Eine historische Chance: Aufbau oder Untergang
von Johannes Gerloff

Der israelische Abzug aus dem Gazastreifen war eine rein innerisraelische Angelegenheit, eine "einseitige" Trennung von den Palästinensern. Israel erkannte auf der anderen Seite keinen Gesprächspartner. Der komplette Rückzug aus dem Gazastreifen bietet den Palästinensern eine einmalige Chance: Seit dem 12. September 2005 können sie auf einem zusammenhängenden Stück Land sich selbst, der Welt und nicht zuletzt Israel beweisen, dass sie in der Lage sind, etwas aufzubauen.

Die Grenze nach Ägypten ist offen. Das haben die vergangenen Tage nach dem Abzug der Israelis unter Beweis gestellt. Die Ägypter haben zwar anfangs einen Palästinenser erschossen, der in den Sinai wollte, waren dann aber von ihrer eigenen Courage so eingeschüchtert, dass sie den Ereignissen freien Lauf ließen. In Gaza ist der Preis für ein Schnellfeuergewehr von 2.000 US-Dollar auf die Hälfte gesunken. Waffenhändler geben das unumwunden zu. Nicht nur Sicherheit beschäftigt die Israelis, sondern auch die noch bestehende Zoll- und Wirtschaftsunion mit den Palästinensern, von der im Wesentlichen die Palästinenser profitieren.

Das erste, was die von der Besatzung befreiten Bewohner des Gazastreifens, noch in der Nacht des israelischen Abzugs machten, war, die Synagogen in Brand zu setzen und die feuerfesten, massiven Betonstrukturen der Gotteshäuser mit Vorschlaghämmern zu bearbeiten. Palästinensische Polizisten halten ihre Wut auf die "Symbole der Besatzung" nicht einmal im Zaum, wenn Fernsehkameras zusehen. Dass es sich dabei tatsächlich auch aus muslimischer Sicht um "Heilige Stätten" handelt, stellte das demonstrative Gebet von Hamas-Chef Mahmud a-Sahar in der Synagoge von Neveh Dekalim unter Beweis.

Durch das Chaos an der Grenze zum Sinai haben Ägypter und die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) gezeigt, dass sie nicht willens oder in der Lage sind, Abmachungen einzuhalten. Die Israelis haben den Palästinensern funktionsfähige Gewächshäuser hinterlassen. Teilweise waren sie schon bepflanzt und hätten in nächster Zeit nur noch abgeerntet werden müssen. Dennoch demontierten wütende palästinensische Massen, was nicht niet- und nagelfest war. PA-Premier Ahmed Qrea musste mit dem eigenen Leib vor irren Plünderern retten, was noch zu retten war.

Weder die PA-Medien, noch die palästinensischen Ordnungskräfte geben sich Mühe, die antiisraelische Hetze abzumildern. Unverhohlen bekennt sich ein palästinensischer Polizist, der vor wenigen Tagen noch Mitglied der Al-Aksa-Märtyrerbrigaden war, zu seiner Ansicht, dass einzig der bewaffnete Widerstand gegen Israel sinnvoll ist und die Selbstmordattentate auf keinen Fall eingestellt werden dürfen. Offensichtlich macht es kaum einen Unterschied, ob die radikalen Islamisten die Macht im Gazastreifen übernehmen, oder die vom Westen erwünschte Fatah-Bewegung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

Statt Millionenforderungen an den Westen zu richten, wäre es für die Palästinenser an der Zeit, ihren Willen und ihre Fähigkeit zum Aufbau eines eigenen Staatswesens sichtbar unter Beweis zu stellen. Stattdessen bemühen sie alle nur denkbaren Ausreden, um zu zeigen, dass die Besatzung auch nach dem Abzug Israels nicht beendet ist. Der Aufbau einer blühenden Zivilgesellschaft könnte auch auf Teilen der "befreiten" Gebiete geschehen. Ein Handel mit dem übermächtigen Israel wäre für die Palästinenser nur von Vorteil.

Allein das Argument, unter Besatzung seien keine freien Wahlen möglich, sollte jedem objektiven Beobachter längst als unsinnig erschienen sein. Schließlich haben wir Deutschen bis 1990 immer unter Besatzung gewählt. Niemand bezweifelt, dass Mahmud Abbas der demokratisch legitimierte Vertreter der Palästinenser ist. Noch verweigert Israel den radikalen Islamisten eine Beteiligung an den kommenden Wahlen 2006, weil deren Ideologie einer Zerstörung Israels den Abmachungen der Osloer Verträge widerspricht. Gleichwohl erwiesen sich die Israelis als flexibel nach den Kommunalwahlen, als allen Widerständen zum Trotz Vertreter der extremistischen Hamas zu Bürgermeistern in palästinensischen Städten gewählt worden sind.

Solange die Palästinenser weiter die Mitleidsschiene befahren, werden sie auf keinen grünen Zweig kommen. Solange sie sich nicht zu ihrer Verantwortung für ihr eigenes Schicksal bekennen, wird der alte Abba Eban Recht behalten, dass die Palästinenser keine Chance verpassen, eine Chance zu verpassen.

israelnetz.de

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