weiter ausgegraben wurde, in Wirklichkeit der echte Siloah Teich aus der Zeit Jesu ist, während der bisher als Siloah Teich bekannte Ort aus byzantinischer Zeit stammt.

Reich ist der Leiter der Ausgrabungen in der sogenannten Davidstadt, des alten Jerusalems, das König David erobert hatte und das heute vor den Mauern der Altstadt im Süden der Stadt liegt. Eine der Hauptattraktionen dieses Stadtteils ist der Siloah Teich, der schon im Alten Testament erwähnt wird und mehrfach im Neuen Testament, so im neunten Kapitel des Johannesevangeliums, wo Jesus einen Blinden zur Heilung zum Teich Siloah schickt. Der Siloah Teich ist eine künstliche Anlage am Ende des Hiskiatunnels, der die Wasser der Gihonquelle, der einzigen Quelle Jerusalems, in den ummauerten Teil der Stadt führte.

Bei Reparaturen der Straße südlich des Siloah Teiches waren Treppen entdeckt worden, die die Archäologen als einen Teil des ursprünglichen Siloah Teiches identifizierten. Im Mörtel zwischen den Stufen wurden einige Münzen gefunden, die aus der Zeit des ersten vorchristlichen Jahrhunderts stammen. In dieser Zeit wurde die Anlage, die zur Zeit Jesu bestand, angelegt. Reich vermutet, dass unter dieser Anlage der Teich des Hiskia gewesen sein dürfte, aber bisher konnten keine weiteren Ausgrabungen vorgenommen werden, weil das Gelände der griechisch-orthodoxen Kirche gehört. Bisher konnte nur ein Teil der Treppen ausgegraben werden.

Zum letzten Mal wurde der Teich vor dem Aufstand gegen Rom gesäubert, wie es Münzen aus dem 2. bis 4. Aufstandsjahr belegen, 67-69 n.Chr. Danach ist der Teich durch die starken Winterregen zugeschwemmt worden, so dass seine Lage vergessen wurde. Nach der Christianisierung des römischen Reiches und dem Bau der byzantinischen Kirchen an den heiligen Stätten der Christenheit durch die Kaisermutter Helena im vierten nachchristlichen Jahrhundert wurde auch der Teich Siloah mit einer Kirche versehen, nur nicht an der historischen Stätte, weil deren exakte Lage in Vergessenheit geraten war. Der Ort, der bislang als der Teich Siloah galt, ist ein Teil dieser byzantinischen Kirche.

Der ursprüngliche Teich Siloah war weit größer als der byzantinische Teich. Er wird heute ganz ausgefüllt von einem Obstgarten, der der griechisch-orthodoxen Kirche gehört. Reich hofft, das ganze Areal einmal mit Zustimmung der Kirche ausgraben zu können, um so auch eine weitere touristische Attraktion für Jerusalem zu schaffen.

Die öffentlichen monatlichen Vorträge im deutschen archäologischen Institut sind eine Neuereung und wurden durch den jetzigen Leiter des Instituts, Michael Heinzelmann, vor einem Jahr eingeführt. Hier treffen sich deutsche und israelische Archäologen und ein an Archäologie interessiertes Publikum, sowie die Mitarbeiter der anderen ausländischen archäologischen Institute in der Stadt. Dadurch bekommt das deutsche archäologische Institut wieder eine angesehene Rolle, wie sie es zur Zeiten seiner Gründung, durch den bekannten Archäologen Gustaf Dalman zu Anfang des 20. Jahrhunderts, inne gehabt hat. Michael Krupp

Die Shoah-Rolle - eine jüdische Liturgie für den Holocaust-Tag in Israel

Die konservative Bewegung des Judentums hat als erste religiöse jüdische Gruppe ein Liturgieformular für die Gestaltung eines Gottesdienstes zum Holocausttag herausgegeben. Der Holocausttag fällt in Israel auf den 27. Nissan, dem Tag der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes, in diesem Jahr war dies der 5. Mai.

Die Liturgie hat den Namen "Megillat hashoah", die Shoah-Rolle, ähnlich wie es andere Rollen für Feste und Gedenktage im Judentum gibt, wie die Esther-Rolle für das Purimfest. Die Shoah-Rolle wurde von dem Professor für Literatur an der Hebräischen Universität Jerusalem, Avigdor Shinan, zusammengestellt.

Im Vorwort schreibt der Vorsitzende des konservativen Judentums, Rabbiner Reuven Hammer: "Wir dürfen nicht sagen oder lehren: Der Holocaust war der Wille Gottes oder eine Strafe, die Gott über uns verhängt hat - es mag sein, dass wir keine Antwort auf die Mysterien der Shoah haben, aber es gibt Antworten, die wir radikal ablehnen müssen."

Ähnlich wie die Liturgie zum Passahfest beginnt die Shoah-Rolle mit der Aufforderung: "Das neue Gebot jüdischen Lebens ist, dass ein jeder von uns sich so ansehen muss, als habe er selber mit eigenem Fleisch die Shoah erlebt."

Die Shoah-Rolle besteht aus 6 Kapiteln, entsprechend den 6 Millionen jüdischen Opfern des Holocaust. Eins der Kapitel enthält die Zeugenaussage eines jungen jüdischen Häftlings, der gezwungen war, Leichnamen, darunter dem seines Bruders, die Goldzähne herauszunehmen, und die eines jungen Christen, der sich in das Ghetto Warschau schlich und berichtet, was er dort erlebte und sah.

Die Rolle berührt auch die zentrale theologische Frage, wo war Gott im Holocaust. Hier heißt es: "War die Sache im Himmel bekannt? War das von dem allbarmherzigen Gott so beschlossen? - Da ist keine Stimme und keine Antwort, nur ein zum Himmel schreiendes Schweigen. - Fragen, die, wenn sie auch keine Antwort haben, gestellt werden müssen."

Die Rolle schließt mit der Aufforderung: "Trauere nicht zu viel, verfalle aber auch nicht in die Vergesslichkeit der Apathie. Lass die Tage der Finsternis nicht zurückkehren - schreie, aber wische ab die Tränen. Erbarme dich nicht und vergesse nicht, versuche nicht zu verstehen, lerne zu leben ohne die Antwort: Durch dein Blut sollst du leben." Michael Krupp

Verstärkte christliche Mission unter Einwanderern aus den GUS

Christliche Missionare haben missionarischen Erfolg unter den Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion. Eitan Shishkoff, Leiter der messianischen Gemeinde in Kiryat Yam bei Haifa, bezifferte die Zahl der Judenchristen, in Israel messianische Juden genannt, auf 10.000, 70 Prozent davon seien Russisch sprechend. Vor zehn Jahren gab es nach Angaben der judenchristlichen Gemeinden lediglich 2400 Judenchristen in Israel. Shishkoff sagte, es gäbe heute 80 Gemeinden von Judenchristen in ganz Israel. Die Umgangssprache der meisten Gemeinden sei Russisch.

Die jüdische Organisation Yad L'Achim, die versucht, die Mission unter Juden in Israel zu bekämpfen, bestätigte die Angaben über die Zahl der Judenchristen in Israel, kennt aber nur 40 Gemeinden. Nach Meinung von Yad L'Achim konzentriere sich die Mission auf die Neueinwanderer, weil diese nur schwache Beziehungen zum Judentum hätten. Sie bezichtigte die Missionare, mit materiellen Angeboten Proselyten zu machen. Shiskoff wies diesen Vorwurf zurück. Bekehrung Andersgläubiger mit materiallen Angeboten ist in Israel strafbar. Mission an sich ist erlaubt. Michael Krupp

"Auge um Auge" im Iran

Ein Gericht in Iran hat beschlossen, einem Mann beide Augen zu entfernen, weil er vor zwölf Jahren jemandem im Basar eine Flasche Säure ins Gesicht geworfen hat und jener daraufhin erblindete. Der Täter war 16 Jahre alt und behauptete bei seinem Prozess, dass die Säure "irrtümlich" seinem Opfer ins Gesicht geflossen sei.

Wie die israelische Zeitung Jedijot Achronot unter Berufung auf Agenturberichte schreibt, habe sich der Richter auf das Prinzip "Auge für Auge" im islamischen Religionsgesetz gerufen. Das Gericht habe jedoch "Milde" walten lassen. Dem Täter solle zur Strafe nicht Säure ins Gesicht gespritzt werden, weil das auch andere Teile seines Gesichts treffen könnte. Ihm sollen lediglich operativ beide Augen entfernt werden.

Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat schon mehrmals gegen solche Praktiken öffentlich protestiert, so zum Beispiel im Jahr 2000, als einem Mann das Augenlicht entfernt werden sollte. Amnesty wandte sich an die Ärzte, solche Operationen zu verweigern.

Die islamische Interpretation des ursprünglich biblischen Verses "Auge für Auge" widerspricht dem biblischen und jüdischen Verständnis dieses Rechtsprinzips. In der Bibel heißt es, dass ein Herr, der seinem Sklaven das Auge ausschlägt, sein Opfer mit der Entlassung in die Freiheit entschädigen müsse. Da er seinen Sklaven verliert, bedeutet das Rechtsprinzip "Auge um Auge" eine Geldstrafe für den Täter und eine Entschädigung für das Opfer: Freiheit. Der Spruch hat nichts mit Rache oder Vergeltung zu tun. Ulrich W. Sahm

Russland will das Judentum "verbieten"

Scharfe Proteste löste eine Klage des russischen Oberstaatsanwalts, Vladimir Ustinov, aus, der das jüdische Gesetzeskompendium "Schulchan Aruch" (Gedeckter Tisch) auf "Hetze gegen Nicht-Juden" prüfen lassen will und in diesem Rahmen dann auch die jüdische Religion und alle jüdischen Organisationen für "außergesetzlich" erklären lassen will.

Der "Schulchan Aruch" wurde im 16. Jahrhundert von Rabbi Josef Karo verfasst. Karo wurde 1488 im spanischen Toledo geboren und im Rahmen der Inquisition 1492 aus Spanien vertrieben. Sein Werk zählt zu den wichtigsten Heiligen Schriften des Judentums. Das 1565 erstmals in Venedig gedruckte Kompendium ist eine klassische Sammlung jüdischer Religionsgesetze.

Die Initiative des russischen Oberstaatsanwalts wurde in der Zeitung Iswestja veröffentlicht, erhielt und erhielt große Aufmerksamkeit in jüdischen Kreisen als der Generaldirektor des Kongresses der orthodoxen jüdischen Gemeinden, Zinovi Kogan, zu einem ersten "Verhör" in der Angelegenheit vorgeladen wurde. Kogan wurde gefragt, wer hinter der Verbreitung einer russischen Übersetzung des "Schulchan Aruch" stecke.

In Israel lösten diese "präzedenzlos schlimmen" Nachrichten größte Bestürzung aus. Das israelische Außenministerium will zu diesen Vorfällen nicht schweigen, und "sieht mit großer Sorge die Haltung der russischen Behörden angesichts des grassierenden Antisemitismus in Russland". Israel werde "unermüdlich gegen diesen Schandfleck ankämpfen, der gegen das jüdische Volk und eine seiner Heiligen Schriften" vom russischen Oberstaatsanwalt ausgesprochen worden sei. Das israelische Außenministerium stellte fest, dass es in Russland eine starke Zunahme von Attacken auf jüdisches Eigentum und Juden gebe sowie vermehrt antijüdische Internetseiten auf russisch.

Die Affäre löste in Russland eine öffentliche Diskussion aus. Alexander Borode, Sekretär der Vereinigung jüdischer Gemeinden, sagte der russischen Nachrichtenagentur: "Wir sind erschüttert über die Prüfung von Büchern aus dem 16. Jahrhundert, die längst zum Erbe jüdischer Kultur geworden sind. Das zeugt von der Kurzsichtigkeit der Staatsanwaltschaft."

Alles begann schon im Januar, als reaktionäre Zeitungen einen Aufruf an den Staatsanwalt veröffentlichten, alle jüdische Organisationen wegen "Hetze und internationaler Aufstachelung" zu überprüfen. In dem Aufruf wurden auch antisemitische Ritualmordgeschichten vom Beginn des vorigen Jahrhunderts aufgewärmt "die alle von Gerichten bestätigt" worden seien. Mit Zitaten aus dem "Schulchan Aruch" und anderen jüdischen Schriften aus verschiedenen Jahrhunderten begründeten sie die Ansicht, dass das Judentum eine "rassistische Religion" sei, die gegen Nicht-Juden hetze. Unter den 500 Unterzeichnern des Aufrufs befinden sich 20 nationalistische Abgeordnete der Rodina-Partei, die sich gleichzeitig als "sozialistisch" bezeichnet. Letztlich fordert der Aufruf, das Judentum zu "verbieten".

Der Vorsitzende der Rodina-Partei, Dimitri Rogozin, distanzierte sich von den "antisemitischen Ausfällen" einiger Parteimitglieder und schrieb an den Moskauer Oberrabbiner, Pinhas Goldschmidt, dass "theologische Schriften ungeeignet seien für ein Gerichtsverfahren". Zu Haaretz sagte der Rabbiner, dass der Brief ihn erfreut habe, dass er aber von Rogozin disziplinarische Verfahren gegen die Unterzeichner verlange. Die Staatsanwaltschaft verweigerte der jüdischen Gemeinde, ein Verfahren gegen den antisemitischen Aufruf und seine Unterzeichner einzuleiten.

Die Staatsanwaltschaft in Moskau hat inzwischen beschlossen, das mittelalterliche jüdische Kompendium zum Religionsgesetz, "Schulchan Aruch" doch nicht im Hinblick auf Hetze gegen Nicht-Juden zu untersuchen. Der vom israelischen Rundfunk gemeldete Rückzieher der Staatsanwaltschaft folgt weltweiten jüdischen Protesten und auch israelischer Empörung über einen "russischen Rückfall in finsterste antisemitische Zustände" wie es Beamte des israelischen Außenministeriums formuliert hatten. Ulrich W. Sahm

Starker Antisemitismus in Europa

"Millionen Europäer halten immer noch an antisemitischen Stereotypen fest", zitiert die israelische Zeitung Jedijot Achronot den Direktor der amerikanischen Anti-Diffamation-League (ADL), Abraham Foxman. Die ADL hat im Vorfeld einer Fortsetzungssitzung der OSZE im spanischen Cordoba Anfang Juni, wo erneut über die weltweite Bekämpfung des Antisemitismus beraten werden soll, unter 6000 Europäern aus zwölf europäischen Ländern, darunter Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien und Polen, eine Umfrage mit sechs einschlägigen Fragen durchgeführt. Die Fragen enthielten typische antisemitische Vorurteile, etwa ob Juden gegenüber Israel loyaler seien als gegenüber ihrem Heimatland, ob sie in der Wirtschaft oder auf den Finanzmärkten zuviel Macht besässen. Ebenso wurde gefragt, ob die Juden "zuviel über den Holocaust reden" und ob sie für den Tod Christi verantwortlich seien. Die Befragten, jeweils 500 Erwachsene pro Land, sollten mit "falsch" oder "richtig" antworten.

In die Fragen eingebaute antisemitische Stereotypen entsprechen einem Katalog antisemitischer Vorurteile, wie sie die europäische Beobachtungsstelle für Rassismus, EUMC, im Januar ausgearbeitet hat. Sie wurden kürzlich von diesem Korrespondenten entdeckt und veröffentlicht [siehe Seite 3]. Es handelt sich um einen ersten Versuch, klare Kriterien für eine Definition des Antisemitismus zu formulieren, die bindend für alle europäischen Länder bei der Erfassung antisemitischer Vorfälle benutzt werden sollen. Dieser Katalog soll in Cordoba diskutiert werden.

Die Befragung der ADL ergab, dass sich die antisemitischen Gefühle in Europa seit 2004 um deutliche zehn Prozent verstärkt hätten. Vor allem in Deutschland und Italien (43 Prozent) herrscht die Meinung vor, dass die Juden Israel gegenüber loyaler seien als ihrem Staat. In ganz Europa sind durchschnittlich ein Drittel der Befragten der Meinung, dass die Juden zuviel Macht in der Wirtschaft und auf den internationalen Finanzmärkten hätten. Die Meinung, dass Juden "zuviel über den Holocaust reden", teilen weit über 40 Prozent der Europäer, 46 Prozent der Österreicher, 48 Prozent der Deutschen (2004 waren sogar 56 Prozent dieser Meinung), und 52 Prozent der Polen.

Der klassische Gottesmordvorwurf, die Vorstellung, dass die Juden für die Kreuzigung Jesu verantwortlich seien, hält sich bei durchschnittlich 20 Prozent der Befragten in Europa. In Deutschland sind es konstante 18 Prozent und in England 20 Prozent. In Spanien ging dieses Vorurteil von 23 Prozent (2004) auf 20 zurück. In Dänemark gab es einen drastischen Anstieg von 18 auf 22 Prozent. Allein in den eher katholischen Ländern Frankreich und Italien verliert dieser uralte Vorwurf an Anhängern mit einem deutlichen Rückgang auf nur noch 13 und 14 Prozent von 15 und 19 Prozent im Jahr 2004. Ulrich W. Sahm

Neue demografische Zahlen

Amerikanische und israelische Demografen vermuten aufgrund von Angaben des palästinensischen Innen- und des Gesundheitsministeriums, dass es im Gazastreifen und im Westjordanland nur 2,4 Millionen Palästinenser gibt und nicht 3,8 Millionen, wie angenommen.

Nach Angaben der Forscher sei die höhere Zahl bei einer Volkszählung vor etwa zehn Jahren ermittelt und 1997 von der palästinensischen Autonomiebehörde veröffentlicht worden. Der ursprünglich schon im Januar in Washington veröffentlichte Report wurde kürzlich im israelischen Parlament vorgestellt.

Das meldet die israelische Zeitung Jedijot Achronot. Demographie spielt im Nahostkonflikt eine große Rolle. So hat die Masseneinwanderung von über einer Million russischer Juden vor etwa 15 Jahren den Israelis ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Das schnelle natürliche Wachstum der palästinensischen Gesellschaft und die möglicherweise übertriebene Anzahl der Palästinenser von 3,8 Millionen wurde als eines der Hauptargumente für einen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten, eine Aufgabe der Siedlungen, die "Abtrennung" und die Errichtung eines palästinensischen Staates verwendet. Nur so könne Israel seinen jüdischen Charakter beibehalten, ohne von einer arabischen Mehrheit überrollt zu werden. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass sowohl die hohe wie auch die niedrige Zahl der zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer lebenden Palästinenser politisch motiviert und deshalb nicht echt sind.

Die amerikanischen Forscher geben an, dass die vermutete Vermehrung der palästinensischen Bevölkerung um vier bis fünf Prozent seit 1997 nicht erreicht worden ist. Anstelle einer vorhergesehenen Einwanderung in die palästinensischen Gebiete habe es eine Abwanderung von 10.000 Menschen pro Jahr gegeben. Die 210.000 Jerusalemer Araber seien bei der Volkszählung doppelt gezählt worden. Mitgerechnet wurden Palästinenser, die über ein Jahr lang im Ausland leben und etwa 150.000 Palästinenser, die seit 1993 legal nach Israel umgezogen seien.

Nach den Wahlen in den palästinensischen Gebieten im Januar 2005 stellte sich heraus, dass etwa 200.000 Palästinenser im Ausland leben und dass es nur 1,3 Millionen wahlberechtigte Palästinenser gebe. Von den jetzt errechneten 2,4 Millionen Palästinensern leben 1,35 im Westjordanland und 1,07 im Gazastreifen. Ulrich W. Sahm

Umweltkatastrophen in Israel

Etwa 80 Prozent von einer der schönsten und berühmtesten israelischen Naturschutzgebiete ist abgebrannt: Nahal David, der Davidfluss in Ein Geddi am Toten Meer. Die Oase inmitten der Wüste war jener Ort wo sich König David versteckte, als er sich vor Absalom versteckte. Felshasen und Steinböcke, sogar die letzten Tiger des Heiligen Landes in freier Wildbahn sind heimisch in dieser grünen und üppigen Oase, einer der angenehmsten Touristenattraktionen Israel, wo man es trotz extremer Hitze wegen des fließenden Wassers immer gut aushalten konnte. Wegen der gebirgigen Gegend hätten Löschflugzeuge keinen guten Zugang zu der Oase gehabt, als kürzlich in Flammen aufging. Die Polizei vermutet, dass eine unachtsam weggeworfene Zigarette den Brand ausgelöst habe.

Dieser Tage schlagen grüne Organisationen auch Alarm wegen eines bedrohlichen Austrocknens des Jordans und dem gefährlichen Absinken des Meeresspiegels des Toten Meeres. Die Gewässer der Zuflüsse des See Genezareth aus Israel, Libanon und Syrien werden im wichtigsten Süßwasserreservoir Israels gestaut. Gemäß internationalen Verträgen muss Israel einen Teil dieses Wassers nach Jordanien und in die palästinensischen Gebiete pumpen. Für den Jordan selber bleibt nicht mehr viel übrig, sodass in dem Grenzfluss vor allem Abwässer aus Israel und Jordanien in Richtung Totes Meer fließen.

Im nördlichen Teil des Toten Meeres ist der Meeresspiegel in den vergangenen zwanzig Jahren allein um 10 Meter gesunken. Vom "Strand" aus müssen Touristen und Badegäste mit kleinen Eisenbahnen kilometerweit zum Wasser des Toten Meeres gefahren werden. Gespenstisch ragen Landebrücken in den Himmel. Noch vor wenigen Jahren konnten an ihnen Ausflugsschiffe anlegen.

Drei Gründe gibt es für den Rückgang des tiefsten und salzigsten Meeres auf der Erdoberfläche. Der Jordan und andere Zuflüsse werden gestaut, um den Winterregen für die Landwirtschaft zu nutzen. Die Verdunstung in der extremen Hitze sorgte für einen beschleunigten Wasserverlust, ohne dass im Winter Ersatz käme. Und schließlich pumpen die jordanischen wie israelischen Pottaschewerke große Mengen Wasser im Süden ab, um aus dem mineralhaltigen Wasser kostbare Mineralien zu gewinnen, von Pottasche als Düngemittel über Magnesium für Volkswagenmotoren und bis hin zu Uranium für einen nicht weiter bekannten Gebrauch in Israel.

Der bedrohliche "Tod" des Toten Meeres hat in jüngster Zeit wieder grandiose Projekte aufleben lassen, wie sie sich schon der Prophet des jüdischen Staates, Theodor Herzl, vor über hundert Jahren erdacht hat und die seit Beginn des Friedensprozesses im Nahen Osten vor etwa zehn Jahren vor allem an finanziellen Hürden gescheitert sind. Israel und Jordanien reden inzwischen wieder über die Möglichkeit, durch die Arawa-Senke Wasser vom Roten Meer bei Eilat und Akaba zum Toten Meer fließen zu lassen. Entlang der Strecke könnte Strom gewonnen werden. Ebenso sind Strandbäder mitten in der Wüste angedacht. An der Verwirklichung dieser Ideen scheitern vor allem die Finanzen. Ulrich W. Sahm

Victor Batarseh ist Bethlehems neuer Bürgermeister

Mit den Stimmen der islamistisch radikalen Hamas-Organisation hat der 70 Jahre alte PFLP-Mann Victor Batarseh den Posten des neuen Bethlehemer Bürgermeisters erhalten und Hana Nassar abgesetzt. Obgleich in Bethlehem die Moslems mit mindestens 80 Prozent die Mehrheit bilden und seit den Kommunalwahlen die radikale Hamas tonangebend in der Geburtsstadt Jesu ist, hat Präsident Arafat festgeschrieben, dass Bethlehem einen christlichen Bürgermeister haben müsse.

Die PFLP, 1967 von dem christlichen Arzt und Marxisten George Habasch gegründet, betrachtet es als ihr Ziel "ganz Palästina" zu befreien und einen demokratisch-sozialistischen Staat zu gründen. Sie hat mit Arafat gebrochen, als er die Osloer Verträge unterzeichnete, weil das eine implizite Anerkennung des Staates Israel bedeutete.

Die PFLP war 1976 an der Entführung einer Air France Maschine nach Etebbe in Uganda verantwortlich. Bei der Befreiungsaktion der israelischen Luftwaffe kam dabei der Bruder des ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ums Leben. Die PFLP verübte zahlreiche Anschläge in Israel, wobei die Ermordung des israelischen Tourismusministers Rehabeam Zeevi wohl die größten Schlagzeilen in der Welt machte.

In den Tagen vor Weihnachten geben sich die Reporter aus aller Welt die Klinke in die Hand, um in der "Bethlehem Municipality" jenen Mann zu interviewen, der an der Spitze der Geburtsstadt Jesu steht.

Der verstorbene Elias Fredsch und dann der von Arafat ernannte und acht Jahre lang amtierende Hana Nasser wurden in alle Welt eingeladen, weil sie Bürgermeister von Bethlehem waren. Ob auch der neue Mann an der Spitze Bethlehems ohne weiteres für einen Besuch im touristischen Aushängeschild Palästinas werben kann, ist ungewiss. Seit acht Jahren verweigern ihm die Israelis die Einreise. Während der ersten Intifada ab 1987 saß er zwei Mal je drei Tage im israelischen Gefängnis, wegen "politischer Aktivitäten".

Der siebzig Jahre alte Victor Batarseh, am 21. November 1936 in Bethlehem geboren, hat noch nicht einmal eine Visitenkarte "als Bürgermeister". Seinen Lebenslauf muss er erzählen, weil kein aktualisiertes schriftliches Dokument vorbereitet ist. "Sie sind die ersten Journalisten, die mich interviewen", sagt er schüchtern. Im Flur, unter einem überlebensgroßen Arafat-Plakat, sammeln sich Beduinen in schwarzen oder weißen Umhängen und bärtige Männer in grauen und braunen Anzügen, um ihrem frisch gewählten Bürgermeister die Aufwartung zu machen.

Batarseh ist Vater von einer Tochter und zwei Söhnen. Sie leben mit seinen sieben Enkeln in den USA, "haben sich dort aber alle mit Palästinensern verheiratet". Er hat in Ägypten, Paris und London Medizin studiert. Der Hals-, Nasen-, Ohrenspezialist hat das Jerusalemer Regierungskrankenhaus in der Altstadt geleitet, bis es geschlossen und zum Österreichischen Hospiz wurde. Bis vor acht Jahren leitete er das St. Josef Hospital in Jerusalem. Dann haben die Israelis dem Mitglied der "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP) die Einreise nach Jerusalem verboten. "Bis heute habe ich keinen Passierschein und kann Bethlehem nicht verlassen", sagt er an seinem ersten Arbeitstag als Bürgermeister.

2690 Stimmen hat er an der Spitze einer "parteilosen Gruppe" auf sich vereinen können, mehr als die Kandidaten der islamistischen Hamas und der Fatah-Partei. Im 15-köpfigen Stadtrat wurde der Katholik Batarseh mit den Stimmen der Hamas zum Bürgermeister gewählt, obgleich er eigentlich Mitglied einer marxistisch weltlichen Partei ist.

Die palästinensische Autonomiebehörde unter Arafat hat festgelegt, dass der Bürgermeister von Bethlehem ein Christ sein müsse. Wenn ein Katholik Bürgermeister wird, muss ein Mitglied der griechisch orthodoxen Kirche der Stellvertreter werden, oder umgekehrt.

Batarseh sagt: "Politisch links zu stehen bedeutet doch nicht, dass man nicht auch an Gott glauben kann. Sozialismus ist nicht gegen die Religion gerichtet." Am Sonntag sei er "selbstverständlich" in die Kirche gegangen. Seit seiner Kindheit besuche er die St. Katharinenkirche, das katholische Gotteshaus neben der Geburtsbasilika. Aus ihr wird an Weihnachten traditionell die Mitternachtsmesse in alle Welt live übertragen.

Der neue Bürgermeister will seine politischen Ansichten "zuhause lassen" und allein den Bürgern seiner Stadt dienen. Sein wichtigstes Vorhaben sei das Einziehen aller von der palästinensischen Autonomiebehörde nicht ausgezahlten Gelder. "Sowie die ihre Schulden beglichen hat, werden wir keine finanziellen Probleme für Projekte mehr haben." Dringend sei die Errichtung eines Schlachthauses, "weil heute jeder im Hinterhof die Tiere schlachtet". Die Straßen müssten verschönert werden, damit Bethlehem "wie eine moderne Stadt aussieht". Öffentliche Toiletten und Stadtparks seien erforderlich. "Unser Ziel ist es, von den Touristen und Pilgern, die nach Bethlehem kommen, zu profitieren. Doch das geht nur, wenn sie in Bethlehem in den Restaurants einkehren und möglichst auch in unseren Hotels übernachten."

Vier Jahre lang, während der Intifada, wagten sich fast keine Touristen nach Bethlehem. Auch heute können nur arabische Busse den mit Mauer und Barrikaden befestigten Grenzübergang von Jerusalem nach Bethlehem passieren. Jüdischen Israelis ist es aus "Sicherheitsgründen" strikt verboten, palästinensisches Gebiet zu betreten. Touristen, die sich dennoch bis zur Geburtskirche wagen, müssen den Checkpoint zu Fuß passieren, mit Taxifahrern den überhöhten Preis runterhandeln und den fliegenden Andenkenhändler ausweichen, die sich wie Raben auf jeden Ausländer stürzen. Nach einem kurzen Rundgang in den 1700 Jahre alten Gemäuern der ältesten Kirche der Christenheit und einem Gebet am Silberstern, wo einst die Krippe Jesu gestanden hat, verlassen die meisten Touristen wieder Bethlehem, ohne auch nur einen einzigen Cent ausgegeben zu haben. Die meisten, seit dem Millenniumsjahr einheitlich türkisgrün gestrichenen Eisentore der Souvenirläden sind verriegelt.

Obgleich sich die Lage beruhigt hat, steht der neue Bürgermeister Bethlehems vor großen wie schwierigen Aufgaben, zumal gerade er nicht ohne Weiteres mit den Israelis kooperieren kann. Ulrich W. Sahm

Jüdische Totengebräuche

Die Juden glauben an die Auferstehung "am Ende der Tage". Deshalb gibt es die Sitte, einen Toten möglichst mit allen Bestandteilen zu begraben. Das ist der tiefe Grund, weshalb in Israel die Freiwilligenorganisation Zaka entstanden ist. Ihre Mitglieder, alles ultraorthodoxe Freiwillige, haben es sich zur Aufgabe gemacht, nach Anschlägen oder Unfällen alle verstreuten Körperteile einzusammeln und gewissenhaft der "richtigen" Leiche zuzuordnen, damit sie "komplett" begraben werden kann. Das Entfernen eines Körperteils gilt als Leichenfledderei und raubt dem Toten die Möglichkeit der Auferstehung.

Wegen dieser Sitte kennt das Judentum kein Verbrennen der Leichen, wie es in Indien üblich ist oder auch im Christentum. Anders als auf christlichen Friedhöfen, wo nach einigen Jahren das Anrecht auf eine Grabstätte verfällt, bleiben jüdische Gräber "ewiglich" bestehen und dürfen niemals weggeräumt oder für weitere Begräbnisse wiederverwendet werden.

Die Totenruhe ist ein zentrales Motiv des jüdischen Umgangs mit Toten. Niemals darf die Ruhe begrabener Toten gestört werden, was in Israel und zum Beispiel vor dem Bau eines Kaufhauses in Hamburg Ottensen über einem schon von den Nazis verwüsteten jüdischen Friedhof vor einigen Jahren zu Unruhen und Protesten ultraorthodoxer Juden geführt hat. In Israel müssen Straßen verlegt, oder als Brücke über Totenfelder geführt werden, um die Totenruhe nicht zu stören. Es gibt allerdings Ausnahmen. So werden im Ausland gefallene Soldaten nach Israel zurückgeführt. Hier gilt der Grundsatz, dass ein Jude ein "Grab Israels" erhalten sollte, also nach jüdischem Ritus begraben werden sollte. Tote dürfen auch umgebettet werden, wenn ihrem Grab die Zerstörung oder Entweihung droht, etwa durch Überschwemmungen.

Sehr delikat ist die Frage, wie mit den jüdischen Gräbern im Gazastreifen umgegangen werden sollte. Einige Siedler sind gegen eine Exhumierung, obwohl befürchtet werden muss, dass die Gräber unter palästinensischer Herrschaft nicht geschützt und für die Angehörigen nicht zugänglich sein werden. Zur Zeit wird erwogen, das gesamte Grab mitsamt Grabstein mit einem Bulldozer aus der Erde zu heben, und so wie es ist auf einem Friedhof in Israel wieder in der Erde zu versenken.

Wegen des Respekts für die Totenruhe ist es israelischen Archäologen eigentlich verboten, gefundene Knochen zu bewegen oder zu untersuchen. Gelegentlich werden sie daran gehindert, Gräber (selbst von Nicht-Juden, oder Tausende Jahre alte Gräber) zu erforschen. Wenn sie dennoch Gräber finden, werden die Knochen später wieder feierlich begraben.

Die kürzliche Idee, den im ehemaligen KZ Belzec gefundenen Backenzahn eines ermordeten Juden in eine der Stelen des Berliner Holocaust-Mahnmals einzulassen, hätte auch problematische Folgen für lebende Juden. Mitgliedern der biblischen Priesterkaste, also Menschen die heute noch Cohen, Kahn, Katz (Abkürzung für "Cohen Zedek", Gerechter Priester), ist es verboten, einen Friedhof zu betreten oder über Tote zu gehen. Das würde sie rituell verunreinigen. Obgleich es den Tempeldienst nicht mehr gibt, hat ein Cohen eine besondere Stellung beim jüdischen Gottesdienst in der Synagoge. Ein "Cohen" könnte möglicherweise nicht das Stelenfeld in Berlin betreten, wenn es in einen "echten" Friedhof verwandelt würde, und sei es durch die Beerdigung eines einzigen Backenzahnes. Ulrich W. Sahm

Wenn nicht... gäbe es heute 800 Millionen Juden

Wenn es nicht die Vertreibungen, Verfolgungen und Massenmorde an den Juden gegeben hätte, dann könnte es heute in der Welt zwischen 500 und 800 Millionen Juden geben. Aber solche Behauptungen seien so sinnvoll wie schnelles Rechnen auf der Rückseite eines gebrauchten Briefumschlags, meint Professor Sergio Della-Pergola, eine Autorität in Sachen jüdische Demographie. Genau so gut könnte man spekulieren, dass heute in der Welt etwa 120 Millionen Juden existieren müssten, wenn die Menschheitsgeschichte einen etwas anderen Verlauf genommen hätte, sagte er der Zeitung Haaretz.

Della Pergola kommentierte eine neue Broschüre der "Jewish Agency", die in jüdischen Schulen in aller Welt verteilt werden soll, in der die demographische Entwicklung des jüdischen Volkes seit 3000 Jahren nachgezeichnet wird.

Auf dem Höhepunkt des Königreiches Salomos, etwa 1000 vor der Zeitrechnung, lebten im Lande Israel etwa zwei Millionen Juden. In der Zeit Jesu, unmittelbar vor der Zerstörung Jerusalems durch die Römer, erreichte die Zahl der jüdischen Bewohner im Heiligen Land die Rekordzahl 4,5 Millionen. Es dauerte fast 2000 Jahre, bis es im Lande Israel wieder so viele Einwohner gab, Ende des 19. Jahrhundert.

Während des Mittelalters, vom 6. Jahrhundert bis 17. Jahrhundert sei die Zahl der Juden weltweit relativ konstant geblieben bei etwa einer Million. 1939, vor Beginn des Holocaust, gab es eine Rekordzahl: 16,6 Millionen Juden weltweit. 1945 waren nur noch etwa 10 Millionen verblieben. Seit dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der Juden wieder und bleibt seit Jahrzehnten konstant bei etwa 13 Millionen weltweit. Die demographische Vermehrung der Juden in Israel gleiche den Rückgang der im Rest der Welt lebenden Juden aus.

Della Pergola sagt, dass die Zahlen für das Altertum unzuverlässige Schätzungen aufgrund schriftlicher Quellen seien. Die Bibel und römische Autoren, deren Zuverlässigkeit angezweifelt werden müssten, dienten ihm als Grundlage. So habe es vielleicht 600.000 Juden vor Solomo in der Zeit des Auszugs aus Ägypten gegeben. Das berichtet die Bibel, aber manche Wissenschaftler zweifeln, ob es überhaupt jenen Exodus unter Moses gegeben habe. Obgleich manche biblische Geschichten ins Reich der Mythen gehören, so della Pergola, weise die Bibel insgesamt eine "innere statistische Logik" auf.

Der Experte benutzt als Beispiel die Geschichte des Jakob, der zusammen mit 70 Männern nach Ägypten zog. 430 Jahre später seien nach Angaben der Bibel 600.000 Männer aus Ägypten ausgezogen. Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 40 Jahren und sechs Kindern pro Ehepaar könne die Zahl ungefähr stimmen.

Aus der Zeit Jesu gebe es eine Fülle von Informationen, etwa durch den Historiker Josephus Flavius und dank der römischen Volkszählungen. Im Mittelalter habe die Verbreitung von Juden der Ausbreitung des Islam entsprochen, vom heutigen Irak und bis zur iberischen Halbinsel, dem heutigen Spanien. Erst ab dem 12. Jahrhundert hätten sich die Juden über Frankreich bis nach Deutschland ausgebreitet. Zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert sei Osteuropa das größte jüdische Ballungsgebiet gewesen. Sie seien von Deutschland ("Aschkenas") und über den Balkan nach Osteuropa gelangt und hätten sich "mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit natürlich vermehrt".

Nach dem zweiten Weltkrieg sei Israel wieder zunehmend das demographische Zentrum der Juden in der Welt geworden und laufe schon bald den USA den Rang ab. Neuere Untersuchungen hätten ergeben, dass es in den USA mit heute 5,2 Millionen eine halbe Million weniger Juden gebe, als ursprünglich erwartet. Als Grund für den Rückgang der jüdischen Bevölkerung in den USA gibt dela Pergola "geringe Fruchtbarkeit und fast 50 Prozent Mischehen" an.

Andererseits könnte man aber auch von 9 Millionen Juden in den USA reden, wenn man alle Personen mitrechnet, die in Haushalten mit mindestens einem Juden leben. Diese Zahl sei "minimalistisch", wenn man versuche, die Zahl der zur Einwanderung nach Israel (aufgrund des so genannten "Rückkehrgesetz für Juden") berechtigten Amerikaner zu ermitteln. Gemäß dem "Rückkehrgesetz" können auch nichtjüdische Ehepartner und deren Kinder nach Israel einwandern. Ulrich W. Sahm

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