Antijudaismus im Neuen Testament
Anmerkungen zu "Die Bibel in gerechter Sprache"
von Marlies Flesch-Thebesius

Diese neue Bibelübersetzung hat viel Staub aufgewirbelt, aber bis jetzt scheint sich die Diskussion vor allem um die feministische Interpretation der biblischen Texte zu drehen. Diese ist nicht zu übersehen und fängt an bei den verschiedenen Namen, die für "Gott" gebraucht werden. Um die Unanschaulichkeit Gottes, welche das zweite Gebot (dasjenige, das Luther im Kleinen Katechismus ausgelassen hat) voraussetzt, verwendet sie wechselnde Bezeichnungen, meistens in deutscher, manchmal in hebräischer Sprache und sowohl männlichen als auch weiblichen Geschlechts. Wer nicht vorbereitet ist, fühlt sich zunächst schockiert und muss herausfinden, was dahinter steckt.

Ein anderes Anliegen fällt zwar bei flüchtiger Einsicht nicht ins Auge, ist aber nicht weniger wichtig, nämlich das Bemühen, der jüdischen Umwelt sowie Jesu eigener jüdischer Herkunft Profil zu geben und die zahlreichen Antijudaismen, die die Evangelien enthalten, zu entschärfen. Davon soll hier die Rede sein.

Die ehrwürdigen Texte der Luther-Übersetzung haben sich deutschen Bibellesern derart eingeprägt, dass vieles wie selbstverständlich wirkt. Erst die nationalsozialistische Judenverfolgung hat viele Christen auf die zahlreichen judenfeindlichen Texte des Neuen Testaments aufmerksam gemacht. Die Gründe sind vielfältig und würden einen eigenen Beitrag verlangen. Hier soll nur von dem Tatbestand die Rede sein und davon, wie die Bibel in gerechter Sprache diesem beizukommen sucht.

Dabei werden wir uns auf die vier Evangelien beschränken, da hier die Antijudaismen besonders häufig und vielfältig sind. Sie zeigen, dass von Anfang an eine Spannung zwischen Juden und Christen bestand, die an einigen Stellen sogar feindliche Züge annahm. In diesem Zusammenhang ist besonders bemerkenswert der Gebrauch des Wortes "Jude". Dass Jesus selbst Jude war und sein ganzes Leben mit jüdischen Menschen verbracht hat, wird offenbar gar nicht gesehen. Vielmehr taucht das Wort "Jude" fast immer an Stellen auf, wo Menschen Jesus ablehnen, an ihm zweifeln, ihm nach dem Leben trachten. Wenn von den Glaubenden die Rede ist, die sich in Scharen um ihn drängen, ist nicht von Juden die Rede, sondern dann heißt es "das Volk", "die Menge, die ihm nachfolgte" oder auch ganz einfach "sie". Es gibt nur eine einzige Ausnahme, sie steht in Jesu Rede von der wahren Freiheit und lautet in der revidierten Fassung der Luther-Bibel von 1984: "Da sprach Jesus zu den Juden, die an ihn glaubten…" (Joh. 8,31). Damit wird suggeriert, dass die Juden, die an Jesus glaubten, die seltene Ausnahme waren.

Der aggressive Sinn, den das Worte "Jude" in den Evangelien hat, ist nicht zu übersehen. Wie geht die Bibel in gerechter Sprache damit um? Sie kann das Wort weder weglassen noch ersetzen; es steht nun mal drin. Aber sie mildert die Aggressivität, indem sie statt des Substantivs "Jude" das minder aggressive Adjektiv "jüdisch" gebraucht, welchem sie ein Substantiv folgen läßt, das erklärt, zu welcher Gruppe der betreffende Jude gehört. So lesen wir von der "jüdischen Bevölkerung" (Matth. 28,15), den "jüdischen Menschen" (Joh.9, 18), der "jüdischen Obrigkeit" (Joh. 20,19). An Stelle der oben zitierten "Juden, die an ihn glaubten" aus Johannes 8, 31 heißt es: "Der Jude Jesus sagte zu den anderen Juden, die an ihn glaubten.". Das ist zwar umständlich, aber es ist korrekt.

Ähnlich verfährt die Bibel in gerechter Sprache bei einem weiteren Reizwort der Evangelisten: "Pharisäer". Nach Darstellung der Evangelien gehören diese zu den besonderen Gegnern Jesu und treten häufig zusammen mit zwei anderen Gruppen auf, die ebenfalls negativ dargestellt werden: die Schriftgelehrten und die Ältesten. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass nicht alle Pharisäer zu den Feinden Jesu gehörten. Dazu zwei Beispiele: Es waren Pharisäer, die Jesus vor den Nachstellungen des König Herodes warnten (Lukas 13,31); dazu die Bibel in gerechter Sprache: "einige von der pharisäischen Gruppe"; und der Mann, der bei Nacht zu Jesus kam, um mit ihm zu reden, war nicht nur ein Pharisäer sondern auch noch "einer von den Oberen der Juden" (Johannes 3,1), was die Bibel in gerechter Sprache so ausdrückt: "Es gab aber einen Pharisäer, der Nikodemus hieß und zur jüdischen Obrigkeit gehörte". Bei anderen Texten, die die Pharisäer samt und sonders in ungünstigem Licht zeigen, macht die neue Übersetzung mit Hilfe von Adjektiven darauf aufmerksam, dass es in Jerusalem verschiedene religiöse Gruppen gab, zu denen auch die "pharisäische Bewegung" (Matth. 9,11 und 14) oder auch "pharisäische Glaubensrichtung" (Lukas 15, 2) gehörte. Eine weitere Gruppe waren die Sadduzäer oder, nach der Bibel in gerechter Sprache, die "aus der sadduzäischen Gruppe" (Matth. 22,23) oder "die sadduzäischen Leute" Matth. 22,34. Manchmal werden beide Gruppen in ein-und demselben Atem genannt. Dazu ein Beispiel aus der Bibel in gerechter Sprache: "Sehet zu und hütet euch vor solchem pharisäischen und sadduzäischen Sauerteig" (Matth 16,6).

Eine weitere Gruppe, die häufig in Verbindung mit den Pharisäern auftritt, nennt der Luthertext "Schriftgelehrte", die Bibel in gerechter Sprache jedoch "Toragelehrte". Das ist genauer, weil es den Gegenstand der Forschung, mit welchem sich diese Männer beschäftigen, beim Namen nennt. Sie legen ja nicht irgendwelche Schriften aus, geschweige denn die "Heilige Schrift", sondern ihre Aufgabe ist die Auslegung der jüdischen Tora.

Folgerichtig redet die neue Bibel an einschlägigen Stellen auch nicht ganz allgemein vom "Gesetz". sondern sie redet von der Tora. Deswegen lautet hier der berühmte Vers Johannes 1,17: "Die Tora ist durch Mose gegeben, die Gnade und Wahrheit sind durch Jesus, den Messias, entstanden."

Der Zugriff auf das Hebräische bewährt sich auch bei der Bezeichnung jüdischer Feste, beim Passa sowohl als auch bei dem, was die Lutherbibel "Laubhüttenfest der Juden" (Joh.7,2) nennt. An dessen Stelle verwendet die Bibel in gerechter Sprache die hebräische Bezeichnung und schreibt: "Das jüdische Fest Sukkot". Das ist nicht so wichtig, weil von diesem Fest nur an dieser einzigen Stelle die Rede ist. Dagegen spielt das Passa in der Passionsgeschichte eine überragende Rolle, vor allem bei Matthäus und Johannes. Die alte Lutherbibel bis hin zu der vorletzten Fassung von 1912 hat für "Passa" konsequent das Wort "Ostern" gesetzt, nicht nur im Neuen Testament, sondern sogar beim Auszug der Juden aus Ägypten in Numeri 33,4. Damit wurde das höchste jüdische Fest in ein christliches umfunktioniert. Erst die Bibelrevision von 1984 hat das korrigiert und seitdem wird "Passa" gelesen. Die Bibel in gerechter Sprache geht noch einen kleinen Schritt weiter und spricht, der hebräischen Schreibweise folgend, von Pessach (Lukas 22,1), dem "Pessachfest" (Matth. 26,2) und dem "Pessachmahl" (Matth. 26,18). Doch damit ist die Verwirrung nicht ausgestanden, jedenfalls nicht für Menschen, die Bachs Matthäuspassion hören. Denn diese folgt dem alten Luthertext und beginnt mit Matthäus 26,1- 2: "Da Jesus diese Reden vollendet hatte, sprach er zu seinen Jüngern: Ihr wisset, dass in zweien Tagen Ostern ist." Und was man singen kann, sitzt bekanntlich tiefer als das, was man hört oder liest.

Auch in anderer Beziehung trägt die Bibel in gerechter Sprache gerade in der Passionsgeschichte zur Versachlichung der altgewohnten Evangelientexte bei. Aus dem Statthalter Pilatus wird "der römische Präfekt Pilatus" (Matth. 27,2), und das macht darauf aufmerksam, dass dieser Mann als Bevollmächtigter des römischen Kaisers über große Macht verfügte. Er konnte Todesurteile fällen, auch ohne langwierige Verhöre; so wurden an diesem einen Freitag allein drei Männer zugleich hingerichtet und ein vierter Todeskandidat, Barabbas, war der Hinrichtung eines merkwürdigen Umstandes wegen in letzter Minute entgangen. Dieser hohe römische Beamte residierte im Prätorium (Matth. 27,27) und gebot über Kohorten (Matth. 27,27), deren eine mit einem gewissen Vergnügen dem gefangenen Galiläer die Kleider vom Leibe riss, um ihn unter Spott und Hohn zu verprügeln.

Auch das jüdische Gremium, das im Luthertext "Hoher Rat" heißt und damit eher an den Rat einer mittelalterlichen Stadt denken lässt, erhält in der Bibel in gerechter Sprache den Namen, der ihm von Rechts wegen zukommt und heißt "Synhedrion" (Matth. 26,59). Noch bedeutsamer ist, dass die Selbstverfluchung der jüdischen Menge, die Jahrhunderte lang als Vorwand für jegliche Art antijüdischer Ausschreitungen herhalten musste, in der neuen Bibel zu einem zeitlich begrenzten Akt wird. Es heißt nicht: "Sein Blut komme über uns und unsere Kinder", sondern "Sein Blut komme auf uns und die Generation unserer Kinder." (Matth.27,25). Das ist nun zwar keine wörtliche Übersetzung sondern eine Interpretation, aber angesichts aller Entsetzlichkeiten, für die der originale Satz in seiner langen Geschichte hat herhalten müssen, erscheint sie mehr als berechtigt.

Bemerkenswert ist, wie die Bibel in gerechter Sprache mit Namen und Anrede Jesu umgeht. In diesem Zusammenhang kommen in der Lutherbibel folgende Bezeichnungen vor: Rabbi, Meister, Christus. (Die Bezeichnung "Herr", griechisch Kyrios, bleibt hier unberücksichtigt, da für unseren Zusammenhang nicht von Belang.) Für das hebräische Wort Rabbi steht im griechischen Urtext das Wort didaskalos, was im Deutschen das gleiche heißt wie hebräisch "Rabbi", nämlich: Lehrer. Die Lutherübersetzung verwendet das Wort "Lehrer" nicht. Wo im Urtext "Rabbi" steht, lässt Lutherübersetzung ebenso wie die Bibel in gerechter Sprache das Wort "Rabbi" stehen. Das griechische "didaskalos" übersetzt sie mit "Meister", die Bibel in gerechter Sprache sagt "Lehrer". Dazu ein Beispiel aus Jesu Rede gegen die Toragelehrten und Pharisäer in Matthäus 23,8. Nach Luther 1984: "Ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen, denn einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder", in der Bibel in gerechter Sprache: "Ihr jedoch sollt euch nicht Lehrerin oder Lehrer nennen lassen, denn einer ist euer Lehrer und ihr untereinander seid alle Geschwister."

Analog verhält es sich mit den Worten "Christus" und "Messias". Das erste ist griechisch, das zweite hebräisch, und beide bedeuten das gleiche, nämlich "der Gesalbte", womit ein König bezeichnet wurde. Im deutschen Sprachgebrauch wird aber allein das Wort "Messias" im Sinn von "Gesalbter" verstanden, während "Christus" ziemlich bedenkenlos dem Eigennamen "Jesus" hinzugefügt wird und in dieser Verbindung gewissermaßen den Charakter eines Nachnamens bekommt. Die Bibel in gerechter Sprache setzt an allen Stellen, wo im Urtext "Christus" steht, das Wort "Messias". Etwas differenzierter verfährt sie nur an drei Stellen im Johannesevangelium, weil da die Namen "Jesus" und "Christus" nebeneinander stehen, nämlich Joh. 4,25 (Gespräch mit der Samariterin), Joh. 17,3 (Hohepriesterliches Gebet) und Joh. 20,31 (Erscheinung Jesu vor den Jüngern nach der Auferstehung). Die Samariterin erkennt in dem Fremden Jesus, und bekennt ihn mit den Worten: "Ich weiß, dass der Messias kommt, der Christos oder der Gesalbte genannt wird." In diesem Satz wird, um auch noch den letzten Zweifel zu beseitigen, Jesus als Gesalbter nicht nur hebräisch und griechisch, sondern auch auf deutsch ausgesprochen; letzteres steht natürlich nicht im griechischen Urtext. Und noch eine letzte Feinheit: Abweichend von allen anderen Stellen, wo das Wort Christus vorkommt, wird hier "Christos" geschrieben, mit der griechischen Endung auf -os anstatt der üblichen lateinischen -us.

Im Hohepriesterlichen Gebet spricht der Urtext von "Jesus Christus, den du (Gott) gesandt hast…". Hier ersetzt die Bibel in gerechter Sprache den "Christus"-Namen durch den Titel "Messias", den sie hier als Erläuterung versteht und zwischen zwei Kommas setzt: "Jesus, den Messias, den du gesandt hast…"

Das Wort von Johannes 20,31 ist der letzte Satz des Kapitels und wirkt wie ein Schlussstrich, obgleich dann noch ein allerletztes Kapitel folgt. Der Schlussstrich fasst in einer sehr komplexen Formulierung die Würdetitel der Messianität und der Gottessohnschaft zusammen, Im Luthertext:…damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes". "Sohn Gottes" ersetzt die Bibel in gerechter Sprache durch "der Erwählte Gottes" und versieht den Namen "Christus" mit einer Erläuterung: "…damit ihr glaubt, dass Jesus der Messias ist." Am Rand gibt es einen Verweis auf Johannes 11, 27, das ist das Bekenntnis der Maria Magdalena. Auch dort werden die Worte "Sohn Gottes" durch "Erwählung" wiedergegeben und so lautet das große Bekenntnis der Maria Magdalena: "Ja, Herr, ich bin zum Glauben gekommen, dass du der Messias bist, der Erwählte Gottes".

Was gewinnt die Leserin/der Leser mit dieser ungewöhnlichen Fassung des Neuen Testaments? Sie lehrt Jesus in seiner natürlichen Umgebung verstehen, als Juden unter Juden in einem Land mit vielen religiösen Gruppierungen, in denen die von ihm ins Leben gerufene nur eine unter vielen ist. Das Land ist von den Römern beherrscht. Jesus steht im Kreuzfeuer konkurrierender Gruppen und es sind nicht "die Juden", die seinen Tod verursachen, sondern es ist ein kompliziertes religiöses und politisches System. Ein solcher Sachverhalt liegt allerdings jenseits der eingeübten Sichtweisen von gestern und bedarf aufmerksamen Lesens und Vergleichens.

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