Der Altar der frühen Christen
In Israel wurde eine antike Kirche entdeckt. Dass sie die älteste
ist, halten Experten für unwahrscheinlich
von Michael Zick und Amory Burchard
Nirgends auf der Welt wurde und wird so intensiv nach
der Vergangenheit gegraben wie im Nahen Osten. Seit weit über 100
Jahren versuchen Forscher aus aller Welt vor allem die Authentizität
des Alten Testaments als Geschichtsquelle zu beweisen - oder zu widerlegen.
Aber auch ohne die biblischen Historien ist die Region des heutigen Israel,
Palästina, Syrien und Jordanien so mit Menschheitsgeschichte voll
gesogen, dass Meldungen wenig verwundern, die eine neue archäologische
Sensation versprechen. Jetzt verursacht "die möglicherweise
älteste christliche Kirche" in Israel Wirbel. Sie soll, so die
israelischen Ausgräber, aus dem 3. oder 4. Jahrhundert stammen und
damit zu den sehr frühen Zeugnissen christlicher Glaubensausübung
zählen.
Gefunden wurde der Sakralbau bei Arbeiten für den
Gefängniserweiterungsbau in Megiddo in Nordisrael. Neben Bodenmosaiken
stieß man auf Inschriften und Reste von Wandfresken. Der Ausgräber,
Jotham Tefer, bezeichnete seine Entdeckung im israelischen Fernsehen als
"einzigartig und bedeutsam zum Verständnis des Christentums",
das sich in dieser Zeit zur offiziellen Staatsreligion entwickelte.
Der Berliner Kirchenhistoriker und designierte Präsident
der Humboldt-Universität, Christoph Markschies, ist skeptisch. "Es
handelt sich um einen Kirchenbau frühestens des 4. Jahrhunderts",
sagte der Experte für frühes Christentum, der die Entdeckungsgeschichte
als Fellow am Institute for Advanced Studies der Hebrew University in
Jerusalem verfolgt, gestern dem Tagesspiegel. Eine frühere Erbauungszeit
hält Markschies für "sehr unwahrscheinlich" - aufgrund
einer Stiftungs-Inschrift. Danach soll ein römischer Militär
namens Gajanus den Mosaikfußboden "auf eigene Kosten"
gestiftet haben. Dass ein römischer Offizier eine Stiftung für
eine christliche Kirche in seinem Namen machte, bevor sich Kaiser Konstantin
und seine Familie zum Christentum bekannten, sei nahezu ausgeschlossen,
sagt Markschies. Erst ab 313 n.Chr. habe der Kaiser christliche Symbole
verwendet und Kirchenbauten gefördert. Vor dieser Zeit versammelten
sich die frühen Christen in Privatwohnungen und waren Verfolgungen
ausgesetzt.
Die frühe Datierung durch israelische Archäologen
beruht vor allem auf dem Design des Bodenmosaiks - und dem relativ schlichten
Raumgrundriss. Es sei natürlich denkbar, dass ein schon von Christen
benutztes Wohnzimmer zur Kirche umgebaut und dabei ein neuer Mosaikfußboden
gelegt wurde, sagt Markschies. Seine Kollegin an der Hebräischen
Universität, die Inschriften-Spezialistin Leah di Segni, halte es
deshalb für möglich, dass die Kirche tatsächlich aus dem
"späten 3. oder frühen 4. Jahrhundert" stamme.
Überzeugen kann sie den Berliner Kirchenhistoriker
nicht. Auch die Stiftungs-Inschrift für den Altar berge keine Sensation,
sagt Markschies. Da ist von "trapeza", Griechisch für "Tisch",
die Rede. Di Segni glaubt, das könnte dramatische Auswirkungen auf
die Studien frühchristlicher Rituale haben. Bislang sei man davon
ausgegangen, dass Jesus Christus das Abendmahl an einem Altar gefeiert
habe. "Tisch heißt der Altar aber metaphorisch bis heute",
sagt Markschies. Und vergleichbare Inschriften fänden sich in syrischen
Kirchen aus dem fünften Jahrhundert.
Auch der israelische Anthropologe Joe Zias relativiert
die Bedeutung des Fundes: In Israel gebe es mehrere Überreste christlicher
Kultbauten aus dem 4. Jahrhundert.
Der Ort Megiddo selbst hat allerdings schon vielfach für
Aufregung gesorgt. Bis ins vierte vorchristliche Jahrtausend reichen die
ältesten Besiedlungsspuren zurück. In der Bronzezeit (2000 bis
1200 v. Chr.) war Megiddo eine reiche und umkämpfte Stadt - wegen
ihrer Lage an den internationalen Handelswegen des Vorderen Orients, Anatoliens,
Ägyptens und Arabiens. Über die ausgebauten Handelsstraßen
rollten bei Bedarf auch die Heere der damaligen Großmächte.
Ein Denkmal aber setzte die Bibel der Stadt. Denn niemand
Geringeres als der große und weise König Salomon soll sie nach
einer ihrer Zerstörungen in großer Pracht wieder aufgebaut
haben. Seine Paläste und die Pferdeställe seiner Streitwagentruppen
werden in blumigen Worten beschrieben. Es war deshalb eine nationale Sensation,
als der israelische Archäologe Ygael Yadin in den 60er Jahren in
Megiddo monumentale Paläste, ausgefeilte Wehrmauern und "Pferdeställe"
ausgrub - der Wahrheitsgehalt der Bibel schien bewiesen, ein wichtiges
Stück jüdischer Geschichte belegt.
Bei genauerem Nachmessen stellte sich allerdings heraus,
dass die Bauten allesamt gut 100 Jahre nach der salomonischen Herrschaft
errichtet worden waren. In dieser israelitischen Königszeit des 9.
bis 7. Jahrhunderts v.Chr. war Megiddo ein Bollwerk der israelitischen
Könige gegen die ständigen Angriffe der Aramäer aus dem
Norden. Gegen die anstürmenden Assyrer half dann aber auch diese
Festung nicht mehr. 722 v.Chr. wurde das Nordreich Israel von den Aggressoren
aus dem Osten überrannt und versklavt. Megiddo wurde geschliffen.
Der Tagesspiegel, 8.11.2005
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