Wer ist Jude?
von Ronen Reichman

Die Auffassung vom Judentum als einem Kollektiv, das seinem Wesen nach zugleich religiös und ethnisch-national ist, hat das Selbstverständnis seiner Mitglieder seit je stark geprägt. "Unsere Nation ist eine in ihren Gesetzen bestehende Nation", lautet ein in diesem Zusammenhang oft zitierter Ausspruch von Rav Sa'adja Gaon, der, wie das den Bund Gottes mit Israel symbolisierende Gebot der Beschneidung, die Verschränkung des Nationalen mit dem Religiösen zum Ausdruck bringt. Wie religiöse Inhalte im Judentum auf die Zugehörigkeit der Gemeindemitglieder zum Ethos verweisen, besteht auch eine gegenläufige Verweisstruktur: nationale Inhalte, etwa das kollektive Gedächtnis, die im jüdischen Recht angelegte Idee einer politischen Autonomie, die Sprache, die innerjüdische Solidarität waren stets in das religiöse Selbstverständnis eingebettet. Mit den Umbrüchen der Neuzeit, dem Ethos der Aufklärung, dem Aufkommen nationalen Denkens in Europa und der damit verbundenen Judenemanzipation erfuhr das jüdische Identitätsbewusstsein tiefgreifende Wandlungen, die sich in der Tendenz zur Ausdifferenzierung der Komponenten "Nation" und "Religion" im Begriff des Judentums äußern.

Anfang des 19. Jahrhunderts führten die Bestrebungen der Juden in der Diaspora, sich als gleichberechtigte Bürger den europäischen Nationen anzuschließen, zur Stärkung eines konfessionellen jüdischen Selbstbewusstseins - national identifizierte sich der Jude mit der Nation, in der er lebte. Er wurde zum Deutschen oder Franzosen mosaischen Glaubens. Die nationale Renaissance dagegen, die die zionistische Bewegung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewirkte, führte zu einer erheblichen Schwächung des Religiösen als identitätsstiftendem Merkmal. Die Diskussion über jüdische Identität in Israel wurde und wird deshalb immer intensiv geführt, weil die unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen und rechtlichen Säkularisierungsprozesse die tief im jüdischen Bewusstsein verwurzelte Idee von einer untrennbaren Einheit von Religion und Nation spannungsvoll herausfordern.

Jüdische Religion, jüdische Nation
Mit der Gründung des Staates Israel 1948 nahm die Einwanderung von Juden erheblich zu. Bis 1960 kamen fast eine Million Menschen, womit sich die jüdische Bevölkerung verdoppelte. Im Heimkehrgesetz von 1950 - in gewissem Sinne der Inbegriff des Staates - heißt es lapidar: "Jeder Jude ist berechtigt, in das Land einzuwandern". Das für Juden reservierte Einwanderungsrecht ist umfassend - bis auf die Ausnahmen wegen krimineller Aktivität oder besonderen Krankheiten. So erhält der jüdische Einwanderer unmittelbar nach der Einreise einen entsprechenden Ausweis und genießt uneingeschränktes Aufenthaltsrecht, aufgrund dessen er die Staatsbürgerschaft ohne jede Einschränkung erlangen kann. Doch eine Definition, wer ein Jude ist, fehlte in dem Gesetz von 1950.

Die unter der Wendung "Wer ist Jude" bekannt gewordene israelische Debatte begann am 10. März 1958 mit Anweisungen des damaligen Innenministers, Moshe bar Jehuda (Arbeitspartei), zur Eintragung der Religions- und Nationszugehörigkeit in die Einwohnerkartei, auf deren Grundlage der Personalausweis ausgestellt wird. Schon seit 1949 sah eine Verfügung (die 1965 durch ein Gesetz ersetzt wurde) zwei getrennte Angaben über die Zugehörigkeit zur Nation und zur Religion vor - unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Der jüdische Bürger würde im Normalfall die Angabe "Jude" zweimal eintragen lassen, einmal in der Rubrik "Nation", einmal in der Rubrik "Religion".

Doch die Eintragungspflicht beim Einwohnermeldeamt wurde bis 1958 uneinheitlich und nicht transparent gehandhabt. Es gibt Anlass anzunehmen, dass die damals für die Eintragung zuständigen Beamten in Zweifelsfällen von den Einzutragenden entsprechende Belege vom Rabbinat gefordert haben. Gemäß den neuen Anweisungen des Innenministers genügte für die Eintragung "Jude" in beiden Rubriken fortan eine nach gutem Wissen und Gewissen abgegebene Erklärung. Im selben Sinne regelten die neuen Anweisungen die Eintragung für Kinder aus Mischehen. Für den Eintrag der Kinder als "Juden" genügte der Wille der Eltern.

Die neuen Anweisungen, in denen die Handschrift des damaligen juristischen Sachverständigen der Regierung, Chaim Cohen, spürbar ist, sollten die Regelung präzisieren und zugleich liberalisieren. Der Eintragung wurde ein subjektives Kriterium zugrunde gelegt. Es hieß: "Jeder Mensch, der nach gutem Wissen und Gewissen erklärt, dass er Jude sei, ist als Jude einzutragen, und keine anderen Beweise sind von ihm zu verlangen." Damit waren die Anweisungen zunächst von dem objektiven halachischen Maßstab abgewichen, der den Juden als entweder von einer jüdischen Mutter geboren oder als zum Judentum übergetreten definiert. Zugleich öffneten sie den Begriff des Judentums. Man denke an den Fall der Eintragung der Kinder aus Mischehen, wo die Mutter nichtjüdisch ist. Dem plausiblen Wunsch der Eltern, die Kinder als "Juden" gemäß ihrer nationalen Zugehörigkeit eintragen und die Angabe zur Religion eventuell offen zu lassen, entsprachen die neuen Anweisungen. Somit legitimierten sie in gewisser Weise ein säkulares, jüdisch-nationales Selbstverständnis. Die daraus entstandene Regierungskrise führte im Juli 1958 zur Bildung einer Kommission unter Leitung von Ministerpräsident Ben Gurion. Sie beriet über die Frage, nach welchen Kriterien Kinder aus Mischehen eingetragen werden sollen, wenn die Mutter nichtjüdisch ist und die Eltern sie als Juden eintragen wollen. Die Frage wurde 47 Intellektuellen und geistigen Autoritäten in Israel und in der Diaspora gestellt. Eine Mehrheit von ihnen forderte die Orientierung am halachischen Maßstab. Noch bevor alle Stellungnahmen vorlagen, war die politische Krise beendet, und mit der Bildung einer neuen Regierung büßten die strittigen Anweisungen praktisch ihre Geltung ein. Die Befragung der Weisen hatte auch in der Öffentlichkeit keine nachhaltige Wirkung gezeigt. Das Unterfangen Ben Gurions galt eher als erfolglos. Davon unabhängig traf der neue Innenminister. Moshe Chaim Shapira, Anfang Januar 1960 neue Anweisungen, die sich im Grunde am halachischen Maßstab orientierten.

Die zweite Etappe der Debatte begann 1959 mit einer Petition von Arnold Rufeisen. Der 1922 in Polen geborene Jude konvertierte 1942 zum Christentum und ist 1959 als Karmelitermönch nach Israel eingewandert. Rufeisen verstand sich trotz des Religionswechsels, welchen er zur Zeit der Besatzung Polens durch das Naziregime in einem als Zufluchtsort dienenden Kloster vollzog, weiterhin als der jüdischen Nation angehörend. Zu beachten ist, dass er in seiner Jugend in der zionistischen Jugendbewegung "Aqiva" aktiv gewesen war und sich dem Karmeliterorden 1945 angeschlossen hatte, weil dieser ein Kloster in Haifa (am Karmel) als Mutterhaus besaß, zu dem er auf seinen Wunsch hin tatsächlich gekommen war. Seine Zugehörigkeit zur jüdischen Nation wollte er vom Staat anerkennen lassen, indem er sich auf das Heimkehrgesetz berief und um die Ausstellung einer Einwandererurkunde bat. Gleichzeitig beantragte er, in seinem Personalausweis unter Nation "Jude" einzutragen. Mit dem Verweis auf die Einschränkung "nicht Angehöriger einer anderen Religion" in den besagten Anweisungen lehnte der Innenminister Rufeisens Antrag ab. Man bot ihm an, die Staatsbürgerschaft auf einem anderen Weg - durch Naturalisation - zu erwerben. Dies verweigerte er und brachte eine Petition vor den Obersten Gerichtshof. Sein Argument lautete: "Der Begriff ,Nation' ist mit dem Begriff ,Religion' nicht identisch. Ein Jude nach seiner Nationalität muss nicht ein Jude nach seiner Religion sein." Der Prozess wurde im Dezember 1962 entschieden. Mit den vier Stimmen der Richter Silberg, Landau, Berinson und Mani lehnte das Gericht die Petition ab: nur der Richter Cohen wollte ihr stattgeben. Die Einbürgerungsbestätigung wurde Rufeisen im September 1963 erteilt, doch im Einwohnerverzeichnis wie im Personalausweis blieb die Rubrik "Nation" leer.

Die reichhaltige, in den Voten der Richter dokumentierte Diskussion konzentrierte sich auf die Frage, wie der Begriff "Jude" im Heimkehrgesetz auszulegen sei. Sie wurde von zwei Seiten angegangen. Zunächst erörterte man, wie der Begriff nicht auszulegen ist. Nach der Halacha, so wurde argumentiert, bleibe ein konvertierter Jude zwar weiterhin Jude. Die herrschende Meinung im jüdischen Recht sei, dass der Konvertit (bis auf einige nebensächliche Bestimmungen) in jeder Hinsicht als Jude zu sehen sei. Der halachische Maßstab sei für die Interpretation des Heimkehrgesetzes jedoch in keiner Weise juristisch verbindlich. Die rechtsstaatliche Verpflichtung zur Trennung von Staat und Religion verbiete eine automatische Anwendung des halachischen Kriteriums auf den Fall.

Zur Erörterung des Begriffs "Jude" im positiven Sinne orientierten sich die Richter zunächst vor allem am gesellschaftlichen Konsens, nämlich an der Art und Weise, wie der Begriff "Jude" im Alltag verwendet wird. Juden im allgemeinen wie Israelis (einschließlich Nichtjuden) sehen den zu einer anderen Religion übergetretenen Juden als einen Menschen, der, so der Richter Berinson, "nicht nur aus der jüdischen Religion, sondern auch aus der jüdischen Nation herausgetreten ist". Maßgeblich sei ferner die Deutung des Heimkehrgesetzes im Kontext der zionistischen Ideologie. Sie führte zur Ermittlung der Ansicht der Gründer des Zionismus, Theodor Herzl selbst, der sich so vehement gegen jede Fusion von Religion und Staat eingesetzt habe, der nicht von einem jüdischen Staat, sondern vom Staat der Juden gesprochen habe, habe in einem Brief vom 12. September 1897 ohne jede weitere Begründung entschieden, dass der Antrag eines zum Christentum konvertierten Juden, Moritz de Jonge (1864-1920), auf Mitgliedschaft im zionistischen Verein abzulehnen sei.

Mit der zionistischen Argumentation verschränkt war das Argument von der historischen Kontinuität. Es gelte, die mittelalterliche Judenverfolgung durch die Christen in Erinnerung zu behalten und auch, dass Nation und Religion im Begriff des Judentums immer vereint waren. Dies gebiete es, jeden Versuch zur Trennung von Nation und Religion zu unterbinden.

Orientierung am Willen
Die Minderheitenmeinung zugunsten der Petition von Rufeisen vertrat Richter Cohen. Die Stärke seiner Argumentation zeigt sich weniger in der Interpretation des Heimkehrgesetzes als in der Eintragungsregelung im Einwohnerverzeichnis. Der Beamte im Einwohnermeldeamt sei in keiner Weise autorisiert, die Angaben, die ihm vorgelegt werden, auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Die Eintragung der Nations- und Religionszugehörigkeit habe lediglich eine statistische Funktion: aus ihr erwüchsen keine Rechte. All dies spreche für eine Orientierung am Willen des Einwohners.

Wirkung zeigte Cohens Argumentation über den Sinn der Eintragung in der Einwohnerkartei und die sich daraus ergebenden Konsequenzen erst im nächsten Stadium der Debatte: der höchstrichterlichen Verhandlung der Petition von Benjamin Shalit. Shalit war ein 1935 in Palästina geborener Jude, der wie Rufeisen die Zugehörigkeit zum jüdischen Kollektiv nur im nationalen Sinn verstand und auf die Trennung von der Religion Wert legte. Er heiratete 1958 während seines Studiums in Schottland eine nichtjüdische Frau, An Gades, die Tochter eines Schotten und einer Französin. In Haifa, wo sich das Paar niederließ und in die israelische Kultur integrierte, wurden die Kinder Oren (1964) und Galia (1967) geboren. Shalit verstand sich wie seine Frau als konfessionslos. Seinen Wunsch, beide Kinder als konfessionslose Angehörige der jüdischen Nation in die Einwohnerkartei einzutragen, lehnte die Behörde jedoch ab.

Shalit brachte den Fall vor den Obersten Gerichtshof. Die zwei Jahre dauernde Verhandlung (1968-70) weckte ein großes öffentliches Interesse. Die Beschwerde wurde vor dem bis dato größten Forum des Gerichts von neun Richtern verhandelt. Mit fünf zu vier Stimmen wurde ihr stattgegeben. Dafür sprachen sich neben Cohen auch die Richter Sussmann, Berinson, Witkon und Mani aus. Dagegen lehnten der Präsident des Gerichtshofs, Agranat, wie auch die Richter Silberg, Kister und Landau die Beschwerde ab. Während der Verhandlungen appellierten die Richter an die Regierung, sie möge zur Verhinderung solcher ideologischen Debatten im Kontext verwaltungstechnischer Regelungen die Eintragung der nationalen Zugehörigkeit in der Einwohnerkartei abschaffen. Doch die Regierung wies den Appell zurück.

Im Grunde schrieb die Mehrheitsmeinung im Shalit-Urteil die im Rufeisen-Urteil vorgetragenen Argumente Cohens fort. Es zeichnete sich bei der Mehrheit die Tendenz ab, das Thema zu entideologisieren. Im Sinne der subjektivistischen Auffassung Cohens wurde die Frage als eine verwaltungsrechtliche Angelegenheit beurteilt. Man hob hervor, dass die Eintragung lediglich statistischen Zwecken diene. Die Frage war, so Richter Sussmann, nicht die allgemeine, wer Jude sei, sondern lediglich die, ob das Einwohnermeldeamt zur Eintragung der Kinder als konfessionslose Angehörige der jüdischen Nation verpflichtet sei oder nicht. Es gehe bei der Eintragung nicht um die Anerkennung der Kinder als "jüdisch", als stelle eine derartige Anerkennung die Grundlage für die Eintragung dar. Die Verpflichtung zur Eintragung der mitgeteilten Angaben sei zunächst nicht von deren Richtigkeit abhängig. Nur in extremen Fällen, wenn die Erklärung offensichtlich nicht zutreffe, etwa im Fall eines Erwachsenen, der zur Angabe seines Alters das Alter eines Kindes mitteilte, sei der Beamte befugt und verpflichtet, die Erklärung abzulehnen. Der subjektive Maßstab erwächst dem Geist des Gesetzes über die Eintragung im Einwohnerverzeichnis und setzt dem Beurteilungsspielraum des Beamten deutliche Schranken.

Man vergleiche kurz die Urteile des Obersten Gerichtshofs zu Rufeisen und Shalit. Beide Antragsteller beanspruchten die Eintragung "Jude" in der Rubrik "Nation". Was man dem geborenen Juden Rufeisen nicht gewährte, wurde den, halachisch gesehen, nichtjüdischen Kindern Shalits zugebilligt. Diese scheinbare Paradoxie hat man mit dem Hinweis auf den gemeinsamen, säkularen Charakter beider Urteile zu erklären versucht. Denn in beiden Fällen wurde ein dem halachischen Maßstab entgegengesetztes Urteil gefällt. Aber dieses Erklärungsmodell trifft nicht den Kern der Sache. Es erklärt nicht den Weg von einer objektivistischen zu einer subjektivistischen Deutung des Begriffs "Jude". Im Shalit-Urteil bahnte sich der Weg an, die Eintragungsfrage abseits ihres ideologischen Gehalts im konkreten Kontext des fraglichen Regelungsbereichs zu behandeln. Man konnte nicht - wie im Fall Rufeisen - von einem Konsens im Volk ausgehen. Rufeisen verlangte zudem zweierlei: die Anerkennung als Einwanderer und bezüglich der Nationszugehörigkeit, die Eintragung "Jude" im Personalausweis. Die Eintragungsfrage konnte man deshalb nicht isoliert von der Frage des Einwanderungsrechts behandeln.

Untrennbar verschränkt
Unmittelbar nach der Entscheidung zugunsten Shalits kam die parlamentarische Antwort: Auf Druck der religiösen Parteien wurde 1970 das Heimkehrgesetz überarbeitet. Der Novellierungsparagraph, der nun eine verbindliche Definition des "Juden" gab, wurde mit dem Gesetz über die Eintragung im Einwohnerverzeichnis von 1965 verknüpft. Demzufolge ist "Jude", wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde beziehungsweise zum Judentum übergetreten ist und nicht einer anderen Religion angehört. Diese gesetzgeberische, politische Antwort auf das liberale Urteil im Fall Shalit legt eine verbindliche Interpretation des Begriffs "Jude" fest, welche die Komponenten Nation und Religion untrennbar miteinander verschränkt. Die Novellierung greift den halachischen Maßstab auf und fügt das einschränkende Kriterium "nicht Angehöriger einer anderen Religion" hinzu, die auf das Urteil im Fall Rufeisen zurückgeht. Nicht unerwähnt bleiben soll der andere Teil der Novellierung, der sozusagen liberale praktische Paragraph, demgemäss das Einwanderungsrecht auch den nichtjüdischen Verwandten eines Juden zusteht, dem Ehepartner wie auch nichtjüdischen Kindern und Enkeln.

Die eindeutige, scharfe parlamentarische Reaktion auf das Shalit-Urteil zeigt, wie schwer die Einheitsthese von der Untrennbarkeit von Nation und Religion im Begriff des Judentums wiegt. Dennoch war die Entscheidung des Gesetzgebers falsch. Denn die Regelung über die Eintragung in der Einwohnerkartei ist nicht der Ort, an dem die ideologisch umstrittene Einheitsthese festgehalten werden sollte. Das Gesetz verstößt auch gegen die Gewissensfreiheit. Denn vor allem aufgrund der Einschränkung "nicht Angehöriger einer anderen Religion" wird der religiöse Aspekt im Begriff des Judentums formal hervorgehoben. In seiner Mitteilung über die nationale Zugehörigkeit ist der jüdische Bürger insofern gezwungen, den religiösen Aspekt des Begriffs "Jude" in Kauf zu nehmen. Kein Wunder, dass das neue Gesetz unmittelbar nach seiner Inkraftsetzung einen Herrn Tamrin veranlasste, eine weitere Beschwerde vor den Obersten Gerichtshof zu bringen. Nun wurde im Kontext der Nationszugehörigkeit das israelische Bewusstsein gegen das jüdische ausgespielt. Tamrin nahm Anstoß am national-religiösen Sinn des Begriffs "Jude" und wollte die Eintragung "Jude" im Personalausweis durch die Angabe "Israeli" ersetzen. Sein Antrag wurde zwar abgelehnt, doch traf er damit einen durch den aktuellen israelischen Kulturkampf sensibilisierten Nerv. Am 25. Dezember des vergangenen Jahres brachten 38 israelische Bürger einen entsprechenden Antrag beim Obersten Gerichtshof ein, darunter der Schriftsteller und Friedensaktivist Uri Avnery und die Menschenrechtlerin Shulamit Aloni. Man darf gespannt sein, wie der Gerichtshof unter der Präsidentschaft von Aharon Baraq entscheiden wird.

Der Verfasser lehrt Talmud, Codices und Rabbinische Literatur an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.
Mitteilungsblatt des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, April 2005

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