Ausgewählte Gedichte von Abraham J. Heschel
übersetzt von Michael Heymel

K'hob gebeten wunder inschtot glik,
un du host saj mir gegeben.

Ich betete um Wunder statt Glück,
und du hast sie mir gegeben.


Ich un du

Transmissieß gejhen fun dain herz zu mainem,
farteitschen, farmischen main leidn mit dainem.
Bin ich nischt - du? Bistu nischt - ich?

Es senen maine nervn zunoifgeknoilt mit daine.
Es hobn daine troimen getrofn sich mit maine.
Zi senen mir nischt ainer in laiber milionen?

Oft derse ich mich alain in alemens geschtaltn,
derher in mentschns roinen, raid mains a roite, schtile schtim,
glaich unter maskes milionen s'wolt main ponim sain behaltn.

K'leb in mir un in dir.
Durch daine lippn geht a wort fun mir zu mir,
fun daine oign trift a trer, woss kwelt in mir.

Wenn a not dich kwelt - alarmir!
Wenn a mentsch dir fehlt - raiß auf main tir!
Du lebst in dir, du lebst in mir.


Ich und du

Transmissionen fließen von deinem Herzen zu meinem,
übersetzen, vermischen mein Leiden mit deinem.
Bin ich nicht - du? Bist du nicht - ich?

Meine Nerven sind verwoben mit deinen,
deine Träume haben sich getroffen mit meinen.
Sind wir nicht einer in den Körpern von Millionen?

Oft sehe ich mich selbst in jedermanns Gestalt,
höre meine eigene Rede - eine ferne, leise Stimme -
im Weinen der Menschen,
als ob mein Gesicht unter Millionen von Masken verborgen läge.

Ich lebe in mir und in dir.
Durch deine Lippen geht ein Wort von mir zu mir,
von deinen Augen fließt eine Träne, die in mir quellt.

Wenn eine Not dich quält - alarmiere mich!
Wenn ein Mensch dir fehlt - reiß meine Tür auf!
Du lebst in dir, du lebst in mir.

Gedichte, 31

***

Gott geht mir nach umetum

Gott geht mir nach umetum -
schpint a nez fun blikn mir arum,
blendt main blindn rukn wie a sun.

Gott geht mir nach wie a wald umetum.
Un schtendik schtaunen maine lipn harzik-schtum,
wie a kind, woss blondschet
in an altn hailiktum.

Gott geht in mir nach wie a schauder umetum.
Es glust sich mir ru, es mahnt in mir: - kum!
Kuk wie seungen walgern auf gassn sich arum.

Ich geh in rejonot maine um wie a sod
in a langn koridor durch di welt -
un derse amol hoch iber mir das ponimlose pnim fun Gott.
- - -

Gott geht mir nach in tramwaien, in kaffeen - - -
O s'is nor mit rukns fun aplen zu sehn,
wie sodot antschtaien, wie woisjes geschehn!


Gott geht mir überall nach

Gott geht mir überall nach,
spinnt ein Netz von Blicken um mich herum,
scheint auf meinen blinden Rücken wie eine Sonne.

Gott geht mir wie ein Wald überall nach.
Und ständig staunen meine Lippen harzig-stumm,
wie ein Kind, das hineintappt in ein altes Heiligtum.

Gott geht in mir wie ein Schauder überall nach.
Es verlangt mich nach Ruhe, es gebietet in mir: Komm!
Sieh, wie prophetische Visionen auf den Straßen verstreut sind!

Ich geh mit meinen Träumen wie mit einem Geheimnis
in einem langen Korridor durch die Welt -
und manchmal erblicke ich hoch über mir das gesichtslose
Angesicht Gottes.

---

Gott geht mir nach in Straßenbahnen, in Cafés ---
O, es ist nur mit dem Rücken der Leute zu sehen,
wie Geheimnisse reifen, wie Visionen geschehen!

Gedichte, 57

***

Das tejerste wort

Jede rege is a gruß
fun der aibikejt zu mir.
Un ale werter mich dermanen
nor in wort fun werter: gott.

Schteiner lejchtn mir wie schtern.
Un jeder schtilster troppn regn
is wie rescht fun dains an echo,
du, main fater un main lerer!

Main alz!
S'is dain namen schojn mir haim.
K'bin asoj trojerik, elnt schir.
Woss wollt ich getun on dir?

Main ainzik farmeg is dosdossike wort.
K'wel gikher main aigenem
namen fargessn wie dainem.
Un es schrajt in harz, in mainem:

K'wel ale werter dir a namen gebn.
K'wel rufn dich: wald! nacht! ach! ja!
In ale maine reges ssamlen, webn -
a schtik aibikajt dir a matoneh .

O, wenn k'wolt gekont di aibikajt
a jom-tow fajern for dir!
Nischt nor a tag, a mentschnlebn.
Wie nischtik is main dinst, main gebn

matnot dir un main farern!
Woss kon ich denn tuen far dir?
Ojb nischt umgejn umetum un schwern,
anschtot glejbn - edut sagn, schwern!

Das kostbarste Wort

Jeder Augenblick ist ein Gruß
der Ewigkeit an mich.
Und alle Wörter erinnern mich
nur an das Wort der Wörter: Gott.

Steine leuchten mir wie Sterne.
Und jeder leiseste Regentropfen
ist wie ein Rest von Deinem Echo,
Du, mein Vater und mein Lehrer!

Mein Alles!
Dein Name ist schon mein Heim.
Ich bin so traurig, beinahe elend.
Was würde ich tun ohne Dich?

Mein einziger Schatz ist eben dies Wort.
Ich würde eher meinen eigenen
Namen vergessen als Deinen.
Und es schreit in meinem Herzen:

Ich werde aus jedem Wort einen Namen für Dich machen.
Ich werde Dich rufen: Wald! Nacht! Ach! Ja!
Und all meine Augenblicke sammeln, weben -
ein Stück Ewigkeit, ein Geschenk für Dich!

Oh, wenn ich die Ewigkeit haben könnte,
um ein Fest zu feiern vor Dir!
Nicht nur einen Tag, ein Menschenleben.
Wie belanglos ist mein Dienst, mein Geben

Gaben für Dich und mein Verehren!
Was kann ich dann für Dich tun?
Was anders als überall hingehen und schwören,
statt glauben - Zeugnis ablegen, schwören!

Gedichte, 58ff

***

Recht auf wunder

Dain ponim - gotts a herb,
un szepter - daine hent.
Es is dain schejnkait, k'woiß -
far dikhter gottbewois.

Wie luna is dain aksl bloss.
In daine oign ligt parnass.
Es kilt sich klar main har zeflamt
in schluchtn fun dain kiler hant.

Ich bin bai daine wunder wechter.

Aufn tron fun schtim, fun dainer
tust sich an di silberkron
fun dain blendndik gelechter -
ich bin bai daine wunder wechter
un oisgeschternt is main lebn
mit daine schtolze schtile werter.

Wenn k'hob zum erschten mol berirt
dain umendlech-zartn akßl
wie a himl -
hastu main recht auf wunder
siß versiglt.

Sint demolt trog ich in main auer
dem waitn schlep fun schtim, fun dainer,
un bin mit toisent jamim-towim raicher.


Recht auf Wunder

Dein Gesicht - Gottes höchste Zier.
Ein Szepter - deine Hände.
Es ist deine Schönheit, ich weiß,
die den Dichtern Gott beweist.

Deine Schulter ist blass wie der Mond.
Parnassus liegt in deinen Augen.
Mein brennendes Haar kühlt sich
in den Schluchten deiner kühlen Hand.

Ich bin der Wächter deiner Wunder.

Auf dem Thron deiner Stimme
setzt du dir die Silberkrone
deines blendenden Lachens auf -
ich bin der Wächter deiner Wunder.
Mein Leben ist mit Sternen übersät
von deinen stolzen, stillen Wörtern.

Als ich zum ersten Mal berührt habe
deine unendlich zarte Schulter
- wie der Himmel -,
hast du mein Recht auf Wunder
süß versiegelt.

Seit damals trage ich in meinem Ohr
die weite Schleppe deiner Stimme
und bin um tausend Feiertage reicher.

Gedichte, 107

***


Einsam

K'bin modne einsam. Die eingeng zu main sel senen zu.
K'wolt durch türn ale zu sich a schrei - "wo bistu?" tun -
bin ich aber keinmol mit sich nischt af du.

Schtej ich nebn mir teilmol schehnlang in traum,
wie zufisns fun a berg a junger, flinker baum.
Wel ich denn dem berg iberwaksen?

Oft kum ich mir far, wie fun sich a schtral
durch aine-nirechdike schpare in finstern sal -
un groisame benkschaft is main schtendik tribunal.

Ur-achrjotn vargessene schreien aufgereizt in mir.
Asojvil feier un asoj wenik licht! Farwoss
hob nischt gefil in gebot, in mut mein blut farwandlt?

Farbittert, ich woiß: k'kon in mir keinmol derkenen main gesicht.
Aber zu woss sizn keßejder iber gegnwart gericht,
wenn jeder atem alarmirt: neie zukunft, neie flicht?

Nor ich bin schtolz zu mir allein, k'sog kewenot meine
mir nischt aus un s'bleibt a sod far mir mein wiln,
at wil ich mehr wie mehr un at weiniker wie garnischt.

Deriber bin ich treurik krank auf benkschaft noch mir,
freunt un lider nischt konen mich fartreten,
kaprisn, begern - main rezon-retenisch trefn.

Noch singt in mir a flam, wos wil zu altar.
K'bin e kurban far gott, oder finstere gefar,
un bis jetzt hot mich farzert beiser, brausndiker zer.

Fun nacht zu nacht
austerlischer wert main benkschaft
noch mir allein.

Main jugent is pein.
Barükung - gewein.
Zorn - alz main.
Un jie'usch warft mich zu maine fiß:
- Bist nischt wert du zu sein!

Asoj einsam!
Asoj keinsam!


Einsam

Ich bin sonderbar einsam. Die Eingänge zu meiner Seele sind geschlossen.
Ich würde gern durch alle Türen zu mir schreien: "Wo bist du?",
aber ich kann darüber nicht vertraulich mit mir sprechen.

Manchmal stehe ich stundenlang träumend allein,
wie ein junger, flinker Baum am Fuß eines Berges.
Werde ich jemals über den Berg hinauswachsen?

Oft erschien ich mir selbst wie ein Lichtstrahl
durch einen unsichtbaren Spalt in einer dunklen Halle -
und grausame Sehnsucht ist mein ständiges Urteil.

Vergessene Ur-Verpflichtungen schreien aufgereizt in mir.
So viel Feuer und so wenig Licht!
Warum haben Gefühle für Gottes Gebot nicht mein Blut in Mut verwandelt?

Verbittert, ich weiß, werde ich niemals mein Gesicht in mir selbst erkennen.
Aber warum über die Gegenwart zu Gericht sitzen,
wenn jeder Atemzug neue Zukunft und neue Pflicht alarmiert?

Ich bleibe nur stolz für mich allein, ich offenbare mir nicht meine Absichten, und mein Wille bleibt für mich ein Geheimnis.
Manchmal will ich mehr als mehr, und manchmal weniger als nichts.

Daher bin ich traurig krank vor Sehnsucht nach mir selbst.
Freunde und Gedichte können mich nicht vertreten,
Launen, Begierden - die Rätsel meines Verlangens [können sie nicht] lösen.

Noch singt eine Flamme in mir, die zum Altar strebt.
Ich bin ein Opfer für Gott oder eine finstere Gefahr,
und bis jetzt hat mich ein böser, wilder Kummer verzehrt.

Nacht um Nacht
immer bizarrer wird meine Sehnsucht
nach mir allein.

Meine Jugend ist Leiden.
Mein Trost - Weinen.
Zorn - mein Alles.
Und Verzweiflung wirft mir [die Anklage] zu Füßen:
Du bist nicht wert, du zu sein!

So einsam!
Mit keinem zusammen!

Gedichte, 127ff

***


***


Gott un mentsch

Nischt far sich wilstu kurbanot,
nor far antoischte in dain libe.
K'hob nischt auf kebod dain rachmenot,
nor auf farlassene vun ale.

S'farschemt dich schendung nischt asoj,
wie mentschns trern, wejgeschrej;
S'tut nischt lesterung asoj dir wej,
wie a mentschleke farzweiflung.

Wer es lestert mentschn, welt -
ais dich, almechtiker, mebusah;
wer ain mentschn sich farlibt -
ais dich, hailiker, mehanah.

Gott und Mensch

Nicht für Dich willst Du Opfergaben,
nur für die, die über Deine Liebe enttäuscht sind.
Ich schätze Dein Erbarmen nicht um der Ehre willen,
nur um deretwillen, die von allen verlassen sind.

Schändung beschämt Dich weniger
als die Tränen der Menschen, als Wehgeschrei.
Lästerung quält Dich nicht so sehr
wie menschliche Verzweiflung.

Wer Menschen lästert [oder] die Welt,
beschämt Dich, Allmächtiger;
wer Menschen liebt,
bringt Dir Freude, Heiliger.

Gedichte, 44f

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Bruder Gott

Gott is aingesezt in tefisah,
in labirintn fun on-sof .
Antloifst un kumst durch ale gassn,
Nor getlechkajt farschtelt dich, Gott!

Bist nischt nor har un almacht, nein!
Konst auch orem, trojerik sain.
First sich teilmol ojf wie kind,
glaich ich wolt sain der grojßer.

Bruder undser, Gott!
Fun umendlech-leztn schtok
nider zart zu unds arop
un kuss sich wejch un klor
mit jeder kreatur.

Bruder Gott

Gott ist eingesperrt im Gefängnis,
in Labyrinthen der Unendlichkeit.
Du fliehst und gehst durch alle Straßen.
Doch Deine Göttlichkeit verkleidet Dich.

Du bist nicht nur Herr und Allmächtiger, nein!
Du kannst auch arm und traurig sein.
Manchmal benimmst Du Dich wie ein Kind,
als ob ich der größere [Junge] wäre.

Unser Bruder, Gott!
Von der letzten, unendlichen Höhe
beuge Dich zärtlich zu uns herab
und küsse uns sanft und klar;
[küsse] jede Kreatur.

Gedichte, 64f

***


Teschuwa

Habn tefilot der fun dorot
dain rachmanot nischt dergrejkt?
Meßirot-nefesch'n, hitlechwut
Undser teschuka nischt derzejlt?

Gott, du grester schwejger!
Entferst retenisch ojf schrei.
Bist dem farbrecher nischt kain snigor,
ssogst der schinah nischt: - fargej!

Nor tejlmol trift wie trer a regn,
gotts a widui in der welt -
k'fil: s'is umetik-farlegn
gott far sich un undsertwegn.

Doch undser wejtik mont: - derbárem!
Gib schtot trern - tat, schtot harätáh - hilf.
Jede hofenung ssol bafél dir sain
un jeder schoider - an alarm.

Mir, gott un mentsch un hint,
lomir teschuwa tun zußamen
oder aine far dem zwaitn.

Un fargeb unds undser sind
asoj wie mir fargebn daine.


Reue

Haben die Gebete von Generationen
Dein Erbarmen nicht erreicht?
Unsere Hingabe, Begeisterung -
[haben sie Dir] nicht unsere Begierde [nach Dir] erzählt?

Gott, Du größter Schweiger!
Du antwortest auf Schreie mit Rätseln.
Du bist kein Verteidiger gegen den Verbrecher,
Du sagst nicht zum Hass: Hör auf!

Ja, manchmal tropft der Regen wie eine Träne.
Ein Sündenbekenntnis Gottes in der Welt -

Ich fühle: Gott ist traurig-verlegen,
um seinetwillen wie um unsertwillen.

Doch unser Schmerz fordert: Hab Erbarmen!
Gib Taten statt Tränen, Hilfe statt Bereuen.
Jede Hoffnung soll Dir ein Befehl sein
und jeder Schauder ein Alarm.

Wir - Gott und Mensch und Hunde,
lass uns gemeinsam Buße tun
oder jeder für den anderen.

Und vergib uns unsere Sünden
wie wir [Dir] die Deinen vergeben.

Gedichte, 200f

***

Main lid

K'wil schenken dir - welt,
das geflecht fun maine glider;

Main wort, maine hent,
das wunder fun maine oign.

Nem mich zu ain dinst zu dir,
un farwend mich zu dain nuz!

Schtel mich awek
in fremdkajt fun voksaln,

wie bagrißung-statue
far elente orchim ...

nor mit frejd un werter
ful in haldz

un lichtikn wejzer
un zunike hent.

Schik mich zu brider farschikte,
farschparte in tefisot.

Schik mich mit besureh
un trejst zu awlim,

mit hilf zu di areme,
mit retung zu di kranke.

Nem mich far a frejnt!
Nem mich far a knecht!


Mein Lied

Ich will dir schenken, o Welt,
das Gerüst meiner Glieder.

Meine Worte, meine Hände,
das Wunder meiner Augen.

Nimm mich für einen Dienst zu dir,
und verwende mich zu deinem Nutzen!

Stell mich fort
in fremde Bahnhöfe,

wie eine Begrüßungsstatue
für verlorene Gäste ...

nur mit Freude und
den Hals voll Wörtern

und strahlendem Gesicht
und sonnigen Händen.

Sende mich zu den verbannten Brüdern,
den in Gefängnisse Eingesperrten.

Sende mich mit [guter] Botschaft
und Trost zu den Trauernden,

mit Hilfe zu den Armen,
mit Rettung zu den Kranken.

Nimm mich als einen Freund!
Nimm mich als einen Knecht!

Gedichte, 202ff

***

Julisuntik in berlin

Di schtot gehert haint nischt di mentschn -
nor di baimer. Ongekumen
birger fun a schtolzn land
un ale gassn aingenumen.

Schtejen mit faklen in di hent,
samlen glanz far ale oign;
haltn teler oisgeschtrekt
un sun fartejlt saj schtiker blend.

Di schtot gehert haint nischt di birger,
nor unds, farblibene in ir.
Oisgewandert zum schpazir,
gelast baj ainsomste di schtot
un forschlassn si mit schtilkajt.

Un mir mit faklen in di oign,
mit kiln fajer ainsomkajt -
fun alemen fargessn -
mir libn ajch, forlassene met-letn!


Zum Vergleich dasselbe Gedicht in YIVO-Transkription:

yulizuntik in berlin

di shtot gehert haynt nisht di mentshn -
nor di beymer. ongekumen
birger fun a shtoltsn land
un ale gasn eyngenumen.

shteyen mit faklen in di hent,
zamlen glants far ale oygn;
haltn teler oysgeshtrekt
un zun farteylt zey shtiker blend.

di shtot gehert haynt nisht di birger
nor undz, farblibene in ir.
oysgevandert tsum shpatsir,
gelozt bay eynzamste di shtot
un farshlosn zi mit shtilkeyt.

un mir mit faklen in di oygn,
mit kiln fayer eynzamkeyt -
fun alemen fargesn -
mir libn aykh, farlozene mes-lesn!


Ein Julisonntag in Berlin

Die Stadt gehört heute nicht den Menschen,
nur den Bäumen.
Bürger eines stolzen Landes sind gekommen
und haben alle Straßen eingenommen.

Stehen mit Fackeln in den Händen,
sammeln Glanz für alle Augen;
halten Teller ausgestreckt,
und die Sonne verteilt blendende Stücke.

Die Stadt gehört heute nicht den Bürgern,
sondern uns, den in ihr Verbliebenen.
Die zum Spazieren ausgegangen sind,
ließen sie den Einsamsten zurück
und verschlossen sie mit Stille.

Und wir, mit Fackeln in den Augen,
mit kühl-feuriger Einsamkeit -
vergessen von allen -
wir lieben euch, die für einen Tag und eine Nacht Verlassenen!

Gedichte, 152f

***

Literatur zur Übersetzung

Solomon A. Birnbaum: Yiddish. A Survey and a Grammar, Manchester 1979
Gustav H. Dalman, Aramäisch-Neuhebräisches Handwörterbuch zu Targum, Talmud und Midrasch, Göttingen 31938 = Reprint Hildesheim 1997
Wilhelm Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch, Berlin-Göttingen-Heidelberg 1962
Salcia Landmann, Jiddisch. Das Abenteuer einer Sprache (zuerst 1962), Neuausgabe Frankfurt/Main-Berlin 51994
Ronald Lötzsch, Jiddisches Wörterbuch (Duden Taschenbücher Bd.24), Mannheim 1992
Uriel Weinreich, Modern English-Yiddish Dictionary, Schocken Books, New York 1987
Sigmund A. Wolf, Jiddisches Wörterbuch, Hamburg 1993
Yiddish Dictionary Online, in: www.yiddishdictionaryonline.com

Dr. Michael Heymel ist evangelischer Pfarrer und lehrt als Privatdozent Praktische Theologie an der Universität Heidelberg.

Auf die Anmerkungen musste für die Online-Ausgabe verzichtet werden.

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