Beduinenschüler fahren nach
Auschwitz
Beduienenfrauen demonstrieren
Zum ersten Mal werden unter den Schülern, die Auschwitz
und die ehemaligen Konzentrationslager in Polen besuchen, auch Beduinenschüler
sein. Das Erziehungsministerium willigte ein, eine Gruppe von 16 Schüern
aus verschiedenen Beduinenschulen im Negev in das Programm mit aufzunehmen.
Die Initiative dazu geht von jüdischen und arabischen Kreisen aus,
die versuchen, die Spannungen zwischen Beduinen und jüdischer Bevölkerung
abzubauen.
Die Intiatoren des Plans versprechen sich von dem Besuch
eine größere Offenheit beider Gesellschaften gegenüber
der anderen. Die Beduinenschüler werden etwas über das jüdische
Trauma an der Stelle der Welt erfahren, die den Tiefpunkt des jüdischen
Leidens in der Neuzeit symbolisiert. Die jüdische Öffentlichkeit
wird von der Offenheit der beduinischen Bevölkerung, sich mit dieser
Geschichte auseinanderzusetzen, ihrerseits beeindruckt sein.
Die beduinische Führung steht dem Unternehmen positiv
gegenüber. Der Bürgermeister der Beduinenstadt Rahat, Talal
al Krinawi, hat von sich aus angeboten, jeden Schüler, der nach Polen
fährt, mit umgerechnet 180 Euro zu unterstützen. 350 Euro gibt
das Erziehungsministerium dazu und ca. 400 Euro müssen die Eltern
der Schüler auftreiben.
Abu Siam, dessen Töchter Habil und Amir für
die Reise ausersehen sind, sagte der Zeitung Haaretz gegenüber, dass
er das Unternehmen voll und ganz unterstütze. "Ich glaube, es
ist wirklich wichtig", sagte Abu Siam, "dass sie fahren und
genau sehen, was dem jüdischen Volk im Holocaust pqssiert ist, damit
sie verstehen lernen, was einer Minderheit von einer aggressiven Mehrheit
angetan werden kann, und dass die Welt dazu schweigt."
*
Frauen aus der Beduinensiedlung Lakija haben gegen die
Inbrandsetzung einer Textilverabeitungsfabrik protestiert, wo 165 Frauen
beschäftigt waren. Als Brandstifter vermutet die Polizei junge Beduinen,
die gegen das Arbeiten von Frauen außer Hauses sind. Die Fabrik
ist die größte Beschäftigungsstätte für Beduinenfrauen.
Sie wurde von der Gesellschaft zur Förderung des Status von Frauen
eingerichtet. Sie stellt klassische Beduinen-Textilien her, die meist
in Museen verkauft werden.
Die Gesellschaft zur Förderung des Status von Frauen
unterhält auch den einzigen Kindergarten in der Siedlung, ebenso
eine mobile Leihbibliothek für mehr als 400 Kinder und ein Ausbildungsprogramm
für junge Frauen. Über 85 Prozent der Beduinenfrauen sind ohne
Arbeit. Auf der Protestversammlung sprachen auch Männer, unter anderem
der Parlamentsabgeordnete aus Lakija, Taleb al Sana. Er geißelte
die Rückständigkeit der (männlichen) Beduinengesellschaft.
Der Vater der Vorsitzenden der Gesellschaft, Karim al-Sana, verurteilte
den Abstieg der Beduinengesellschaft in Räuberei und Zuhälterei,
was es früher nicht gegeben habe. Michael Krupp
Araber akzeptieren keinen zionistischen
jüdischen Staat
70 Prozent der in Israel lebenden Araber bekennen sich
zu dem Satz: "Israel in den Grenzen von 1967 hat ein Existenzrecht
als jüdischer Staat, in dem Juden und Araber gleichberechtigt zusammenleben."
Aber nur 13,8 Prozent sind bereit, einen zionistischen Staat zu akzeptieren.
Dies ist das Ergebnis einer Umfrage des arabisch-jüdischen Zentrums
der Universität Haifa unter der Leitung von Sami Smooha. Andererseits
sind 75 Prozent der Juden in Israel bereit, die Araber als vollberechtigte
Bürger zu akzeptieren, nicht aber, wenn sie sich als "palästinensische
Araber" in Israel bezeichnen.
Smooha zeigte sich von dem Ergebnis, dass die Mehrheit
der Araber in Israel einen jüdischen Staat zu akzeptieren bereit
ist, überrascht. Er interpretierte die Ablehnung des zionistischen
Charakters dahin, dass die Araber gegen eine Bevorzugung von Juden bei
Einwanderung und Eingliederung sind. Die Mehrheit der Araber habe akzepotiert,
dass sie in einem vorwiegend jüdischen Staat leben. Die Gleichheit
der Rechte der Araber werde aber durch zionistische Tendenzen des Staates
eingeschränkt.
Die Akzeptanz der Araber durch die Mehrheit des jüdischen
Bevölkerungsteils, aber die Ablehnung palästinensisch-arabischer
Ambitionen wertete Smooha dahin gehend, dass Juden Araber dann akzeptieren,
wenn sie keine nationalen Ansprüche haben, sondern den zionistischen
Charakter Israels als Staat für alle Juden in der Welt anerkennen.
Die Umfrage erstreckte sich auf 700 Juden und 700 Araber von 18 Jahren
aufwärts. Michael Krupp
Die israelische Post weiß,
wo Gott wohnt
Die israelische Post stellt einmal im Jahr Post zu, die
an Gott, den Heiligen Geist oder den Messias adressiert ist. Sie steckt
sie in die Ritzen der Westmauer des Tempelplatzes, der sogenannten Klagemauer.
Bei der Zeremonie war der Generaldirektor der Post, Yossi Sheli, und der
Rabbiner der Mauer, Shmuel Rabinowich persönlich anwesend. Tausend
Briefe sind es ungefähr im Jahr, sagte der Sprecher der Post, Itzhak
Rav Yihiya. Was mit den anderen Briefen geschieht, die an Jesus und Santa
Klaus addressiert sind, sagte der Sprecher nicht.
Der Brauch, die Briefe in die Klagemauer zu stecken, soll
auf einer Legende basieren, die die Postangestellten sich erzählen.
Früher habe man die Briefe geöffnet, um sie vielleicht doch
zustellen zu können. Dabei sei ein Brief gewesen, der so herzergreifend
gewesen sei, dass die Postbeamten Mitleid bekommen hätten. Der Briefschreiber
sei so verzweifelt gewesen, dass ihm 5000 Schekel (umgerechnet ca. 1000
Euro) fehlten, um seine Schulden zu bezahlen. So bat er Gott, ihm das
Geld zu schicken.
Die Postbeamten sammelten unter sich und bekamen 4300
Schekel zusammen, die sie dem Mann anonym in einem Umschlag schickten.
Nach einiger Zeit kam wieder ein Brief von dem Mann bei der Post an Gott
addressiert an, ein Dankesbrief wie die Beamten feststellten, aber mit
einer Beschwerde. In dem Schreiben bat er Gott, beim nächsten Mal
das Geld nicht per Post zu schicken, denn die Postbeamten seien nicht
zuverlässig und hätten 700 Schekel gestohlen.
Danach habe man beschlossen, die Briefe ungeöffnet
in die Ritzen der Klagemauer zu stecken zusammen mit den abertausenden
Bittgesuchen, die die Beter dort täglich hinterlassen. Seitdem diese
Praxis bekannt wurde, habe der Strom der Briefe, jetzt an Gott in der
Klagemauer gerichtet, zugenommen, sagte der Sprecher. Was die Leute so
schreiben, könne man nicht wissen, aber wahrscheinlich dasselbe,
was frühere Briefe enthielten, Bitten um ein besseres Leben, Bitte
um Vergebung, um Geld und Liebe. Michael Krupp
Versuch in Israel ein Synhedrion
zu gründen
In Israel ist ein erneuter Versuch unternommen worden,
das Synhedrion, den obersten Rat von 71 Rabbinern zur Festlegung des Religionsgesetzes,
neu zu gründen. Zum provisorischen Vorsitzenden wurde der Talmudgelehrte
Adin Steinsalz gewählt. Das Synhedrion soll auch über die Wiedererrichtung
des jüdischen Tempels bestimmen. Die Aussichten für die Errichtung
des Synhedrions werden aufgrund der Zersplitterung im religiösen
Lager als schlecht bezeichnet.
Das Synhedrion war zur Zeit des Zweiten Tempels und bis
zum Jahr 429 n.Chr. das wichtigste Gremium der Juden für die Selbstverwaltung
in Palästina. An der Spitze standen die Patriarchen des Hauses Hillel.
Hillel hat kurze Zeit vor Jesus gelebt und hat die Lehre Jesu bedeutend
beeinflusst. Das Patriarchat und damit das Synhedrion wurde von den Byzantinern
zwangweise aufgelöst. Bestrebungen, es wieder zu beleben, gab es
mehrfach in der Geschichte. Die wichtigsten Versuche fanden im 16. Jahrhundert
in Sefat, dem damals geistigen Zentrum des Judentums, statt und Anfang
des 19. Jahrhunderts in Frankreich durch Napoleon. Alle diese Versuche
sind am Widerstand einzelner Rabbinen gescheitert.
Da die Initiatoren auch heute mit heftigem Widerstand
von verschiedener religiöser Seite rechnen, haben sie sich geweigert,
Namen von Rabbinen, die bereit sind, im Synhedrion mitzuwirken, bekannt
zu geben. Lediglich einige Namen der Initiatoren sind veröffentlicht
worden. So gehören zu den Begründern der Idee Rabbi Nachman
Kahane, der Bruder des ermordeten Rechtsradikalen Meir Kahane, Rabbi Dov
Lavanon, ein Lubawitzer Chassid und Direktor eines Instituts des Tempeldienstes
in Jerusalem, sowie Rabbi Joel Schwartz, Begründer einer Miltäreinheit
ultraorthodoxer Juden und Verfasser von 200 Büchern. Der Bekannteste
ist zweifellos Rabbi Adin Steinsalz, Bearbeiter des baylonischen Talmuds
und Vorsitzender mehrerer Talmudinstitute. Von dem modernen Kommentar
zum Talmud sind inzwischen 36 Bände erschienen. Michael Krupp
Der Teich von Siloah mit Sicherheit
identifiziert
In einem Vortrag vor dem deutschen archäologischen
Institut in Jerusalem hat Ronny Reich, Professor für Archäologie
an der Universität Haifa, nachgewiesen, dass die große Bauanlage
südlich des Siloah Teiches, die im vorigen Jahr entdeckt und inzwischen
weiter ausgegraben wurde, in Wirklichkeit der echte Siloah Teich aus der
Zeit Jesu ist, während der bisher als Siloah Teich bekannte Ort aus
byzantinischer Zeit stammt.
Reich ist der Leiter der Ausgrabungen in der sogenannten
Davidstadt, des alten Jerusalems, das König David erobert hatte und
das heute vor den Mauern der Altstadt im Süden der Stadt liegt. Eine
der Hauptattraktionen dieses Stadtteils ist der Siloah Teich, der schon
im Alten Testament erwähnt wird und mehrfach im Neuen Testament,
so im neunten Kapitel des Johannesevangeliums, wo Jesus einen Blinden
zur Heilung zum Teich Siloah schickt. Der Siloah Teich ist eine künstliche
Anlage am Ende des Hiskiatunnels, der die Wasser der Gihonquelle, der
einzigen Quelle Jerusalems, in den ummauerten Teil der Stadt führte.
Bei Reparaturen der Straße südlich des Siloah
Teiches waren Treppen entdeckt worden, die die Archäologen als einen
Teil des ursprünglichen Siloah Teiches identifizierten. Im Mörtel
zwischen den Stufen wurden einige Münzen gefunden, die aus der Zeit
des ersten vorchristlichen Jahrhunderts stammen. In dieser Zeit wurde
die Anlage, die zur Zeit Jesu bestand, angelegt. Reich vermutet, dass
unter dieser Anlage der Teich des Hiskia gewesen sein dürfte, aber
bisher konnten keine weiteren Ausgrabungen vorgenommen werden, weil das
Gelände der griechisch-orthodoxen Kirche gehört. Bisher konnte
nur ein Teil der Treppen ausgegraben werden.
Zum letzten Mal wurde der Teich vor dem Aufstand gegen
Rom gesäubert, wie es Münzen aus dem 2. bis 4. Aufstandsjahr
belegen, 67-69 n.Chr. Danach ist der Teich durch die starken Winterregen
zugeschwemmt worden, so dass seine Lage vergessen wurde. Nach der Christianisierung
des römischen Reiches und dem Bau der byzantinischen Kirchen an den
heiligen Stätten der Christenheit durch die Kaisermutter Helena im
vierten nachchristlichen Jahrhundert wurde auch der Teich Siloah mit einer
Kirche versehen, nur nicht an der historischen Stätte, weil deren
exakte Lage in Vergessenheit geraten war. Der Ort, der bislang als der
Teich Siloah galt, ist ein Teil dieser byzantinischen Kirche.
Der ursprüngliche Teich Siloah war weit größer
als der byzantinische Teich. Er wird heute ganz ausgefüllt von einem
Obstgarten, der der griechisch-orthodoxen Kirche gehört. Reich hofft,
das ganze Areal einmal mit Zustimmung der Kirche ausgraben zu können,
um so auch eine weitere touristische Attraktion für Jerusalem zu
schaffen.
Die öffentlichen monatlichen Vorträge im deutschen
archäologischen Institut sind eine Neuereung und wurden durch den
jetzigen Leiter des Instituts, Michael Heinzelmann, vor einem Jahr eingeführt.
Hier treffen sich deutsche und israelische Archäologen und ein an
Archäologie interessiertes Publikum, sowie die Mitarbeiter der anderen
ausländischen archäologischen Institute in der Stadt. Dadurch
bekommt das deutsche archäologische Institut wieder eine angesehene
Rolle, wie sie es zur Zeiten seiner Gründung, durch den bekannten
Archäologen Gustaf Dalman zu Anfang des 20. Jahrhunderts, inne gehabt
hat. Michael Krupp
Die Shoah-Rolle - eine jüdische
Liturgie für den Holocaust-Tag in Israel
Die konservative Bewegung des Judentums hat als erste
religiöse jüdische Gruppe ein Liturgieformular für die
Gestaltung eines Gottesdienstes zum Holocausttag herausgegeben. Der Holocausttag
fällt in Israel auf den 27. Nissan, dem Tag der Niederschlagung des
Warschauer Aufstandes, in diesem Jahr war dies der 5. Mai.
Die Liturgie hat den Namen "Megillat hashoah",
die Shoah-Rolle, ähnlich wie es andere Rollen für Feste und
Gedenktage im Judentum gibt, wie die Esther-Rolle für das Purimfest.
Die Shoah-Rolle wurde von dem Professor für Literatur an der Hebräischen
Universität Jerusalem, Avigdor Shinan, zusammengestellt.
Im Vorwort schreibt der Vorsitzende des konservativen
Judentums, Rabbiner Reuven Hammer: "Wir dürfen nicht sagen oder
lehren: Der Holocaust war der Wille Gottes oder eine Strafe, die Gott
über uns verhängt hat - es mag sein, dass wir keine Antwort
auf die Mysterien der Shoah haben, aber es gibt Antworten, die wir radikal
ablehnen müssen."
Ähnlich wie die Liturgie zum Passahfest beginnt die
Shoah-Rolle mit der Aufforderung: "Das neue Gebot jüdischen
Lebens ist, dass ein jeder von uns sich so ansehen muss, als habe er selber
mit eigenem Fleisch die Shoah erlebt."
Die Shoah-Rolle besteht aus 6 Kapiteln, entsprechend den
6 Millionen jüdischen Opfern des Holocaust. Eins der Kapitel enthält
die Zeugenaussage eines jungen jüdischen Häftlings, der gezwungen
war, Leichnamen, darunter dem seines Bruders, die Goldzähne herauszunehmen,
und die eines jungen Christen, der sich in das Ghetto Warschau schlich
und berichtet, was er dort erlebte und sah.
Die Rolle berührt auch die zentrale theologische
Frage, wo war Gott im Holocaust. Hier heißt es: "War die Sache
im Himmel bekannt? War das von dem allbarmherzigen Gott so beschlossen?
- Da ist keine Stimme und keine Antwort, nur ein zum Himmel schreiendes
Schweigen. - Fragen, die, wenn sie auch keine Antwort haben, gestellt
werden müssen."
Die Rolle schließt mit der Aufforderung: "Trauere
nicht zu viel, verfalle aber auch nicht in die Vergesslichkeit der Apathie.
Lass die Tage der Finsternis nicht zurückkehren - schreie, aber wische
ab die Tränen. Erbarme dich nicht und vergesse nicht, versuche nicht
zu verstehen, lerne zu leben ohne die Antwort: Durch dein Blut sollst
du leben." Michael Krupp
Verstärkte christliche Mission
unter Einwanderern aus den GUS
Christliche Missionare haben missionarischen Erfolg unter
den Einwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion. Eitan Shishkoff, Leiter
der messianischen Gemeinde in Kiryat Yam bei Haifa, bezifferte die Zahl
der Judenchristen, in Israel messianische Juden genannt, auf 10.000, 70
Prozent davon seien Russisch sprechend. Vor zehn Jahren gab es nach Angaben
der judenchristlichen Gemeinden lediglich 2400 Judenchristen in Israel.
Shishkoff sagte, es gäbe heute 80 Gemeinden von Judenchristen in
ganz Israel. Die Umgangssprache der meisten Gemeinden sei Russisch.
Die jüdische Organisation Yad L'Achim, die versucht,
die Mission unter Juden in Israel zu bekämpfen, bestätigte die
Angaben über die Zahl der Judenchristen in Israel, kennt aber nur
40 Gemeinden. Nach Meinung von Yad L'Achim konzentriere sich die Mission
auf die Neueinwanderer, weil diese nur schwache Beziehungen zum Judentum
hätten. Sie bezichtigte die Missionare, mit materiellen Angeboten
Proselyten zu machen. Shiskoff wies diesen Vorwurf zurück. Bekehrung
Andersgläubiger mit materiallen Angeboten ist in Israel strafbar.
Mission an sich ist erlaubt. Michael Krupp
"Auge um Auge" im Iran
Ein Gericht in Iran hat beschlossen, einem Mann beide
Augen zu entfernen, weil er vor zwölf Jahren jemandem im Basar eine
Flasche Säure ins Gesicht geworfen hat und jener daraufhin erblindete.
Der Täter war 16 Jahre alt und behauptete bei seinem Prozess, dass
die Säure "irrtümlich" seinem Opfer ins Gesicht geflossen
sei.
Wie die israelische Zeitung Jedijot Achronot unter Berufung
auf Agenturberichte schreibt, habe sich der Richter auf das Prinzip "Auge
für Auge" im islamischen Religionsgesetz gerufen. Das Gericht
habe jedoch "Milde" walten lassen. Dem Täter solle zur
Strafe nicht Säure ins Gesicht gespritzt werden, weil das auch andere
Teile seines Gesichts treffen könnte. Ihm sollen lediglich operativ
beide Augen entfernt werden.
Die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty
International hat schon mehrmals gegen solche Praktiken öffentlich
protestiert, so zum Beispiel im Jahr 2000, als einem Mann das Augenlicht
entfernt werden sollte. Amnesty wandte sich an die Ärzte, solche
Operationen zu verweigern.
Die islamische Interpretation des ursprünglich biblischen
Verses "Auge für Auge" widerspricht dem biblischen und
jüdischen Verständnis dieses Rechtsprinzips. In der Bibel heißt
es, dass ein Herr, der seinem Sklaven das Auge ausschlägt, sein Opfer
mit der Entlassung in die Freiheit entschädigen müsse. Da er
seinen Sklaven verliert, bedeutet das Rechtsprinzip "Auge um Auge"
eine Geldstrafe für den Täter und eine Entschädigung für
das Opfer: Freiheit. Der Spruch hat nichts mit Rache oder Vergeltung zu
tun. Ulrich W. Sahm
Russland will das Judentum "verbieten"
Scharfe Proteste löste eine Klage des russischen
Oberstaatsanwalts, Vladimir Ustinov, aus, der das jüdische Gesetzeskompendium
"Schulchan Aruch" (Gedeckter Tisch) auf "Hetze gegen Nicht-Juden"
prüfen lassen will und in diesem Rahmen dann auch die jüdische
Religion und alle jüdischen Organisationen für "außergesetzlich"
erklären lassen will.
Der "Schulchan Aruch" wurde im 16. Jahrhundert
von Rabbi Josef Karo verfasst. Karo wurde 1488 im spanischen Toledo geboren
und im Rahmen der Inquisition 1492 aus Spanien vertrieben. Sein Werk zählt
zu den wichtigsten Heiligen Schriften des Judentums. Das 1565 erstmals
in Venedig gedruckte Kompendium ist eine klassische Sammlung jüdischer
Religionsgesetze.
Die Initiative des russischen Oberstaatsanwalts wurde
in der Zeitung Iswestja veröffentlicht, erhielt und erhielt große
Aufmerksamkeit in jüdischen Kreisen als der Generaldirektor des Kongresses
der orthodoxen jüdischen Gemeinden, Zinovi Kogan, zu einem ersten
"Verhör" in der Angelegenheit vorgeladen wurde. Kogan wurde
gefragt, wer hinter der Verbreitung einer russischen Übersetzung
des "Schulchan Aruch" stecke.
In Israel lösten diese "präzedenzlos schlimmen"
Nachrichten größte Bestürzung aus. Das israelische Außenministerium
will zu diesen Vorfällen nicht schweigen, und "sieht mit großer
Sorge die Haltung der russischen Behörden angesichts des grassierenden
Antisemitismus in Russland". Israel werde "unermüdlich
gegen diesen Schandfleck ankämpfen, der gegen das jüdische Volk
und eine seiner Heiligen Schriften" vom russischen Oberstaatsanwalt
ausgesprochen worden sei. Das israelische Außenministerium stellte
fest, dass es in Russland eine starke Zunahme von Attacken auf jüdisches
Eigentum und Juden gebe sowie vermehrt antijüdische Internetseiten
auf russisch.
Die Affäre löste in Russland eine öffentliche
Diskussion aus. Alexander Borode, Sekretär der Vereinigung jüdischer
Gemeinden, sagte der russischen Nachrichtenagentur: "Wir sind erschüttert
über die Prüfung von Büchern aus dem 16. Jahrhundert, die
längst zum Erbe jüdischer Kultur geworden sind. Das zeugt von
der Kurzsichtigkeit der Staatsanwaltschaft."
Alles begann schon im Januar, als reaktionäre Zeitungen
einen Aufruf an den Staatsanwalt veröffentlichten, alle jüdische
Organisationen wegen "Hetze und internationaler Aufstachelung"
zu überprüfen. In dem Aufruf wurden auch antisemitische Ritualmordgeschichten
vom Beginn des vorigen Jahrhunderts aufgewärmt "die alle von
Gerichten bestätigt" worden seien. Mit Zitaten aus dem "Schulchan
Aruch" und anderen jüdischen Schriften aus verschiedenen Jahrhunderten
begründeten sie die Ansicht, dass das Judentum eine "rassistische
Religion" sei, die gegen Nicht-Juden hetze. Unter den 500 Unterzeichnern
des Aufrufs befinden sich 20 nationalistische Abgeordnete der Rodina-Partei,
die sich gleichzeitig als "sozialistisch" bezeichnet. Letztlich
fordert der Aufruf, das Judentum zu "verbieten".
Der Vorsitzende der Rodina-Partei, Dimitri Rogozin, distanzierte
sich von den "antisemitischen Ausfällen" einiger Parteimitglieder
und schrieb an den Moskauer Oberrabbiner, Pinhas Goldschmidt, dass "theologische
Schriften ungeeignet seien für ein Gerichtsverfahren". Zu Haaretz
sagte der Rabbiner, dass der Brief ihn erfreut habe, dass er aber von
Rogozin disziplinarische Verfahren gegen die Unterzeichner verlange. Die
Staatsanwaltschaft verweigerte der jüdischen Gemeinde, ein Verfahren
gegen den antisemitischen Aufruf und seine Unterzeichner einzuleiten.
Die Staatsanwaltschaft in Moskau hat inzwischen beschlossen,
das mittelalterliche jüdische Kompendium zum Religionsgesetz, "Schulchan
Aruch" doch nicht im Hinblick auf Hetze gegen Nicht-Juden zu untersuchen.
Der vom israelischen Rundfunk gemeldete Rückzieher der Staatsanwaltschaft
folgt weltweiten jüdischen Protesten und auch israelischer Empörung
über einen "russischen Rückfall in finsterste antisemitische
Zustände" wie es Beamte des israelischen Außenministeriums
formuliert hatten. Ulrich W. Sahm
Starker Antisemitismus in Europa
"Millionen Europäer halten immer noch an antisemitischen
Stereotypen fest", zitiert die israelische Zeitung Jedijot Achronot
den Direktor der amerikanischen Anti-Diffamation-League (ADL), Abraham
Foxman. Die ADL hat im Vorfeld einer Fortsetzungssitzung der OSZE im spanischen
Cordoba Anfang Juni, wo erneut über die weltweite Bekämpfung
des Antisemitismus beraten werden soll, unter 6000 Europäern aus
zwölf europäischen Ländern, darunter Deutschland, Österreich,
Schweiz, Italien und Polen, eine Umfrage mit sechs einschlägigen
Fragen durchgeführt. Die Fragen enthielten typische antisemitische
Vorurteile, etwa ob Juden gegenüber Israel loyaler seien als gegenüber
ihrem Heimatland, ob sie in der Wirtschaft oder auf den Finanzmärkten
zuviel Macht besässen. Ebenso wurde gefragt, ob die Juden "zuviel
über den Holocaust reden" und ob sie für den Tod Christi
verantwortlich seien. Die Befragten, jeweils 500 Erwachsene pro Land,
sollten mit "falsch" oder "richtig" antworten.
In die Fragen eingebaute antisemitische Stereotypen entsprechen
einem Katalog antisemitischer Vorurteile, wie sie die europäische
Beobachtungsstelle für Rassismus, EUMC, im Januar ausgearbeitet hat.
Sie wurden kürzlich von diesem Korrespondenten entdeckt und veröffentlicht
[siehe Seite 3]. Es handelt sich um einen ersten Versuch, klare Kriterien
für eine Definition des Antisemitismus zu formulieren, die bindend
für alle europäischen Länder bei der Erfassung antisemitischer
Vorfälle benutzt werden sollen. Dieser Katalog soll in Cordoba diskutiert
werden.
Die Befragung der ADL ergab, dass sich die antisemitischen
Gefühle in Europa seit 2004 um deutliche zehn Prozent verstärkt
hätten. Vor allem in Deutschland und Italien (43 Prozent) herrscht
die Meinung vor, dass die Juden Israel gegenüber loyaler seien als
ihrem Staat. In ganz Europa sind durchschnittlich ein Drittel der Befragten
der Meinung, dass die Juden zuviel Macht in der Wirtschaft und auf den
internationalen Finanzmärkten hätten. Die Meinung, dass Juden
"zuviel über den Holocaust reden", teilen weit über
40 Prozent der Europäer, 46 Prozent der Österreicher, 48 Prozent
der Deutschen (2004 waren sogar 56 Prozent dieser Meinung), und 52 Prozent
der Polen.
Der klassische Gottesmordvorwurf, die Vorstellung, dass
die Juden für die Kreuzigung Jesu verantwortlich seien, hält
sich bei durchschnittlich 20 Prozent der Befragten in Europa. In Deutschland
sind es konstante 18 Prozent und in England 20 Prozent. In Spanien ging
dieses Vorurteil von 23 Prozent (2004) auf 20 zurück. In Dänemark
gab es einen drastischen Anstieg von 18 auf 22 Prozent. Allein in den
eher katholischen Ländern Frankreich und Italien verliert dieser
uralte Vorwurf an Anhängern mit einem deutlichen Rückgang auf
nur noch 13 und 14 Prozent von 15 und 19 Prozent im Jahr 2004. Ulrich
W. Sahm
Neue demografische Zahlen
Amerikanische und israelische Demografen vermuten aufgrund
von Angaben des palästinensischen Innen- und des Gesundheitsministeriums,
dass es im Gazastreifen und im Westjordanland nur 2,4 Millionen Palästinenser
gibt und nicht 3,8 Millionen, wie angenommen.
Nach Angaben der Forscher sei die höhere Zahl bei
einer Volkszählung vor etwa zehn Jahren ermittelt und 1997 von der
palästinensischen Autonomiebehörde veröffentlicht worden.
Der ursprünglich schon im Januar in Washington veröffentlichte
Report wurde kürzlich im israelischen Parlament vorgestellt.
Das meldet die israelische Zeitung Jedijot Achronot. Demographie
spielt im Nahostkonflikt eine große Rolle. So hat die Masseneinwanderung
von über einer Million russischer Juden vor etwa 15 Jahren den Israelis
ein Gefühl der Sicherheit gegeben. Das schnelle natürliche Wachstum
der palästinensischen Gesellschaft und die möglicherweise übertriebene
Anzahl der Palästinenser von 3,8 Millionen wurde als eines der Hauptargumente
für einen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten, eine Aufgabe
der Siedlungen, die "Abtrennung" und die Errichtung eines palästinensischen
Staates verwendet. Nur so könne Israel seinen jüdischen Charakter
beibehalten, ohne von einer arabischen Mehrheit überrollt zu werden.
Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass sowohl die hohe wie auch
die niedrige Zahl der zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer lebenden
Palästinenser politisch motiviert und deshalb nicht echt sind.
Die amerikanischen Forscher geben an, dass die vermutete
Vermehrung der palästinensischen Bevölkerung um vier bis fünf
Prozent seit 1997 nicht erreicht worden ist. Anstelle einer vorhergesehenen
Einwanderung in die palästinensischen Gebiete habe es eine Abwanderung
von 10.000 Menschen pro Jahr gegeben. Die 210.000 Jerusalemer Araber seien
bei der Volkszählung doppelt gezählt worden. Mitgerechnet wurden
Palästinenser, die über ein Jahr lang im Ausland leben und etwa
150.000 Palästinenser, die seit 1993 legal nach Israel umgezogen
seien.
Nach den Wahlen in den palästinensischen Gebieten
im Januar 2005 stellte sich heraus, dass etwa 200.000 Palästinenser
im Ausland leben und dass es nur 1,3 Millionen wahlberechtigte Palästinenser
gebe. Von den jetzt errechneten 2,4 Millionen Palästinensern leben
1,35 im Westjordanland und 1,07 im Gazastreifen. Ulrich W. Sahm
Umweltkatastrophen in Israel
Etwa 80 Prozent von einer der schönsten und berühmtesten
israelischen Naturschutzgebiete ist abgebrannt: Nahal David, der Davidfluss
in Ein Geddi am Toten Meer. Die Oase inmitten der Wüste war jener
Ort wo sich König David versteckte, als er sich vor Absalom versteckte.
Felshasen und Steinböcke, sogar die letzten Tiger des Heiligen Landes
in freier Wildbahn sind heimisch in dieser grünen und üppigen
Oase, einer der angenehmsten Touristenattraktionen Israel, wo man es trotz
extremer Hitze wegen des fließenden Wassers immer gut aushalten
konnte. Wegen der gebirgigen Gegend hätten Löschflugzeuge keinen
guten Zugang zu der Oase gehabt, als kürzlich in Flammen aufging.
Die Polizei vermutet, dass eine unachtsam weggeworfene Zigarette den Brand
ausgelöst habe.
Dieser Tage schlagen grüne Organisationen auch Alarm
wegen eines bedrohlichen Austrocknens des Jordans und dem gefährlichen
Absinken des Meeresspiegels des Toten Meeres. Die Gewässer der Zuflüsse
des See Genezareth aus Israel, Libanon und Syrien werden im wichtigsten
Süßwasserreservoir Israels gestaut. Gemäß internationalen
Verträgen muss Israel einen Teil dieses Wassers nach Jordanien und
in die palästinensischen Gebiete pumpen. Für den Jordan selber
bleibt nicht mehr viel übrig, sodass in dem Grenzfluss vor allem
Abwässer aus Israel und Jordanien in Richtung Totes Meer fließen.
Im nördlichen Teil des Toten Meeres ist der Meeresspiegel
in den vergangenen zwanzig Jahren allein um 10 Meter gesunken. Vom "Strand"
aus müssen Touristen und Badegäste mit kleinen Eisenbahnen kilometerweit
zum Wasser des Toten Meeres gefahren werden. Gespenstisch ragen Landebrücken
in den Himmel. Noch vor wenigen Jahren konnten an ihnen Ausflugsschiffe
anlegen.
Drei Gründe gibt es für den Rückgang des
tiefsten und salzigsten Meeres auf der Erdoberfläche. Der Jordan
und andere Zuflüsse werden gestaut, um den Winterregen für die
Landwirtschaft zu nutzen. Die Verdunstung in der extremen Hitze sorgte
für einen beschleunigten Wasserverlust, ohne dass im Winter Ersatz
käme. Und schließlich pumpen die jordanischen wie israelischen
Pottaschewerke große Mengen Wasser im Süden ab, um aus dem
mineralhaltigen Wasser kostbare Mineralien zu gewinnen, von Pottasche
als Düngemittel über Magnesium für Volkswagenmotoren und
bis hin zu Uranium für einen nicht weiter bekannten Gebrauch in Israel.
Der bedrohliche "Tod" des Toten Meeres hat in
jüngster Zeit wieder grandiose Projekte aufleben lassen, wie sie
sich schon der Prophet des jüdischen Staates, Theodor Herzl, vor
über hundert Jahren erdacht hat und die seit Beginn des Friedensprozesses
im Nahen Osten vor etwa zehn Jahren vor allem an finanziellen Hürden
gescheitert sind. Israel und Jordanien reden inzwischen wieder über
die Möglichkeit, durch die Arawa-Senke Wasser vom Roten Meer bei
Eilat und Akaba zum Toten Meer fließen zu lassen. Entlang der Strecke
könnte Strom gewonnen werden. Ebenso sind Strandbäder mitten
in der Wüste angedacht. An der Verwirklichung dieser Ideen scheitern
vor allem die Finanzen. Ulrich W. Sahm
Victor Batarseh ist Bethlehems neuer
Bürgermeister
Mit den Stimmen der islamistisch radikalen Hamas-Organisation
hat der 70 Jahre alte PFLP-Mann Victor Batarseh den Posten des neuen Bethlehemer
Bürgermeisters erhalten und Hana Nassar abgesetzt. Obgleich in Bethlehem
die Moslems mit mindestens 80 Prozent die Mehrheit bilden und seit den
Kommunalwahlen die radikale Hamas tonangebend in der Geburtsstadt Jesu
ist, hat Präsident Arafat festgeschrieben, dass Bethlehem einen christlichen
Bürgermeister haben müsse.
Die PFLP, 1967 von dem christlichen Arzt und Marxisten
George Habasch gegründet, betrachtet es als ihr Ziel "ganz Palästina"
zu befreien und einen demokratisch-sozialistischen Staat zu gründen.
Sie hat mit Arafat gebrochen, als er die Osloer Verträge unterzeichnete,
weil das eine implizite Anerkennung des Staates Israel bedeutete.
Die PFLP war 1976 an der Entführung einer Air France
Maschine nach Etebbe in Uganda verantwortlich. Bei der Befreiungsaktion
der israelischen Luftwaffe kam dabei der Bruder des ehemaligen israelischen
Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ums Leben. Die PFLP verübte
zahlreiche Anschläge in Israel, wobei die Ermordung des israelischen
Tourismusministers Rehabeam Zeevi wohl die größten Schlagzeilen
in der Welt machte.
In den Tagen vor Weihnachten geben sich die Reporter aus
aller Welt die Klinke in die Hand, um in der "Bethlehem Municipality"
jenen Mann zu interviewen, der an der Spitze der Geburtsstadt Jesu steht.
Der verstorbene Elias Fredsch und dann der von Arafat
ernannte und acht Jahre lang amtierende Hana Nasser wurden in alle Welt
eingeladen, weil sie Bürgermeister von Bethlehem waren. Ob auch der
neue Mann an der Spitze Bethlehems ohne weiteres für einen Besuch
im touristischen Aushängeschild Palästinas werben kann, ist
ungewiss. Seit acht Jahren verweigern ihm die Israelis die Einreise. Während
der ersten Intifada ab 1987 saß er zwei Mal je drei Tage im israelischen
Gefängnis, wegen "politischer Aktivitäten".
Der siebzig Jahre alte Victor Batarseh, am 21. November
1936 in Bethlehem geboren, hat noch nicht einmal eine Visitenkarte "als
Bürgermeister". Seinen Lebenslauf muss er erzählen, weil
kein aktualisiertes schriftliches Dokument vorbereitet ist. "Sie
sind die ersten Journalisten, die mich interviewen", sagt er schüchtern.
Im Flur, unter einem überlebensgroßen Arafat-Plakat, sammeln
sich Beduinen in schwarzen oder weißen Umhängen und bärtige
Männer in grauen und braunen Anzügen, um ihrem frisch gewählten
Bürgermeister die Aufwartung zu machen.
Batarseh ist Vater von einer Tochter und zwei Söhnen.
Sie leben mit seinen sieben Enkeln in den USA, "haben sich dort aber
alle mit Palästinensern verheiratet". Er hat in Ägypten,
Paris und London Medizin studiert. Der Hals-, Nasen-, Ohrenspezialist
hat das Jerusalemer Regierungskrankenhaus in der Altstadt geleitet, bis
es geschlossen und zum Österreichischen Hospiz wurde. Bis vor acht
Jahren leitete er das St. Josef Hospital in Jerusalem. Dann haben die
Israelis dem Mitglied der "Volksfront zur Befreiung Palästinas"
(PFLP) die Einreise nach Jerusalem verboten. "Bis heute habe ich
keinen Passierschein und kann Bethlehem nicht verlassen", sagt er
an seinem ersten Arbeitstag als Bürgermeister.
2690 Stimmen hat er an der Spitze einer "parteilosen
Gruppe" auf sich vereinen können, mehr als die Kandidaten der
islamistischen Hamas und der Fatah-Partei. Im 15-köpfigen Stadtrat
wurde der Katholik Batarseh mit den Stimmen der Hamas zum Bürgermeister
gewählt, obgleich er eigentlich Mitglied einer marxistisch weltlichen
Partei ist.
Die palästinensische Autonomiebehörde unter
Arafat hat festgelegt, dass der Bürgermeister von Bethlehem ein Christ
sein müsse. Wenn ein Katholik Bürgermeister wird, muss ein Mitglied
der griechisch orthodoxen Kirche der Stellvertreter werden, oder umgekehrt.
Batarseh sagt: "Politisch links zu stehen bedeutet
doch nicht, dass man nicht auch an Gott glauben kann. Sozialismus ist
nicht gegen die Religion gerichtet." Am Sonntag sei er "selbstverständlich"
in die Kirche gegangen. Seit seiner Kindheit besuche er die St. Katharinenkirche,
das katholische Gotteshaus neben der Geburtsbasilika. Aus ihr wird an
Weihnachten traditionell die Mitternachtsmesse in alle Welt live übertragen.
Der neue Bürgermeister will seine politischen Ansichten
"zuhause lassen" und allein den Bürgern seiner Stadt dienen.
Sein wichtigstes Vorhaben sei das Einziehen aller von der palästinensischen
Autonomiebehörde nicht ausgezahlten Gelder. "Sowie die ihre
Schulden beglichen hat, werden wir keine finanziellen Probleme für
Projekte mehr haben." Dringend sei die Errichtung eines Schlachthauses,
"weil heute jeder im Hinterhof die Tiere schlachtet". Die Straßen
müssten verschönert werden, damit Bethlehem "wie eine moderne
Stadt aussieht". Öffentliche Toiletten und Stadtparks seien
erforderlich. "Unser Ziel ist es, von den Touristen und Pilgern,
die nach Bethlehem kommen, zu profitieren. Doch das geht nur, wenn sie
in Bethlehem in den Restaurants einkehren und möglichst auch in unseren
Hotels übernachten."
Vier Jahre lang, während der Intifada, wagten sich
fast keine Touristen nach Bethlehem. Auch heute können nur arabische
Busse den mit Mauer und Barrikaden befestigten Grenzübergang von
Jerusalem nach Bethlehem passieren. Jüdischen Israelis ist es aus
"Sicherheitsgründen" strikt verboten, palästinensisches
Gebiet zu betreten. Touristen, die sich dennoch bis zur Geburtskirche
wagen, müssen den Checkpoint zu Fuß passieren, mit Taxifahrern
den überhöhten Preis runterhandeln und den fliegenden Andenkenhändler
ausweichen, die sich wie Raben auf jeden Ausländer stürzen.
Nach einem kurzen Rundgang in den 1700 Jahre alten Gemäuern der ältesten
Kirche der Christenheit und einem Gebet am Silberstern, wo einst die Krippe
Jesu gestanden hat, verlassen die meisten Touristen wieder Bethlehem,
ohne auch nur einen einzigen Cent ausgegeben zu haben. Die meisten, seit
dem Millenniumsjahr einheitlich türkisgrün gestrichenen Eisentore
der Souvenirläden sind verriegelt.
Obgleich sich die Lage beruhigt hat, steht der neue Bürgermeister
Bethlehems vor großen wie schwierigen Aufgaben, zumal gerade er
nicht ohne Weiteres mit den Israelis kooperieren kann. Ulrich W. Sahm
Jüdische Totengebräuche
Die Juden glauben an die Auferstehung "am Ende der
Tage". Deshalb gibt es die Sitte, einen Toten möglichst mit
allen Bestandteilen zu begraben. Das ist der tiefe Grund, weshalb in Israel
die Freiwilligenorganisation Zaka entstanden ist. Ihre Mitglieder, alles
ultraorthodoxe Freiwillige, haben es sich zur Aufgabe gemacht, nach Anschlägen
oder Unfällen alle verstreuten Körperteile einzusammeln und
gewissenhaft der "richtigen" Leiche zuzuordnen, damit sie "komplett"
begraben werden kann. Das Entfernen eines Körperteils gilt als Leichenfledderei
und raubt dem Toten die Möglichkeit der Auferstehung.
Wegen dieser Sitte kennt das Judentum kein Verbrennen
der Leichen, wie es in Indien üblich ist oder auch im Christentum.
Anders als auf christlichen Friedhöfen, wo nach einigen Jahren das
Anrecht auf eine Grabstätte verfällt, bleiben jüdische
Gräber "ewiglich" bestehen und dürfen niemals weggeräumt
oder für weitere Begräbnisse wiederverwendet werden.
Die Totenruhe ist ein zentrales Motiv des jüdischen
Umgangs mit Toten. Niemals darf die Ruhe begrabener Toten gestört
werden, was in Israel und zum Beispiel vor dem Bau eines Kaufhauses in
Hamburg Ottensen über einem schon von den Nazis verwüsteten
jüdischen Friedhof vor einigen Jahren zu Unruhen und Protesten ultraorthodoxer
Juden geführt hat. In Israel müssen Straßen verlegt, oder
als Brücke über Totenfelder geführt werden, um die Totenruhe
nicht zu stören. Es gibt allerdings Ausnahmen. So werden im Ausland
gefallene Soldaten nach Israel zurückgeführt. Hier gilt der
Grundsatz, dass ein Jude ein "Grab Israels" erhalten sollte,
also nach jüdischem Ritus begraben werden sollte. Tote dürfen
auch umgebettet werden, wenn ihrem Grab die Zerstörung oder Entweihung
droht, etwa durch Überschwemmungen.
Sehr delikat ist die Frage, wie mit den jüdischen
Gräbern im Gazastreifen umgegangen werden sollte. Einige Siedler
sind gegen eine Exhumierung, obwohl befürchtet werden muss, dass
die Gräber unter palästinensischer Herrschaft nicht geschützt
und für die Angehörigen nicht zugänglich sein werden. Zur
Zeit wird erwogen, das gesamte Grab mitsamt Grabstein mit einem Bulldozer
aus der Erde zu heben, und so wie es ist auf einem Friedhof in Israel
wieder in der Erde zu versenken.
Wegen des Respekts für die Totenruhe ist es israelischen
Archäologen eigentlich verboten, gefundene Knochen zu bewegen oder
zu untersuchen. Gelegentlich werden sie daran gehindert, Gräber (selbst
von Nicht-Juden, oder Tausende Jahre alte Gräber) zu erforschen.
Wenn sie dennoch Gräber finden, werden die Knochen später wieder
feierlich begraben.
Die kürzliche Idee, den im ehemaligen KZ Belzec gefundenen
Backenzahn eines ermordeten Juden in eine der Stelen des Berliner Holocaust-Mahnmals
einzulassen, hätte auch problematische Folgen für lebende Juden.
Mitgliedern der biblischen Priesterkaste, also Menschen die heute noch
Cohen, Kahn, Katz (Abkürzung für "Cohen Zedek", Gerechter
Priester), ist es verboten, einen Friedhof zu betreten oder über
Tote zu gehen. Das würde sie rituell verunreinigen. Obgleich es den
Tempeldienst nicht mehr gibt, hat ein Cohen eine besondere Stellung beim
jüdischen Gottesdienst in der Synagoge. Ein "Cohen" könnte
möglicherweise nicht das Stelenfeld in Berlin betreten, wenn es in
einen "echten" Friedhof verwandelt würde, und sei es durch
die Beerdigung eines einzigen Backenzahnes. Ulrich W. Sahm
Wenn nicht... gäbe es heute
800 Millionen Juden
Wenn es nicht die Vertreibungen, Verfolgungen und Massenmorde
an den Juden gegeben hätte, dann könnte es heute in der Welt
zwischen 500 und 800 Millionen Juden geben. Aber solche Behauptungen seien
so sinnvoll wie schnelles Rechnen auf der Rückseite eines gebrauchten
Briefumschlags, meint Professor Sergio Della-Pergola, eine Autorität
in Sachen jüdische Demographie. Genau so gut könnte man spekulieren,
dass heute in der Welt etwa 120 Millionen Juden existieren müssten,
wenn die Menschheitsgeschichte einen etwas anderen Verlauf genommen hätte,
sagte er der Zeitung Haaretz.
Della Pergola kommentierte eine neue Broschüre der
"Jewish Agency", die in jüdischen Schulen in aller Welt
verteilt werden soll, in der die demographische Entwicklung des jüdischen
Volkes seit 3000 Jahren nachgezeichnet wird.
Auf dem Höhepunkt des Königreiches Salomos,
etwa 1000 vor der Zeitrechnung, lebten im Lande Israel etwa zwei Millionen
Juden. In der Zeit Jesu, unmittelbar vor der Zerstörung Jerusalems
durch die Römer, erreichte die Zahl der jüdischen Bewohner im
Heiligen Land die Rekordzahl 4,5 Millionen. Es dauerte fast 2000 Jahre,
bis es im Lande Israel wieder so viele Einwohner gab, Ende des 19. Jahrhundert.
Während des Mittelalters, vom 6. Jahrhundert bis
17. Jahrhundert sei die Zahl der Juden weltweit relativ konstant geblieben
bei etwa einer Million. 1939, vor Beginn des Holocaust, gab es eine Rekordzahl:
16,6 Millionen Juden weltweit. 1945 waren nur noch etwa 10 Millionen verblieben.
Seit dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der Juden wieder und bleibt
seit Jahrzehnten konstant bei etwa 13 Millionen weltweit. Die demographische
Vermehrung der Juden in Israel gleiche den Rückgang der im Rest der
Welt lebenden Juden aus.
Della Pergola sagt, dass die Zahlen für das Altertum
unzuverlässige Schätzungen aufgrund schriftlicher Quellen seien.
Die Bibel und römische Autoren, deren Zuverlässigkeit angezweifelt
werden müssten, dienten ihm als Grundlage. So habe es vielleicht
600.000 Juden vor Solomo in der Zeit des Auszugs aus Ägypten gegeben.
Das berichtet die Bibel, aber manche Wissenschaftler zweifeln, ob es überhaupt
jenen Exodus unter Moses gegeben habe. Obgleich manche biblische Geschichten
ins Reich der Mythen gehören, so della Pergola, weise die Bibel insgesamt
eine "innere statistische Logik" auf.
Der Experte benutzt als Beispiel die Geschichte des Jakob,
der zusammen mit 70 Männern nach Ägypten zog. 430 Jahre später
seien nach Angaben der Bibel 600.000 Männer aus Ägypten ausgezogen.
Bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 40 Jahren und sechs Kindern
pro Ehepaar könne die Zahl ungefähr stimmen.
Aus der Zeit Jesu gebe es eine Fülle von Informationen,
etwa durch den Historiker Josephus Flavius und dank der römischen
Volkszählungen. Im Mittelalter habe die Verbreitung von Juden der
Ausbreitung des Islam entsprochen, vom heutigen Irak und bis zur iberischen
Halbinsel, dem heutigen Spanien. Erst ab dem 12. Jahrhundert hätten
sich die Juden über Frankreich bis nach Deutschland ausgebreitet.
Zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert sei Osteuropa das größte
jüdische Ballungsgebiet gewesen. Sie seien von Deutschland ("Aschkenas")
und über den Balkan nach Osteuropa gelangt und hätten sich "mit
einer erstaunlichen Geschwindigkeit natürlich vermehrt".
Nach dem zweiten Weltkrieg sei Israel wieder zunehmend
das demographische Zentrum der Juden in der Welt geworden und laufe schon
bald den USA den Rang ab. Neuere Untersuchungen hätten ergeben, dass
es in den USA mit heute 5,2 Millionen eine halbe Million weniger Juden
gebe, als ursprünglich erwartet. Als Grund für den Rückgang
der jüdischen Bevölkerung in den USA gibt dela Pergola "geringe
Fruchtbarkeit und fast 50 Prozent Mischehen" an.
Andererseits könnte man aber auch von 9 Millionen
Juden in den USA reden, wenn man alle Personen mitrechnet, die in Haushalten
mit mindestens einem Juden leben. Diese Zahl sei "minimalistisch",
wenn man versuche, die Zahl der zur Einwanderung nach Israel (aufgrund
des so genannten "Rückkehrgesetz für Juden") berechtigten
Amerikaner zu ermitteln. Gemäß dem "Rückkehrgesetz"
können auch nichtjüdische Ehepartner und deren Kinder nach Israel
einwandern. Ulrich W. Sahm
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