"
nimm Steine und bau mir ein Haus"
Gedenken an den Holocaust zu Beginn des Kirchentags auf dem Kölner
Rathausplatz
von Engelbert Broich
"Die Erinnerung steht noch vor dem Fest, noch vor
dem Gebet", begrüßte die Hamburger Pastorin Anne Gidion
zahlreiche Gäste vor der offiziellen Kirchentags- Eröffnung
auf dem Kölner Platz zwischen Historischem Rathaus und Spanischem
Bau. Das Präsidiumsmitglied des Deutschen Evangelischen Kirchentages
eröffnete damit das traditionelle "Gedenken zu Beginn"
des Kirchentage. Sie lud ein, gemeinsam "Steine" umzudrehen,
verwischten Spuren nachzugehen. Die "Suche" fand dort statt,
wo im Mittelalter das jüdische Viertel mit Synagoge, Ritualbad, Badestube
und Hospiz lag. Dort, wo im Dritten Reich eine NS-Verwaltung ihre administrativen,
judenfeindlichen Fäden zog. Denn das Gedenken war der Erinnerung
an die Entrechtung, Verfolgung und Ermordung der Juden unter den Nationalsozialisten
gewidmet. Gewidmet auch der Erinnerung an die Überlebenden, an den
Neuanfang nach dem Krieg und dem Blick in die Zukunft. Gidion dankte ausdrücklich
Mitorganisator Bernhard König. "Ohne ihn wäre die Veranstaltung
nicht zustande gekommen.."
Musik, Gespräch, Aktion und Theater
Eine Stunde lang entwickelte sich eine Collage aus gesprochenem Wort,
Live-Musik und -Gesang, Gespräch, Aktion und Theater. Verschiedene
Podien waren aufgebaut, auf denen etwa das Ensemble Maul & Trommel
der Diakonie Michaelshoven und SängerInnen aus der Evangelischen
Kirchengemeinde Rösrath sowie der eigens gegründete Projektchor
Neue Töne Rhein-Sieg mitwirkten. Vorgelesen wurden Erinnerungen von
Zeitzeugen und behördliche Anweisungen aus der Nazi-Zeit. Etwa solche,
die Juden den Besitz von Schreibmaschinen, Fahrrädern und Hunden
untersagten. Zu Gehör kamen ebenso die Adressen von einstigen Wohnorten
Kölner Juden. Dazu gesellte sich, den Moment des Gedenkens bereichernd,
eine Zeit lang das Probeläuten der Dom-Glocken.
Erinnerungen
Der jüdische Publizist und Mitorganisator Günther Bernd Ginzel
aus Köln erzählte von dem unbändigen Willen der wenigen
Rückkehrenden und Geretteten, von ihrem Willen, zu leben. Auch, wieder
Karneval zu feiern. Zunächst im Israelitischen Asyl in Köln-
Ehrenfeld, später in der wieder errichteten Synagoge Roonstraße.
Beim Alaaf-Ruf sei ihnen der Ärmel hoch gerutscht und die Tätowierung
der Lagernummer sichtbar geworden.
Mit dem Kölner Juden Henry Gruen sprach er über
dessen glückliche wie schlimme Jugendzeit. "Schon 1932/33 war
der Antisemitismus spürbar", sagte der 1923 als Henry Grünenbaum
geborene ehemalige Schüler der Israelitischen Volksschule in der
Lützowstraße. Nach seiner Flucht in die USA besuchte er 1959
erstmals wieder Köln. "Das war schmerzhaft", schilderte
er seine damaligen Empfindungen. 1971 kehrte er endgültig ins Rheinland
zurück, primär aufgrund "der Sprache meiner Kindheit".
Das zweite Interview führte Gidion mit Gunter Demnig. Der Künstler
legt bundesweit Stolpersteine vor Wohn- und Arbeitsorte zur Erinnerung
an deportierte, ermordete und geflüchtete Juden, Sinti und Roma und
andere Verfolgte. Die Mehrzahl dieser Steine liegt in Köln.
Ginzel erzählte von einer der wenigen Überlebenden,
die als Kind vor einem der Sammeltransporte aus Köln mit Endstation
Tod untergetaucht und auch in einem evangelischen Pfarr-Haushalt versteckt
worden war. Heute lebe sie in Israel. "Zwei Dinge sind ihr aus Köln
geblieben", so Ginzel. "Das Gebetbuch aus dem Israelitischen
Kinderheim und ihre Mundharmonika. Die hütet sie wie Schätze."
Ergreifend die danach erklingende Melodie. Gespielt wurde ein Lied aus
dem Kinderheim, das die Überlebende "noch heute jeden Freitag
spielt".
"
nimm Steine und bau mir ein Haus"
Zum Abschluss trug die Pastorin Gidion Hilde Domins Gedicht "
nimm Steine und bau mir ein Haus" vor. Der Kirchentag sei glücklich
über die Zusammenarbeit auch mit den Juden in Köln, sagte sie.
Und, mit Verweis auf das auf dem Rathausplatz geplante "Haus und
Museum der jüdischen Kultur in Köln", schloss sie: Es muss
gar kein kleines Haus sein, aber hoffentlich wird bald der Grundstein
gelegt.
Evangelischer Kirchenverband Köln und Region, 13.6.2007
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