Gott ist die Liebe - Deus caritas est
Zur ersten Enzyklika von Papst Benedikt XVI.
von Klaus-Peter Lehmann
Zuerst sei ein Blick auf die Stärken der Enzyklika
von Benedikt XVI. geworfen. Er konzentriert sich, wie die anschließenden
kritischen Bemerkungen, auf Aspekte, die für die Erneuerung der Kirche
durch den christlich-jüdischen Dialog von Bedeutung sind. Hierin
seinem Vorgänger nachzufolgen, hatte der neue Papst zu erkennen gegeben.
Die beste Verteidigung Gottes und des Menschen besteht
in der Liebe (31c). Benedikt verweist die Gottesfrage gut alttestamentlich-jüdisch
ins praktische Tun des Menschen (5. Mose 4,5-8; 28,9f; 1. Joh. 4,12.20;
5,3). Gottes- und Nächstenliebe gehören so zusammen, dass die
Behauptung der Gottesliebe zur Lüge wird, wenn der Mensch sich dem
Nächsten verschließt oder gar ihn haßt (16). Nur der
Dienst am Nächsten öffnet die Augen dafür, was Gott für
mich tut und wie er mich liebt (18). Die Gottesbeziehung ist eine ethische
Beziehung. Man könnte mit dem jüdischen Philosophen Levinas
auch sagen: "Gott kennen heißt wissen, was zu tun ist."
Dies gilt ausschließlich. Wo die Sorge um den anderen
das Leben bestimmt, werden alle sog. Gotteserfahrungen zu sinnleeren rauschhaften
Augenblicken, denen Hingabe und Ewigkeit ermangelt. Erst die Entdeckung
des anderen befreit vom Egoismus und eröffnet den Horizont einer
neuen Welt. Die Liebe ist die wirkliche Ekstase (= außer sich sein,
Transzendenz) (6). Der Mensch wird nur im Miteinander von Mann und Frau
ganz (11).
In allerhöchsten Tönen schreibt der Papst über
Gottes Erwählung von Israel. Nur hier spricht er von der Leidenschaft
Gottes, mit der er sein Volk liebt (9;15). Aus allen Völkern wählt
er Israel und liebt es - freilich mit dem Ziel, gerade so die ganze Menschheit
zu heilen. Er liebt, und diese Liebe kann man durchaus als Eros bezeichnen,
der freilich zugleich ganz Agape ist (9). Ohne Gottes innere Anteilnahme
kommt anscheinend die Kirche aus. In ihrer Geschichte ist der Herr nicht
abwesend geblieben (17), heißt es merklich abgekühlt. Welche
Bedeutung hat solche Wortwahl?
Am Hohen Lied der Liebe erläutert Benedikt den Unterschied
zwischen Eros und Agape. Deutlich wird, dass die Nächstenliebe eine
Entdeckung des Alten Testamentes ist und damit das Geschenk des Judentums
an die Menschheit. Der Papst sagt es nicht so, führt aber aus, dass
der Kampf des AT der antiken Vergöttlichung des Eros galt, die die
Erniedrigung des Menschen (Tempelprostitution) einschloss (4). Die Agape
aber verwandelt den Eros zur Hingabe an den Nächsten.
Hier und dort finden sich Formulierungen, die dieser Haupttendenz
der Enzyklika zuwiderlaufen. Heißt es doch in der Einführung,
die Nächstenliebe aus 3. Mose 19,18 sei erst im Neuen Testament nicht
mehr nur ein Gebot, sondern die Antwort auf das Geschenk des Geliebtseins
(1). Ein Satz, der mit der zitierten Erwählungsleidenschaft des Gottes
Israels nicht harmoniert. Die Behauptung der Neuheit des Christentums
gerade im Verstehen der Liebe (3;15) ist ärgerlich und kann von der
Enzyklika auch nicht eingelöst werden.
Im Dunkel bleibt, was aus Gottes Leidenschaft zu Israel
nach dem Beginn der Kirchengeschichte geworden ist. Die Enzyklika übergeht
das bittere Leben des talmudischen Judentums unter dem Joch der judenfeindlichen
Kirche im christlichen Abendland. Könnte nicht seine leidvolle Fortexistenz
und die Wiedererrichtung eines jüdischen Staates in Israel ein Fingerzeig
des sein Volk ewig liebenden Gottes sein? Jedenfalls wäre ohne dem
ein christlich-jüdischer Dialog und eine Erneuerung der Kirche aus
ihrer Wurzel undenkbar. Fehlt hier nicht die Erkenntnis der geschichtlich
wirkenden Liebe und die aus ihr quellende Dankbarkeit gegenüber Israel?
So verengt sich, leider wie traditionell üblich,
für die Zeit nach Christus der Blick auf die eine Erkenntnisquelle
der Liebe Gottes in Jesus Christus und die Mystik des Sakraments, das
uns in den Hingabeakt Jesu hineinzieht (13). Extra ecclesia papae nulla
salus.
Der zweite Teil der Enzyklika hebt den universalen Liebesdienst
der Kirche als ihr Wesensmerkmal heraus (22). Benedikt deutet das Versagen
der Kirche in der sozialen Frage während des 19. Jahrhunderts an,
als die Produktionsstrukturen und das Kapital zu einer Rechtlosigkeit
der arbeitenden Massen führten, gegen die aufzustehen war (26). Er
betont die Autonomie des Staates, hebt aber hervor: Gerechtigkeit ist
Ziel und daher auch inneres Maß aller Politik (28). Vor hochmütiger
Weltveränderung warnt der Papst die Christen wiederholt (46;50;51).
Sie führe in Zynismus oder Resignation. Hier arbeitet er sich offenbar
noch an der Studentenbewegung ab und wirft dem Marxismus als solchem eine
Philosophie der Unmenschlichkeit vor (31b). Gehört neben die Warnung
vor ideologisch getarnter Weltveränderung einerseits auf der anderen
Seite nicht die Warnung vor falscher Demut, vor unpolitischer Passivität,
die die nötige Verbesserung der Welt (35) sich selbst überlässt
und sich im Blick auf die Erfahrung der Endlosigkeit der Not (36) schuldig
macht? Wäre solche Warnung nicht nötig, um den christlichen
Liebesdienst zu verbessern? Wie ist ihr Fehlen zu deuten?
Hat das mit dem Ausgang der Enzyklika zu tun? Sie endet
mit der Theodizeefrage (38;39) und ermutigt zu einem Handeln, dass das
Licht der Liebe in die Welt einlässt. Der Schluss ist einem Bekenntnis
zu Maria gewidmet, einer Erinnerung an die unerschöpfliche Liebe
der Jungfrau, die uns zu Quellen des lebendigen Wassers (42) der Liebe
machen könne. Bekennt die Kirche nicht Jesus Christus als den Verkündiger
und Bringer des Reiches Gottes? Ein Hinweis darauf fehlt. Damit fehlt
der Enzyklika neben Glaube und Liebe die Ausführung der christlichen
Hoffnung. Ohne Hoffnung aber fehlt der Liebe ihr Ziel und dem Glauben
der Horizont, die Verankerung in den Verheißungen Israels, die auf
eine gerechte Menschenwelt zielen. Wird ohne diese Hoffnung alles andere
nicht hinfällig?
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