Bund der Beschneidung
Ein Plädoyer für die Brit Mila - aus religiöser und medizinischer
Sicht
von Michael Rosenkranz
"Und am achten Tag soll beschnitten werden, das Fleisch
seiner Vorhaut": 3. Buch Moses 12,3
Der Beginn des Judentums liegt im Bund, den der Ewige,
der Schöpfer der Welt, mit Abraham und seinen Nachkommen geschlossen
hat (1. Buch Moses 17, 1-14). Es ist ein Bund des Lebens, gültig
für alle Geschlechter. Das körperliche Zeichen für die
Zugehörigkeit zu diesem Bund ist die Beschneidung des Mannes an der
Vorhaut des Glieds, weshalb dieser Bundesschluß "Bund der Beschneidung"
genannt wird, hebräisch Brit Mila. Damit ist die Beschneidung eine
der wichtigsten Bestimmungen der jüdischen Religion.
Solange Menschen bedingungslos glauben konnten, wurden
religiöse Gebote nicht hinterfragt. Seit der Aufklärung will
der Mensch jedoch wissen, warum er was und wie zu tun hat. Warum Beschneidung
der Vorhaut?
Die Vorhaut, die, nicht selten, verengt sein kann, gilt
als Organ der Verstocktheit, ein Symbol der Blockade des befruchtenden
Flusses. Im übertragenen Sinn ist damit die Störung lebenswichtiger
Beziehungsströme gemeint. Moses bezeichnet seine Lippen als unbeschnitten
("vorhäutig"), was oft als verschlossene Lippen übersetzt
wird (2. Buch Moses 6,12). Jeremia klagt: "Unbeschnitten (vorhäutig)
sind ihre Ohren, daher können sie nicht hören" (Jeremia
6, 10), und im 5. Buch Moses (10, 16) wird die Verstocktheit der Israeliten,
die sich dem Wort Gottes nicht zu öffnen im Stande sind, als Vorhaut
des Herzens bezeichnet, die beschnitten werden muß. Entsprechend
gilt der unbeschnittene Mensch, der durch seine Verstocktheit nicht in
der Lage ist, mit dem Heiligen in Verbindung zu treten, als unrein. Der
Zustand der Unbeschnittenheit gilt als Unreinheit schlechthin, ist Ausdruck
dessen, was durch Israel überwunden werden soll.
Warum aber Beschneidung nur des Mannes, nicht auch der
Frau? Das Zeichen des Bundes ist, stellvertretend für Mann und Frau,
das Glied des Mannes, mit dem er die Vereinigung mit seiner Frau vollzieht,
wie es heißt: "... sie werden sein ein Fleisch" (1. Buch
Moses 2, 24).
Die Beschneidung soll durchgeführt werden, wenn irgend
möglich, am achten Tag nach der Geburt (1. Buch Moses 17, 12; 3.
Buch Moses 12, 3). Eine Woche benötigt das Neugeborene,um den Geburtsvorgang
abzuschließen und sich auf die Bedingungen außerhalb des Mutterleibes
einzustellen. Dann erst beginnt im eigentlichen Sinn sein Leben in dieser
Welt. Zugleich sind die Wundheilungskräfte nun optimal, andererseits
sind die Schmerznerven noch nicht voll ausgereift. Der achte Tag ist also
der günstigste Zeitpunkt.
Die Beschneidung seines Sohnes hat der Vater zu besorgen
- wenn dieser nicht anwesend ist, dann die Mutter. Stellvertretend kann
die Gemeinde diese Aufgabe übernehmen. In der Regel wird mit der
Ausführung der Beschneidung ein Mohel, ein ritueller Beschneider,
beauftragt, der darin ausgebildet und erfahren ist. Die Beschneidung ist
zwar nur ein kleiner Eingriff, ist aber doch eine Verletzung, durch die
das Kind nicht in Gefahr kommen soll. In der Chirurgie pflegt man zu sagen:
"Es gibt keine kleinen Eingriffe." Selbst die scheinbar kleinste
Operation kann Komplikationen nach sich ziehen, weshalb in jedem Fall
strengste Sorgfalt angezeigt ist. In früheren Zeiten wurden auftretende
Komplikationen als schicksalhaft hingenommen. Dazu ist man heute nicht
mehr bereit. Man versucht, Ursachen und Folgen zu klären, Vor- und
Nachteile abzuwägen, wissenschaftliche Erkenntnisse in Verständnis
und Ausführung der Handlung mit einzubringen. So ist es nicht verwunderlich,
daß auch die rituelle Beschneidung einerseits den Fragen nach gesundheitlichem
Nutzen und Risiko unterworfen wird. Andererseits werden für ihre
Durchführung moderne medizinische Standards gefordert.
Als Vorteile der Beschneidung werden aus medizinischer
Sicht heutzutage folgende Punkte angeführt: Der krankhaften Vorhautverengung
(Phimose) wird die Grundlage entzogen. Sie ist ein verhältnismäßig
häufiges Leiden, welches weitere Erkrankungen nach sich ziehen kann.
Unter Umständen kann sie auch zur Unfruchtbarkeit des Mannes führen,
was für eine Gemeinschaft, die wachsen will, nicht hinnehmbar ist.
Zudem besteht die Gefahr, daß sich bei mangelnder
Hygiene unter der Vorhaut Zersetzungsprodukte bilden, die beim Mann, auch
bei seiner Partnerin, Krebs erzeugen können.
Vergleichende Studien bei afrikanischen Völkern,
die die Beschneidung ebenfalls ausführen, beziehungsweise solchen,
die nicht beschneiden, deuten auf eine verminderte Empfindlichkeit beschnittener
Männer gegen das AIDS-Virus hin. Dies resultiert möglicherweise
aus der geringeren Verletzungshäufigkeit des beschnittenen Gliedes.
Durch ständigen Kontakt mit der Kleidung vermindert
sich beim Beschnittenen auch die Berührungsempfindlichkeit der Eichel,
wodurch vorzeitiger Samenerguß seltener wird.
Als Risiken der Beschneidung gelten dagegen eine übermäßige
Wundblutung, die Wundinfektion und die Gefahr der Krankheitsübertragung.
Außerdem gibt es das Risiko einer ungewollte Verletzung der Eichel
und einer seelischen Traumatisierung durch den Beschneidungsschmerz.
Diese Gefahren waren in früheren Zeiten, bevor es
sterile Instrumente, sauberes Verbandmaterial und Betäubungsmöglichkeiten
gab, gewiß größer. Heute lassen sie sich mit modernen
medizinischen Techniken erheblich vermindern.
Grundsätzlich wird die Beschneidung in drei Schritten
vollzogen: Chituch (Abtrennung der Vorhaut), Peri'a (völlige Freilegung
der Eichel) und Metzitza ( Aussaugen der Wunde). Da beim acht Tage alten
Neugeborenen die Schmerznerven noch nicht voll ausgereift sind, läßt
sich, bis maximal zum zehnten Tag, die Beschneidung ohne Betäubung
durchführen, ohne daß das Kind wesentliche Schmerzen empfindet.
Danach jedoch ist eine Betäubung erforderlich, zum Beispiel eine
einfach zu setzende örtliche Betäubung. Die Abtrennung der Vorhaut
geschieht beim Neugeborenen mit Hilfe einer sterilen geschlitzten Metallplatte,
die über die langgezogene Vorhaut geschoben wird und die die dahinterliegende
Eichel schützt. Mit einem sehr scharfen Messer, heutzutage ein steriles
Einmalmesser, wird die Vorhaut vor der Platte abgetrennt. Bei älteren
Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen kommen andere, chirurgische Techniken
zur Anwendung. Durch geeignete Verbandtechnik und saubere Verbandstoffe
wird eine rasche Blutstillung weiter begünstigt und eine Wundinfektion
vermieden. Während der Wundheilungsphase wird das Kind nicht gebadet,
die Wundumgebung bei Bedarf nur feucht abgetupft, die Wunde nach Möglichkeit
trokken gehalten, was ebenfalls eine Infektion verhütet und die Heilung
fördert.
Mit den heutigen hygienischen Grundlagen und modernen
medizinischen Erkenntnissen können die Risiken sehr niedrig gehalten
werden, so daß die Vorteile der Beschneidung ganz erheblich überwiegen.
Damit wird auch dem religiösen Zweck entsprochen, daß die Einhaltung
der Brit Mila dem Kind zum Leben gereiche, zugleich zum Wohl der Gemeinschaft.
Der Autor ist Facharzt für Chirurgie und zugleich
Mohel in Gelsenkirchen.
Jüdische Allgemeine, 16.3.2006
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