Viel Müll, wenig Wasser
Dem Jordan droht das Ende - Israelis, Palästinenser und Jordanier
wollen den Fluß gemeinsam retten
von Sabine Brandes
Um ihn ranken sich Sagen. In seinen Wassern taufte Johannes
der Täufer Jesus. So steht es im Neuen Testament geschrieben. Viele
archäologische Ausgrabungen entlang des Flußbettes zeugen zudem
von seiner historischen Bedeutung. Heute ist der berühmte Fluß
Jordan an mancher Stelle nicht mehr als ein übelriechendes Rinnsal.
Traurig anzusehen. Im Sommer läuft er Gefahr, gänzlich auszutrocknen
- die Hälfte des Flußbetts ist in den heißen Monaten
bereits nur noch Staub. Doch noch immer wollen jährlich Tausende
Gläubige das besondere Gewässer fühlen und tauchen in wallenden,
weißen Gewändern in das Naß.
Magische Szenen wie diese könnten bald der Vergangenheit
angehören, der Fluß selbst lediglich noch Geschichte sein.
Denn obwohl sich sowohl Israel wie auch Jordanien in ihrem 1994 geschlossenen
Friedensvertrag schriftlich verpflichteten, den Jordan vor "jeglicher
Art der Verschmutzung, Verseuchung oder sonstigem Schaden zu schützen",
ist bis heute nichts dergleichen geschehen. Im Gegenteil: Immer mehr Wasser
wurde in den vergangenen Jahren abgezweigt. Eine Dammanlage an der jordanisch-syrischen
Grenze und ein israelisches Klärwerk könnten den endgültigen
Tod des Flusses bedeuten. Um das zu verhindern, trafen sich jetzt israelische,
jordanische und palästinensische Umweltschützer, Experten und
Politiker auf Peace Island, einer Insel mitten im Jordan. Gidon Bromberg,
israelischer Geschäftsführer der internationalen Umweltschutzorganisation
FoEME (Friends of the Earth Middle East), der die Konferenz mitorganisierte,
will vor allem die Weltöffentlichkeit auf das Schicksal des Jordans
aufmerksam machen. "Er gehört allen Menschen, also sollten auch
alle erfahren, wie schlecht es um ihn steht", sagt er.
Alle drei beteiligten Regierungen erkannten die Schwere
des Problems während der Konferenz an, versprachen jedoch bislang
keine konkreten Aktionen. "Das ist nicht gut genug", sagt Bromberg,
"denn in den vergangenen zehn Jahren haben diese Regierungen rein
gar nichts unternommen und damit den Zustand noch verschlimmert."
Mehr verspricht sich der Umweltexperte von dem Treffen, das im Anschluß
stattfand: Die Bürgermeister der Städte entlang des Jordans
kamen zum ersten Mal überhaupt zusammen, darunter die Ersten Bürger
Jerichos und Bet Sheans. Sie seien diejenigen, die Druck auf die Regierungen
ausüben müssen - und auch wollen, weiß Bromberg, "denn
wenn der Jordan stirbt, sind sie am Ende die großen Verlierer".
Das Ziel von FoEME ist es, den Jordan als Weltkulturerbe
der UNESCO registrieren zu lassen, um künftig ausreichenden Schutz
für das Gewässer zu gewährleisten. Die Chancen stünden
nach Angaben von Bromberg nicht schlecht, immerhin nahm auch Mounir Bouchenaki,
stellvertretender Leiter der UNESCO-Abteilung für Kultur, an der
Konferenz teil. Außerdem kamen unter anderem Prinz Hassan Bin Talal
von Jordanien, der israelische Umweltminister Shalom Simchon und ein palästinensischer
Kollege, zuständig für Umweltangelegenheiten, um Rettungsmaßnahmen
zu diskutieren.
Der dreihundertzwanzig Kilometer lange Fluß fließt
durch ein Gebiet von mehr als zweitausend Quadratkilometern, größter
Zufluß ist der Jarmuk. Ein Großteil des Wassers wird von Israels
nationalem Wasserversorger, dem König-Abdullah-Kanal Jordaniens sowie
Dämmen auf jordanischer und syrischer Seite abgezweigt, vor allem
für landwirtschaftliche Zwecke. In den vergangenen fünfzig Jahren
ist die jährliche Wassermenge von 1,3 Milliarden Kubikmeter auf weniger
als 100 Millionen Kubikmeter gesunken. Zwanzig Prozent des fließenden
Gewässers sind unbehandelte Abwässer. Letztlich landet der Dreck
im Toten Meer, dessen Wasserstand in diesen Jahren ebenfalls um dreißig
Prozent gefallen ist.
"Der Jordan ist an einem kritischen Punkt. Es besteht
die Gefahr, daß er für immer verschwindet, sollten die Regierungen
nicht sofort Aktionen einleiten", warnt Bromberg. Derzeit sei der
Fluß eine Art Müllhalde für Überflüsse aus Fischteichen,
verseuchte Abwässer und Salzwasser verschiedener Quellen. Eingefaßt
von Israel, Jordanien und den Palästinensischen Gebieten ist der
am niedrigsten gelegene Fluß der Erde von besonderer ökologischer
und kultureller Bedeutung: Er wird von den drei monotheistischen Weltreligionen
als heilig angesehen und ist darüber hinaus wichtige Rast- und Niststätte
von Zugvögeln. Zahlreiche archäologische Stätten an beiden
Ufern des Flusses sind steinerne Zeugnisse für die einstige Größe.
Sie datieren zurück bis zur Zeit der Völkerwanderung vom afrikanischen
Kontinent nach Asien und Europa.
Mit finanzieller Unterstützung der Europäischen
Kommission, der UNESCO, der Universität Miami sowie der finnischen
und US-Regierung engagierte FoEME drei Experten, die sich achtzehn Monate
lang mit dem Zustand des Jordans beschäftigten: Michael Turner, Professor
an der Kunsthochschule Bezalel in Jerusalem und Chef des israelischen
Komitees für Weltkulturerbe, Nader Khateeb, palästinensischer
Hydrologe aus Bethlehem, und der jordanische Spezialist der Gesellschaft
für Entwicklung, Khaled Nassar. Junge Forscher unterstützten
das Team in den Büros in Tel Aviv, Bethlehem und Amman. Ergebnis
der ausführlichen Untersuchungen ist das zweiunddreißig Seiten
starke Konzept "Crossing the Jordan" - die Überquerung
des Jordans, das die ökologische, historische und kulturelle Bedeutung
wie den Niedergang des Jordantals beschreibt.
"Wir rufen unsere Regierungen auf, gemeinsam zu arbeiten,
um den Jordan wiederherzustellen und die Abwässer zu beseitigen",
sagt Bromberg. "Dann könnten auch neue Touristenangebote helfen,
Frieden und Wohlstand in unsere Region zu bringen. Nach dem Treffen in
Sharm El- Sheich müssen die Menschen in allen Bereichen die Vorzüge
sehen, die ein Frieden mit sich bringt - auch in der Umwelt." Dreihundertzwanzig
Kilometer ist der weltweit am niedrigsten gelegene Fluß lang.
Jüdische Allgemeine, 21.4.2005
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