ISRAEL: STAAT - LAND - VOLK
Thesenreihe des Arbeitskreises "Kirche und Judentum" der Evangelischen
Kirche der Pfalz
Teil I: Historische und politische Aspekte
These 1: Teilungsbeschluss und Staatsgründung
Der Teilungsbeschluss der UN-Vollversammlung
vom 29.11.1947, nach dem das britische Mandatsgebiet Palästina in
zwei Staaten aufgeteilt werden sollte, stellt eine unbezweifelbare völkerrechtliche
Grundlage für die Gründung des Staates Israel dar, die am 14.5.1948
erfolgte.
Hinter beide Fakten gibt es heute kein Zurück
mehr. Sie sollten auch in Zukunft die unverrückbare Grundlage eines
jeden politischen Diskurses darstellen.
These 2 : Das Existenzrecht Israels
Nach der Verfolgungsgeschichte des späten 19. und des 20. Jahrhunderts
kommt dem Staat Israel eine wichtige Bedeutung als "Schutzgehäuse"
(Martin Stöhr) zu, das allen Jüdinnen und Juden in der Diaspora
jederzeit offen steht.
Seine Existenz in sicheren, völkerrechtlich anerkannten
Grenzen darf nicht in Frage gestellt werden - weder politisch noch mit
Waffengewalt.
These 3: Die Option auf einen Palästinenserstaat
Der Teilungsbeschluss der Vereinten Nationen enthielt auch die Option
auf einen Palästinenserstaat, die aus unterschiedlichen Gründen
noch nicht realisiert wurde.
Seine Errichtung ist aber heute die unabdingbare Voraussetzung
für eine friedliche Lösung im Nahen Osten. Dazu gehört
die einvernehmliche Aushandlung der Staatsgebiete zwischen beiden Seiten.
These 4: Das internationale Gleichgewicht der Kräfte
Die Wahrnehmung des Nahost-Konfliktes darf nicht auf die beiden Parteien
Israel und Palästinenser verengt werden. Vielmehr ist auch ein konstruktives
Mitwirken der arabischen Nachbarstaaten und der von außen in die
Region hineinwirkenden politischen Mächte (USA, EU, Russland) zu
fordern.
Eine Verständigung zwischen Israel und den Palästinensern
ist nur im Rahmen einer Befriedung der gesamten Region realistisch. Dabei
dürfen weder die legitimen Ansprüche der Israelis auf eine von
den Nachbarn anerkannte und nicht durch terroristische Gewalt bedrohte
Existenz, noch die der Palästinenser auf einen eigenen lebensfähigen
Staat, übergangen werden.
These 5: Israel als Zentrum des weltweiten Judentums
Israel ist das einzige Land der Welt, in dem die Mehrheit der Bevölkerung
jüdisch ist. Ihm kommt als geistigem Zentrum jüdischer Religion,
Geschichte, Kultur, Sprache und Wissenschaft eine besondere Bedeutung
zu.
Dieser Aspekt wird nicht nur von religiösen, sondern
auch von säkularen Jüdinnen und Juden betont, die sich als Teil
einer großen Schicksalsgemeinschaft sehen. Es ist wichtig, diesen
breiten innerjüdischen Konsens wahrzunehmen.
These 6: Unsere Verantwortung für Israel als Deutsche
Ein Deutschland, das sich der freiheitlich-demokratischen Traditionen
verpflichtet weiß, trägt aufgrund des Völkermordes am
europäischen Judentum eine besondere Verantwortung für die Existenz
des Staates Israel und das Lebensrecht seiner Menschen.
Das verpflichtet Deutschland konkret in seinem außenpolitischen
Handeln, sich besonders in Zeiten äußerer oder innerer Bedrohung
Israels an dessen Seite zu stellen. Aber auch im Blick auf unsere eigene
Gesellschaft müssen wir in der Bildungs- und Erziehungsarbeit bestrebt
sein, eine wahrheitsgetreue Erinnerung an die Schoa lebendig zu halten,
ein breites Engagement gegen Antisemitismus und Rassismus zu stärken
sowie einer einseitigen oder ideologisch verzerrten Darstellung Israels
und des Nahostkonflikts entgegen zu treten.
These 7: Unsere Verantwortung für Israel als Kirche
Eine besondere Verantwortung für Israel trägt durch ihre
Mitschuld an Judenfeindschaft und Judenverfolgung, vor allem in der Zeit
des Nationalsozialismus, auch unsere Kirche. Kirchliche Solidarität
mit Israel kann auf vielfältige Art und Weise zum Ausdruck gebracht
werden: sei es durch Studienfahrten, Partnerschaften und christlich-jüdische
Begegnungen, aber auch durch langfristige Projekte wie Nes Ammim oder
die Arbeit von Aktion Sühnezeichen.
Solidarität mit Israel bedeutet auch, sich in
den vielfältigen Bezügen kirchlicher Arbeit mit der politischen
Lage im Nahen Osten unvoreingenommen und kritisch auseinanderzusetzen.
Dabei hat der Staat Israel ein Recht darauf, nach demselben ethisch-politischen
Maßstab gemessen zu werden wie andere Staaten.
These 8: Unsere Verbundenheit mit den Christen in Israel
und Palästina
Unsere Kirche unterstützt alle Kräfte in der Region, die
für eine friedliche und gerechte Koexistenz eintreten und sich für
Gewaltlosigkeit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sowie für
die Überwindung von Feindbildern einsetzen. Sie weiß sich insbesondere
verbunden mit unseren Geschwisterkirchen im Heiligen Land, die die christlichen
Minderheiten in Israel wie in Palästina vertreten.
Gerade diese doppelte Verbundenheit mit Juden und Christen
in Israel und Palästina über die gegenwärtigen politischen
Konfliktlinien hinweg muss durchgehalten und jeweils im Angesicht der
anderen Seite gelebt und verantwortet werden.
Teil II: Theologische Aspekte
These 9: Die biblische Landverheißung
Die Rückkehr von Juden nach Israel kann zu Recht im Licht der
biblischen Landverheißung an das Volk Israel (1 Mose 12, 7; Jos
1, 1-6 u.ö.) und seiner Hoffnung auf ein Ende des Exils gesehen werden.
Diese alttestamentliche Überlieferung bleibt auch in christlicher
Wahrnehmung eine gültige biblische Verheißung Gottes.
Wir begreifen das Thema "Land und Volk Israel"
als Chance, unser Nachdenken über Gott - sein Erwählen und Berufen,
seine Bundesschlüsse und Verheißungen - in Raum und Zeit zu
konkretisieren.
These 10: Das Land als bleibende Bundesgabe
Das "Land" ist auch nach dem Zeugnis des Neuen Testaments
bleibende Bundesgabe an Israel. Durch unser Bekenntnis zu dem Juden Jesus
von Nazareth, der den "Sanftmütigen" verhieß, "das
Land zu erben" (Mt 5, 5), sind auch wir Christinnen und Christen
auf das Land Israel als geografischen Bezugspunkt unseres Glaubens verwiesen.
Auch wenn Jüdinnen und Juden das "Land"
als spirituelles Bild für ihre bleibende Gemeinschaft mit Gott verwendet
haben, so hielten sie gerade damit doch die Sehnsucht nach dem wirklichen
Land wach. Wenn Christinnen und Christen im Anschluss an ähnliche
Tendenzen bildhaft vom "Land" reden (so bereits im Neuen Testament,
z. B. Gal 4, 26; Hebr 11, 14-16), dürfen auch sie den Bezug zum wirklichen
Land Israel nie aus dem Blick verlieren.
These 11: Der Staat Israel als "Fingerzeig Gottes"
Zusammen mit vielen religiösen Jüdinnen und Juden sehen
wir in der Sammlung des Volkes Israel im "Land der Väter"
und in der Errichtung des Staates Israel einen "Fingerzeig Gottes".
Wir glauben, dass Gott trotz aller Gefährdungen und Katastrophen
in der Geschichte, insbesondere der Schoa, treu zu seinem Volk gestanden
hat und noch immer steht (Sach 2, 12; Röm 9, 1-5; 11, 1).
Ebenso wie das Land muss auch der Staat Israel als
eine geschichtliche Größe ernst genommen werden, die zum christlichen
Glauben positiv ins Verhältnis zu setzen ist.
These 12: Wider die Profanisierung der Geschichte Israels
Wir widersprechen dem Denken vieler Christinnen und Christen, die
in der verstärkten Rückkehr von Jüdinnen und Juden nach
Israel nur ein Ereignis profaner Weltgeschichte ohne jegliche theologische
Bedeutung sehen und die Landthematik allein auf die Ebene der Realpolitik
reduzieren möchten.
Wer so die politische von der theologischen Wirklichkeit
Israels abspaltet, der entfernt Gott damit aus der Geschichte, und es
bleibt dann unbestimmt, was es bedeutet, dass der Gott Israels und Vater
Jesu Christi der Herr der Geschichte ist und in ihr handelt. Diese Position
hat Mühe mit dem Geschichtsdenken des Alten Testaments und kann dieses
nur als gescheitertes und zu überwindendes Modell ansehen.
These 13: Wider eine fundamentalistisch-biblizistische
Israelfreundschaft
Wir widersprechen auch einer fundamentalistisch-biblizistischen Betrachtung,
die einem endzeitlich-apokalyptischen Schema verhaftet ist und im neu
entstandenen Staat Israel ein Zeichen der bevorstehenden Wiederkunft Christi
sieht.
Hier werden zwar die alttestamentlichen Landverheißungen
ernst genommen, aber die daraus abgeleiteten politischen Folgerungen sind
oft ebenso realitätsfremd und Unheil stiftend wie die damit einhergehende
Erwartung, vor der Wiederkunft Christi werde "ein Rest" Israels
zu Christus umkehren, während die anderen Juden dem Verderben anheimfallen.
These 14: Geschichte und Gottes Handeln unterscheiden,
ohne zu scheiden
Zwischen beiden Extremen (These 12+13) führt ein Weg, der -
oft entgegen dem Augenschein - in Israel auch heute Gott am Werk sieht,
ohne den Willen Gottes einfach mit dem Staat Israel, seiner Regierung
oder bestimmten politischen Handlungen zu identifizieren.
Diese Position nimmt die biblische Landverheißung
auf, konstatiert aber zugleich einen "Überschuss" dieser
Verheißung gegenüber dem historischen Geschehen von Einwanderung
und Staatsgründung. Sie nimmt die bleibende Erwählung Israels
zum Segen für alle Völker und seine Bestimmung ernst. Sie lässt
dabei Raum für pragmatische, an realpolitischen Gegebenheiten orientierte
Lösungen hinsichtlich der Frage der Aufteilung des Landes zwischen
Israelis und Palästinensern.
These 15: Lebensdienliche Perspektiven für das
Land
Die Bibel enthält eine Fülle von Weisungen, die für
das Land und alle, die darin wohnen, segensreiche Perspektiven an die
Hand geben. (5. Mose 27, 1-3; Jer 7, 5-7).
Recht und Gerechtigkeit, den beiden großen Leitperspektiven
des alttestamentlichen
Ethos, ist auch im konkreten politischen Vollzug zum Durchbruch zu verhelfen.
Dies schließt ein, allen Bewohnerinnen und Bewohnern des Landes
die ihnen zustehenden Lebens- und Partizipationsmöglichkeiten einzuräumen
und ihre in der Gottesebenbildlichkeit begründete Menschenwürde
zu respektieren und zu schützen.
These 16: Wider die Instrumentalisierung der Bibel
zu politischen Zwecken
Neben diesen lebensdienlichen Perspektiven gibt es problematische
biblische Überlieferungen, die z. B. von Kriegen im Namen Gottes
und einem Austilgen der Völker sprechen (Jos 1, 13-15; Ex 17, 14).
Dagegen halten wir fest: "Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein."
Jegliche Instrumentalisierung der Bibel zu politischen
Zwecken ist abzulehnen. Überhaupt widersprechen wir jeglicher Benutzung
von Religion als Waffe, zur Überhöhung oder Begründung
von Feindbildern sowie zur Verschärfung anstatt zur Entschärfung
von Konflikten.
These 17: Der gemeinsame Auftrag von Kirche und Israel
Kirche und Israel sind gemeinsam zur Zeugenschaft für den einen
Gott - den Gott Abrahams und den Vater Jesu Christi - gerufen, "dass
man auf Erden erkenne seinen Weg und unter den Völkern sein Heil"
(Ps 67, 3).
Unsere Landeskirche bekennt in ihrer Verfassung: "Durch
ihren Herrn Jesus Christus weiß sie sich hinein genommen in die
Verheißungsgeschichte Gottes mit seinem ersterwählten Volk
Israel - zum Heil für alle Menschen." Das hat sich konkret an
der Solidarität mit Israel, auch in seiner staatlichen Existenz,
zu bewähren. Dies schließt unser Engagement für einen
für die Völker gerechten und für die Menschen heilsamen
Frieden im Heiligen Land mit ein.
Verabschiedet bei der Sitzung des Arbeitskreises am
6. September 2006
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