König aus dem Mittelstand
Wie der Unternehmer Ernst Litfaß die Reklame revolutionierte
von Steffen Damm
Ernst Litfaß war einer der erfolgreichsten und kreativsten
Berliner Unternehmerpersönlichkeiten des 19. Jahrhunderts. Und doch
steht er heute im Schatten der Siemens, Halske, Borsig oder Rathenau.
Daran mag sein Gewerbe schuld sein, denn Litfaß war kein Großindustrieller.
Sein Familienimperium hatte bestenfalls mittelständische Dimensionen.
Sein Produktportfolio jedoch war zukunftsweisend. Litfaß vereinte
in seiner Firma Druck- und Buchkunst, Werbetechniken, Eventmarketing,
Künstlermanagement und Verlegermacht in einer bis dahin unbekannten
Vielfalt und Modernität. Mit ihm trat nicht nur ein neuer Typus des
erfolg- und erfindungsreichen, strategisch planenden, netzwerkbildenden
Gründers auf den Plan, Litfaß verkörperte zudem lebenslänglich
den Grenzgänger zwischen Kunst und Geschäft. Er versuchte sich
unter dem Pseudonym "Flodoardo" als Laiendarsteller und Freizeitpoet,
er war Ideengeber, Produzent, Impresario und Animateur, Veranstalter glamouröser
Feste und vor allem rastloser Entwickler. Pfiffige Ideen setzte er selbst
um und vermarktete sie mit einer kommerziellen Phantasie, die noch heute
Respekt abverlangt.
Ernst Theodor Amandus Litfaß wurde 1816 als Sohn
einer arrivierten jüdischen Unternehmerfamilie geboren, doch spielten
konfessionelle Bindungen in seiner eigenen Biographie und in denen seiner
Vorfahren so gut wie keine Rolle. Sein Vater Ernst Gregorius Litfaß,
der die Familiendruckerei in vierter Generation weiterführte und
nur acht Monate nach der Geburt seines Sohnes starb, hatte bereits 1806
bei der Verleihung des Berliner Bürgerrechts einen Eid auf Gott,
König und Vaterland geschworen. Sein Sohn hielt es nicht anders.
Ernst Litfaß hatte als assimilierter Jude allenfalls vage Vorstellungen
von der Herkunft seiner Familie. Insbesondere in der Phase seiner publizistischen
Beteiligung am demokratischen Aufbruch von 1848 pflegte er regen Umgang
mit der jüdischen Intelligenz der preußischen Kapitale, ohne
daß diese Kontakte auch nur in Ansätzen zu einer Stärkung
seiner religiösen Identität beigetragen hätten. Er war
stets ein königstreuer Monarchist und Patriot, der denn auch nach
der gescheiterten Revolution zu einem hochdekorierten Bürger und
Geschäftsmann aufstieg. Mit 30 Jahren übernahm er von seinem
Stiefvater Leopold Wilhelm Krause den Familienbetrieb. In der Folgezeit
dehnte er dessen zeitungsverlegerische Macht weiter aus.
Exemplarisch lassen sich Ernst Litfaß' unternehmerisches
Geschick und sein Weitblick an jenem Medium veranschaulichen, das bis
heute mit seinem Namen verknüpft ist: der Litfaßsäule.
Als "Hautkrankheit der Städte" wurde die bis dahin gängige
Praxis bezeichnet, Werbeplakate, Anzeigen und Bekanntmachungen aller Art
einfach an die nächstbeste freie Fläche zu kleben. Durch die
Litfaßäule wurde dieses Problem mit einem Schlag gelöst.
Unordnung wurde, ganz im Sinne des preußischen Regimes, durch Ordnung
ersetzt. Die Säule legte die neuen Regeln der Kommunikation im öffentlichen
Raum fest.
Was am 1. Juli 1855 unter großem Trara der Berliner
Bevölkerung übergeben wurde, war in anderen europäischen
Metropolen längst Praxis. Während seiner Reisen nach Frankreich,
das damals in Sachen Reklame als wegweisend galt, hatte sich der findige
Unternehmer allerlei Anregungen geholt, die er dann in veränderter
Form und mit eigenem Patent in seiner Heimatstadt einführte. Es tut
Litfaß' historischer Leistung nur geringen Abbruch, wenn man die
Londoner "Harrissäule" (seit 1824) oder die gemauerten
Plakatsäulen von Paris (seit 1842) als Vorbilder für seine reklametechnische
Neuerung in Berlin bewertet. Die "Anschlagsäule für die
Außenwerbung" erschien zunächst als lukratives Geschäft,
das er sich keinesfalls durch die Lappen gehen lassen wollte. Mit dem
damaligen Polizeipräsidenten Karl Ludwig von Hinckeldey fand Ernst
Litfaß einen Partner, der seinen Vorschlägen gegenüber
aufgeschlossen war. Wer Meinung beeinflussen, gar Zensur ausüben
wollte, mußte über Mittel zur Regulierung und Reglementierung
der Plakatflut verfügen. Doch die Medaille hatte zwei Seiten: Als
ein für jedermann, jederzeit zugänglicher, gegen Geld für
eigene Zwecke zu nutzender Informationsträger ist die Litfaßsäule
ein demokratisches Medium. Ihre Einführung fällt nicht von ungefähr
in die Phase der Bildung einer bürgerlichen Öffentlichkeit in
Deutschland.
Litfaß' Bedingung dafür, daß er den kontrollierbaren
Säulenanschlag bereitstellte, bestand in der alleinigen Konzession.
Er erhielt sie am 5. Dezember 1854. Unmittelbar nach Vertragsabschluß
startete der findige Geschäftsmann eine intensive Presse- und Werbekampagne.
Eine Probesäule vor seiner Druckerei in der Adlerstraße machte
die skeptische Bevölkerung mit dem neuen Medium vertraut. Krönender
Abschluß war eine Anzeigenkampagne, in denen die genormten Plakatformate
sowie die Anschlagpreise bekanntgegeben wurden.
Litfaß' Strategie, sein gewöhnungsbedürftiges
Produkt bereits vor seiner offiziellen Präsentation anzukündigen,
war von Erfolg gekrönt. Als am Sonntag, den 1. Juli 1855, an der
Ecke Münzstraße 23/Grenadierstraße die erste Litfaßsäule
eingeweiht wurde, standen die Berliner in Scharen Spalier. Nicht, daß
damit die Kritik an der "Litfaselei" ein für allemal vom
Tisch gewesen wäre, aber Litfaß hatte für eine positive
Stimmung gesorgt. Am Tag der feierlichen Übergabe brachte ein Musikkorps
zu seinen Ehren ein Ständchen, das der "Eigentümer der
Anschlagsäulen von Berlin" selbst arrangiert und bei dem ungarischen
Komponisten Adalbert Kéler (Kéler Béla) in Auftrag
gegeben hatte - die "Annoncir Polka". Die Noten wurden anschließend
in Musikalienhandlungen verkauft. Ernst Litfaß pflegte als Geschäftsmann
keine Möglichkeit zur Profitmaximierung auszulassen. Notfalls schuf
er den Markt, den er zu bedienen plante, eben selber.
Zum 25jährigen Firmenjubiläum 1871 hatte Litfaß
den Höhepunkt seiner Karriere erreicht. Angesehen und begütert
starb Ernst Litfaß am 27. Dezember 1874 mit 58 Jahren während
eines Kuraufenthaltes in Wiesbaden. Am 1. Januar 1875 wurde er auf dem
Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin beigesetzt. Doch seine Nachkommen
zeigten kein Interesse, sein Lebenswerk fortzuführen. Mitten im Gründerzeitboom
brachte sein Tod eine florierende Firma um ihre treibende Kraft. So stehen
Anfang und Ende der Ära Litfaß für die Licht- und Schattenseite
einer unternehmerischen Grundregel: Erben will gelernt sein. Trüge
nicht die Säule, die im vergangenen Jahr ihr 150. Jubiläum feierte,
seinen Namen - Ernst Litfaß wäre heute weitgehend vergessen.
Immerhin: Der Unternehmer Hans Wall, der sich als Betreiber von Wartehäuschen,
öffentlichen Toiletten, Anschlagtafeln und Litfaßsäulen
in Litfaß' Tradition und Nachfolge sieht, hat angekündigt,
2006 ein Museum über den "Reklamekönig" eröffnen
zu wollen.
Von Steffen Damm und Klaus Siebenhaar ist erschienen:
Ernst Litfaß und sein Erbe. Eine Kulturgeschichte der Litfaßsäule,
Bostelmann & Siebenhaar, Berlin 2005, 15,80 €
Jüdische Allgemeine Wochenzeitung, 5.1.2006
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