Ghetto-Vergleich
Ende mit Schrecken
Die gemeinsame Pilgerreise der Ortsbischöfe ins Heilige Land droht, sich zum Fiasko zu entwickeln.
von Sabine Hamacher

"Und ich glaube auch für meine Mitbrüder sagen zu dürfen: Wir haben dieses Experiment nicht bereut" - das hat Kardinal Karl Lehmann, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, noch am Sonntag in Jerusalem erklärt. Zwei Tage später wirft der Zentralrat der Juden den deutschen Bischöfen Antisemitismus vor, der israelische Botschafter Shimon Stein spricht von einer Dämonisierung Israels. Im Mittelpunkt der Kritik steht der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke (53), der einen Zusammenhang zwischen dem Warschauer Ghetto und dem abgeriegelten palästinensischen Regierungssitz Ramallah herstellte. Schockiert von der Dynamik der Ereignisse ringt die Bischofskonferenz am Mittwoch darum, wie mit dieser Krise umzugehen ist.

Mit der Reise, bei der erstmals auch 22 Journalisten mitfahren durften, wollten die Bischöfe den arabischen Christen in Israel ihre Solidarität beweisen. Jenen in den palästinensischen Gebieten und ihrer "erschreckenden, geradezu katastrophalen Situation", wie Lehmann es nennt, gilt die besondere Aufmerksamkeit der katholischen Oberhirten. Der Schwerpunkt ist also eindeutig gesetzt, aber natürlich stehen auch Treffen mit israelischen Regierungsvertretern auf dem Programm, und der Besuch in Jad Vaschem ist selbstverständlich.

In der Holocaust-Gedenkstätte ist am vergangenen Freitag bei vielen Bischöfen deutlich zu spüren, wie sehr sie die Bilder von Getöteten, Schaukästen mit hunderten Schuhen und Berichte von Einzelschicksalen mitnehmen. Der Augsburger Bischof Walter Mixa bleibt weit hinter der Gruppe zurück. Auch Hanke wirkt ganz besonders erschüttert. Am Nachmittag dann die Fahrt ins trostlose Ramallah. Hanke spricht auf der Straße Jugendliche an, die ihm und den anderen Bischöfen in glühenden Worten dafür danken, dass sie zu ihnen gekommen sind.

Am nächsten Tag das ebenfalls eingemauerte Bethlehem, Studenten, die beim Mittagessen von ihrer Hoffnungslosigkeit berichten. Die Reisegruppe besucht das Caritas-Babyhospital, lässt sich von der Chefärztin im Krankenhausgarten erzählen, dass 60 Prozent der Menschen arbeitslos seien, viele Familien durch die Mauer auf Dauer getrennt. Da kommt Bischof Hanke auf die Journalisten zu, sichtlich erregt: "Was macht das denn mit Ihnen, wenn Sie das so hören?" Und dann fallen die Worte, die ihn und die Bischofskonferenz in schwere Bedrängnis bringen: "In Jad Vaschem sehe ich Bilder vom Warschauer Ghetto, und am Abend bin ich in einem wahrhaftigen Ghetto in Ramallah." Später spricht auch Mixa von einer "Ghettoisierung" mit fast rassistischen Zügen, der Kölner Kardinal Joachim Meisner fühlt sich an die Berliner Mauer erinnert.

Am Sonntag dann in Jerusalem zeigt der sonst stets um Ausgleich bemühte Lehmann, wie man auch mit bedachten Worten ganz eindeutig gegen die israelische Politik Position beziehen kann. Unter den Palästinensern habe sich der Eindruck verdichtet, dass mit dem Ausbau der Siedlungen, dem Bau von Sicherheitszäunen und Mauern, getrennten Straßennetzen und den Check-Points zunehmend Tatsachen geschaffen würden, die auf eine Verfestigung des Status Quo hinausliefen. "Wir haben den Eindruck gewonnen, dass all diese Maßnahmen zusammengenommen zwar einen aktuellen Gewinn an Sicherheit für die Israelis bedeuten, dem Frieden auf lange Sicht aber nicht dienen können", sagte er. Doch das geht im Protest unter, der am Dienstag losbricht.

Hanke, als Benediktinerabt erst im Oktober zum Bischof gewählt, distanziert sich in einer Vier-Punkte-Erklärung von seinen Worten; mehr will er dazu nicht sagen. Und Lehmann schickt Sekretär Hans Langendörfer vor, der den "Missklang" bedauert. Ob das reicht, um den Schaden zu richten? Da scheint Lehmann selbst noch unsicher zu sein. Er habe bereits während der Reise alles gesagt, was zu sagen sei, heißt es am Mittwoch bei der Bischofskonferenz. Es werde aber über eine Erklärung nachgedacht.

Warschauer Ghetto
1940 begannen die Nationalsozialisten, die jüdische Bevölkerung Polens in Ghettos zu sperren. Bis zu 500 000 Menschen wurden im Warschauer Ghetto zusammengepfercht. Hitler ordnete 1941 die "Endlösung der Judenfrage" an.
Zehntausende Juden wurden in Vernichtungslager wie Treblinka, Auschwitz und Sobibor deportiert. Etwa 300.000 Menschen aus dem Warschauer Ghetto wurden bis Anfang 1943 in Treblinka ermordet. Im selben Jahr erhob sich Widerstand - der Aufstand im Warschauer Ghetto begann. Er wurde blutig niedergeschlagen. fr

Frankfurter Rundschau, 8.3.2007

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