Uns gemeinsam auf den Weg machen
Laudatio für Jonathan Magonet
von Bertold Klappert

Sehr geehrter Herr Rabbiner, Direktor des Leo-Baeck-Institutes (London),
lieber Jonathan Magonet!

Es ist schon etwas Ungewöhnliches, wenn die Laudatio zu einer Ehrenpromotion nicht von einem Professor gehal-ten wird, sondern gleich zwei Professoren dafür aufgeboten werden. Ich habe in meiner 30jährigen akademischen Tätigkeit das noch nie erlebt. Aber es hat sicher mit dem Gewicht zu tun, das der zu Ehrende mitbringt. Vielleicht auch mit der Weisung der Hebräischen Bibel und des Neuen Testaments, wenn es dort heißt: "Ein einzelner Zeuge soll keine Aussage machen" (4Mose 35,30). Und: "Durch zweier Zeugen Mund soll eine Sache gültig sein und bestätigt werden" (5Mose 19,15; Mt 18,16; 2Kor 13,1).

Wenn die Kirchliche Hochschule Wuppertal dem Direktor und Rabbiner Jonathan Magonet die theologische Eh-rendoktorwürde verleiht, dann tut sie das, weil er ein Ausleger der Hebräischen Bibel ist. Nicht nur Magonets Dissertation über das Buch Jona - eine Gestalt, auf die Magonet immer wieder in seinen Auslegungen im Sinne der Selbstkritik des Judentums zurückgekommen ist -, sondern auch seine verschiedenen Bücher belegen das, von denen ich nur einige nennen kann und von denen 19 Titel in der KiHo-Bibliothek aufgeführt sind:

1991: A Rabbi's Bible, ein Buch, das uns Magonet im SoSe 1992 mitbrachte.
1994: A Rabbi reads the Psalms. In seinem Gastsemester SoSe 2004 hat Magonet uns in unvergessener Weise den Ps 90 ausgelegt.
1992: (1996 auf deutsch) erscheint sein Buch "Schöne Heldinnen und Narren" mit dem bezeichnenden Unterti-tel: "Von der Erzählkunst der Hebräischen Bibel".
1997: (deutsch 1998) erscheinen schließlich weitere Exegesen und Predigten unter dem bezeichnenden Titel: "Die subversive Kraft der Bibel". Hier sind Predigten gesammelt, die Magonet während der 30 Jahre der von ihm alljährlich organisierten jüdisch-christlichen Bibelwochen und der jüdisch-christlich-moslemischen Studentenkonferenzen im Hedwig-Dransfeld-Haus in Bendorf/ bei Koblenz gehalten hat.
1998: (deutsch 2003) Einführung in das Judentum.

Innerhalb der Gestalten der Bibel, die in Magonets Büchern unter dem Motto: "Von der Erzählkunst der Hebräi-schen Bibel" vorgestellt werden, nimmt eine Gestalt eine besondere Stellung ein, von der aus Magonet Orientie-rung für die Gegenwart sucht: die Gestalt Abrahams. Ich möchte an der Auslegung, die Magonet der Gestalt Ab-rahams hat zukommen lassen, vier Dimensionen seines Lebenswerkes erläutern:

I Abraham und das Judentum
II Abraham und der Islam
III Abraham und das Christentum
IV Abraham und die universale Menschheit

Ich komme zu einer ersten Dimension:

I Abraham und das Judentum
oder: die zwei Arten der Sklaverei

Im Sommersemester 2004, der dritten Gastprofessur von Jonathan Magonet an der Kirchlichen Hochschule Wup-pertal, hat er den Studierenden in der Vorlesung das 18-Bittengebet, die Amida, und die Pesach-Haggada ausge-legt.

In der Pesach-Haggada spielen vier Fragen der Kinder eine große Rolle: "Warum ist diese Nacht anders als alle anderen Nächte?" Vier Antworten werden gegeben. Die zwei Antworten auf die Frage, warum Mazzen und Bitter-kraut gegessen werden, lauten: Das Brot der Armut, das Elendsbrot, ist das Brot, "die Nahrung des Flüchtlings, das letzte, das du dir schnappst, bevor du zur Tür hinaushetzt auf dem Weg ... in eine ungewisse Zukunft". Und das Bitterkraut ruft die "Bitterkeit der Sklaverei" in Erinnerung, "die Bitterkeit der Machtlosigkeit angesichts von Brutalität und langsamem Tod" (Mit der Bibel durch das Jahr, GTB 1443, 1998, 22001,70).

Demgegenüber ist das zweimalige Eintauchen in verschiedene Gewürze und Saucen ein Hinweis auf den Luxus des Mahles, wie auch das angelehnte Sitzen dem Liegen der Römer bei den Symposien entnommen ist. "Es waren die Römer, die den Tempel zerstört hatten. Nun borgten sich deren Opfer dieses Symbol von Freiheit ..., um die wahre Freiheit unter Gott zu demonstrieren" (71).

Das Fazit lautet: "Das ungesäuerte Brot und das Bitterkraut symbolisieren die Sklaverei; die üppige Nahrung und das (im Liegen eingenommene) entspannte Essen sprechen von der Freiheit" (71).

Was für uns in Magonets Interpretation der Pesach-Haggada neu war, war Magonets Hinweis, dass diese von "zwei Arten der Sklaverei" spricht: einer physischen und einer geistigen. Die Pesach-Haggada verweist nämlich nicht nur auf den Exodus aus Ägypten: "Wir waren Sklaven dem Pharao in Ägypten", sondern auch auf den Aus-zug Abrahams aus Haran: "Zuerst waren unsere Vorfahren Götzenanbeter" (vgl. Jos 24,1).

Daraus zog Magonet den Schluss: "Wenn wir also das Pesach feiern, sind wir aufgefordert, Sklaverei auf zwei Ebenen zu unterscheiden - der körperlichen und der geistigen. In den Zeiten, in denen wir als Volk physisch un-terdrückt waren, befanden wir uns immer in der Lage, in uns selbst eine geistige Freiheit zu entdecken, die uns nicht nur half, zu überleben, sondern die uns auch befähigte, unseren inneren jüdischen Erfahrungen und Werten treu zu bleiben. In einem der Konzentrationslager wurde einmal die Frage gestellt, ob es richtig sei, den Morgen-Segen zu rezitieren, in dem wir Gott dafür danken, dass er uns nicht als Sklaven gemacht hat, schelo asani awed. Wie konnte man dieses Gebet allen Ernstes sprechen, wenn doch die Insassen des Lagers eindeutig Sklaven wa-ren? Doch die Antwort lautete, dass es wichtiger denn je sei, einen solchen Segen zu sprechen, da dieser Segen geltend mache, dass, wie schlimm auch immer die physische Sklaverei sei, der sie unterworfen waren, sie geistig immer noch frei waren."

Dann fährt Magonet fort:

"Doch in einer Zeit, in der wir nicht physisch versklavt sind, müssen wir uns der Frage nach unserer geistigen Freiheit genauso gründlich stellen. Welches sind die Werte oder Ideen, die uns als Juden heute versklaven? Manchmal werden wir nämlich genau von dem gefangen gehalten, was wir als eine unserer größten Tugenden betrachten - unsere Fähigkeit, uns zu erinnern. Manchmal lähmen uns die Erinnerungen an unsere tragische Ver-gangenheit, besonders an die Vernichtung in diesem Jahrhundert, derart, dass wir unfähig sind, in der Gegenwart zu handeln. Wir erinnern uns unserer ägyptischen Sklaverei so gut, dass wir nicht immer die Freiheit und Verant-wortlichkeit wahrnehmen, die wir heute besitzen. ... Wir können auch von der Erinnerung versklavt sein, es sei denn, wir sind fähig, den drängenden Fragen einer neuen Generation zuzuhören ... Wenn wir nicht mehr auf die Fragen unserer Kinder hören, dann kann die Vergangenheit zu einem Götzen und wir zu ihren Anbetern werden. Wenn wir uns selbst nicht mehr fragen, wie wir mit unserer Erinnerung an das, was uns widerfahren ist, umgehen, dann kann unsere Vergangenheit zu einem Gefängnis werden, und wir werden wirklich ihre Sklaven" (Mit der Bibel durch das Jahr, 1998, 73f).

So ist Abraham ein stetiger Auftrag an das Judentum, die Vergangenheit nicht zu vergötzen, sich nicht an die Ver-gangenheit zu verlieren, sondern sich in geistiger Freiheit den Aufgaben der Gegenwart zu stellen, damit das Ju-dentum nicht einer geistigen Sklaverei verfällt, die genau so schlimm ist wie die physische Sklaverei selber. Ma-gonet hat sich dieser Aufgabe, den Auftrag des Judentums für die Moderne zu formulieren, umfassend gestellt. Das "liberale jüdische Gebetbuch", bei dessen Editionsarbeit Jonathan Magonet die Hauptlast getragen hat, doku-mentiert diese Öffnung des Judentums auch für die Moderne. Der 1. Band enthält die Liturgie für die Synagogen- und häuslichen Gottesdienste am Schabbat, an den Wochentagen und an den biblischen drei Wallfahrtsfesten Pe-sach (Passafest), Schawuot (Wochenfest) und Sukkot (Laubhüttenfest), außerdem Gebete für besondere Gelegen-heiten, Tischgebete und Gebete für Kinder. Der 2. Band umfasst die Liturgien für die hohen Feiertage sowie häus-liche Gebete und Grußformeln.

Die besondere Bedeutung dieses Gebetbuches innerhalb des Judentums besteht dabei darin, dass den einzelnen Abschnitten Meditationstexte vorangestellt werden, die persönliche Vorbereitungen darstellen. Diese sind meis-tens von Magonet selbst formuliert, doch werden von ihm auch passende Texte aus der jüdischen Tradition, von jüdischen Rabbinen, von Philosophen und Schriftstellern aus alter und neuer Zeit herangezogen. Darunter erschei-nen die Namen Leo Baeck, Martin Buber, Lionel Blue, Franz Rosenzweig, Albert Einstein, Anne Frank, Stefan Zweig, Abrahm Yehosua Heschel und Nachman von Brazlav.

Diese Öffnung des Judentums zur Moderne, wie das liberale jüdische Gebetbuch dieses dokumentiert, würde Ma-gonet nicht etwa dazu verleiten, das Shema in der Mesusah durch einen Text von Kafka zu ersetzen, wie Orthodo-xe vermutet haben.

Deshalb charakterisiert Jonathan Magonet sein Buch "Einführung ins Judentum" mit folgenden Worten: "Dieses Buch versucht, über das Judentum aus der Tradition heraus zu sprechen, jedoch mit einem Maß an Distanz, das unserer Situation in der Moderne entspricht, in der Kenntnis anderer spiritueller Traditionen und der zutiefst säku-laren Prägung unserer Gesellschaft. Ich habe immer die Einsicht bewundert, die Rabbiner Dr. Leo Baeck an Rabbi Lionel Blue weitergab, der sie seinerseits mir vermittelte: dass das Judentum unser Haus sein sollte, nicht unser Gefängnis" (2003, 8f). In diesem Zusammenhang charakterisiert Jonathan Magonet auch sich selber "als einen Menschen, der sowohl innerhalb als auch außerhalb der Mauern des Judentums zu leben sucht, und aus ihm einen Ort schaffen möchte, der Gäste willkommen heißt, und (zugleich) als einen Menschen, der versucht, von Zeit zu Zeit Ausflüge an andere Orte zu unternehmen" (S. 9).

Ich komme zu einer zweiten Dimension von Magonets Lebenswerk:

II Abraham und der Islam
oder: die Nachbarschaft zu Hagars Sohn Ismael

In seinen Auslegungen zu Abraham kommt Magonet immer wieder auf das Thema "Abraham und Ismael" zu sprechen. Und das nicht nur in historisch-exegetischem Interesse, sondern genauso im Interesse des aktuellen interreligiösen Dialoges mit dem Islam heute, einem interreligiösen Dialog, den er 30 Jahre hindurch im Hedwig-Dransfeld-Haus zu Bendorf praktiziert hat.

Magonet schildert zunächst die bedenkliche Art und Weise, wie Abraham und Sarah mit dem erstgeborenen Sohn Ismael umspringen, was die Bibel nicht verschweigt: Denn "eine der Stärken der Hebräischen Bibel besteht genau darin, die Realitäten menschlichen Handelns unbeschönigt stehen zu lassen. Abraham schickt Hagar und Ismael fort. ...: Hagar verirrt sich in der Wüste, und das Kind stirbt beinahe. Auch Ismael wird schließlich von einem Engel gerettet, in direkter Parallele zu der Geschichte von dem Engel, der Isaak vor der Opferung rettet. Und auch Ismael wird eine große Zukunft prophezeit ... (1Mose 25,16)" (Die subversive Kraft der Bibel 1998, 52).

Dann aber fährt Magonet aktualisierend fort: "Gerade in unserem Jahrhundert aber tritt Abrahams Umgang mit Ismael erneut in den Blick; ist doch das jüdische Volk und der Staat Israel auf der Suche nach einer Verständi-gungsbasis mit der arabischen Welt" (52). Und Magonet stellt die Frage: "Wo sind also die zeitgenössischen jüdi-schen Kommentare zur Bibel, die das zeitgenössische jüdische Verständnis dieser Texte ansprechen, und was sagen sie?" (54).

Magonet hat von daher über die Trialog-Tagungen in Bendorf hinaus an vielen Podiumsdiskussionen teilgenom-men, die sich diesem Problem gestellt haben. Der Sammelband "Talking to the Other. Jewish Interfaith Dialogue with Christians und Muslims" (London 2003) gibt darüber umfassend Auskunft, nicht zuletzt auch das bewegende Vorwort von muslimischer Seite, das Prince Hassan bin Tallal aus dem Königshaus in Amman zu diesem Auf-satzband geschrieben hat.

Und Magonet ist nicht nur beim jüdisch-muslimischen Dialog stehen geblieben, sondern er hat auch liturgische Konsequenzen daraus gezogen: Magonet hat in dem von ihm für die hohen Festtage der Reformsynagogen von Großbritannien herausgegebenen Gebetbuch ein Gedicht aufgenommen, das die Notwendigkeit einer Versöhnung und Koexistenz zwischen Isaak und Ismael, d.h. zwischen Israel und der arabisch-palästinensischen Welt heute zum Ausdruck bringt.

Dieses Gedicht des israelischen Dichters Shin Shalom lautet:

"Ismael, mein Bruder,
wie lange sollen wir einander bekämpfen?
Mein Bruder aus vergangenen Zeiten,
mein Bruder - Hagars Sohn,
mein Bruder, der Wanderer.
Ein Engel war uns beiden gesandt.
Ein Engel wachte über unserem Heranwachsen.
Da ist die Wüste, toddrohend durch Durst,
ich, ein Opfer auf dem Altar, Sarahs Erster.
Ismael, mein Bruder, höre mein Bitten:
es war ein Engel, der dich an mich band.
Die Zeit wird knapp, leg den Hass schlafen.
Schulter an Schulter, lass uns unsere Schafe tränken".
(Die subversive Kraft der Bibel, 54f)

Magonet folgt auch damit der Linie, die Leo Baeck, nachdem das Leo Baeck College, dessen Direktor Magonet ist, benannt ist, vorgegeben hat. Leo Baeck hat in seinem Todesjahr 1956 den wegweisenden Aufsatz geschrieben: "Judentum, Christentum und Islam", in welchem er für eine Verständigung zwischen dem Judentum im Staat Isra-el und dem palästinensischen Nachbarn wirbt.

Ich komme zu einer dritten Dimension von Magonets Lebenswerk:

III Abraham und das Christentum
oder: Jüdische Auffassungen von Jesus vor und nach der Shoa

Abraham bleibt fundamental der Vater des jüdischen Volkes. Aber er ist das nicht nur: "Als Gott seinen Namen von Abram in Abraham ändert (1Mose 17,5), weist die Hebräische Bibel eigens darauf hin, dass es sich hier um ein Wortspiel handelt; wird er doch der ... 'Vater vieler Völker' sein. In diesem Titel spiegeln sich die vielen Mani-festationen des jüdischen Volkes über die Jahrhunderte hinweg, aber auch der 'Völker' der Christenheit ..., die sich als seine Nachkommen betrachten" (Die subversive Kraft der Bibel, 59).

Schon mehr als 30 Jahre beteiligt sich Jonathan Magonet am christlich-jüdischen Dialog und zwar das ohne Be-rührungsängste gegenüber einem Land, das in der Zeit seiner Geburt das Verbrechen der Shoa beging.

Magonet ist inzwischen zu einem der profiliertesten Teilnehmer am jüdisch-christlichen Dialog geworden. Das zeigen nicht nur die Gastprofessur an der Universität Oldenburg, nicht nur die dreimalige Wahrnehmung der Gast-professur an der Kirchlichen Hochschule, sondern auch seine Teilnahme am katholisch-jüdischen Dialog und seine Mitarbeit an der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag und an den Katholikentagen.

In seinem schon genannten (leider bisher nur auf Englisch erschienenen) Sammelband "Talking to the Other" (2003) hat er sich in zwei größeren Aufsätzen auf der Linie Leo Baecks zu dem schwierigen Verhältnis zwischen Judentum und Christentum geäußert, insbesondere in seinem Aufsatz "When I see what Christians make of the 'Hebrew Bible'" und "Jewish Perceptions of Jesus" (1996). Im ersten Aufsatz kritisiert Magonet die beliebte christ-liche Reduktion der Hebräischen Bibel auf Jes 53 als "Beweise für Jesu Messianität in der hebräischen Prophetie" und auf Jer 31 als Beweis für die "Ablösung des jüdischen Volkes durch die Christen", was nach Magonet ein Doppeltes zur Folge hat: "eine Verarmung des Textes (der Hebräischen Bibel) und eine Verarmung der Christen-heit" (GBT 88f).

Vier Jahre nach seinem Abraham-Vortrag auf einer Trialog-Tagung in Köln (1992), auf der ich Magonet zuerst begegnet bin, hält Magonet 1996 erneut einen Vortrag über "Jüdische Auffassungen über Jesus" (Jewish Percepti-ons of Jesus, 1996). Als Direktor des Leo Baeck College in London kommt er auch auf Leo Baecks Arbeit aus dem Jahre 1938 "Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte" zu sprechen und zitiert daraus ausführlich: "In dem alten Evangelium, das sich derart auftut, steht mit edlen Zügen ein Mann vor uns, der wäh-rend erregter, gespannter Tage im Lande der Juden lebte und half und wirkte, duldete und starb, ein Mann aus dem jüdischen Volke, auf jüdischen Wegen, im jüdischen Glauben und Hoffen, dessen Geist in der Heiligen Schrift wohnte, der in ihr dichtete und sann".

Der Band "Aus drei Jahrtausenden. Wissenschaftliche Untersuchungen und Abhandlungen zur Geschichte des jüdischen Glaubens" mit Leo-Baeck-Aufsätzen wurde zwar im Nazi-Deutschland von 1938 noch gedruckt, aber von der Gestapo gänzlich eingestampft. Nur in der Bücherei des Schocken Verlages erschien die Arbeit Leo Baecks im Berlin des Jahres 1938, ohne dass viele ihm jedoch Aufmerksamkeit schenken konnten oder wollten (129).

Aber, so urteilt Magonet: "Zwischen damals (1938) und jetzt steht die Shoa" (129). Und deshalb gilt - anders als für Baeck damals - für uns heute: "Der christlich-jüdische Dialog hat zu tun mit der notwendigen Reue über die Vergangenheit. Für die jüdische Seite ist er (der jüdisch-christliche Dialog) eine notwendige ... Wiederentdeckung unseres eigenen Universalismus. Auch wenn die Gestalt Jesu heute fast nichts dazu beiträgt, Juden und Christen zu vereinen, so könnten wir in eine Zeit eintreten, in der die Gestalt Jesu wenigstens dazu beiträgt, uns weniger von-einander zu trennen" (133).

Das ist das nüchterne Fazit, das Jonathan Magonet im Blick auf die Gestalt Jesu in Leo Baecks Schrift von 1938: "Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte" zieht. Denn zwischen damals und heute steht die Shoa!

Ob das für alle Zeiten jüdischerseits das letzte Wort über den Juden Jesus von Nazareth sein wird und sein muss? Auf einer Sommeruniversität in Berlin hat mir Magonet auf dem Weg zu einem der Hörsäle im Berliner Dom angedeutet: Es sei doch merkwürdig, dass das Judentum an einem seiner, nach Rabbi Akiva bekanntesten Märtyrer vorbeigehe, ohne seines jüdischen Martyriums liturgisch eingedenk zu sein.
Aber: zwischen damals und heute steht weiterhin die Shoa!

Ich komme zu einer vierten Dimension von Magonets Lebenswerk:

IV Abraham und die universale Menschheit
oder: das noachidische Weltethos

Abraham - das kann ich hier nur noch andeuten - ist für Jonathan Magonet nicht nur eine Gestalt des Dialoges zwischen Judentum, Christentum und Islam. Jonathan Magonet hat an der Begegnung Abrahams mit Melkizedek (1Mose 15), an der Begegnung mit dem Pharao in Ägypten (1Mose 12) und dem Kanaanäerkönig Abimelich von Gerar (1Mose 20) gezeigt, dass das Judentum sich von Haus aus universal auf die Menschheit und deren Religio-nen und bis heute bezogen wusste und bis heute bezogen weiß. Das gilt für die Gottesebenbildlichkeit jedes Men-schen (1Mose 1,26f), das gilt sogar für den Exodus: "Das erinnert uns zugleich daran, dass neben dem ... partikula-ristischen Zweck des Exodus in Gottes Plan auch ein bewusst universalistisches Ziel steht und dass beide Elemen-te in Israels Verständnis von den Anfängen des Volkes gleichermaßen betont wurden" (Die subversive Kraft der Bibel, 83). Denn neben der Befreiung Israels zum Volk des Bundes und des Gebotes gilt auch, "dass Pharao und die Ägypter Gott kennen lernen sollen" (83).

Die sieben noachidischen Gebote für die Völkerwelt, die auch für das Judentum gelten, sind ein solches universa-les Weltethos für die Menschheit, über das das Judentum mit den Völkern kommunizieren und in deren Raum es mit den Völkern zusammenleben möchte. Magonet hat deshalb sein Buch "Abraham - Jesus - Mohammed" (GTB 735, 2000) neben Lionel Blue und Prinz Hassan von Jordanien auch Hans Küng im Blick auf dessen "Weltethos"-Projekt gewidmet.

Abraham ist für Magonet also auch die Anweisung zu einem interreligiösen Dialog mit den Religionen außerhalb und jenseits von Judentum, Christentum und Islam.

V Auf dem Wege zum Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit
oder: die subversive Kraft des Humors

Ich komme zum Schluss: Man kann Jonathan Magonet und seine Darstellung der "Erzählkunst der Hebräischen Bibel" und derer Aktualisierung für heute nicht recht würdigen, wenn man nicht den Humor erwähnt, der seine Spuren im Text der Hebräischen Bibel hinterlassen hat und nach Magonet ebenfalls zur "subversiven Kraft der Bibel" hinzugehört.

Dieser Humor kennzeichnet aber auch Jonathan Magonet selber. Nach der Gedenkveranstaltung am 22. Juni 2005 im Leo Baeck College in London zum Gedenken an den verstorbenen Rabbiner A.H. Friedlander, auf der ich die Gedenkrede über Albert Friedlander halten durfte, gingen Magonet und ich zum Grab des großen Rabbiners Leo Baeck. Als wir zurückkamen, fanden wir Magonets Auto aufgebrochen und unsere Taschen samt Inhalt geraubt. Auf der Polizeistation tröstete Magonet mich mit der folgenden Geschichte tiefen jüdischen Humors:

"Ein alter Jude wird auf seinem Weg zur Synagoge von einem Polizisten aufgehalten. 'Wohin des Weges?', fragt der Polizist. - 'lch weiß nicht', antwortet der alte Jude. Also verhaftet ihn der Polizist als Herumtreiber, und der Jude verbringt die Nacht in der Zelle. Am nächsten Morgen werden der Jude und der Polizist vor den Kadi geru-fen, der den Polizisten fragt, warum er den Alten denn verhaftet habe. 'Nun', sagt der Polizist, 'ich fragte ihn, wo-hin er gehe, und er sagte, er wisse es nicht'. - 'Haben Sie irgendetwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen?', fragt der Richter. - 'Gern, Euer Ehren', entgegnet der Alte. 'Sehen Sie, ich bin ein gläubiger Mann und kann nie wissen, welches Schicksal mir Gott vorbehält. Als mich dieser Herr fragte, wohin ich ginge, konnte ich ihm deshalb nur wahrheitsgemäß sagen, dass ich es nicht wisse. Und, sehen Sie, ich lag damit gar nicht so falsch. Ich dachte, ich ginge zur Synagoge und landete im Gefängnis!'" (Einführung ins Judentum, 12)

In diesem Sinne, so möchte ich zum Schluss aktualisieren, können auch wir, Juden und Christen, der Ehrendokto-rierte und wir, uns gemeinsam auf den Weg machen und es dann dem Gott Israels und Vater Jesu Christi überlas-sen, wo wir gemeinsam ankommen werden. Möchte es ein Weg wachsenden gegenseitigen Vertrauens und ge-meinsamen Lernens miteinander und voneinander in der gemeinsamen Hoffnung auf die messianische Zeit sein. Wenn das der Fall sein wird, dann werden wir - Juden, Christen, Muslime und alle die Anderen - weltgeschicht-lich bestimmt nicht auf einer Polizeistation oder in noch etwas Schlimmeren landen müssen, sondern dem kom-menden Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit näher kommen.

Die Verleihung der Ehrendoktorwürde der Kirchliche Hochschule Wuppertal an Jonathan Magonet soll auch ein Zeichen auf diesem Weg zum kommenden Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit sein.

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