Chabad Lubawitsch: Der christliche Gedanke im Herzen
der Orthodoxie
von Micha Brumlik
I. Die Lubawitscher: Hilfe, Bedrohung oder beides?
Die - wie andere us-amerikanisch jüdische Bewegungen,
von der Lauderstiftung über das Reformjudentum - in Deutschlands
jüdischen Gemeinde um Einfluß ringende Sekte der Lubavitscher
Chassidim konfrontiert die Gemeinden mit zwei Problemen, von denen das
eine von lebenspraktischer, gemeindepolitischer Art, während das
zweite - hierzulande noch weitestgehende unbekannte - Problem theologischer
Art ist: seit langem war die innere, geistige Substanz des rabbinischen
Judentums nicht mehr so bedroht wie durch die allmähliche Übernahme
der Chabad Theologie.
Es hatte der längst verstorbene Gründer der
ebenso antichassidischen wie fundamentalistischen Partei der israelischen
Ultraorthodoxen, der "Degel ha Thora" Partei, Raw Elieser Schach
so unrecht nicht, als er auf die Frage: "What Religion is next zu
Judaism" die zögerliche Antwort gab: "Chabad Lubawitsch
.Efscher!"
Für die des Hebräischen nicht kundige Leserschaft sei angemerkt,
dass "Efscher" nichts anderes heißt als "Vielleicht".
Worum geht es?
II. Innere Mission, rechtszionistisches Engagement
und attraktive Freizeitangebote
"No Jew will left behind" donnerte einer von
mehreren "Schluchim" von der Bühne des Bürgerhauses
Bornheim, wo die Bar Mitzva eines Sohnes des Frankfurter Lubawitscher
Rabbiners gefeiert wurde. "Schluchim", das ist die aschkenasisch
ausgesprochene Form des hebräischen "Schlichim", also des
Plurals von "Schaliach", auf Deutsch gesandter, oder in diesem
Fall passender von : Missionar. Sie waren nach Deutschland gekommen, beinahe
sechzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, um die Seelen der
hier lebenden Juden zu retten. Damit scheinen sie erfolgreich zu sein:
sogar nichtreligiöse jüdische Eltern schicken ihre Kinder gerne
auf die von der Sekte veranstalteten "Day Camps", niederschwelligen
Freizeitangeboten für Kinder mit koscher Ice Cream, Spielen und einer
kindgemäßen Unterweisung ins orthodoxe Judentum. Ihre Rabbiner
arbeiten unentgeltlich, ohne die angespannten Haushalte der Gemeinden
zu belasten dort mit und halten sich klüglich - jedenfalls in Deutschland
- aus gemeindepolitischen Auseinandersetzungen heraus. Albert Meyer etwa,
noch Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin, rechnet sich
in eigenen Worten "dem linken Flügel des Reformjudentums"
zu, was ihn nicht daran hindert, den Lubawitschern nicht nur Einfluß,
sondern auch Liegenschaften der Gemeinde zur Nutzung zu überlassen
und zwar mit dem Argument: "Die tun halt was
"
Ende vergangenen Jahres fand im kleinen Trausaal der Frankfurter
Westendsysnagoge, wo sich eine von Lubavitchern geleitete Jeschiwa, eine
Talmud/Thora Schule befindet, auf die auch die Frankfurter Oberbürgermeisterin
stolz ist, zu Chanukka ein kleiner Festakt anlässlich der zehnjährigen
Existenz der Lubawitscher Niederlassung in Frankfurt statt. Der Festvortrag
wurde vom derzeit amtierenden Frankfurter Rabbiner mit einem herzlichen
Grußwort eingeleitet, ansonsten geschah in dieser kleinen Synagoge
etwas, was ansonsten durchaus unüblich ist: man befestigte zuvor
eine große Photographie des verstorbenen Lubawitscher Rabbiner und
vermeintlichen Messias Menachem Mendel Schneerson an die äussere
Seite der Wand, die die Männer- von der Frauenabteilung trennt. Personenkult
im Gottesdienst? Der - von einem Londoner Schaliach gehaltene Vortrag
faszinierte dadurch, dass er Chanukka, im Reigen des jüdischen Festjahrs
eher unbedeutend, auf seine mystische Bedeutung hin überprüfte:
namentlich der Umstand, dass es nicht wie üblich - um die Zahl sieben,
um sieben Tage gegangen sei, sondern um acht, die die Lichter ohne Unterlass
gebrannt hätten, beweise, dass hier der normale Lauf der Schöpfungsordnung
durchbrochen worden sei. Man konnte den Vortrag so verstehen, dass Chanukka
die Juden darin erinnern soll, dass die Schöpfung noch nicht vollendet
ist - ein im rabbinischen Judentum weitgehend unbekannter Gedanke.
Der amerikanisch - jüdischen Presse liess sich in
den letzten Wochen entnehmen, dass der überwiegende Teil der politisch
bewussten Führung der Sekte in den USA und in Israel gegen Ariel
Scharons Rückzugspläne aus Gaza war, freilich aus Klugheitserwägungen
darauf verzichteten, sich dazu öffentlich zu erklären. Die offizielle
Haltung der Chabad Weltorganisation zur Frage der besetzten Gebiete deckt
sich weitestgehend mit der regierenden israelischen Rechten, allerdings
- und das ist bemerkenswert - weniger aus einer der Siedlertheologie eigentümlichen
Vergottung des Landes Israel heraus, als aus Gründen, in denen Sicherheit
und Leben von Mitgliedern des jüdischen Volkes eine zentrale Rolle
spielen.
Jedes Jahr wird Mitgliedern der Jüdischen Gemeinde,
so auch in Frankfurt, der Kalender der Organisation zugesandt, dieses
Jahr mit einem, wie angemerkt wird - selbstverständlich freiwillig
- auszufüllenden Meldebogen, mit dem die Empfänger gebeten werden,
Auskunft über ihre familiären und religiösen Lebensverhältnisse
Auskunft zu geben.
III. Messianische Theologie
Für das zu Ende gehende Jüdische Jahr 5765 ziert
das Titelbild des von der Sekte herausgegebenen "Jüdischen Kalenders
2004/2005 Frankfurt" - und schräg daneben geschrieben "5765"
die Fotografie eines beleibten, eine Kippah tragenden Knaben, der seinen
Finger auf die Seite eines Gebetbuchs hält sowie eines etwas schlankeren
Mädchens, das auf eine Alef Bet Tafel deutet. Auf der dritten Seite
- auf die zweite, theologisch bedeutsamste ist noch zurückzukommen
- zudem zehn Farbfotografien u.a. von Studenten der Frankfurter Jeschiwa
als Bäckern, von einem Frankfurter Rebben, der vor einem Hochhaus
eine riesige Chanukka Leuchte entzündet sowie von Kindern auf einem
Tagescamp zu sehen sowie - klein, aber unübersehbar - ein Porträtfoto
der Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth; ein Bild, das über
einem von Oberbürgermeisterin unterzeichneten Schreiben an die Nutzer
des Kalenders steht. "Viele von Ihnen" so dürfen wir lesen
"freuen sich Jahr für Jahr auf den informativen und schönen
Wandkalender von Chabad Frankfurt, der sie mit zwölf beeindruckenden
Losungen in den kommenden Monaten begleiten wird." Neben der Fotografie
eines mißmutigen Jungen liest man eine der von der Oberbürgermeisterin
gepriesenen Losungen: zuerst den Segensspruch über das Blasen des
Schofars, und dann eine Geschichte über den Gründer des Chassidismus
Israel Baal Schem Tov sowie den älteren Rav Schneerson, die davon
handelt, daß das bestimmte Gebet jedes einzelnen Menschen letzten
Endes ein "Schrei" sei - eine Geschichte, die mit der wahrhaft
tröstlichen Erläuterung endet: "Ein solcher Rettungsruf
an G'tt mag erhört werden oder eben auch nicht". Und weiter:
"Was aber alle Juden am Rosch- Ha Schanah gleichwohl tun, ist das
"Schreien" als solches, welches aus dem allertiefsten Innern
der jüdischen Seele kommt, und dieses "Schreien" wird von
G'tt dem Allmächtigen, erhört.".
Wendet man sich der zweiten Seite des Kalenders zu, so
sieht man das Bild eines Erwachsenen: eine Fotografie des Lubavitcher
Rebbe Rabbi Menachem M. Schneerson, also ein Bild des vor zehn Jahren
in Brooklyn hochbetagt und kinderlos verstorbenen Oberhaupts jener aufgrund
ihrer modernen Kommunikationsmethoden so erfolgreichen chassidischen Gruppe.
Die meisten von ihnen glauben tatsächlich, daß dieser verstorbene
Mensch der Messias, ihr "Moschiach" sei. Der kursiv gedruckte
Begleittext zum Bild endet daher mit einem Bekenntnis: "Der Mut,
die Kraft und das Vorbild des Rebbe inspirieren noch heute die weltweite
Arbeit von Chabad. Das ist keine Bezeugung zu seinem Gedenken, sondern
ein dynamischer Ausdruck seines lebendigen, fortwirkenden Vermächtnisses.
Dieses Vermächtnis drängt uns vorwärts. Wir arbeiten für
eine Welt, in der ewiger Frieden herrscht, für eine Welt großartigen
Wissens und der Fülle - für den Tag, an dem der Moschiach sich
uns offenbart."
Der Kalender offenbart, was der modernen jüdischen
Orthodoxie angehörige Kritiker schon seit längerem festgestellt
haben , was innerjüdisch ein Ärgernis und religionswissenschaftlich
ein Faszinosum ist: die Neuentstehung des christlichen Gedankens zweitausend
Jahre nach Jesus von Nazareth im Herzen der chassidischen Orthodoxie.
Man muß sich die Andeutungen des Kalenders auf der
Zunge zergehen lassen: die Arbeit von Lubawitsch ist demnach nicht deshalb
erfolgreich, weil man des Rebben gedenkt, sondern deshalb, weil diese
Arbeit Ausdruck seines "lebendigen, fortwirkenden Vermächtnisses"
ist. M.a.W: so wie nach dem Glauben nicht nur der frühen Kirche der
Geist Jesu in ihr fortwirkt und sie trägt, wirken die Tugenden des
Rebben "lebendig" in der Gemeinde der Lubawitscher nach, kurz:
er selbst - nicht etwa Gott - trägt diese jüdische Gemeinschaft.
Indem der erste - hier nicht zitierte Satz - des Begleittextes feststellt,
daß eine Persönlichkeit wie Schneerson jeder Generation nur
einmal geschenkt werde, bezieht er sich auf eine halachisch anerkannte
Messiaslehre, wonach der Messias keine einzigartige Person sei, sondern
ein jeweils von Gott Gesandter, der in jeder Generation auftreten kann
und auftritt. Aber auch der Kalender stellt ein Messiasrätsel: wer
wird sich schließlich in der Welt ewigen Friedens und großartigen
Wissens als Messias, also endlich als "der Moschiach" offenbaren?
Wollen die Verfasser des so nützlichen Kalenders nahelegen, daß
sein Antlitz das des Menachem Mendel Schneerson sein wird?
IV. Die Neuentstehung des christlichen Gedankens
Man kann den Kern des christlichen Gedankens, wie er sich
im Judentum zur Zeit des Zweiten Tempels herausbildete, so fassen: Der
Gott Israels schickte sein erlösendes Wort unter Israel und die Menschen,
wobei dieses erlösende Wort in Gestalt eines Menschen auftrat, der
zugleich die Aufgabe hatte, Israel und die Welt zu erlösen. Dieser
Glaube hat die vom rabbinischen Judentum in Reaktion darauf strikt abgelehnte
Konsequenz, dass erstens Gott selbst sich in einem Menschen manifestiert
und - zweitens - dass auch ein toter Messias Messias bleibt.
Der jüdische Religionswissenschaftler Prof. Goshen-
Gottstein zitiert in einem Aufsatz in der letzten Ausgabe des dem christlich
- jüdischen Dialog gewidmeten "Freiburger Rundbrief" in
einem Beitrag zur jüdischen Inkarnationstheologie aus einer Ansprache
des verstorbenen Schneerson:
"So wie Israel und die Tora und Gott im wörtlichen
Sinne eins sind, und nicht nur indem sich Israel an die Tora bindet und
die Tora an Gott, so ist es mit der Bindung der Chassidim an den Meister,
wobei es sich nicht um zwei Dinge handelt, die vereint werden, sondern
sie werden buchstäblich "einer". Und der Meister ist nicht
ein "dazwischentretender Vermittler", und deshalb sind für
den Schüler Meister und Gott "einer". Deshalb ist nicht
nach einem Vermittler zu fragen, denn sein Sein und sein Wesen haben in
ihm Platz genommen."
Handelt es sich um Götzendienst? Läuft die in
der Fluchtlinie der spätmittelalterlichen Kabbala liegende Spekulation
von der Göttlichkeit der jüdischen Seelen tatsächlich auf
eine Vergottung des jüdischen Volkes und - daraus abgeleitet - auf
eine Vergottung des letzten Messias, Menachem Mendel Schneerson hinaus.
Auf die Angriffe etwa des sephardischen Oberrabbiners Ovadia Joseph reagierten
Schneersons Jünger mit umfangreichen Belegstellen aus Bibel und Talmud,
so dass inzwischen von einer ernsthaften, mit Gründen geführten
Auseinandersetzung zu sprechen ist.
Als bedeutendste, gelehrte Stimme in dieser Auseinanrdersetzung
kann der neoorthodoxe, als Professor für jüdische Geschichte
am Brooklyn College in New York wirkende David Berger gelten, dessen 2001
erschienenes Buch "The Rebbe, the Messiah and the Scandal of Orthodox
Indifference" nicht nur ein weiteres Mal nachzeichnet, mit welch
hohem strategischem Geschick die Sekte Einfluß in den Gemeinden
auch in Nordamerika gewinnt, sondern auch den Nachweis führt, dass
die Messiasvergottung der Lubawitscher den Prinzipien des rabbinischen
Judentums gemäß "Awoda Zarah", d.h. Götzendienst
ist.
Berger zeichnet nicht nur nach, dass die Messianisten
unter den Lubawitschern tatsächlich - wie die ersten Christen - den
geradezu antirabbinischen Gedanken eines toten, bzw. nach seinem physischen
Tod "irgendwie" weiterlebenden Messias bekennen, sondern dass
sie auch in ihren Gottesdiensten der Verehrung von Schneerson eine besondere
Rolle zukommen lassen - vor allem durch die regelmäßige Einschaltung
einer neuen, zentralen Beracha, eines Segensspruches folgenden Wortlautes:
"Jechi adonenu morenu verabbenu melech hamoshiach
leolam waed", zu deutsch: Es lebe unser Herr unser Lehrer und unser
Raw, der König Messias für immer."
Da der Titel "Adonaj" im jüdischen Gottesdienst
bisher nur Gott selbst vorbehalten blieb, lässt sich auch hier eine
Parallelle zum frühen Christentum aufweisen: bekanntlich beglaubigten
Paulus und andere den nach ihrer Überzeugung gekreuzigten und auferweckten
Jesus von Nazareth mit dem griechischen Ausdruck "Kyrios", was
wiederum nichts anderes bedeutet als "Herr" - "Adon."
Über diese zweideutigen, aber zentralen Glaubensbekenntnisse der
Lubawitscher hinaus will David Berger noch weitere, freilich nun innerhalb
der Lubawitscher Chassidim umstrittene Äusserungen gefunden haben.
So etwa in einem 1996 erschienenen Erbauungsbuch, indem sich nach einer
Wundererzählung über Schneerson eine erweiterte Beracha nach
dem "Jechi" findet:
adonenu, rabbenu we borenu, melech
ha moshiach", zu deutsch: "es lebe unser Herr, Lehrer und Schöpfer,
der König Messias in alle Ewigkeit". Die Belege, die Berger
für diese Ansicht aus einer Fülle der Sekte entstammender Schriften
vorlegt, sind überzeugend. Gleichwohl:
Die Frage, ob der Messias Schneerson tatsächlich
Gott ist, dass sich also Gott in ihm in besonderer, unüberholbarer
Weise gezeigt hat, scheint in der Sekte selbst derzeit noch umstritten
zu sein.
Konsequenzen?
Angesichts dieser seriösen Befunde kann es nicht
länger angehen, der Sekte mit der dankbaren Haltung " Die tun
halt was" ohne Diskussion ihrer theologischen Grundlagen in den Gemeinden
mehr und mehr Raum zu geben. Anstelle dankbarer Entgegennahme missionarischer
Wohltaten sollten die Gemeinden diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen
und theologisch klären lassen. Denkbar wäre eine Anfrage an
die deutschen Rabbinerkonferenzen, ob sie der Auffassung sind, ob "Chabad
Lubawitsch" bei allen sonstigen Verdiensten mit ihrer Vergottung
Schneersons "Awoda Zarah" betreiben oder nicht.
Es ist gut möglich, dass auch die hiesigen Rabbinerkonferenzen,
wie so manche nordamerikanische Rabbinerkonferenz zu dem Schluß
kommt, dass das nicht der Fall ist. Man muß sich freilich darüber
klar sein, dass dann auch die Frage halachisch lebender, sog. Messianischer
Juden, also von Juden, die glauben, dass Jesus von Nazareth der "Moshiach"
sei, nicht mehr mit den gleichen Abwehrreflexen beantwortet werden kann
wie bisher.
Vor einigen Jahren fragte ich bei einer Podiumsdiskussion
den Rabbiner einer in Florida beheimateten konservativen Congregation
an Jesus glaubender Juden, wie sie es denn mit Menachem Mendel Schneersohn
hielten. Die Antwort war kurz und bündig: "He opened the doors
for us."
aus: Frankfurter Jüdische Nachrichten, September 2005
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