Bierbrauen im Westjordanland und die Realitäten
von Jörg Bremer und Michael Borgstede

Kein Straßenschild führt nach Taybeh. Die Israelis schildern zwar ihre Siedlungen genauestens aus, aber eine kleine arabische Gemeinde einige Kilometer östlich von Ramallah kann da schon mal in Vergessenheit geraten. Dennoch erfreute das verschlafene 1500-Einwohner-Nest sich in diesen Tagen eines ungekannten Besucherstroms. Man kam ins Dorf, um das erste palästinensische Oktoberfest zu feiern - mit allem, was zu einem echten Oktoberfest eben dazugehört.

Sogar Bier. Seit 1996 braut Nadim Khoury in Taybeh seine drei Biersorten nach dem deutschen Reinheitsgebot von 1516. Khoury, der durch den Osloer Friedensprozeß Hoffnung schöpfte und nach 25 Jahre dauerndem Exil aus den Vereinigten Staaten in seine Heimat zurückkehrte, ist stolz auf sein Bier. So stolz, daß er seinen Gästen trotz der frühen Morgenstunde wieder und wieder die Glasgefäße füllte. Als Christ darf er, im Gegensatz zu Muslimen, Bier brauen, exportieren und sogar trinken. Und da in Taybeh ausschließlich Christen leben, wurde das Fest eine ziemlich feuchtfröhliche Angelegenheit.

Mit dem bayerischen Vorbild hat das palästinensische Pendant aber trotzdem nicht viel zu tun. Es ist mehr eine Art Markt. Nach Kirmes, Bierhallen und bierseligen Schluckern sucht man vergebens. Statt dessen preisen Bauern ihr Olivenöl an, es gibt Seife, Stickereiwaren, Lampen in Form von Friedenstauben und allerlei zu essen. Viel diplomatische Prominenz treibt sich im Dorf herum. Die belgische Konsulin de Foy lobt das Bier, und ihr spanischer Kollege lädt sich gleich einige Kartons in den Wagen. Der griechisch-orthodoxe Bischof guckt huldvoll den Mädchen zu, die palästinensische Gewänder präsentieren. Ihre Schwestern im schwarzen Gymnastik-Outfit und mit der schwarzweißen Keffijeh über dem Bauch tanzen Volkstänze. Unzählige Kinder spielen auf der Straße, üben Seilspringen auf einem Bein oder versuchen, ein kompliziertes Würfelspiel der Erwachsenen zu verstehen. Irgendwo erklingen traditionelle arabische Musikinstrumente, und um die Ecke wird gar ein Theaterstück aufgeführt.

Man muß bei dem Lärm allerdings schon genau hinhören, um zu verstehen, worum es geht. "Die Geschichte von Mona" heißt das Stück. Mona ist jung, gerade 14 Jahre alt, doch ihre Familie will sie bereits verheiraten. Mona will nicht, weigert sich vehement und wird schließlich von ihren Brüdern getötet. Ein ziemlich ernstes Thema für einen so lustigen Anlaß, könnte man meinen. Es sollte wohl der Versuch sein, sich mit der jüngsten Vergangenheit des Dorfes auseinanderzusetzen. Denn trotz der ausgelassenen Feierlaune hängt ein düsterer Schleier über dem Dorf.

Noch vor wenigen Wochen war nicht einmal klar, ob das erste palästinensische Oktoberfest überhaupt stattfinden werde. Heute verkündet David Khoury, der Bruder des Brauers, dessen Frau auch die Festfolge organisiert hat, nicht ohne Stolz: "Wir feiern nun erst recht." Der Khoury-Clan stellt die größte Familie im Ort. Es war ein Angehöriger dieser Sippe, ein Schneider, der vor einigen Monaten seine muslimische Mitarbeiterin aus dem Nachbarort Deir Dscharir schwängerte. Als das sichtbar wurde und nicht mehr geheimzuhalten war, wurde die Schwangere von ihren Brüdern gezwungen, sich zu vergiften. Schnell und ohne bei den Behörden Meldung zu erstatten, wurde die Tote bestattet - die Familienehre schien gerettet.

Doch als die Palästinenserbehörde Verdacht schöpfte und eine Exhumierung der Leiche sowie eine Autopsie anordnete und der Khoury-Clan mögliche "Entschädigungszahlungen" von einem DNA-Test abhängig machen wollte, zogen am 2. September einige Dutzend Muslime nach Taybeh, setzten alle Häuser in Brand, deren Eigentümer dem betroffenen Clan angehörten, und nahmen gleich noch allerlei teure Elektrogeräte mit. "Wir kennen einander doch, wir leben seit jeher zusammen, und dann geschieht das", sagt David Khoury. 14 Häuser brannten damals aus; 72 Menschen wurden obdachlos. Die schwarzen Fensterhöhlen, die ausgekohlten Häuserhüllen empfangen die Besucher des Oktoberfestes ebenso wie die freundlich einladenden Transparente über der Straße.

Nur mit Müh und Not konnten Brauer Khoury und seine Nachbarn verhindern, daß der Mob auch die Brauerei in Brand setzte. Mit Steinen und Äxten bewaffnet, leisteten sie Widerstand. "Zwei Stunden haben sie gewütet. Dann erst kam die palästinensische Polizei, die so lange warten mußte, bis die israelische Besatzungsarmee den Einsatz genehmigte", erinnert sich Nadim. Zur Zeit herrscht zwar ein Waffenstillstand zwischen den Familien. Wie es weitergehen soll, ist aber ungewiß. Taybeh soll Wiedergutmachung für die geschändete Familienehre an die Nachbarn zahlen. Der vom Mob verursachte Schaden in Millionenhöhe wird jedoch nicht ersetzt. Der Schneider sitzt im Gefängnis, und auch seine Schwester mußte in Sicherheit gebracht werden. Denn für die vergiftete Frau soll auch eine christliche, Frau sterben, haben die Leute im Nachbarort beschlossen. Um das zu verhindern sorgt der - ebenfalls zum Feiern erschienene - amerikanische Gesandte zur Zeit für die Auswanderung der beiden zu Verwandten in die Vereinigten Staaten.

Und wenn das Fest auch nie ganz aus dem Schatten der jüngsten Katastrophe tritt, so gibt es auch hoffnungsvolle Momente. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat ein kurzes Seminar organisiert, bei dem die Produzenten des Ortes mehr über das Marketing ihrer Produkte lernen sollen. Neben dem leeren Schwimmbad der Gemeinde spricht Omar Raschid von der Bir-Zeit-Universität über Produkt und Preise. Tanjia auf dem Platz daneben verkauft Honig aus der Region, der reiner sein soll als jeder andere Honig. "Aber bisher haben wir noch nicht deutlich gemacht, von was sich die Bienen hier ernähren, was diesen Honig so speziell macht." Immerhin würden nun die Vermarktungswege der Brauerei genutzt, um auch den Honig zu exportieren.

"Das Feinste im Mittleren Osten" - wie Khoury sein Bier genannt hat - entsteht in der bescheidenen Brauerei gleich neben dem Haus der Brüder Khoury. Hinter einem eisernen Tor verbirgt sich eine kleine Anlage. 6000 Hektoliter produzierte Khoury im Jahr 2000. Dann begann die "zweite Intifada", von der sich die Brauerei noch immer nicht erholt hat. Die Produktion sank um 80 Prozent; alle israelischen Abnehmer kündigten ihre Verträge. Palästinensisches Bier war plötzlich verpönt, rief Assoziationen an Terror und Gewalt hervor. Eine einzige Bar in Tel Aviv läßt sich derzeit noch beliefern und gibt das Produkt markenlos als Hausbier aus. Die Produktion liegt mittlerweile nur noch bei knapp 3000 Hektoliter. Die Marken heißen "light", "golden" und "dark".

Natürlich sorgt die politische Situation regelmäßig für unvorhergesehene Komplikationen bei der Produktion. Mal konnte die Brauerei monatelang ihre importierten Flaschen nicht vom Zoll in Aschdod abholen. Dann wieder ließ sich das Bier nur Kiste für Kiste aus dem Dorf transportieren, weil die Armee die Zufahrtsstraße mit Müll blockiert hatte. "Ich besorge Hefe und Malz in großen Vorräten aus dem Ausland", sagt Nadim, "um möglichst unabhängig von den täglich schwankenden Ereignissen zu sein."

Für einen Sprung in der Nachfrage soll der Chinese Fei Qian von der brautechnischen Akademie in Wuhan sorgen. Nach dem Willen der Hanns-Seidel-Stiftung, die seit 1989 Wuhan fördert, soll der junge Mann Anfang November ein Rezept für alkoholfreies Bier in die Region bringen und damit auf dem alkoholfreien muslimischen Markt Fuß fassen. Der Marketing-Dozent Omar Raschid ist begeistert: "Das wird kein Marketing-Problem, das ist die Chance schlechthin."

FAZ, 4.10.2005

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