"Erschreckende Perspektive" für das Christentum im Heiligen Land
Bischof Huber wirbt für eine stärkere Präsenz der Christen in der Region

Bischof Wolfgang Huber, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hat vor einer weiteren Abnahme der Zahl der christlichen Gemeinden in Israel und Palästina gewarnt. Der Rückgang der christlichen Minderheit sei bedingt durch die schlechten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, sagte Huber während eines Besuchs in Jerusalem.

Birgit Kolkmann: Herr Huber, wie sehen Sie denn Mauer und Sicherheitszaun und die Lebenssituation der Palästinenser?

Wolfgang Huber: Das ist natürlich eines der ganz großen Konfliktthemen. Man muss hier Mauer und Sicherheitszaun unter zwei Gesichtspunkten sehen: Auf der einen Seite tragen sie bei zur Sicherheit Israels, die Zahl der Terroranschläge ist deutlich zurückgegangen. Auf der anderen Seite schneiden sie tief ein in das Gebiet der Palästinenser, schnüren die Palästinenser auch ein, engen ihren Bewegungsspielraum ein, und werden von daher ganz nachvollziehbarerweise auch als eine schwere Beeinträchtigung der Rechte der Palästinenser empfunden. Dadurch ergibt sich, dass sich Angst und Misstrauen zwischen beiden Seiten sich gegenwärtig genau um diese Sicherungsmaßnahmen herum entwickeln.

Kolkmann: Werden Sie sich gegenüber der israelischen Regierung bei den Gesprächen, die Sie führen, kritische Worte zur Palästina-Politik erlauben, oder verbieten Sie sie sich?

Huber: Nein, wir sprechen nach beiden Seiten hin die Probleme an. Genauso wie es wichtig ist, den Palästinensern gegenüber darauf zu beharren, dass das Existenzrecht des Staates Israel ein ganz zentraler Punkt ist, genauso müssen wir auch gegenüber der israelischen Seite ansprechen die Situation, in der sich die Palästinenser befinden. Ich glaube, wir sind als Vertreter einer christlichen Kirche, gerade auch aus Deutschland kommend, dazu verpflichtet, auch diesen Beitrag zu wechselseitigem Verstehen zu leisten.

Kolkmann: Sie führen viele Gespräche in Israel und in Palästina mit Vertretern anderer Religionsgemeinschaften auch. Was können Sie da in Gang setzen für einen Dialog untereinander?

Huber: Es ist in meinen Augen eine zentrale Aufgabe, dass die Präsenz des Christentums im Heiligen Land, im Ursprungsland des christlichen Glaubens gestärkt wird, dass auch das ökumenische Miteinander der Kirchen deutlicher, erkennbar wird. Dazu leisten wir einen Beitrag durch die ökumenischen Besuche, die gestern schon eine ganz große Intensität angenommen haben. Die Bereitschaft, miteinander den christlichen Glauben zu bezeugen, auch die Bereitschaft, miteinander etwas dafür zu tun, dass Christen im Land bleiben und dort ihren Glauben leben können, diese Bereitschaft ist sehr groß.

Kolkmann: Welche Rolle spielen denn die christlichen Glaubensgemeinschaften in Israel und Palästina? Unter welchen Bedingungen können sie ihren Glauben leben?

Huber: Wir wissen ja alle, dass die Christen in Israel und Palästina eine Minderheit sind, und zwar eine kleiner werdende Minderheit. Das hängt ganz stark auch mit den politischen Bedingungen zusammen. Das hängt damit zusammen, dass Christen in vielen Fällen auch die besser Ausgebildeten sind und dann sich in einer Situation sehen, in der sie im Lande gar keine beruflichen Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten haben.

Diese Kombination von politischer und wirtschaftlicher Situation, dann auch die Minderheitssituation gegenüber einer muslimischen Mehrheitsgesellschaft in Palästina: Das alles trägt dazu bei, dass die Christen sich in einer Minderheitslage befinden, und das ist eine erschreckende Perspektive. Man mag sich gar ausdenken, dass man ins Heilige Land, ins Ursprungsland des christlichen Glaubens kommt und dann dort nicht lebende und vitale christliche Gemeinschaften vorfindet.

Von daher ist die Aufgabe, einen Beitrag zur gesellschaftlichen und politischen Entwicklung zu leisten, die dann auch dazu führt, dass Christen im Lande bleiben und im Lande zu Hause sein können. Das ist auch unter diesem Gesichtspunkt eine zentrale Aufgabe.

Kolkmann: Können Sie das ein bisschen konkretisieren? Wie unterstützt die evangelische Kirche Deutschlands die Gemeinden dort?

Huber: Ein ganz zentraler Punkt ist die Bildungsarbeit. Wir sind mit unserer arabischen Partnerkirche zusammen ja ganz intensiv im Schulwesen dort tätig. Und das A und O ist, dass die Familien das Gefühl haben, hier haben unsere Kinder eine gute Ausbildung. Ein Wohnungsprojekt ist ein anderes wichtiges Beispiel dafür, dass auf dem Ölberg entwickelt werden soll in Jerusalem, auf unserem Gelände rund um das Auguste-Viktoria-Hospital. Das sind ganz konkrete Maßnahmen dafür, Menschen ein Zuhause zu geben und die christlichen Gemeinden zu unterstützen.

Kolkmann: Sie sprachen ja eben an, dass die Christen eine Minderheit sind, in den Palästinensergebieten eben hauptsächlich muslimische Einwohner. Springen wir einfach mal zurück nach Deutschland. Dort hat sich nun ein Koordinationsrat der Muslime in Deutschland gebildet, eine Art Dachverband, eine Art Ansprechpartner, wie das ja bei den Protestanten die EKD ist und bei den Katholiken die Bischofskonferenz. Ist das auch aus Ihrer Sicht ein großer Schritt nach vorne für die Verständigung zwischen den Konfessionen?

Huber: Zwischen den Konfessionen und den Religionen muss man ja unterscheiden, Frau Kolkmann, und ich habe diese Entwicklung in Jerusalem mit Interesse zur Kenntnis genommen. Wie tragfähig und wie weitreichend das ist, das werde ich dann gerne genauer verfolgen, wenn ich wieder in Deutschland bin. Der Schritt, den habe ich ja auch schon vor einiger Zeit ausdrücklich begrüßt, dass die Dachverbände der Muslime sich zusammentun und stärker mit einer Stimme sprechen. Das kann dem Dialog nur gut tun, und ich begleite diese Entwicklung mit guten Wünschen.

Kolkmann: Vielen Dank.

DeutschlandRadio Kultur, 12.4.2007

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