Lebendige Weitergabe des Erbes von Martin Buber
von Prof. Dr. Martin Stöhr
Ehrenpräsident des Internationalen Rates der Christen und Juden
und Mitglied im Evangelischen Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau

Martin Bubers Lebenswerk trägt dreifach zur Freiheit und Souveränität des jüdischen Volkes in der Neuzeit bei. Es ist aber auch die Einladung an die nichtjüdische Mehrheit, entmündigende Fremddefinitionen des Judentums aufzugeben und die vieldimensionalen jüdischen Überlieferungen und Lebenswelten in ihren authentischen Selbstverständnissen kennen zu lernen.

1.
Weil Buber weiß, dass das Wort des biblischen Gottes als "Stimme in der Welt" ist, dass er "der Anredbare, weil Anredende, Gott" ist, ist der Dialog die Grundform der Beziehung zwischen dieser göttlichen Wirklichkeit und seinen Ebenbildern, zwischen Ich und Du. "Der Mensch wird am Du zum Ich." Diese Grundeinstellung hat weitreichende Folgen. Buber ist intellektuell wie praktisch eine dialogische Existenz. Das zeigt sich in seinen Arbeiten zur Erziehung und zur Erwachsenenbildung. Seine Beiträge zur Anthropologie und Religionswissenschaft, zur Philosophie und Theologie werden als inspirierendes Erbe in vielen Wissenschaften und Praxisfeldern aufgenommen. Das Gespräch zwischen Juden und Christen ist ohne ihn undenkbar. Er wird ins Kieler Weltwirtschaftsinstitut eingeladen, um dessen Fragen nach ethischen Grundlagen des Wirtschaftens zu beantworten: Als religiöser Sozialist nimmt er die ungerechte Wirklichkeit der Armen ebenso wahr wie die Gewalt staatlichen Unrechts in der Sowjetunion. Eine Koexistenz von Juden und Arabern im "Gelobten Land" fordert sein zionistisches Engagement. Tat und Wort, Praxis und Theorie durchdringen sich in der Bemühung um eine humane "Verwirklichung" des Glaubens wie des Wissens.

2.
In seiner Bibelübersetzung lässt er im wahrsten Sinn des Wortes die Hebräische Bibel "laut" werden - auch und gerade für jene Juden und Christen, die des Hebräischen nicht kundig sind. Die Stimme des dort sich Mitteilenden spricht vernehmbar. Die Kommunikation mit Ihm und den biblischen Personen geschieht im Hören und Sprechen, nicht zuerst im stummen Lesen. Die fremd gewordene Sprachgestalt des Hebräischen soll eine eigene deutsche Gestalt gewinnen. Das mit Franz Rosenzweig sorgfältig erarbeitete und ständig überprüfte Konzept will Leserinnen und Leser dazu führen, gegen eingeschliffene Hör- und Deutungsweisen den Stimmen der Bibel neu und lebendig zu "lauschen". Das Beispiel zweier Texte, die Bubers Lebensleistung ehren, zeigt en détail das Problem der angemessenen Sprache: In der Verleihungsurkunde zum berühmten Erasmus-Preis der Niederlande "für Humanität und Kultur Europas" wird seine Leistung als Übersetzer der "Bücher der Hebräischen Bibel" in ein "bisher nicht erklungenes Deutsch" gewürdigt (1963). Als die Philosophische Fakultät der Universität Heidelberg ihm den Ehrendoktor verleiht, bleibt sie bei der christlich gelernten Rede und spricht von Bubers Übertragung der "Heiligen Schriften des Alten Testamentes" (1964).

3.
Buber kennt mit der Welt seines Großvaters, eines berühmten Talmudgelehrten, das osteuropäische Judentum aus der Zeit vor dessen fast völliger Vernichtung. Er entdeckt seinen spirituellen wie intellektuellen Reichtum - aber auch die durch christliche Staaten und Mehrheitsreligion bedingten elenden Lebensbedingungen. Er wird einen Strang dieser faszinierenden Kultur, die chassidische, erforschen und bekannt machen. Ihre literarischen Produkte wird er nacherzählen und deuten. Seine poetische Sprachgewalt schafft aus ihnen eigene und eigenständige Kunstwerke.

Die Ausstellung, für deren Konzeption und Realisierung Andrea Thiemann und Hans-Georg Vorndran großen Dank und Anerkennung verdienen, möchte Martin Bubers Erbe und geistiges Potenzial lebendig weitergeben. Sie ist eine einzige Einladung, Martin Buber wieder zu lesen. Nach seiner Vertreibung aus Deutschland gilt sein in Heppenheim gesprochenes Wort der tätigen Hoffnung: "Es geht nicht an, das als utopisch zu bezeichnen, woran wir unsere Kraft noch nicht erprobt haben."

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