Bibel in gerechter Sprache - Anlass zur Hoffnung
von Rabbiner Michel Bollag
Heute vor 68 Jahren standen in Deutschland die Synagogen
in Brand. Das Feuer, das sie und mit ihnen viele Juden verzehrte, sollte
ein knappes Jahr später flächendeckend Europa und die ganze
Welt erfassen: 6 Millionen Juden und Millionen von Menschen, jeder Einzelne
Bezelem Elokim im Ebenbild Gottes erschaffen.
Zum Brennstoff, der es diesem Feuer ermöglichte,
sich so rasch und verheerend zu verbreiten, gehörten auch Worte der
Bibel, namentlich von deren christlichen Teil, des Neuen Testamentes.
Worte, die als Wort Gottes galten und in denen von der Verwerfung der
Juden die Rede war. Anstatt als Feuerlöscher zu fungieren, wirkten
biblische Texte wie Öl, das ins Feuer gegossen wird. Ja, göttliche
Worte, Worte der Tora Worte des lebendigen Gottes, der selbst wie in Exodus
4,24 beschrieben, ein verzehrendes Feuer ist, sind Feuer, mit schwarzem
Feuer auf weißes Feuer geschrieben. Brandgefährlich waren sie
schon immer und sind sie bis heute die Worte die das Verhältnis des
Menschen zum Absoluten, zur Wahrheit beschreiben. Nur derjenige, der wer
weiß, wie man mit Feuer umgeht, der lernt die Distanz zum Feuer
zu bewahren und sich mit äußerster Vorsicht, ihm naht, erfährt
dass dieses Feuer auch eine immer sich erneuernde Quelle des Lichtes und
der Wärme sein kann. Niemals also soll man sich diesem wie Feuer
wirkende Text der Bibel mit nackten Händen nahen, um ihn zu greifen,
zu be-greifen, sondern immer mit den Instrumenten der Interpretation,
im Wissen darum, dass der Text zwar Wahrheit enthält und sie zur
Sprache bringt, die aber, weil sie in menschlicher Sprache formuliert
ist, immer auch zeitlichen Formen und Bedingungen unterstellt ist. Jeglicher
Versuch, die Bibel oder andere offenbarte Texte abschließend zu
verstehen, ihren Sinn ein für allemal festzulegen, ohne zu hören,
welchen Sinn andere ihm geben mögen, ist ein Spiel mit dem Feuer,
brandgefährlich, heute wie eh und je, heute mehr denn je.
Den Initianten des Projektes Bibel in Gerechter Sprache,
dessen Endergebnis heute hier vorgestellt wird, waren sich dieser Tatsache
und ihrer historischen Verantwortung von vornherein bewusst und haben
ein Werk geschaffen, welches versucht, die Bibel in die heutige Zeit hinein
sprechen zu lassen, d.h. ihre existentielle Dimension und ewige Forderung
nach Gerechtigkeit in heutiger menschlicher Sprache zu übersetzen.
Diese Übersetzung ist wie jede Übersetzung in
hohem Maße Interpretation, midrasch, und deshalb kann, darf und
soll sie auch diskutiert und kritisiert werden. Was sie von anderen unterscheidet
und ein Meilenstein darstellt, ist, dass sie immer beide historische,
gesellschaftliche und kulturelle Wirklichkeiten, Horizonte im Blick hat:
Diejenige Wirklichkeit, aus dem die Texte stammen und die heutige, in
die sie immer noch hineinsprechen. Indem sie zum Beispiel insbesondere
im Alttestamentlichen Teil den Gottesnamen durch verschiedene Übersetzungen
adäquat darzustellen versuchen, nehmen die Übersetzer-Interpreten-Kommentatoren
des Projektes Bibel in Gerechter Sprache ihre Verantwortung als christliche
Theologen wahr, lassen die jüdische Lektüre der Bibel zur Sprache
kommen und geben somit den tot geglaubten, ihre eigene Stimme zurück.
Die Veröffentlichung der Bibel in gerechter Sprache
gibt deshalb Anlass zur Hoffnung auf ein besseres Verständnis biblischer
Sprachen und damit auch auf eine Vertiefung des Dialogs zwischen Christen
und Juden. Heute 68 Jahre nach der Reichspogromnacht ist die Bibel in
Gerechter Sprache das Zeichen einer Umkehr, das auch wir Juden wahr und
ernst nehmen sollen. Ein Hoffnungszeichen, das wir am heutigen Abend gebührend
feiern dürfen.
Votum bei der Vorstellung des Projektes Bibel in gerechter
Sprache am 9. November 2006 in Zürich
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