"Alles hängt von der Bewegungsfreiheit ab"
In den palästinensischen Gebieten, dem gelobten Land der Bibel, geht es mit der Wirtschaft langsam wieder bergauf
von Inge Günther

Palästinenser nennen es ihr Gold. Seine Farbe hat einen kräftigen Grünstich, nicht so gelbblass wie vergleichbare europäische Erzeugnisse im Supermarkt. Auch sein Geschmack ist würziger. Das Olivenöl aus der Westbank legt einen ziemlich starken Auftritt hin. Laut Johnny Hazboun von der Handelsgesellschaft Paltrade zählt es zu den besten Qualitäten weltweit.

Trotzdem haben tausende Farmer davon nicht viel - abgesehen vom eigenen Genuss. Sie produzieren zwar jährlich einen hohen Überschuss. Aber die Exporte sind minimal. Dem versucht Paltrade - eine halbamtliche Organisation der Autonomiebehörden mit Sinn für moderne Vermarktung - abzuhelfen. Sie startete eine Info-Aktion unter den Anbauern, wie ausländische Absatzmärkte funktionieren; schaffte belüftbare Vorratscontainer an und Jutesäcke als Ersatz für die Plastikplanen, die in vielen Dörfern beim Sammeln der Oliven benutzt werden.

Bei einer Reihe internationaler Produktausstellungen ist Paltrade inzwischen mit Testständen vertreten. Zum Vorzeigemodell mauserte sich dabei Qeereh, ein Dorf nördlich von Ramallah. Von seiner 170-Tonnen- Ernte liefert es jetzt 100 Tonnen feinstes Olivenöl nach USA und Japan.

Doch die Erfolgsgeschichte aus Qeereh wird eine Ausnahme bleiben, solange sich an der Abriegelung der Palästinenser-Gebiete nichts ändert. "Hemmfaktor Nummer eins für die palästinensische Ökonomie", sagt Hazboun, "ist der Mangel an Bewegungsfreiheit und Marktzugang". Das Problem ist nicht nur der Sperrwall in der Westbank hin zu Israel, sondern die unübersichtlich vielen Militärcheckpoints zwischen den Städten. Die Kosten für eine Lkw-Fracht von Bethlehem nach Hebron sind in der Folge von 400 auf 700 Schekel (umgerechnet von 75 auf 130 Euro) gestiegen. "Wir verlieren permanent Zeit und Kapital", klagt Samir Hazboun, Chef der Bethlehemer Handels- und Industriekammer.

Mit dem gleichen Problem kämpfen Wirtschaftsleute in Gaza. Zwar gibt es seit dem israelischen Abzug dort keine internen Blockaden mehr. Aber der gesamte Güterverkehr muss die Hochsicherheitsschleusen in Karni, dem Übergang nach Israel, passieren: "Back to Back" nennt sich das Verfahren, bei dem alle Im- und Exporte vom Laster runtergeladen und in geschlossenen Kammern durchleuchtet werden, um sie auf der anderen Seite auf neue Trucks zu wuchten. Ein zeitraubendes Procedere, bei dem Frischware immer wieder verdirbt, da Israels Armee Karni oft genug schließen lässt.

Fast zum Generalstabsunternehmen geriet da Anfang Dezember die erste palästinensische Ernte aus den von Siedlern hinterlassenen Treibhäusern, die zur Ausfuhr anstand. 2,5 Tonnen Paprika gelangten schließlich unbeschadet via Karni auf den israelischen Markt. US-Außenministerin Condoleza Rice sowie der frühere Weltbank-Chef und Nahost-Sondergesandte James Wolfensohn, die die Israelis persönlich zur zügigen Abwicklung dieses Projekts gedrängt hatten, durften sich auf die Schulter klopfen.

Nur, die 2,5 Tonnen sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Das gesamte Treibhaus-Gemüse "made in Gaza" wird auf jährlich rund 15 000 Tonnen geschätzt. "Wenn die Bewegungsfreiheit nicht da ist", betont Christian Berger, der EU-Vertreter im Wolfensohn Team, "kann man alles andere vergessen".

Dennoch, die palästinensische Wirtschaft holt seit dem Niedergang der Intifada wieder auf. Die Weltbank bescheinigt ihr für 2005 eine Wachstumsrate um die sechs Prozent. Das Gesamtvolumen liegt allerdings noch ein Viertel unter dem Niveau vor Ausbruch des bewaffneten Aufstands.

Zu bieten haben die Palästinenser einiges, nicht nur Landwirtschaft. Die Produktpalette reicht von Stein und Marmor über Möbel, Textilien bis hin zu Telekommunikation und Tabletten. Sieben kleinere Pharma-Fabriken stellen in der Westbank Arzneimittel und Kosmetik-Produkte her. In Gaza werden in mittelständischen Firmen Jeans und andere Klamotten für amerikanische, französische und israelische Auftraggeber gefertigt.

Doch, auch was den Absatz betrifft, ist der Nicht-Staat Palästina primär abhängig von den Israelis. "95 Prozent unserer Gesamtproduktion", berichtet Paltrade-Mann Hazboun, "gehen nach Israel. Von dort kommt aber fünfmal so viel Ware auf unseren Markt". So sind viele palästinensische Läden vollgestellt mit Konserven und Packungen in hebräischer Schrift.

Zudem haben 38 Jahre unter Besatzung die Mentalität nachteilig verändert. Eigeninitiative ist in den Behörden oft ein Fremdwort. Das nationale Autonomiebudget muss nach wie vor zur Hälfte von ausländischen Gebern finanziert werden. Auch wenn der Haushalt auf internationalen Druck transparenter geworden ist und die Korruption zurückgeht, bleiben Lücken. So rekrutierte der Sicherheitsapparat im Sommer 4000 Militante, um sie in die Polizei zu integrieren. Dass es keine Deckung für die versprochenen hohen Löhne gab, störte intern nur den Finanzminister. Andererseits, die Anarchie umherschweifender Guerilleros zu beenden, wäre für den wirtschaftlichen Aufschwung ebenfalls entscheidend.

Arbeit jedenfalls wartet in Gaza zuhauf. In den 21 geräumten Siedlungen müssen die Trümmer noch weggeschafft werden. In einer ehemaligen Siedlung soll dann mit Finanzierung aus den Arabischen Emiraten eine neue Palästinenser-Stadt mit 3000 Wohnungen hoch gezogen werden. Der G-8 Gipfel hat zudem neun Milliarden Dollar verteilt über drei Jahre für den Wiederaufbau Gazas in Aussicht gestellt.

Das Potenzial ist da, auch wenn ein schlüssiger Masterplan für die Entwicklung noch fehlt. Alles andere hängt an der Politik, das heißt genauer: am Verlauf des Friedensprozesses.

Frankfurter Rundschau, 23. Dezember 2005

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