Tu BiSchwat - "Neujahrsfest der Bäume"
am 13. Februar
von Emanuel Cohn
unter der Mitwirkung von Zwi Weinberg und Meier Schwarz
Der halachische Kontext
Die Exklusivität des 15. Schwat wird erstmals in der Mischna erwähnt:
"Vier Jahresanfänge gibt es: Mit dem ersten Nissan beginnt das
Regierungs- und das Festjahr. Der erste Elul ist der Jahresanfang für
den Zehnt vom Vieh...Der erste Tischri bildet den Jahresanfang hinsichtlich
der Zeitrechnung, der Brach- und Jobeljahre, der Baumpflanzungen und der
Gemüse. Mit dem ersten Schwat beginnt für den Baum ein neues
Jahr - dies nach Ansicht der Schule Schammajs, die Schule Hillels aber
meint: Mit dem fünfzehnten Schwat." (Mischna Rosch HaSchana
1, 1)
Wie in den meisten Fällen, in welchen eine Meinungsverschiedenheit
zwischen der Schule Schammajs und der Schule Hillels vorliegt, wurde auch
das Neujahr der Bäume der Meinung Hillels entsprechend festgelegt:
Am 15. Schwat (15 ="Tu" im ausgesprochenen Zahlenwert).
Das Datum des 15. Schwat hat religionsgesetzlich vorwegs
landwirtschaftliche Bedeutung. So richtet sich danach die Bestimmung des
Alters eines Baumes, die Zeitgrenze für die alljährliche Verzehntung
der Früchte (Ma'asser) sowie die Ansetzung des Ma'asser Ani, des
Zehnten für die Armen. Die halachischen Pflichten, die die agrikulturelle
Ebene betreffen, sind im Lande Israel bindend und werden grösstenteils
auch heute in Israel praktiziert.
Die Festlegung dieses Datums als Neujahr für die
Bäume wird denn auch im Klima und in der Natur des Landes Israel
begründet. So ist in den traditionellen Quellen davon die Rede, dass:
a) bis zu diesem Tag der meiste Regen des Landes bereits
gefallen ist (Babyl.Talmud, Traktat Rosch HaSchana 14a);
b) am Tu biSchwat der Saft in die Bäume zu steigen beginnt (Raschi-Kommentar
zur vorigen Quelle);
c) der grösste Teil des Winterquartals (Tekufat Tevet) vorüber
ist (Jerus.Talmud, Traktat Rosch haSchana 1, 2);
d) bis zu diesem Datum die Bäume vom Regen des Vorjahres gespeist
werden, von nun an jedoch vom neuen Regen (ibid.).
Diesbezüglich wird gar angenommen, dass die Schulen
Schammajs und Hillels ihre Datenfestlegung für den Neujahrstag der
Bäume auf längere Beobachtungen der Regenfälle in Israel
stützten, wobei das gewählte Datum dem Durchschnittswert entsprach.
(Dr. E. Haruveni)
Weitere halachische Vorschriften bezüglich Tu BiSchwat
ausserhalb des landwirtschaftlichen Rahmens äussern sich - wie bei
anderen Festtagen - im Verbot, zu fasten und einem Verstorbenen einen
Nachruf zu halten, sowie in der Auslassung der Bitt- und Flehgebete (Tachanun).
Der Tag des Obstessens
Seit dem 16. Jahrhundert haben sich viele Tu BiSchwat-Bräuche in
den verschiedensten jüdischen Gemeinden der Welt geformt, wobei das
Geniessen von Früchten im Mittelpunkt steht. Dies geht auf das kabbalistische
Zentrum von Safed zurück, in welchem Rabbi Jitzchak Lurja Aschkenasi
(1534-1572, "Ari" genannt) den Tu BiSchwat als besonderen "Tag
des Obstessens" auserkor, als Symbol der feierlichen Teilnahme des
Menschen an der Freude der Bäume. Diese neue Verordnung hat in den
sefardischen und später auch in den aschkenasischen Gemeinden schnell
Wurzeln geschlagen. Nach der Vertreibung der Juden aus Spanien und Portugal
(Inquisition 1492) und der Zerstörung und Unterdrückung weiterer
Gemeinden in Europa hat diese erfrischende Neuerung für viele Juden
wie Balsam gewirkt. Dadurch wurde der sich - infolge der Not - unter vielen
Juden verbreitenden Selbstkasteiung und Askese ein lebensbejahender Quell
der aktiven Freude entgegengehalten (Dr. J.Levinski: "Sefer HaMo'adim"
(1955), 5.Band, S.330).
In der Folge wurde gar ein "Seder Tu BiSchwat"
(= TuBiSchwat-Ordnung), ähnlich des Seders am Pessachfest, festgelegt.
(Diese "Ordnung" wurde erstmals im Buche "Chemdat Jamim"
erwähnt, worauf sie als einzelnes Band unter dem Namen "Sefer
Pri Ez Hadar" 1753 in Saloniki als Ersterscheinung und danach in
Venedig, Livorno und Amsterdam gedruckt wurde.) Dieser "Seder"
besteht aus dem Genuss von 30 verschiedenen Früchten, zu welchen
-zusätzlich zum allgemeinen Segensspruch "Gelobt seist Du, Ewiger,
unser Gott, König der Welt, Schöpfer der Baumfrucht/Erdfrucht"-
verschiedene, die spezifische Frucht betreffende Texte gesagt werden.
Dem Pessach-Seder entliehen ist auch der Brauch, im Verlauf dieser Tu
BiSchwat-Ordnung (jedenfalls in ihrer ursprünglichen Version) ebenfalls
4 Becher Wein zu trinken, wobei das erste Glas aus reinem Weisswein, das
zweite mehrheitlich aus Weisswein mit einem kleinen Mass an Rotwein, das
dritte aus einer Mischung von 50% Weiss- und 50% Rotwein und das letzte
Glas schliesslich aus mehrheitlichem Rotwein mit ein bisschen Weisswein
besteht. Dies symbolisiert den Übergang vom Winter (Weisswein) zum
Sommer (Rotwein), der am Tu BiSchwat bewerkstelligt wird.
Bezüglich der Identität und der Quantität
der am Tu BiSchwat zu essenden Früchte haben sich in den jüdischen
Gemeinden verschiedene Bräuche herauskristallisiert. Es gibt Orte,
an welchen man 15 verschiedene Früchte verzehrt (15 wegen des Datums),
und in einigen jüdischen Familien werden gar fünfzig Früchte
gegessen! Der verbreiteteste Brauch ist jedoch, am Tu BiSchwat von den
sieben Baum- und Bodenfrüchten zu essen, mit welchen das Land Israel
gelobt wurde: Weizen, Gersten, Weintrauben, Feigen, Granatäpfel,
Oliven und Datteln (gemäss Deut. 8, 7-8).
Aber auch in dieser Sparte, selbst nach Bestimmung der
Identität und der Quantität der Früchte, entstanden bezüglich
der Ausdrucksform verschiedene Bräuche. So pflegte man z.B. in der
jüdischen Gemeinde von Izmir (Türkei), dass der (für den
Lebensunterhalt zuständige) Familienvater auf das Getreide den Segensspruch
macht, aufgrund des Bibelverses: "...der deinem Land Frieden gibt
und dich mit dem Fette des Weizens sättigt" (Psalmen 147, 14).
An der Mutter war es, die Weintrauben zu segnen, gemäss dem Vers:
"Deine Frau ist wie ein fruchttragender Weinstock im Inneren deines
Hauses..." (Psalmen 128, 3), und der Sohn segnete die Olive, wie
es in der Fortsetzung des vorigen Verses heisst: "...deine Söhne
sind wie Ölbaum-Sprösslinge rings um deinen Tisch." Die
Tochter machte den Segensspruch über den Granatapfel, da sich dessen
essbare Frucht im Innern der Schale befindet, so wie auch ein Mädchen
vorab seine inneren Werte pflegen sollte, wie es steht: "Ganz Herrlichkeit
weilt die Königstochter im inneren Gemache..." (Psalmen 45,14),
während die Kleinkinder Datteln (Honig) erhielten, basierend auf
dem Vers: "Honig und Milch sind unter deiner Zunge..." (Hohelied
4,11)
Der Brauch, am Tu BiSchwat von den sieben Früchten
des gelobten Landes zu essen, war gleichzeitig Ausdruck der zunehmenden
Sehnsucht nach dem Lande Israel. So gab und gibt man sich vielerorts grosse
-und auch finanziell aufwendige- Mühe, um in der Diaspora am Tu BiSchwat
importierte Früchte vom gelobten Lande selbst geniessen zu können.
Tu BiSchwat in Israel
Mit der Rückkehr der Juden in ihre Heimat, der wiedererfolgten Besiedlung
Israels und der Gründung des Staates Israel 1948 wurde der Neujahrstag
der Bäume auf eine -neben dem Obstessen- weitere Art gefeiert:
Dem Pflanzen von Bäumen. Familien und Schulklassen,
Kinder und Erwachsene gehen am 15. Schwat in die freie Natur Israels und
pflanzen Setzlinge. Oft gibt es fröhliche Gesänge und Lesungen
zur Begleitung, oft werden bei diesen Feiern auch Baumfrüchte verteilt.
Hierbei wird nicht selten dieser Bibelvers zitiert: "Und so ihr in
das Land kommt und einen Baum pflanzet..." (Lev.19, 32), wobei dessen
Bedeutung folgendermassen uminterpretiert wird (was in diesem Fall gemäss
der hebräischen Grammatik möglich ist): "Und so ihr in
das Land kommt- pflanzet einen Baum!" Die Entnahme dieses Bibelverses
aus seinem natürlichen Kontext wird wohlwollend übersehen, mit
dem Bewusstsein, dass man der Freude und Notwendigkeit, Israels Baumbestand
zu mehren, Ausdruck verleiht.
Nicht selten werden Baumpflanzungen auch vom Jüdischen
Nationalfonds (KKL) initiiert, der sich unter anderem die Bewaldung Israels
zur Aufgabe macht.
Zu besonderer Beliebtheit ist im israelischen Volksbewusstsein
der Mandelbaum gelangt, dessen weisse Blüten noch vor den Blättern
am Tu BiSchwat die israelische Flora schmücken.
Die Beziehung des Menschen zur Natur
Tu BiSchwat lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den Baum. Bäume kommen
sowohl in der Bibel als auch in der rabbinischen Literatur oft zur Sprache.
Bereits in der Schöpfungsgeschichte wird die Erschaffung der Baum-
und Pflanzenwelt hervorgehoben (Gen. 1,11-12). Der Midrasch bemerkt, dass
die Bäume zum Genusse des Menschen geschafffen wurden und man sich
an ihnen erfreuen soll (Midrasch Bereschit Rabba P.13). Dies äussert
sich auch in den Worten G"ttes zum Menschen -oder zur Menschheit-
gleich nach dessen Erschaffung im Garten Eden:
"Und es befahl der Ewige, G"tt, dem Menschen
also: "Von jeglichem Baume des Gartens darfst/sollst du essen'..."
(Gen. 2,16) Im weiteren Verlauf dreht sich die Abhandlung um den "Baum
des Lebens" und den "Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen".
Der Mensch wird vom Garten Eden vertrieben, nachdem er von letzterem verbotenerweise
kostet. Das Schicksal des Menschen ist also eng mit dem Baum verbunden.
Die Aufgabe des Menschen, den Boden zwar zu bebauen, aber
nicht weniger zu hüten und zu schonen (Gen. 2,15), kommt in der talmudischen
Anordnung, im Lande Israel kein Kleinvieh aufzuziehen, da dadurch die
Pflanzenwelt zu Schaden kommt, auf eindrückliche Weise zum Ausdruck.
(Mischna Baba Kama 7,7 ). Auf der anderen Seite versucht die Tora ausdrücklich
zu vermeiden, dass die durchwegs positive Beziehung zum Baum in seine
Verehrung entartet. In diesem Licht ist das Verbot, einen Baum in der
Nähe des Altares zu pflanzen (Deut. 16,21), zu verstehen, war es
doch beim kanaanitischen Baumkult üblich, neben den Altar einen "Aschera"-Pfahl
als Symbol des heiligen Baumes, in dem die Gottheit ihren Sitz habe, aufzustellen.
Diese Gefahr führte gar zur rabbinischen Verordnung, jedes sichtbare
Holzwerk aus dem baulichen Umkreis des Altars im jüdischen Tempel
fernzuhalten (s. Tamid 28b, Maimonides: Mischne Tora, Hil. Avoda Sara
6,10).
"...denn der Mensch ist der Baum des Feldes"
Gar im Kriegsfall ist es geboten, mit Bäumen -und insbesondere mit
solchen, die Früchte geben- schonend umzugehen:
"Wenn du eine Stadt viele Tage belagerst, um sie
durch Krieg in deine Gewalt zu bringen, so sollst du ihren Baum nicht
vernichten, da du eine Axt gegen ihn schwingst; denn von ihm sollst du
essen, ihn aber nicht fällen. Ist denn der Baum des Feldes ein Mensch,
dass er vor dir in Belagerung komme?!" (Deut. 20,19)
Die Übersetzungen und Erklärungen des letzten
Satzes sind zahlreich. Es gibt Interpretationen, die ihn nicht als Frage,
sondern vielmehr als Bejahung auslegen: "...denn der Baum des Feldes
ist der Mensch." Nun gibt es Erklärungen, die dies eher technisch
auffassen ("Die Bodenproduktion ist die Existenzbedingung des Menschen"
-Rabb. Hirsch), aber es besteht durchaus die -grammatikalisch verankerte-
Möglichkeit, diesen Satz in seinem einfachen Sinn zu verstehen: In
der Tat! Der Baum ist wie der Mensch! Diese Bibelstelle scheint demnach
die einzige zu sein, in welcher der Mensch mit etwas verglichen wird.
Es versteht sich von selbst, dass diese Lesart in der
rabbinsichen Literatur zu verschiedenen Gleichnissen im Leben des Menschen
und des Baumes führte. So wird ein gerechter Talmudgelehrter mit
einem "früchtegebenden Baum" verglichen (Babyl.Talmud,
Ta'anit 7a). Es wird ausgelegt, dass einst auch Bäume wie der Mensch
Rechenschaft ablegen müssen (Midrasch Rabba, Breschit 26,6).
In den Sprüchen der Väter heisst es: "Jeder,
dessen Weisheit seine Taten überwiegt, womit ist er zu vergleichen?
Mit einem Baum, der viele Zweige, aber wenig Wurzeln hat. Kommt ein Wind,
so entwurzelt er ihn und stürzt ihn auf seine Krone...Jeder aber,
dessen Taten seine Weisheit überwiegen, womit ist er zu vergleichen?
Mit einem Baum, der wenig Zweige aber viele Wurzeln hat. Kämen alle
Winde der Welt, sie könnten ihn nicht von seinem Platz rücken."
(Avot 3,22)
Rabbi Jakob Duschinsky erklärt den Vergleich zwischen
Baum und Mensch auf seine Weise: "Der Unterschied zwischen einem
lebenden und einem vertrockneten Baum liegt darin, dass solange die Wurzeln
des Baumes mit dessen Blättern durch die Feuchtigkeitsströmung
im Baum verbunden sind, der Baum wächst und blüht. Sobald jedoch
der "Wasserzufuhr" ein Ende gesetzt wird, trocknet der Baum
aus und verwelkt. Genau so ist es beim Menschen: Solange er seine Verbindung
mit G"tt aufrecht erhält, ist er wie ein lebender Baum -"denn
der Mensch ist der Baum des Feldes". Wenn sich aber der Mensch nicht
um die Beziehung mit der Quelle des ewigen Lichts bemüht, bleibt
er trocken und ohne Lebenswasser in seiner Seele." (Duschinsky: Be'ikvej
Paraschijot, S.322)
Nebst kabbalistischen Vertiefungen in die Wechselbeziehung
Baum-Mensch (die unsere Themenbehandlung an dieser Stelle sprengen würden),
lassen sich in der traditionellen jüdischen Literatur auch Quellen
finden, die von praktischen Gepflogenheiten berichten, die wohl erst im
Lichte des bisher Ausgeführten in ihrem vollem Ausmass verstanden
werden können. So erzählt uns der babylonische Talmud von einem
schönen, tiefsinnigen Brauch in Israel vor der Zerstörung des
zweiten Tempels (im Jahr 70), bei der Geburt eines Knaben eine Zeder zu
pflanzen und bei der Geburt eines Mädchens eine Akazie. Wenn ein
jüdisches Paar heiratete, fällte man den persönlichen Baum
des Bräutigams und den der Braut, um aus beiden zusammen den Hochzeitsbaldachin
(Chuppa) zu machen. (Babyl.Talmud: Gittin 47a) Die Symbolik liegt auf
der Hand: Der Baum wiederspiegelt den Menschen selbst, der durch die Eheschliessung
mit einem anderen Menschen, einem anderen Lebensbaum, folgenden Bibelvers
erfüllt:
"Darum verlasse der Mann seinen Vater und seine Mutter
und schliesse sich seiner Frau an, und sie sollen werden zu einem Fleische."
(Gen. 2, 24)
Quelle:
http://www.biu.ac.il/JS/Carlebach/feste/fes_tu_bischwat.html
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