Damit Israel atmen kann
Zur Thesenreihe des Arbeitskreises "Kirche und Judentum," der Evangelischen Kirche der Pfalz
von Klaus-Peter Lehmann

Die begrüßenswerten Thesen des Pfälzischen Arbeitskreises [abgedruckt in MATERIALDIENST 1/2007, S. 2ff.] formulieren die theologische Aufgabe, das Land und den Staat Israel "zum christlichen Glauben positiv ins Verhältnis zu setzen" (These 11). Sehen die Verfasser in der gemeinsamen "Zeugenschaft für den einen Gott" (These 17) diese Aufgabe als ausreichend beschrieben an? Bis heute laufen alle kirchlichen Stellungnahmen zum Verhältnis von Kirche und Judentum auf das Modell einer brüderlichen Kooperation unter verheißungsgeschichtlichem Horizont hinaus. Man geht immer davon aus, als handele es sich um zwei familiär nebeneinander stehende Religionsgemeinschaften, die es in der Geschichte trotz ihrer wurzelhaften Verbundenheit versäumt hätten, ihr Nebeneinander positiv zu bestimmen, was ausschließlich kirchlichen Verschulden anzulasten sei.

Geht es bei dem Problem des Verhältnisses von Kirche und Synagoge wirklich nur um ein gleichberechtigtes Nebeneinander? Ist die Kirche neben das Bundesvolk Gottes hinzugekommen lediglich als eine weitere Zeugengemeinschaft des einen Gottes, nun von Gläubigen vorwiegend heidnischer Provenienz? Hat Gott durch Jesus Christus die Ekklesia einfach nur neben das Bundesvolk gestellt? Wir stellen die ekklesiologische Frage nach einer genaueren Zuordnung des Leibes Christi zum ewigen Bundesvolk des Gottes Israels.

Wir setzen hierbei selbstverständlich die für das christlich-jüdische Verhältnis unabdingbaren Erkenntnisse aus den Bemühungen um eine Christologie ohne Antijudaismus voraus: Die Kirche hat an den Verheißungen Israels Anteil bekommen. Judenmission schließt sich von daher aus. Es geht um die Frage, ob nicht ganz anders als traditionell von einer in Christus begründeten positiven Zuordnung oder Zuwendung der Kirche zu Israel geredet werden kann und muss. Diese müsste begründet werden im neutestamentlich bezeugten messianischen Werk Jesu Christi, für das die Ekklesia als Jüngerschaft oder als Leib Christi (s?µa ???st??) zu einem bestimmen Auftrag gegenüber Israel berufen ist. Selbstredend kann dieser keine missionarische Ausrichtung haben, denn der von Israel erwartete Messias kommt immer als Befreier (go'el) Israels. Das gilt für die Zeit der Antike ebenso wie für heute. (1)

Gehen wir von den geschichtlichen Veränderungen in der Neuzeit aus, dann legt es sich nahe, im Blick auf die biblischen Landverheißungen und angesichts der Gründung des Staates Israel von einem Fingerzeig Gottes zu sprechen (These 11). Für die christlichen Kirchen bedeuten diese Veränderungen zunächst folgendes: Nicht nur innerhalb der Kirche ist Heil bzw. Rettung. Sondern die biblischen Verheißungen von der Rettung Israels und seinem Wohnen im versprochenen Land setzen sich auch ohne die Kirche durch. (2) Die Gründung des Staates Israel hat sich ohne kirchliche Anteilnahme vollzogen. Praktisch war die zionistische Bewegung ein Exodus von Teilen des jüdischen Volkes aus dem Antisemitismus des christlichen Abendlandes. (3) Hat der Auftrag der Kirche Jesu Christi, der messianischen Jüngergemeinde des Auferstandenen, damit überhaupt etwas zu tun?

Sicher sind die biblischen Verheißungen mit der Gründung eines Staates für Israel noch nicht vollkommen erfüllt. Die mit der Rückkehr Israels verbundenen messianischen Visionen von einem nun anbrechenden ewigen Völkerfrieden stehen noch aus, ebenso wie das angstfreie Leben Israels. Denn immer handelt es sich im Alten Testament um die Verheißung eines sicheren, von Feinden unbedrohten, ruhigen Wohnens des Volkes Israel in seinem Land. (4) Von alledem kann im Blick auf die Staatsgründungen in Israels Geschichte keine Rede sein. Auch das Neue Testament spricht von der Befreiung Israels aus der Hand seiner Feinde. So besteht, wie die Thesen zurecht anmerken, "ein Überschuss dieser Verheißung gegenüber dem historischen Geschehen von Einwanderung und Staatsgründung" (These 14).

Er lässt sich bestimmen durch die Differenz zwischen einem politisch gefährdeten Wohnen Israels im Lande und der Errettung von unseren Feinden (Lk 1,71), einem von Feinden unbedrohten Wohnen. Für Lukas liegt das Werk des Messias darin, durch die Einlösung des Eides, den Gott Abraham geschworen hat, also durch die Bereitung des universalen Völkerfriedens (1Mose 21,3) Israel zu befreien, dass wir, erlöst aus der Hand unsrer Feinde, ohne Furcht ihm dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit vor ihm alle unsre Tage (Lk 1,72-75). Das Werk des Messias Jesus liegt darin, für das sichere Wohnen Israels Sorge zu tragen. Er tut dies mit seinem eigenen Leib. Denn der Leib Christi ist das Abbild des neuen Menschen, der versöhnten Völkerwelt (Kol 3,9-11). Sein internationales Wachstum, seine unter allen Völkern zunehmende Jüngerschaft bringt eine internationale Friedensgesinnung auf den Weg, um ohne Anfeindung, die zerfallene Hütte Davids aufzubauen und wiederaufzurichten (Apg 15,16; Am 9,11f). Marquardt legte die Missionsaufgabe der Kirche dahingehend aus: "Sie bereiten mit dem Werk ihrer Völkermission eine Welt, in der auch Israel atmen kann." (5) Die Gewinnung von heidnischem Gottesvolk (Apg. 1,14), das als Leib Christi die versöhnte Völkerwelt auf den Plan bringt, also die Kirche Jesu Christi ist ein Moment am prophetisch verheißenen ungefährdeten Wiederaufbau Zions.

So rücken in den Thesen der Arbeitsgemeinschaft m.E. viel zu früh Gerechtigkeitsprobleme im Land Israel in den Blick (These 14). Können sie biblisch wirklich recht erörtert werden, ohne dass die Kirche sich fragt, wie sie als Leib des Messias Jesus, der Israel von seinen Feinden befreit, dafür sorgt, dass Israel in der Völkerwelt atmen kann? Viele Fragen im Nahen Osten werden sich von selbst verändern, wenn Israel aus dem Würgegriff seiner Feinde befreit ist, wenn einem furchtlosen Leben der Juden in Israel kein Antisemitismus mehr im Wege steht. Es ist die Aufgabe der Kirche mit ihren Mitteln, d.i. der Verkündigung des Reiches Gottes für alle Menschen, dafür Sorge zu tragen, dass Israel sicher wohnen kann und Juden in der Welt nicht bedroht werden. So gehören die Predigt vom Reiche Gottes und der Einsatz gegen Antisemitismus und Nationalismus untrennbar zusammen.

Eine Ekklesiologie ohne Antijudaismus geht aus vom messianischen Werk Jesu Christi wie es das Neue Testament bezeugt. Es zielt auf die Befreiung Israels von seinen Feinden, indem es durch die Bereitung der universalen Völkerversöhnung den Aufbau der Hütte Davids fördert. Also bezieht sich der Auftrag der Kirche Jesu Christi unmittelbar auf die Existenz des Staates Israel und das furchtlose Leben des jüdischen Volkes. Von daher gesehen werden der ökumenische Einsatz gegen Antisemitismus und Nationalismus zu Pfeilern einer christologisch begründeten israeltheologischen Ekklesiologie. Alle Erörterungen über Gerechtigkeitsfragen im Land Israel kommen in theologischer Ordnung erst danach.

Das Nebeneinander von Kirche und Judentum erscheint nun verändert: Israel lebt als Zeuge seines gerechten Gottes inmitten der Völker. Israels freies Zeugnis und seine Existenz waren in der Geschichte immer wieder von Feinden bedroht. Sie sind es bis heute. Die Zeugenschaft der Kirche Jesu Christi bezieht sich auf diese Situation. So lebt die Kirche Jesu Christi als Zeuge des Gottes Israels, indem sie als Gemeinde unter der gelebten Friedensverheißung Abrahams für Israel und für seine Freiheit von Feinden einsteht.

Ich fasse das Verhältnis von Kirche und Judentum, wie es sich unter ekklesiologischem Blickwinkel darstellt, zusammen: Mit den Verheißungen Gottes im Alten Testament, der seinem ewigen Bundesvolk Israel Befreiung von seinen Feinden, sicheres Wohnen im Lande und dauerhafte Völkerversöhnung zusagt, sowie durch ihre Wiederaufnahme in den messianischen Worten des Neuen Testamentes weiß sich die Kirche als Leib ihres Herrn, in dem die Völker versöhnt zusammenleben, solidarisch an die Seite des jüdischen Volkes gewiesen. Denn sie vernimmt aus den messianischen Verheißungen ihren apostolischen Auftrag, die Völkerversöhnung unter dem Segen Abrahams im Leibe Christi voranzubringen. Der Sinn dieses Völkerapostolats bzw. des Leibes Christi besteht darin, für Israel Existenzbedingungen zu ermöglichen, dass Gottes Volk ohne Furcht in seinem Land beten und atmen kann. Damit wäre Israels prophetische Existenz in der Hoffnung auf Völkerversöhnung an ihm selbst gerechtfertigt - durch die Kirche des Messias Jesus.

(1) Im Alten Testament ist Gott selber der Befreier (go'el) Israels: Ich helfe dir, Spruch des Herrn, und dein Befreier(go'alech) ist der Heilige Israels (Jes 41,14). Im Mußafgebet für den Sabbat heißt es: " ... und einen Erlöser (go'el) bringst ihren Kindeskindern um deines Namens willen." Israel dachte seinen künftigen Befreier immer in Analogie zur Befreiung aus Ägypten. Deshalb antwortete Nachmanides auf einem von den Dominikanern 1263 in Barcelona anberaumten Disput über die Frage, ob der Messias schon gekommen sei, dass der Messias erst gekommen sein wird, wenn dieser wie einst Mose vor den Papst trete und fordere: Entlasse mein Volk (2Mose 5,1).
(2) Die Gründung des Staates Israel kann als heilsgeschichtliche Widerlegung der seit Augustinus gültigen Lehre aller Kirchen angesehen werden: Extra ecclesia nulla salus.
(3) Für Theodor Herzl war die Einwanderung der Juden nach Palästina ihr Exodus aus dem christlichen Antisemitismus.
(4) s. 5Mose 12,10; 2 Sam 7,11; Jer 30,10; 46,27; Ez 34,28; Mi 4,10
(5) F. W. Marquardt, Was dürften wir hoffen, wenn wir hoffen dürfen, Eschatologie, Bd. 2, Gütersloh 1994, S. 378

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