Im Zeichen des Bundes
Der 1. Januar: Tag der Beschneidung Jesu
von Rainer Kampling

Als Goethe bei seiner Italienischen Reise 1786 in Bologna auf Guercinos "Die Beschneidung Christi" traf, schrieb er am 19. Oktober: "Ich verzieh den unleidlichen Gegenstand und freute mich an der Ausführung". Die Aufnahme Jesu in den Bund ist weit mehr als ein künstlerisches Sujet. Bis zum Jahre 1969 gab es in der römisch-katholischen Kirche das Fest "Beschneidung des Herrn". Die neutestamentliche Begründung für dieses Fest ist ein Satz im Lukasevangelium: "Und als acht Tage um waren und man das Kind beschneiden musste, gab man ihm den Namen Jesus, wie er genannt war von dem Engel, ehe er im Mutterleib empfangen war." (Lk 2:21)

Der Ursprung des Festes, das auch der Namensgebung große Bedeutung zumaß, liegt in der Ostkirche. Hier wurde es seit dem 4. Jahrhundert gefeiert. Die Orthodoxie begeht es auch heute noch. Seit dem 6. Jahrhundert ist es auch in der spanischen und gallischen Kirche bekannt. Von hier kam es im 11. Jahrhundert nach Rom und verdrängte ein Marienfest. Nach der Reform des Liturgischen Jahres der römisch-katholischen Kirche wurde der 1. Januar wiederum zum Hochfest der Gottesmutter Maria, mithin der alte Zustand wieder hergestellt.

Im Rückblick mag diese Entscheidung schwer nachvollziehbar sein, wenn man bedenkt, dass gerade das Zweite Vaticanum sich bemühte, ein neues, anderes Verständnis Israels als Volk Gottes zu gewinnen und dem Judesein Jesu hierfür eine große Bedeutung zumaß. Heute, da der einfache Satz, dass Jesus Jude war, bereits zum Grundbestand des Religionsunterrichts gehört, könnte man vielleicht fragen, ob die Beibehaltung des Festes der Beschneidung des Herrn nicht sehr hilfreich gewesen wäre. Ein Fest, das daran erinnert, dass Jesus wie jeder Jude gemäß des Bundes Gottes mit Abraham beschnitten wurde (Gen 17:10); ein kirchliches Fest, das an die Aufnahme in das Volk Israel erinnert - ist das nicht viel an memoria Iudaica in einer christlichen Umgebung? Nur so einfach liegt die Sache nicht. Beispielhaft sei das Rezitativ zum Fest der Beschneidung des Herrn in Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium zitiert: "Immanuel, o süßes Wort! Mein Jesus heißt mein Hort, mein Jesus heißt mein Leben, mein Jesus hat sich mir ergeben, mein Jesus soll mir immerfort vor meinen Augen schweben. Mein Jesus heißet meine Lust, mein Jesus labet Herz und Brust."

Nicht einmal eine Spur der Erinnerung an den Juden Jesus findet sich hier, und damit steht Bach keineswegs allein. Der Umstand, dass Jesus von Nazaret als Jude geboren wurde, lebte und starb, spielte in der christlichen Religiosität so gut wie keine Rolle. Ja, man kann sagen, dass es fast gänzlich vergessen und verdrängt wurde. Der christliche Antijudaismus ließ dafür keinen Platz.

Wie dieser Antijudaismus mit der mit dem Thema Beschneidung Jesu umging, sei an einigen Beispielen erläutert. Der christliche Philosoph, Apologet und Lehrer Justinus Martyr (gestorben 167) verfasste eine Schrift mit dem Titel "Dialog mit dem Juden Tryphon". Auch wenn der Text weitgehend fiktional ist, sollte man nicht ausschließen, dass genuin jüdische Meinungen zum Ausdruck kommen; so kritisiert Tryphon die mangelnde Gesetzesobservanz der Christen und führt Jesus als Gegenbeispiel an: Jesus sei beschnitten gewesen und habe als Jude toratreu gelebt (Dial 67:5). Dieses jesuanische Argument gegen die christliche Praxis wird von Justin bei Seite gewischt: Die Beschneidung Jesu sei als ihre Aufhebung zu verstehen. Indem Jesus sie auf sich genommen habe, habe sie ihren Auftrag erfüllt. Jetzt, so Justin, diene sie allein dazu, damit man die Juden als Juden erkennen könnte und sie alles erleiden müssten, was die Römer ihnen auferlegt hätten. Justin denkt wohl an das Verbot des Hadrian, nach dem es Juden untersagt war, Jerusalem zu betreten, und an die so genannte Judensteuer (Dial 16:2-3; Dial 19:2-5; 92:2-3). Diese negative Umwertung des Bundeszeichens wird in das Deutmuster der antiken christlichen Literatur übernommen. Origenes (ca. 185-254), der wohl größte Theologe griechischer Sprache, hat auch in der Frage der Beschneidung Jesu tradtionsbildend gewirkt: Jesu Beschneidung ist Teil seines Heilswerkes; so wie er stellvertretend gestorben ist, so wurde er auch stellvertretend beschnitten. Darin ist dann aber zugleich das Ende dieses Rituals gekommen, weil es überflüssig geworden ist. Ambrosius (339-397) und Augustinus (354-430) sind dem Alexandriner in dieser Interpretation gefolgt. Die Beschneidung Jesu markiert nach dieser Auslegung das Ende des Judentums als Volk Gottes. In ihr kommt der Alte Bund zu seinem Ziel. Für eine Erinnerung an den Juden Jesus ist in der Interpretation seiner Beschneidung kein Platz: Vielmehr verweist sie über sein Judesein hinaus. So ist die Beschneidung im Blut Beginn der Passion Jesu, sie ist aber auch Vorzeichen der Auferstehung Jesu; sie ist Typos der Taufe der Christen. Von besonderer Wichtigkeit wurde das Faktum der Beschneidung in der Auseinandersetzung um die wahre Menschlichkeit Jesu.

Jüdische Zeitung, Januar 2007 www.j-zeit.de

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