Gott als Person braucht einen Namen
Bibel in gerechter Sprache
von Frank Crüsemann
Die Geschichte aus Genesis 22, die wir gehört haben,
ist für Juden und Christen von überragender Bedeutung, aber
auf sehr verschiedene Weise und das spiegelt sich schon in der Benennung.
"Akeda - Bindung, Fesselung Isaaks" nennen sie die Juden, die
"Opferung Isaaks" ist der übliche christliche Name. In
der jüdischen Auslegung wird hier der Grundtext für das Verständnis
der jüdischen Märtyrer gefunden. Berühmte christliche Auslegungen
wie die von Luther oder Kierkegaard betonen dagegen den Glauben Abrahams,
den Glaubensgehorsam bis zur Mordbereitschaft. Zwischen Gott und Gott
bewegt sich dieser ungeheuerliche Text. Ich kann hier nur einen einzigen
Punkt ansprechen, und er hat mit der Art zu tun, wie hier von Gott gesprochen
wird, und mit unserer Bibelübersetzung. Am Anfang der Erzählung
gibt Haelohim, Gott, die Gottheit, Abraham den Befehl, seinen Sohn Isaak
für ein Brandopfer in das Land Morija zu führen. Elohim, Gott
wird sich das Schaf zum Opfer ausgucken, antwortet Abraham auf die Frage
des Sohnes. Doch als er ihn dann schlachten will, greift Adonajs Engel
ein und verhindert die Tat (v. 11). Hier steht plötzlich nicht mehr
eine allgemeine Bezeichnung für Gott, sondern der Name Gottes, das
sogenannte Tetragramm. Und zu diesem Namen gehört in den punktierten
hebräischen Texten zugleich die Anweisung anstelle des unaussprechbaren
Namens "Adonaj" zu lesen. Noch viermal wird dann dieser Name
stark betont in v. 14-16 genannt, vor allem wird mit dem Namen Gottes
als bleibendes Ergebnis der Berg des Geschehens neu benannt, traditionell
der Tempelberg in Jerusalem.
Dieser Wechsel in der Bezeichnung Gottes ist der entscheidende
Drehpunkt der Geschichte. Ob man sie dann verstehen kann, weiß ich
nicht, aber ohne diesen Wechsel kann man sie nur missverstehen. Wenn ich
einen Moment den Text auf dem Hintergrund der Zeit und der Umstände
interpretiere, in der er formuliert wurde, dann muss man wissen: Gottheiten,
die aus bestimmten Anlässen den Befehl gaben, Kinder zu opfern, gab
es viele damals, in Kanaan, in Phönizien und anderswo. Und Menschen,
die dem folgten wie Abraham hier, gab es auch. Der Anfangsbefehl und der
Gehorsam sind nicht so außergewöhnlich, wie sie später
und bis heute empfunden werden, außergewöhnlich ist die Unterbrechung,
die Rettung, das Eingreifen Gottes gegen den eigenen Befehl. Und genau
an dieser Wendstelle steht nun eben nicht "Gott", und es steht
da auch nicht "Herr". Und ein Wechsel von Gott zu Herr an dieser
Stelle verändert die Geschichte nicht, ein Verweis auf die Macht
und Herrschaft Gottes macht an dieser Stelle keinen Sinn. Wohl aber verändert
sich die Geschichte, wenn hier nun überraschend der Name, der Eigenname
Gottes steht, der Name der in einzigartiger Weise Gottes Identität
benennt. Es verändert sich damit nur ein Moment, aber ein grundlegendes,
die Geschichte bleibt dunkel, aber von Gott wird ein Stück weit anders
geredet. Ich bin stolz darauf, dass unsere Bibelübersetzung, den
Eigennamen Gottes kenntlich macht und heraushebt und damit diese und viele
andere Texte ein Stück weit verständlicher macht, uns ihrem
ursprünglichen Sinn näher kommen lässt.
Mein Anfang mit der Übersetzungsaufgabe, aus dem
dann später das Projekt "Bibel in gerechter Sprache" erwuchs,
hatte mit einer analogen Frage zu tun. Ein Bibelarbeitstext für den
Deutschen Evangelischen Kirchentag in Berlin 1989 war der 90. Psalm. Nun
hatten wie schon zuvor 1987 Frauen, die sich an dem vieltausendfachen
"Herr" der Bibel stießen, eine neue Übersetzung vorgelegt,
in der vor allem das übliche "Herr" einfach durch "Gott"
ersetzt wurde. Für das Verständnis des Psalms liegt aber viel
daran, dass an entscheidender Stelle gegen Ende der Name Gottes auftaucht
und als solcher erkennbar ist. Es gab dann eine Initiative von Jürgen
Ebach, der ich mich anschloss, in der wir brieflich darauf hinwiesen,
dass der einfache Ersatz von "Herr" durch "Gott" in
manchen Fällen die Struktur der Texte unsichtbar macht, die bewusst
mit unterschiedlichen Gottesbezeichnungen arbeiten, besonders mit der
Differenz zwischen Elohim/Gott und dem Namen Gottes. Allerdings wollten
wir damit keineswegs das traditionelle "Herr" verteidigen, sondern
gemeinsam nach anderen Möglichkeiten der Wiedergabe suchen. Daraus
erwuchs nun kein Konflikt oder Gegensatz, sondern es entstand eine gemeinsame
Arbeitgruppe, in der wir seitdem für alle Kirchentage die biblischen
Texte neu übersetzt haben. Dies war der Ausgangspunkt und die Gruppe
bildete das Laboratorium, in dem wir alle Übersetzungsprinzipien
miteinander entdeckt und erarbeitet haben. Und diese Gruppe hatte in ihrer
Zusammensetzung eine Eigenart, die auch die Übersetzung prägt
und die mit dafür ausschlaggebend ist, dass so viele heute uns heftig
angreifen und wir als absolut untragbar gefunden werden. Das hängt
damit zusammen, dass hier Linien zusammenkamen, die sonst oft genug gegeneinander
standen und stehen. Da waren feministisch geprägte Frauen, Exegetinnen,
die begonnen hatten, die Bibel neu aus der Perspektive von Frauen zu lesen,
und da waren andere, die durch den christlich-jüdischen Dialog geprägt
waren und von hier aus ein neues verändertes Verständnis vieler
Texte erarbeitet hatten. Dazu kam, dass viele von uns sozialgeschichtlich
arbeiteten und sich in einem Zusammenhang mit der Befreiungstheologie
und deren neuer Exegese bewegten. Diese drei Bewegungen sind in den letzten
Jahrzehnten nicht selten in Konflikte geraten und für manche scheinen
sie sich bis heute geradezu auszuschließen. Bei uns gehören
sie zusammen und es ist die Gemeinsamkeit der drei theologischen Säulen,
auf denen unser Projekt ruht, die die Stärke des Unternehmens ausmachen.
Diese Gemeinsamkeit wirkt offenkundig für viele unverständlich,
provokativ oder bedrohlich und löst so viel Ärger und Unverständnis
aus.
Ich habe jetzt kurz erzählt, wie ich dazu gekommen
bin, ich will nun auch sagen, warum ich dabei geblieben bin - über
eine so lange Zeit. Ich bin Exeget und habe mich beruflich immer mit den
Texten der Bibel und besonders des Alten Testaments beschäftigt.
Aber ich habe hier in den intensiven Diskussionen über das Übersetzen
eine neue Intensität des Umgangs mit den alten und fremden, zugleich
aber oft so vertrauten Texten erlebt. Inzwischen würde ich sagen:
es gibt keine intensivere Möglichkeit, sich mit solchen Texten auseinander
zu setzen, als sich immer wieder gegenseitig zu fragen: Sag, was und wie
du es verstehst, sag es so, dass ich es auch verstehe. Es ist entweder
naiv oder dumm und bösartig zu sagen: man soll erst übersetzen
und dann auslegen und verstehen. Das gilt vielleicht für eine erste
rohe Arbeitsübersetzung, aber dann geht es doch erst richtig los.
Der Übersetzungs- und der Verstehensprozess gehen Hand in Hand und
befruchten sich gegenseitig. Ewas zu übersetzen, was man nicht oder
noch nicht verstanden hat, bedeutet notwendigerweise, sich einer anderen
Übersetzung anzuschließen, also einer traditionellen Übersetzung
und dann auch einem traditionellen Verständnis. Solch gemeinsames
Arbeiten und Ringen um die biblischen Texte macht zu alledem ungeheuren
Spaß. Und Menschen, die die Ursprachen nicht kennen, können
vieles davon durch ein intensives Vergleichen verschiedener Übersetzungen
ebenfalls erleben.
Der Gottesname und seine Wiedergabe war mit der Auslöser
und hatte also von Anfang an eine zentrale Stellung inne. Ich halte das
für die wichtigste Einzelentscheidung des Projekts. Und es ist für
mich auch theologisch ein Vorgang von unabsehbarer Bedeutung, dass wir
Christen wieder entdecken, dass Gott einen Namen hat und wie wir damit
umgehen sollen und können. "Den Namen nicht missbrauchen",
lernen wir im Religionsunterricht, "Geheilig werde dein Name"
beten wir mit dem Vaterunser in jedem Gottesdienst. Aber die Christinnen
und Christen kennen den Namen nicht, von dem sie so viel reden. Ich habe
immer wieder verschiedene Gruppen und gerade auch Theologiestudierende
gefragt. Manche kommen dann auf das ausgesprochene Tetragramm mit seiner
wissenschaftlich rekonstruierten Aussprache zurück. Das aber ist
ein religionsgeschichtlicher Distanzbegriff und hat mit dem Gott, an den
wir glauben, nichts zu tun. Solche Aussprache widerspricht auch den Texten
selbst, die ausdrücklich sagen, man solle ein Ersatzwort lesen. Der
christliche Verlust des Namens Gottes hängt untrennbar damit zusammen,
das eher unbiblische, abstrakte, philosophische Begriffe von Gott in die
biblischen Texte hineingelesen werden. Dabei werden dann sprachliche Bilder
geradezu zu abstrakten Begriffen wie "Gott der Vater" in der
Trinitätslehre und das Bildhafte und damit Relative solcher Vergleiche
verschwindet. Aber Gott als Person, wie die Bibel von ihm, von ihr erzählt,
hat und braucht einen Namen, wie alle Personen mit denen wir reden und
Beziehungen haben. Aber zugleich sprengt die ungeheuerliche Größe
dessen, was wir Gott nennen, alle üblichen Züge, auch die des
Namens. Wird der Name ausgesprochen, wird dieser Gott einer unter vielen.
Schon in vorchristlicher Zeit hat man in Israel deshalb den Namen zunehmend
nicht mehr ausgesprochen und Ersatzlesungen dafür eingeführt.
Adonaj ist die häufigste und wichtigste. Das ist zwar eine Form von
Herr, eine Pluralform. Aber es ist zugleich eine Sonderform, nicht die
Bezeichnung jedes männlichen Wesens wie unser "Herr", sondern
immer und überall sofort als Bezeichnung Gottes erkennbar. Haschem,
Adoschem und andere treten dazu.
Unsere Übersetzung macht den Namen Gottes, jedes
seiner Vorkommen kenntlich und identifizierbar. Und sie bietet eine Reihe
von möglichen Lösungen für die Lesung an. Dass wir uns
nicht wie im Kirchentag auf eine einzige Möglichkeit, etwa Adonaj,
einigen konnten, war zugleich eine kluge Öffnung, die der Tatsache
entspricht, dass es für uns Christen um eine Widerannäherung
an das Problem des göttlichen Namens geht. Das Wissen darum ist die
Basis und das Wichtigste, es verändert viele biblische Texte und
es verändert, das haben viele Beteiligte erzählt, das Reden
und Denken von Gott. Aber es ist ein Einstieg, ein Anfang und nicht die
endgültige Lösung. Alle Übersetzerinnen haben sich für
eine der Möglichkeiten entscheiden müssen, eine Auswahl der
möglichen Lesungen über jeder linken Seite, erinnert die Leser
und Leserinnen am andere Möglichkeiten und regt an, unter Umständen
eine andere zu wählen, man denke nur an das Gebet eines Psalms. Unsere
Lösung bezieht die deuterokanonischen Bücher und auch das Neue
Testament mit ein - um der Einheit Gottes in den beiden Teilen der christlichen
Bibel zu entsprechen, war das für mich das absolut unumgehbar. Überall,
wo dort das griechische kyrios also Gott bezeichnet, etwa in Zitaten aus
dem Tenak, wird so wie beim Tetragramm verfahren.
Die Bibel in gerechter Sprache ist eine christliche Übersetzung.
Wir haben zwar in vielfältigen Formen mit jüdischen Freunden
und Gesprächspartnern über die angeschnittenen Fragen gesprochen
und ohne solche Zusammenarbeit wäre das alles gar nicht möglich
gewesen. Aber verantworten wollen und müssen wir das Ergebnis selbst.
Es ist für mich ein spannender Prozesse, was in christlichen Diskussionen
aber auch im Gespräch mit jüdischen Partnern unser Lösungsbündel
bewirkt und was sich vielleicht am Ende für den christlichen Umgang
mit dem Namen Gottes herauskristallisiert. Heute am Abend des 9. November
gedenkt man in Deutschland des Novemberpogroms von 1938, der sogenannten
Reichskristallnacht. Für mich ist die Übersetzung und besonders
der Umgang mit dem Namen Gottes ein Ergebnis eines langen Prozesses der
Wiederannäherung der christlichen Theologie an ihre biblischen Wurzeln.
Wir hoffen, wir sind auf dem richtigen Weg.
Votum bei der Vorstellung des Projektes Bibel in gerechter
Sprache am 9. November 2006 in Zürich
zur Titelseite
zum Seitenanfang
|
|