"Ich bin doch nicht total verzweifelt"
Ein Gespräch mit der israelischen Friedensaktivistin Gila Svirsky
von Eik Dödtmann

Die 60-jährige Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin Gila Svirsky ist Koordinatorin der "Coalition of Women for Peace", des im November 2000 entstandenen, unabhängigen Dachverbandes von neun Frauen-Friedensbewegungen in Israel. In dem Verbund setzen sich jüdische und palästinensische Frauen für Menschenrechte und einen gerechten Frieden zwischen Israel und seinen Nachbarn ein. Ziele der Organisation sind unter anderem das Ende der Okkupation, eine vollwertige Integration von Frauen in die Friedensverhandlungen, die Errichtung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967, die Anerkennung der israelischen Verantwortung der Flüchtlingsfrage von 1948, die Gleichberechtigung für die palästinensischen Bürger Israels und die Integration Israels in der Region. Zu den Aktivitäten der "Coalition of Women for Peace" gehören die Beobachtung der israelischen Kontrollpunkte in den Besetzten Gebieten, Demonstrationen, Mahnwachen und so genannte "Realitätstouren" für Israelis an die Mauer. Gila Svirsky, Mutter zweier Töchter, ist Mitbegründerin der "Women in Black", Frauen in Schwarz, die seit 1987 zum Gewaltverzicht aufrufen, und von "Bat Schalom", Tochter des Friedens, einem Projekt zur Zusammenarbeit von jüdischen und palästinensisch-israelischen Frauen. Wir sprachen mit Gila Svirsky im Rahmen der Nahost-Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung, bei der die Aktivistin als Referentin auftrat.

Frau Svirsky, Sie sind eine der führenden Kräfte verschiedener israelischer Friedens- und Menschenrechtsorganisationen. Wie kamen Sie dazu, sich in der Friedensbewegung zu engagieren?

Das war ein langer Prozess. Ich bin in einer sehr orthodox-jüdischen Welt in New Jersey, USA, aufgewachsen. Meine Eltern waren beide sehr zionistisch und sprachen immer vom "Wunder von Israel". Ich ging zur Yeschiva und war auf zionistischen Sommer-Camps. Kritisch hinterfragt wurde bei uns zu Hause nie. Es hat lang gedauert, bis ich verstanden habe, was eigentlich im Nahen Osten passiert. Ich selbst kam mit 19 Jahren nach Israel und fühlte mich stark religiös. Ich wählte damals immer die Nationalreligiöse Partei oder die orthodoxe Mafdal. Bis Ende der 1970er Jahre stand ich der Siedlerbewegung in Israel sehr nah. Die Siedler waren schon damals sehr brutal. Ich hab das gesehen, war aber nicht dagegen. Durch den Libanon-Krieg im Jahr 1982 setzte bei mir eine Ernüchterung ein. Plötzlich hatte ich verstanden: Meine Regierung lügt auch manchmal! So wie im Fall von Sabra und Schatila. Es herrschte damals bei Vielen eine große Desillusionierung im Lande. Der Glaube an die Regierung und daran, dass sie universelle Prinzipien vertritt, war verloren gegangen. Im Jahr 1987, mit Ausbruch der Ersten Intifada, war ich erst nur über das Ausmaß der Gewalt schockiert, noch nicht so sehr über die Okkupation an sich. Ich stand ab dann regelmäßig mit den "Women in Black" und einem Schild gegen Gewalt auf Demonstrationen.

Wie und wann gab es ihren ersten Kontakt ?

In den Anfangsjahren der Ersten Intifada. Ich erhielt eine Einladung zum Abendessen bei einer Frau. Die hieß Rita. Ich dachte, sie wäre jüdisch. Ich war total überrascht, als sich herausstellte, dass sie aus Ramallah stammte, dass sie dort aufgewachsen und es schon immer ihre Heimat war. Sie war gut erzogen, hatte Kinder und lebte in der gleichen Welt wie ich. Ihre Alltagsgeschichten klangen genauso wie meine. So traf ich mit 43 Jahren zum ersten Mal einen Palästinenser auf Augenhöhe.

Und wie sahen ihre ersten Gespräche mit den Palästinensern über Politik aus?

Wir starteten, wie immer unter Juden und Palästinensern, mit der leidigen Anerkennungsdebatte. Rita sagte mir dann, dass Arafat und die Palästinenser Israel im Jahr 1988 anerkannt hätten. Ich wusste das nicht. Es wurde in den israelischen Medien zensiert und nicht verbreitet. Der israelische Schriftsteller und Journalist David Grossman verließ wegen des Informationsverbots damals den israelischen Rundfunk. Später besuchte ich eine Frau im Gaza-Streifen, deren Sohn für das Graffitisprühen der Parole "Zwei Staaten für zwei Nationen" ins israelische Gefängnis musste. Für die Zwei-Staaten-Lösung einzutreten, war damals von israelischer Seite noch verboten! Ich ging mit auf jede Gerichtsverhandlung der Familie. Der Junge bekam zehn Monate Gefängnis, die Zeit, die er bis zur Urteilsverkündigung eingesperrt war. Durch diesen Kontakt hab ich eine richtige palästinensische Familie kennengelernt. Ich wusste vorher nicht, dass sie so leben wie wir. Ich bin seitdem viel in den Besetzten Gebieten gereist und ich habe gelernt, dass über viele Sachen, die dort passieren, nicht in den israelischen Medien berichtet wird.

Waren Sie jetzt auch in der Zeit des Krieges gegen die Hisbollah aktiv?

Ja, wir veranstalteten jedes Wochenende Demonstrationen und Mahnwachen. Und es kamen auch Leute zu uns. Zur insgesamt größten Demonstration in Tel-Aviv waren es fast Zehntausend. Die israelischen Medien berichteten nichts davon. Manchmal waren wir aber auch nur zehn Leute. In Haifa rannten wir an alle Orte, wo die Raketen der Hisbollah einschlugen und hielten unsere Schilder gegen den Krieg hoch. Die Auslandsmedien haben uns wahrgenommen, die israelischen Medien haben uns geschnitten.

Erreicht Ihre Frauen-Friedensbewegung auch Frauen in den Besetzten Gebieten?

Derzeit nur sehr wenige. Wir sind vor allem jüdische und arabische Israelinnen. Für die Palästinenserinnen aus den Gebieten, mit denen wir vor der Zweiten Intifada noch in engem Kontakt standen, ist die Ausreise meist verboten.

Kommt es auch zu bedrohlichen Situationen bei ihrer Tätigkeit in der Friedensbewegung?

Jetzt während des Libanon-Krieges waren fast alle Israelis "an den Waffen" und förmlich im Kriegsfieber. Die Polizei musste uns vor vielen aufgebrachten Passanten schützen. Ich erhielt in meinem Leben schon viele unschöne Angriffe auf meine Person. Das Schlimmste war jedoch, als ich Telefonanrufe bekam, in denen meine Kinder bedroht wurden.

Haben Sie manchmal darüber nachgedacht, alles hinzuwerfen?

Ich habe mir schon überlegt, das Land zu verlassen. Aber ich kenne keinen besseren Platz für mich. Es gibt keinen wirklich sicheren Ort auf Erden. Ich frage mich auch oft, warum ich mein Leben dem Reparieren des dummen Verhaltens von Politikern gewidmet habe. Ich hege viel Groll gegen die israelischen Parteien. Aber ich will weiter gegen die Okkupation ankämpfen und der israelischen Öffentlichkeit zeigen, was sie dort anrichtet.

Haben Sie noch Hoffnung auf einen Friedensprozess in der Zukunft?

Ich bin doch nicht total verzweifelt. Ich bin Optimist. Zwei Drittel der israelischen Bevölkerung befürwortet heute eine Beendigung der Okkupation. Da erscheint mir die Richtung, in die wir treiben, klar. Die Politik braucht nur immer länger, um das zu sehen und zu verstehen.

Welche Chancen sehen Sie für eine Nahost-Konferenz wie diese hier in Berlin?

Ich hoffe, dass durch die Linkspartei eine Botschaft an den Deutschen Bundestag und die Regierung gesendet werden kann. Und die Botschaft muss lauten: der Boykott der Palästinensischen Gebiete ist ein Fehler. Er bringt nur noch mehr Leid und Extremismus. Und noch eins: es sollte auch hier in Deutschland mehr auf die Gleichberechtigung der Geschlechter geachtet werden. Auf der Konferenz war ich die einzige Frau unter 26 Referenten.

Können Sie uns vielleicht noch ein Beispiel für erfolgreiche Friedensaktivitäten von Frauen nennen?

Das beste Beispiel gab es in Israel selbst im Jahr 2000 mit der "Vier-Mütter-Bewegung". Diese gründete sich im Jahr 1997 nach einem tragischen Hubschrauberabsturz über Libanon, bei dem 73 junge Soldaten starben. Vier Mütter von Getöteten gingen daraufhin auf die Straße und forderten, die Besetzung des Südlibanon, wie ja schon seit 1985 von der Regierung versprochen, endgültig zu beenden.

Die Bewegung war drei Jahre aktiv und hat tatsächlich die öffentliche Meinung verändert. Beide Kandidaten für das damalige Ministerpräsidentenamt, Ehud Barak und Benjamin Netanyahu, hatten den Abzug aus dem Libanon in ihr Regierungsprogramm übernommen. Und schließlich hat es Barak im Jahr 2000 umgesetzt.

Die "Vier-Mütter-Bewegung" ist wirklich ein gutes Beispiel, welch große Kraft Frauen im Kampf für den Frieden bilden können.

Jüdische Zeitung, Dezember 2006 www.j-zeit.de

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