Die Ohnmacht der Höhlenmenschen
Israelische Siedler vertreiben arabische Fellachen, die in den Bergen im südlichen Westjordanland leben - die Armee lässt es geschehen
von Jörg Bremer

SOSYA, im April. Wadha Nawasha wendet plötzlich ihren Gästen den Rücken zu, zeigt auf ihre Schultern, weist auf Ober- und Unterschenkel und berichtet, wie zwei vermummte Siedler sie mit einem Stück Metall schlugen, zum Glück nicht auf den Kopf. "Ich hatte offene Wunden und Schürfungen und konnte mich kaum mehr bewegen." Bis dahin hatte ihr Mann still zugehört, die Hände vor Scham über seinem Gesicht. Er hatte seiner Frau bei dem Überfall nicht zu Hilfe eilen können. Jetzt fügt Chalil Nawasha an: "Der Arzt schrieb einen Bericht. Den wollten die Soldaten haben, um gegen die Siedler vorzugehen, wie sie sagten. Wir haben unseren einzigen Beweis nie wieder gesehen." Gemeinhin spricht eine arabische Bauersfrau nicht, wenn ihr Mann Gäste hat. Aber im Leben von Chalil und Wadha sind Konventionen nicht mehr viel wert.

Allein und ungeschützt wohnen die Eheleute, beide mehr als 65 Jahre alt, in zwei Wohnhöhlen in den Bergen südlich von Hebron im Westjordanland, unter einem weit ausgespannten Zelt aus Ziegenfell. Dann gibt es da noch das Gehege für Schafe und Ziegen. Früher hatte das Paar einmal zweihundert Tiere, jetzt sind es noch vierzig. Früher lebten sie hier mit ihren Kindern. Doch die meisten von ihnen sind mittlerweile verheiratet, leben in den Dörfern der Nachbarschaft oder in Yatta, dem arabischen Zentrum der Region. Das war zu Zeiten, als es hier noch keine israelischen Soldaten und Siedler gab, leicht erreichbar.

Seit den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bewohnen diese arabischen Fellachen nachweislich ungestört diese Gegend. Sie leben in Höhlen, die in den Fels geschlagen sind und nach draußen, entweder mit Steinen oder Fellen, verstärkt werden. Neben einer Wohnhöhle gibt es bisweilen eine Küchenhöhle und ein "Gesellschaftszelt". Im Sprachgebrauch der Israelis gelten diese Araber als Beduinen; tatsächlich aber handelt es sich um sesshafte Viehbauern, die jahrzehntelang in denselben Wohnhöhlen hausen und, wenn auch nicht in größeren Dörfern, so doch in dörflichen Zusammenhängen leben. Ihre Clans besaßen einst das gesamte wellige Hügelland, das nach Süden hin in der Ebene des Beersheva Wadis endet. Jetzt im Frühling, wenn der Regen die Höhen und Täler mit sattem Grün polstert und mit roten Anemonen, blauer Iris und gelben Butterblumen verziert, riecht es hier wie im Allgäu. Wadha pflückt Blüten direkt vor ihrer Bleibe von den Halmen und kocht daraus frischen Tee. Am Horizont haben Archäologen die byzantinische Synagoge von Sosya ausgegraben und ihre Mosaiken mit einem Dach geschützt. Gerade noch sichtbar ist auch ein israelisches Militärlager, und auf der anderen Seite der Wohnhöhlen von Chalil und Wadha liegt die Siedlung Sosya.

Seit den siebziger Jahren haben es die arabischen Ureinwohner in dieser Region schwer. Damals erklärte Israel die Region zu einer "geschlossenen Militärzone". Bis 1999 vertrieb die Armee 700 Einwohner, konfiszierte ihre Besitztümer und zerstörte ihre Zisternen. Ein Jahr darauf erzwang das Oberste Gericht in Israel ihre Rückkehr. Das Land gehört nach den Abkommen von Oslo zur C-Zone und steht damit vollständig unter israelischer Kontrolle. Mit "zwingenden militärischen Gründen" will die Armee weiter die Araber vertreiben; gegen den Ausbau der jüdischen Siedlungen geschieht nichts.

Zwischen 1980 und 2001 wuchs ein Gürtel von vier Siedlungen mit derzeit etwa 1500 israelischen Siedlern längs der Straße 317, die im Norden Hebron umgeht und gen Süden dem Tal von Beersheva zustrebt. Der Bau dieser Siedlungen ging einher mit der Zerstörung des Lebensraumes der Fellachen und dem Raub der Flächen, auf denen bisher ihr Vieh grasen konnte. Die jeweilige Siedlung wird umgeben von unklar bestimmten Zonen von Land, die die Araber nicht mehr benutzen dürfen. Ein Großteil des Gebietes bis hinunter zur grünen Linie nach Israel ist zudem Militärzone. Dort grenzt der Verlauf der Sperranlagen den Bewegungsraum der Araber ein.

Während früher kleine Straßen nach Yatta im Nordwesten führten, dem kommunalen Zentrum der Region, prägt nun die israelische Straße 317 mit ihrer Nord-Süd-Achse die Hauptrichtung. Wochenlang durften die Araber diese Straße nicht benutzen. Bisweilen werden einfach die Feldwege zu ihr mit Geröllhalden unzugänglich gemacht, und das gilt auch für Wege nach Yatta, wenn sie zu nah an Siedlungen oder am Militärlager vorbeiführen. Gemeinhin heißt es, es gehe den Siedlern und der Armee um die Sicherheit. Tatsächlich weist vieles darauf hin, so auch die Beobachtungen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), dass die Israelis versuchen, diese ohnehin schwache Bevölkerung aus der Region zu vertreiben.

Ismail Adra zog nicht völlig fort. Er verließ nur nach mehreren Überfällen der Siedler den Siedlungsgürtel der Israelis und ließ sich mit seinen vier Frauen und 35 Kindern auf einem abgelegenen Grundstück nieder, von dem aus er zumindest hoffte, ungestört auf die Straße 317 zu kommen. Aber selbst das war nur möglich, nachdem sich dafür das IKRK eingesetzt hatte. Für Ismail sind die Leute vom Roten Kreuz darum Helden. "Ich habe nicht mehr viel, auch die meisten Kinder sind mittlerweile aus dem Haus", sagt Ismail. "Die Siedler haben mich aus meiner Bleibe vertrieben. Sie vergifteten zum Teil mein Land und machten Brunnen ungenießbar", sagt er. Adra hat keine feste Wohnhöhle mehr, sondern ein paar Hütten aus Wellblech. Ein Zaun umgibt den kleinen Besitz, in dem auch die Schafe untergebracht sind.

Nach einem Bericht des Roten Kreuzes sprühten die Siedler im Jahr 2005 offenbar Gift auf die Weideflächen, so dass 24 Stück Vieh sofort starben und weitere 77 Stück später verendeten. Im Juli 2006 legten Siedler offenbar Feuer an zwei Zelte von zwei Familien bei Sosya. Bei Jinba sorgten die Siedler von Mitzpe Yair und Nof Nesher dafür, dass die dortigen Fellachen nicht mehr ihre Zisternen nutzen können. Die Armee weiß von diesen Vorfällen: Nachdem die Schulkinder von Tuba immer wieder auf ihrem Weg zur Schule nach At Tuwani von Siedlern aus Maon angegriffen worden waren, werden sie nun von einer Militäreskorte begleitet. Oft wird dieser Schutz aber nur halbherzig gewährt, und so erreichen die Kinder keineswegs pünktlich ihre Schule.

Seit dem Jahr 2000 haben die Fellachen zwei Orte aufgegeben. Wadha hat noch einmal Tee nachgeschenkt. Die Sonne sinkt langsam hinter die Höhen im Westen. Einige von ihren Söhnen kommen, um die Gäste zu begrüßen. Einer berichtet, wie viele israelische Organisationen ihnen bisher geholfen hätten. Da gebe es Freiwillige aus den israelischen Kibbuzzim, die "Rabbiner für Menschenrechte" oder die Gruppe "Tayyush". Die internationale Hilfsorganisation Oxfam sorgt für Viehfutter und stellt bisweilen den Wassernachschub sicher. Es duftet nach frischen Kräutern, nach Frühlingsblumen und dem noch winterfeuchten Ziegenfell des Zeltes. Chalil und seine Frau Wadha wollen ihre Heimat nicht verlassen und werden darin von ihren Kindern bestärkt. "Eigentlich gibt es hier genug Platz für alle", sagt Chalil.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18.04.2007

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