Vergangenheit, die nicht vergeht ...
Erinnerung an umstrittenen bayerischen Landesbischof
von Hans-Jürgen Müller
Die evangelisch-lutherische Landeskirche erinnert an ihren
ersten Landesbischof Hans Meiser (1881-1956) anlässlich seines 125.
Geburtstages und 50. Todestages. Carsten Nicolaisen, Pro-fessor für
Kirchliche Zeitgeschichte, und Gerhart Herold, Pfarrer, haben im Auftrag
der Lan-deskirche ein Buch herausgegeben, in dem sich verschiedene Autoren
mit der Person Hans Meiser kritisch auseinandersetzen. Erklärte Absicht
des Buches und einer Ausstellung zu Le-ben und Wirken Hans Meisers ist
es, offen zu legen, mit welchen Widersprüchlichkeiten Mei-ser das
Bischofsamt ausgeübt hat - und nicht, diesen Menschen zu glorifizieren
oder zu dä-monisieren. Dabei werden keine neuen Fakten benannt, sie
werden bestenfalls einem breiteren Publikum vorgestellt.
Meiser, der aus bürgerlichen Verhältnissen kam,
begegnete der Weimarer Republik mit gro-ßer Skepsis, war wie ein
Großteil der Pfarrerschaft deutsch-national eingestellt und hatte
für die Nationalsozialisten mehr als Sympathie. Er war überzeugt,
dass mit der nationalen Bewe-gung ein volksmissionarischer Aufbruch möglich
sei. Als sich dies zunehmend als Irrtum er-wies und zusehends von Partei
und Staat die Gleichschaltung der evangelischen Kirche unter Führung
der Deutschen Christen propagiert wurde, begehrte Meiser um der bedrohten
kirchli-chen Rechte auf und ging den Konflikt mit den Nationalsozialisten
ein. Das hatte zur Folge, dass Meiser für einige Tage unter Hausarrest
gestellt wurde. Sympathiekundgebungen vor seinem Sitz in München
brachten die politische Führung zum Einlenken und der Hausarrest
wurde wieder aufgehoben. Meisers Loyalität gegenüber Hitler
persönlich blieb unberührt von diesem Ereignis. Meiser konnte
von seinen inneren Überzeugungen her nicht anders, als dem Staat
ergeben zu sein.
So charakterisiert Meiser m.E. am deutlichsten ein Wort,
das er in einer vorbereitenden Sit-zung für die Steglitzer Bekenntnissynode
1935 sagte, als erwogen wurde, die Judenfrage' auf die Tagesordnung
der Synode zu setzen: "Ich möchte meine Stimme erheben gegen
ein selbstverschuldetes Martyrium. Ich sehe mit einiger Sorge auf die
kommende preußische Sy-node, wenn sie solche Dinge anschneiden will
wie z.B. die Judenfrage." (zit. nach Wolfgang Gerlach, Als die Zeugen
schwiegen. Bekennende Kirche und die Juden. Hg. v. Peter v. d. Os-ten-Sacken,
Berlin 1993. S. 154)
Meiser wollte die Kirche für ein öffentliches
Wort für die verfolgten Juden keiner drohenden Gefahr aussetzen.
Im Hintergrund stehen seine im Nürnberger Evangelischen Gemeindeblatt
1926 geäußerten und hinlänglich bekannten antisemitischen
Ausfälle und seine Ergebenheit dem Staat gegenüber. Allerdings
darf man es sich wiederum nicht zu leicht machen. Im sel-ben Artikel des
Gemeindeblattes schreibt Meiser: "Als Christen sollten wir die Juden
erstens mit Freundlichkeit grüßen, zweitens mit Selbstverleugnung
tragen, drittens durch hoffende Geduld stärken, viertens mit wahrer
Liebe erquicken, fünftens durch anhaltende Fürbitte ret-ten."
(zit. nach ebd. S. 154) Auch wenn diese Redeweise ebenso auf den Prüfstand
gehört, so unterscheidet sie sich doch von seinen Hasstiraden. Das
Problem liegt m.E. darin, dass Meiser meinte, die Kirche retten zu können,
ohne für die Juden öffentlich vernehmbar einzutreten. Das ist
ein Widerspruch in sich selbst. Wo Kirche nicht mehr für Juden ihren
Mund auftut, verliert sie ihre Mitte Jesus Christus, weil Jesus selbst
Jude ist.
Nun sind die Erinnerung und der für den 8. Juni geplante
Gottesdienst in heftige Kritik gera-ten. Der vor allen Dingen in der Boulevardpresse
vorgetragene sehr plakative Vorwurf an die Kirchenleitung, hier würde
eine Jubelfeier für eine Person veranstaltet, die sich mit massiv
antijüdischen Äußerungen hervorgetan hat, ist unangebracht.
Buch, Ausstellung und der Gottesdienst wollen zum Nachdenken über
eine Person anregen, deren lange Zeit unantastbarer Heiligenstatus'
von der Landeskirche durch die genannten Maßnahmen einem ihm gerechteren
und realistischeren Bild weicht.
Die Kritik der jüdischen Gemeinschaft hingegen ist
nur zu verständlich und sollte zum Inne-halten bewegen - was sie
auch getan hat. Sie kommt aus einer sehr existentiellen Betroffen-heit
und muss ernst genommen werden. Als Christen stehen wir noch immer am
Anfang eines Lernprozesses. Stolpersteine liegen auf dem Weg eines erneuerten
Mit- und Nebeneinanders. Mir geht bei Hans Meiser mit seinen widersprüchlichen
Haltungen immer wieder Martin Lu-ther durch den Kopf. Ich schätze
an Martin Luther zahlreiche seiner Auslegungen und ganz besonders seine
Schrift "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei", aber ich
will mich ganz klar von seinen furchtbaren antijüdischen Äußerungen
distanzieren. Meine Kirche - und dar-auf bin ich stolz - hat das im Falle
Martin Luthers getan (Erklärung der Evang.-Luth. Kirche in Bayern
zu Christen und Juden, Erklärung des Dekanates Nürnberg zu Martin
Luther). Ein ähnliches Vorgehen bei Hans Meiser wäre m.E. hilfreich
gewesen, nämlich, im Vorfeld kund-zutun: Als Kirche distanzieren
wir uns von seinen antisemitischen Äußerungen. Gedacht ha-ben
das vermutlich fast alle, offensichtlich ist es wichtig, es auszusprechen.
Nun geschieht dies in dem Gottesdienst am 8. Juni. Zentraler Punkt des
Gottesdienstes ist ein Schuldbe-kenntnis, das offiziell von landeskirchlicher
Seite bisher noch nie abgelegt worden ist. Für die glaubwürdige
Erneuerung des christlich-jüdischen Verhältnisses und um der
Kirche selbst willen ist das ein Zeichen der Umkehr. Damit liegt in dem
Gottesdienst die Chance, deutlich zu machen, dass wir Kirche nur im Gegenüber
zu einem lebendigen Judentum sein können. Das geht über das
hinaus, was Hans Meiser sagte und dachte, es führt aber dahin, was
er letzt-lich wollte: die Kirche als Kirche Jesu Christi erhalten.
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