Friede der Basis
Auf dem Kirchentag in Köln demonstrieren Juden, Christen und Muslime
Eintracht
von Claudia Keller
Mancher Kölner schaut verwundert zum Rathausturm
hoch. Die Melodie des Glockenspiels ist anders als sonst! Dazwischen drängt
sich A-Capella-Gesang mit dem Karnevalslied "Wir sind die Eingeborenen
von Trizonesien". Dann kippt das Fröhliche in einen bedrückenden
Sprechgesang: "Blumenthalstraße 15, Aachener Straße 25,
Am Weidenbach 4". An diesen Adressen haben früher Juden gewohnt,
die verfolgt und ermordet wurden. Der Kölner Künstler Gunther
Demnig hat vor ihren Häusern Stolpersteine verlegt, die an die früheren
Bewohner erinnern.
Bei der traditionellen Auftaktveranstaltung des Evangelischen
Kirchentages am vergangenen Mittwoch wurden diese Stolpersteine mit Hilfe
von Musik, Sprache und Schauspiel symbolisch "aufgehoben, um zu gucken,
was darunterliegt", sagte Anne Gidion, Mitglied im Kirchentagspräsidium.
Um den Rathausplatz herum war früher das jüdische Zentrum Kölns.
So ist es kein Zufall, dass ein paar Schritte weiter, im Gürzenich,
einer im Mittelalter erbauten Festhalle, das "Zentrum Juden und Christen"
während des Kirchentages angesiedelt war. Hier, wo sonst die großen
Karnevalssitzungen stattfinden, diskutierten vier Tage lang Juden, Christen
und Muslime vor allem darüber, wie man sich näher kommen und
Gewalt vermeiden kann. Dabei stellte sich heraus: Im Stadtteil, dort wo
sich Menschen kennen, funktioniert die Zusammenarbeit gar nicht so schlecht.
Während Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender
der Evangelischen Kirche in Deutschland, in einer Messehalle mit Vertretern
muslimischer Organisationen heftig über das Thema Religionsfreiheit
stritt, erfuhr man im Gürzenich bei der Veranstaltung "Imame
und Rabbiner für Frieden", dass sich Streitpunkte im täglichen
Miteinander, dort, wo es konkret wird, schneller klären lassen, als
die großen politischen Debatten suggerieren. So greife er einfach
zum Telefon, wenn es Probleme mit Antisemitismus in Kölner Schulen
gibt, und rufe Bekir Alboga von der türkisch-muslimischen DITIB an,
erzählte Rabbiner Netanel Teitelbaum von der Synagogengemeinde Köln.
Der gehe dann in die Schule und spreche mit den Jugendlichen. "Na
klar, wir kennen uns, wir vertrauen uns, das läuft gut", sagte
Alboga. "Die Leute hassen sich, weil sie sich nicht kennen."
Vor einem dreiviertel Jahr erst haben Juden, Christen und Muslime in Köln
eine "Friedensverpflichtung" unterzeichnet. "Mit unserer
ganzen Kraft wollen wir dazu beitragen, dass Hass und Gewalt überwunden
werden und Menschen in unserer Stadt und überall auf der Welt in
Frieden, Sicherheit, Gerechtigkeit und Freiheit leben können",
steht darin.
Die Kölner Synagogengemeinde unterstützt auch
das umstrittene Moscheebauprojekt der DITIB. "Jede Religionsgemeinschaft
hat das Recht auf ein Gotteshaus", sagte Rabbiner Teitelbaum - und
betonte, dass der in Köln lebende jüdische Publizist Ralph Giordano
nicht zur Synagogengemeinde gehöre. Giordano hatte sich vor zwei
Wochen gegen die neue Moschee gewandt, weil sie ein falsches Zeichen setze
und suggeriere, dass die Muslime integriert seien. Daraufhin war der Streit
um die Moscheepläne eskaliert. Die Kritik Giordanos sei "nicht
der richtige Weg", meinte Teitelbaum. "Mit Beleidigungen erreicht
man nichts." Heftiger Applaus. Auf anderen Podien vor manchmal über
tausend Besuchern debattierten jüdische und christliche Theologen
auch darüber, wo sich Fundamentalismen in der eigenen Religion verstecken
und ob über Tora und Bibel gestritten werden darf. "Der Streit
gehört zur jüdischen Kultur dazu", sagte die Jerusalemer
Theologin Chana Safrai. Und wenn es darum gehe, wie man handelt, entscheide
die Mehrheit. Auch Israel spielte eine Rolle auf dem Kirchentag. Einmal
diskutierten Israelis, darunter Fernsehmoderator David Witzthum sowie
ein arabisch- und ein russischstämmiger Israeli drei Stunden lang.
Danach war wohl jedem klar, dass die Wege zu einer Lösung des Nahost-Konflikts
noch viel verschlungener sind, als sie in den Medien dargestellt werden.
Drei Stunden Diskussion ohne Unterbrechung, ohne Showelemente
- so was ist wohl nur auf dem Kirchentag möglich, sagte eine Besucherin
nachher, dann doch sichtlich erschöpft. "Die Leute hier wollen
was erfahren", so einer der Organisatoren, "denen ist wichtig,
dass was vorangeht".
Jüdische Allgemeine, 14.7.2007
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