Tür an Tür
Im israelischen College Beit Berl studieren Juden und Araber auf einem
Campus, doch sie leben eher neben- als miteinander
von Birgitta M. Schulte
Die größte Lehrerausbildungsstätte Israels,
das Beit Berl College, liegt in einem Park unter Palmen, inmitten von
Obst- und Gemüseplantagen. Neben großen Betongebäuden
vermitteln Häuschen mit roten Ziegeldächern, verteilt über
den grünen Campus, noch etwas von der Stimmung des Anfangs dieser
Pädagogischen Hochschule. Es herrscht eine Art heitere Bescheidenheit.
Beit Berl, gegründet 1946, noch vor der Ausrufung
des Staates Israel, ist nach Berl Katznelson, Leitfigur der zionistischen
Pioniere, benannt. Das College gehörte einst der Arbeiterbewegung
und ist heute eine staatliche Institution.
Die sozialistischen Ideale haben sich etwas abgeschliffen,
noch immer aber bemüht sich Beit Berl, die "Elite unserer Jugend"
für den Dienst an der Gesellschaft heranzubilden. 7 000 Studierende
waren es 2004, die sich für die Arbeit im schulischen und nicht-schulischen
Bereich qualifizierten. "Was wir herübertransportieren in die
Gegenwart," sagt Gad Arnsberg, Leiter der Abteilung Internationale
Beziehungen, "ist der Dialog zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen,
die Integration von Neueinwanderern und das Engagement der Studierenden
bei sozial schwachen Familien."
"Integration" ist das Leitmotiv des Beit Berl
College, auch die jüdisch-arabische. So wurde 1980/81 das "Akademische
Institut für die Ausbildung arabischer Lehrer" von Jaffa auf
den grünen Campus verlegt. Damals lag Beit Berl noch inmitten der
arabischen Dörfer der Sharon-Ebene und pflegte intensive Kontakte.
Die Studierenden gingen zu Praktika hinaus, es wurden Araber und Araberinnen
für Weiterbildungsstudien geworben. "Seit der ersten Intifada,"
sagt Ursula Scheffer, Vorsitzende des deutschen Fördervereins für
Beit Berl, "wurden die Kontakte zu den arabischen Dörfern eingestellt."
25 Kilometer nordwestlich von Tel Aviv, in der Wespentaille
des Landes spürt man heute bei der Anfahrt die Atmosphäre der
Straßensperren und Wachtposten vor der Westbank, des trennenden
Zauns. Aber noch immer ist die grüne Insel ein Ort der Begegnung.
Hier wird gesellschaftliches Miteinander von Juden und Arabern praktiziert-
und zwar so, "wie es gesellschaftliche Realität ist," sagt
Hendrik Hartemann, der in Wiesbaden Sozialpädagogik studiert und
im Austausch der Hochschulen ein Semester in Beit Berl verbringt: "Juden
und Araber leben separat."
Es gibt in einem Gebäude die jüdische PH, in
der Hebräisch gesprochen wird, und in einem anderen, fachlich unabhängig,
das arabische Akademische Institut, in dem Arabisch gesprochen wird. Die
Ausbildung ist unterschiedlich, denn das jüdische und das arabische
Schulwesen sind in Israel weitestgehend getrennt. Nur in wenigen Städten
gibt es Schulen, die Kinder beider Gruppen aufnehmen.
Beide Ausbildungszweige sind eigenständige Elemente
einer Gesamtinstitution. Ursula Scheffer sieht darin eine große
Leistung von Beit Berl: "Der kulturellen Minderheit wird Raum gegeben."
"Wir bilden so aus, dass die Absolventen - zu 87 Prozent sind das
jetzt Frauen - stolz sind auf ihre Kultur", betont denn auch der
Leiter der arabischen Institution, Lutfi Manzur.
Die kulturelle Autonomie des arabischen Institutes ist
ein großes Anliegen auch der jüdischen Seite, so Aaron Seidenberg,
Leiter der Gesamtinstitution. Dieses "Gesamt" ermöglicht
eben auch, dass sich die beiden Kulturen berühren. Man begegnet sich
auf Leitungsebene, da, wo es um Budget-Verhandlungen und Lehrkonzeptionen
geht. Der arabische wie der jüdische Rektor, so unterschiedlich sie
auch sind - groß und ruhig der eine, klein von Statur, zart und
wendig der andere - strahlen Wärme aus. Man glaubt ihren Gesten das
große Bemühen.
Die Studierenden beider Herkünfte treffen sich zur
politisch einflussreichen Studentenvertretung, sie begegnen sich in Mensa
und Bibliothek, im großen Sportzentrum, das mit kühlem Wasser
lockt. Manche Feste werden gemeinsam gefeiert. Man lebt Tür an Tür,
nicht im selben Zimmer, aber doch auf derselben Etage eines Studentenwohnheims.
Auf den Rasenflächen lagern in der Mittagspause vornehmlich
arabische Studentinnen. Wie ist das Zusammenleben mit den anderen? "Nett",
sagt Chalifa Isra, "es ist okay." Und ihre Freundin ergänzt:
"Juden sind Menschen, unter denen es, wie überall, nette und
weniger nette Zeitgenossen gibt."
Die zukünftigen Lehrerinnen sollen Trägerinnen
der Idee sein, dass auf einen Krieg die Aushandlungsphase folgen kann,
dass sich Handel und Wandel gemeinsam entwickeln lassen. "Das können
wir von Europa lernen, erklärt Rektor Aaron Seidenberg, "dass
die Feinde von gestern morgen Freunde sein können."
Beit Berl hat eine starke Ausrichtung auf Europa, was
zunächst einmal eine Gegenposition zur allgegenwärtigen Finanzierung
durch die USA ist. Beit Berl pflegt daher einen intensiven Austausch in
seiner Israelisch-Deutschen Begegnungsstätte. Hinter allem steht
aber ein inhaltliches Anliegen: "Wenn wir die Deutsche Verfassung
behandeln, dann steht dahinter die Frage: Wie repräsentiert man unterschiedliche
gesellschaftliche Gruppen in einem System."
Israel will höhere und niedere Schichten integrieren,
wegen der abgeschotteten Wohnanlagen gelingt das allerdings weniger gut.
"Und wir sind erst recht weit davon entfernt, Kinder unterschiedlicher
Herkunft in einer Klasse unterrichten zu können", sagt Aaron
Seidenberg.
Die Einrichtung eines "Zentrums für multikulturelle
Erziehung" ist der Versuch, in dieser Richtung einen Schritt weiter
zu kommen. Hier wird nicht nur jüdische, sondern auch palästinensische
moderne Literatur gelesen. Hier werden die Geschichte des Staates Israel,
die Geschehnisse des Unabhängigkeitskrieges 1948 nicht nur aus israelischer,
sondern auch aus arabisch-palästinensischer Perspektive unterrichtet.
Hier werden auch Lehrmethoden und Curricula diskutiert, bevor jüdische
und arabische Lehrerinnen und Lehrer als Team vor die Studierenden treten,
die hier ein Ergänzungsstudium zur normalen Lehrerausbildung absolvieren.
"Beit Berl entwickelt sich kontinuierlich in Richtung
einer multidisziplinären Stätte höherer Bildung,"
so die Selbstdarstellung der Hochschule. Das israelische Erziehungsministerium
aber hat dem Bemühen um Forschungsprogramme und Internationalität
erst einmal die Energie genommen.
Die Kürzungen der sozialen Budgets, die Krieg und
Mauerbau nach sich ziehen, verlangen die Zusammenlegung pädagogischer
Hochschulen. Damit wird parallel die Integration des Hochschulwesens verfolgt,
Anpassung an westliche Trends.
Auch in Beit Berl soll es künftig möglich sein,
Bachelor- und Masterstudiengänge zu absolvieren, die PH soll Teil
einer normalen Hochschule sein. Künftig werden das Levinsky-Institut
für Erziehung in Tel Aviv und das Beit Berl College eine organisatorische
Einheit bilden. Die aufzubauen, bindet nun die Energie.
Das arabische akademische Institut gehört weiterhin
dazu. Auch wenn das angestrebte "gesellschaftliche Miteinander"
eher ein Nebeneinander ist: Für Israel mit seinen tiefen Spaltungen
ist das ein Zeichen der Hoffnung.
Beit Berl
Das 1946 gegründete Beit Berl College nördlich von Tel
Aviv ist heute mit rund 7 000 Studierenden die größte Bildungseinrichtung
für Lehrerinnen und Erzieherinnen in Israel. Sie ist benannt nach
Berl Katznelson, einer der Leitfiguren der zionistischen Pionierbewegung.
Zum College gehört die arabische Lehrerhochschule. Die arabischen
und jüdischen Studenten werden in getrennten Institutionen ausgebildet,
leben aber gemeinsam auf einem Campus.
Frankfurter Rundschau, 07.06.2005
zur Titelseite
zum Seitenanfang
|