Weniger wäre mehr gewesen!
Kritische Bemerkungen zur neuen Bibelübersetzung
von Hans Maaß
Die Tatsache, dass dieses umfangreiche Werk bereits im
Erscheinungsjahr seine 2. Au?. erfährt, spricht für sich. Offensichtlich
wird ihm große Aufmerksamkeit entgegen gebracht. Es hätte ja
auch die Möglichkeit bestanden, es gar nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Aber diese Übersetzung scheint einem dringenden Bedürfnis entgegen
zu kommen. Aber wird sie ihm auch gerecht? Sie erhebt immerhin den Anspruch,
mindestens hinsichtlich der Sprache "gerecht" zu sein - oder
besser: bestimmten Erwartungen gerecht zu werden. Dabei wissen die Herausgeber
genau, dass eine Übersetzung immer mehreren Bezugsgrößen
gerecht werden muss. Das Vorwort nennt den "Ursprungstext",
außerdem "Geschlechtergerechtigkeit", den christlich-jüdischen
Dialog und soziale Gerechtigkeit. Ist es möglich, all diesen Gesichtspunkten
gleichzeitig gerecht zu werden, ohne damit den einen gegenüber dem
anderen vorzuziehen? Dies wird die Hauptfrage sein, auf die sich eine
Rezension beziehen muss, die diesem Werk gerecht werden will.
Nach einleitenden Abschnitten über das zugrunde gelegte
"Original" und den Aufbau folgt der Text. Hier ist wichtig,
dass die Übersetzung auch in der Reihenfolge der biblischen Bücher
der Hebräischen Bibel bzw. dem griechischen Neuen Testament folgt,
"von der Luther aus theologischen Gründen abgewichen ist."
Den einzelnen biblischen Büchern sind kurze Einleitungstexte vorangestellt,
die in Hauptinhalte und grundlegende Fragestellungen einführen. Über
die damit verbundenen theologischen Deutungen lässt sich allerdings
im Einzelfall streiten. Hilfreich im Gespräch mit Juden ist dabei
etwa der Hinweis, dass nach jüdischer Auffassung bereits mit dem
Buch Josua der Komplex der "Prophetischen Bücher" beginnt.
Ein besonderes Problem stellt die Wiedergabe der Gottesbezeichnung
und des Gottesnamens dar. Begrüßenswert ist, dass in der Einleitung
darauf verwiesen wird, dass die in der Bibelwissenschaft übliche
Aussprache des Gottesnamens eine zwar gut begründete, aber durch
nichts bewiesene Hypothese ist. Nach Erörterung der im Judentum gebräuchlichen
Ersatzwörter werden die in dieser Übersetzung angewandten Lösungen
vorgestellt. Diese zeigen allerdings, wie schwierig, im Grunde unlösbar
das Problem ist, wenn man allen Gesichtspunkten Rechnung tragen will:
Im Text wird meist das hebräische Wort "Adonaj" bzw. "der"
oder "die Ewige" grau unterlegt und in der Kopfzeile der betreffenden
Seite die anderen von den Rabbinen bis zu Buber verwendeten Ersatzlösungen
angegeben. Dies ist zwar ein für Bibelarbeit, nicht aber für
gottesdienstliche Lesungen geeignetes Angebot. Unsere deutsche Sprache
bietet eben - wie übrigens auch die hebräische und griechische
- keine Möglichkeit einer zugleich textgetreuen und geschlechtsneutralen
Wiedergabe an. Es hätte nur zwei Möglichkeiten gegeben: entweder
den Hinweis, dass grammatisches Geschlecht nichts mit persönlichem
Geschlecht zu tun hat und deshalb das grammatische Geschlecht des Urtextes
verwendet wird, oder den Versuch, überall, wo der Gottesname auftaucht,
GOTT mit Großbuchstaben zu schreiben, anstelle des Personalpronomens
im Nominativ "GOTT" zu wiederholen, anstelle der Flexionsformen
"für dich" zu schreiben (statt "dein" bzw. "deinem"
oder "deinen Gott" - "Gott für dich"). Dies entspricht
zwar nicht genau dem Urtext, aber durchaus einer hebräischen grammatikalischen
Möglichkeit. Ein Kompromiss, fürwahr, aber eine konsequente
Möglichkeit. Statt dessen fühlt sich die Übersetzung stellenweise
genötigt, den Gottesnamen als "Macht über uns" (z.B.
Jes 49,22; 50,4.5.7) wiederzugeben. Geradezu verwirrend ist es, wenn etwa
in Ps 75 und 76 vom "Becher in der Hand der Heiligen" die Rede
ist. Woran wird deutlich, ob damit heilige Menschen im Plural gemeint
sind oder von einer weiblichen heiligen Person die Rede ist? Und wird
die Sprache gerechter, wenn von Gott nun in weiblicher statt in männlicher
Form (so etwa in Ps 73 und 74) die Rede ist? Ist Abwechslung eine Lösung
(so auch in der Berufung Moses mit einem ständigen Wechsel von "ER"
und "Sie")? Oder die Interpretation "Adonaj, also Gott"?
Und warum muss in Mk 2,7 "Gott" noch durch "eine Macht"
ergänzt werden? Wir sprechen doch im Deutschen schon seit Jahrhunderten
von "Gott" ohne Artikel - also geschlechtsneutral, auch wenn
männliche Personalpronomina verwendet werden. Dies lässt sich
aber in der oben vorgeschlagenen Weise lösen.
Eine andere Frage ist die sachgerechte Wiedergabe biblischer
Begriffe in unsere heutige Sprache. Als Beispiel sei Jos 1,1 herausgegriffen:
Hier wird das hebr. Wort eved, das Luther mit "Knecht" wiedergibt
(manche besserwisserische Auslegung bevorzugt "Sklave") mit
"Vertrauter" übersetzt, Josua, den die Bibel als mescharet
(Diener) Moses nennt, wird als "der Mose zur Seite gestanden hatte"
bezeichnet. Ist dies berechtigt oder besserwisserisch? In den Gottesknechtsliedern
wird eved mit "Mensch in meinem Dienst" übersetzt (z.B.
Jes 42,1; 52,13). Warum dieser Unterschied? Die Anmerkungen im Anhang
hierzu behandeln Auslegungsfragen, nicht sprachliche Gesichtspunkte. Sollen
diese Umschreibungen der "Geschlechtergerechtigkeit" dienen?
Dieser Aspekt ist ein ernst zu nehmendes Anliegen. Es
kann aber auch durch Übertreibungen ad absurdum geführt werden.
Es mag angehen, dass in der Schöpfungserzählung von einem "Menschenwesen"
die Rede ist, warum aber nicht konsequent? In Gen 1 wird das hebr. Wort
adam teils als Plural, teils gar nicht übersetzt, in Gen 2 zunächst
als Plural, dann als "Menschenwesen", später singularisch
maskulin; warum? Geradezu lächerlich ist es aber, wenn dann nach
der Erschaffung der Frau vom "Rest des Menschenwesens" geredet
wird.Ein Rest ist das, was übrig bleibt, was eigentlich nicht beabsichtigt
ist, sondern sich gewissermaßen als Abfallprodukt ergibt. Entspricht
es der "Geschlechtergerechtigkeit", wenn so der Mann bezeichnet
wird - ganz zu schweigen von der Textgerechtigkeit? Die sehr gute Anmerkung
im Anhang kann dies nicht beheben. Mit ein bisschen Nachdenken hätte
dem Anliegen besser entsprochen werden können: "anderer Teil
des Menschenwesens" wäre zwar auch nicht textgerecht, aber wenigstens
"geschlechtergerecht" gewesen. Ähnliche Fragen entstehen,
wenn etwa in Mk 1 statt "Mensch" von "Person" gesprochen
wird. Macht es der weibliche Artikel? Wurde nicht bedacht, dass es sich
um einen abfälligen Sprachgebrauch handelt, wenn wir in erzählenden
Zusammenhängen von einer "Person" reden?
Im Neuen Testament ist "Geschwister" ein beliebtes,
aber nicht unproblematisches Wort. Am ehesten noch vertretbar in Mt 1,2,
wo von Juda und seinen "Geschwistern" die Rede ist; denn sie
hatten in der Tat eine Schwester. Aber ist es korrekt, wenn in den Paulusbriefen
"Brüder" durch "Geschwister" wiedergegeben wird?
Ist dieser Begriff im traditionellen Sprachgebrauch nicht viel mehr als
"Brüder" einem verwandtschaftlichen Verhältnis vorbehalten?
Wäre hier "Gemeindeglieder" nicht sachgerechter? Anders
verhält es sich in Mk 3,33. Hier werden ja die Anwesenden ausdrücklich
den leiblichen Brüdern und Schwestern Jesu gegenüber gestellt.
Wer den verschiedenen Sachverhalten gerecht werden will, sollte jeden
Einzelfall prüfen und in der Wahl der Worte genau differenzieren,
um dem berechtigten Anliegen nicht leichtfertig zu schaden.
Dass im Alten Testament ruach mit "Geistkraft"
übersetzt wird, um dem hebräischen grammatikalischen Geschlecht
gerecht zu werden, mag angehen; aber warum dies auch im Neuen Testament
angewendet wird, wo pneuma ein Neutrum ist, wird nicht deutlich. Dass
im Lukasevangelium kyrios (Herr) konsequent mit "die Lebendige"
wiedergegeben wird, ist ebenfalls eine fragwürdige Entscheidung.
Allem Feminismus zuwider blieb etwa der Abschnitt 1.Kor
11,3 ff. unverändert. Die Anmerkung im Anhang begründet ausdrücklich,
warum keine andere, den Sinngehalt des Textes verändernde Übersetzung
gewählt wurde. Hier wäre allerdings eine kleine kulturgeschichtliche
Bemerkung hilfreich gewesen.
In 1.Kor 11,3 ?ndet sich ein unbegründeter Wechsel
zwischen "Messias" und "Christus", der die Logik dieser
paulinischen Gedankenkette nicht mehr erkennen lässt. Sogar grammatikalische
Fehler sind zu entdecken, wenn es etwa in Mt 1,1 heißt "des
Nachkommens", weil anscheinend nicht bekannt ist, dass die Grundform
"Nachkomme" heißt und "Nachkommen" bereits Genitiv
ist.
Ob es als Frucht des christlich-jüdischen Gesprächs
bezeichnet werden kann, wenn Pharisäer als "pharisäische
Leute" bezeichnet werden, kann bezweifelt werden; jedenfalls klingt
"Gesetzeskundige" negativer als das traditionelle "Schriftgelehrte";
warum nicht Toralehrer oder Schriftkundige wie etwa in Mk 2,16?
Doppelungen gibt es auch dort, wo es gar nicht nötig
wäre, weil die deutsche Sprache neutraler ist als die griechische.
"Viele" ist neutral. Warum muss es dann am beginn des Lk-Evang.
heißen, dass "schon viele Frauen und Männer es unternommen"
hätten, von den Jesusereignissen "Erzählungen abzufassen"?
Trifft dies zu? Dass es Anhängerinnen Jesu gab, ist unbestritten;
gab es aber auch von Frauen verfasste Schriften? Macht es diese Bibelausgabe
mit solchen Übertreibungen den Gegnern ihres Anliegens nicht zu leicht
das Kind mit dem Bade auszuschütten und das ganze, im Grunde berechtigte
Unternehmen abzulehnen? Auch hier gilt wie so oft: Weniger wäre mehr
gewesen!
Ein völlig falsches Bild wird allerdings über
das Judentum zur Zeit Jesu geweckt, wenn etwa in Mk 3,22 von "toragelehrten
Frauen und Männern" die Rede ist. Wem ist damit gedient? Dass
in Mk 2,16 von "Jüngerinnen und Jüngern" die Rede
ist, mag damit gerechtfertigt sein, dass die Zwölf erst in Kap. 3
berufen werden. Aber warum ist dort von "Toragelehrten aus der pharisäischen
Gruppe" die Rede und nicht von "pharisäischen Toragelehrten"?
Legt das Stichwort "Gruppe" nicht die Assoziation "Sekte"
nahe? Wird man damit dem christlich-jüdischen Gespräch gerecht?
Andererseits ist die Ergänzung durch eine weibliche Form falsch,
wo eindeutig die Zwölf gemeint sind und nicht die gesamte Anhängerschaft
Jesu, etwa Mk 6,30; denn dort handelt es sich um dieselbe Gruppe wie in
V. 7!
Noch Vieles dieser Art ließe sich bemerken, nicht
aus Ablehnung dieses Unterfangens, sondern um seiner selbst willen. Übereifer
schadet auch hier. Es ist zu hoffen, dass solche Bemerkungen zu einer
baldigen Revision beitragen, um das berechtigte Anliegen nicht zu einer
Karikatur entarten zu lassen. Vorerst lässt sich die "Bibel
in gerechter Sprache" zwar in Bibelkreisen und in einem kritischen
Unterricht verwenden, sofern die Denkanstöße und Anregungen
zur Diskussion vermittelt, nicht aber in Zusammenhängen, die einen
normativen Text voraussetzen.
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