"Wir sind Gottes Adel"
Ein fiktives Gespräch mit Heinrich Heine über das Judentum
Herr Heine, empfinden Sie sich als Jude? Heine: Ich mache
keinen Hehl aus meinem Judentum, zu dem ich nicht zurückgekehrt bin,
da ich es niemals verlassen hatte.
Aber Sie haben sich mit achtundzwanzig Jahren evangelisch
taufen lassen. Heine: Ich bereue sehr, daß ich mich getauft hab'.
Warum das? Heine: Ich bin jetzt bei Christ und Jude verhaßt.
Die Christen akzeptieren Sie nicht, trotz Taufe? Heine:
Ich kenne einen guten Hamburger Christen, der sich nie darüber zufrieden
geben konnte, daß unser Herr und Heiland von Geburt Jude war.
Und den Juden gelten Sie als Abtrünniger. Sind Sie
darüber böse? Heine: Ich hatte immer eine große Vorliebe
für die Juden, obgleich sie, bis auf diese Stunde, meinen guten Namen
kreuzigen.
Was hat Sie wieder zum Judentum zurückgebracht? Heine:
Ich habe wieder im Alten Testamente gelesen. Welch ein großes Buch!
Die Wiedererweckung meines religiösen Gefühls verdanke ich jenem
heiligen Buche. Ja, den Juden, denen die Welt ihren Gott verdankt, verdankt
sie auch dessen Wort, die Bibel. Sie haben sie gerettet, das teuere Buch!
Und was haben Sie aus der Bibel gelernt? Heine: Unsere
Väter waren wackere Leute: Sie demütigten sich vor Gott und
waren deshalb so störrisch und trotzig den Menschen, den irdischen
Mächten gegenüber.
Früher sprachen Sie anders; da waren Sie ein großer
Fan der klassischen Antike. Heine: Meine Vorliebe für Hellas hat
seitdem abgenommen. Ich sehe jetzt, die Griechen waren nur schöne
Jünglinge, die Juden aber waren immer Männer, gewaltige, unbeugsame
Männer, nicht bloß ehemals, sondern bis auf den heutigen Tag.
Sie glauben wieder an die Juden als auserwähltes
Volk? Heine: Ein Gott hat die Welt erschaffen und regiert sie; alle Menschen
sind seine Kinder, aber die Juden sind seine Lieblinge, und ihr Land ist
sein auserwähltes Dominium. Er ist ein Monarch, die Juden sind der
Adel, und Palästina ist das Exarchat Gottes.
Gilt das heute immer noch? Heine: Die Juden trugen schon
im Beginn das moderne Prinzip in sich, welches sich heute erst bei den
europäischen Völkern sichtbar entfaltet.
Also sind Sie stolz, Jude zu sein? Heine: Wenn nicht jeder
Geburtsstolz bei den Kämpen der Revolution ein närrischer Widerspruch
wäre, so könnte der Schreiber dieser Blätter stolz darauf
sein, daß seine Ahnen dem Hause Israel angehören, das der Welt
einen Gott und eine Moral gegeben und auf allen Schlachtfeldern des Gedankens
gekämpft und gelitten hat.
Sie sprechen immer wieder von Gott. Waren Sie nicht einst
Agnostiker? Heine: Ja, ich bin zurückgekehrt zu Gott, wie der verlorene
Sohn, nachdem ich lange Zeit bei den Hegelianern die Schweine gehütet.
Welchen jüdischen Denker bewundern Sie am meisten?
Heine: Mendelssohn. Er war der Reformator der deutschen Israeliten, er
begründete den reinen Mosaismus.
Sie waren Christ, Sie waren Jude. Ihre Bilanz aus der
Erfahrung mit beiden Religionen? Heine: Die Juden, wenn sie gut, sind
sie besser, wenn sie schlecht, sind sie schlimmer als die Christen.
Die Fragen stellte Michael Wuliger. Die Antworten sind
Zitate aus diversen Schriften Heines.
Jüdische Allgemeine, 16.2.2006
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