Ein neuer Kulturkampf ist entbrannt
Stein des Anstoßes ist die "Bibel in gerechter Sprache
von Micha Brumlik
Der lutherische Protestantismus war schon immer ein Gradmesser
deutscher Befindlichkeiten, Ausdruck der nervösesten und vom Zeitgeist
besonders berührten Schichten des hiesigen Bildungsbürgertums.
Das zeigt sich derzeit an einer nur scheinbar philologischen Diskussion.
Auf dem jüngsten Kirchentag wurde sie mit aller Härte geführt.
Stein des Anstoßes ist die "Bibel in gerechter
Sprache". Sie ist eine von zweiundfünfzig Theologinnen und Theologen
vorgelegte Neuübersetzung des Alten und Neuen Testaments. Sie zielt
darauf ab, die antijüdischen, soziale Ungerechtigkeiten verdeckenden
und auch frauenfeindlichen Züge der Lutherübersetzung - jenes
Herzstücks protestantischer Identität - wort- und sachgemäß
zu korrigieren. Bisher hatten sich die kirchenamtlichen Einwände
der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der beispiellos einseitigen
Kampagne der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf eine lächerlich
gemachte "feministisch-korrekte" Übersetzungsweise bezogen
( z. B. schreibt die neue Bibelübersetzung "Apostel und Apostelinnen",
wo im griechischen Urtext nur von "Aposteln" die Rede ist).
Nach all diesen Scheinauseinandersetzungen geht es jetzt um den Kern der
Sache, zumal des lutherischen Bekenntnisses, um die so genannte Rechtfertigungslehre.
Das ist die Überzeugung, dass Gott den Menschen nicht um ihres Tuns
oder Unterlassens wegen Gerechtigkeit widerfahren lässt, sondern
alleine seiner Gnade und Barmherzigkeit willen.
Es ist eine anerkannte Tatsache, dass Martin Luther von
diesem Glauben sosehr beseelt war, dass er in seinen späten Tagen
Juden und Judentum mit Maßnahmen verfolgen wollte, die jene der
Nationalsozialisten vorwegnahmen. Strittig ist alleine, ob Luther sich
bei seiner Form der Rechtfertigungslehre zu Recht auf den Apostel Paulus
berufen kann, auf einen hellenistischen Juden der augustäischen Zeit.
Er war zu der Überzeugung gekommen, dass der von den Römern
gekreuzigte Jesus von Nazareth der von den Propheten erwartete Gesalbte,
der Messias, sei und dies allen Menschen, nicht nur den Juden verkünden
wollte.
Paulus warnt im Brief an die Römer nicht nur die
christusgläubigen Heiden vor jeder Verfolgung der Juden und beglaubigt
nicht nur die Treue Gottes zum jüdischen Volk, sondern setzt sich
auch intensiv mit der Rolle der Thora, also Gottes Weisung an Israel und
ihrer Heilsbedeutsamkeit auseinander. Aus dieser paulinischen Debatte
hat der Protestantismus seit Luther unbegründet ein antijüdisches
und antikatholisches Dogma gemacht. Schlagwortartig geht es um Luthers
Entgegensetzung von "Gesetz" gegen "Evangelium", von
"Werkgerechtigkeit" gegen "Glaubensgerechtigkeit",
von "Gericht" gegen "Gnade" - wobei die ersten, die
ängstigenden Glieder dieser Reihe jeweils dem Judentum zugeschrieben
werden.
Die Übersetzer und Übersetzerinnen der "Bibel
in gerechter Sprache" zeigen nun, dass der Apostel Paulus als Kronzeuge
dafür nicht taugt. Damit öffnen sie den Weg zu einer weiteren,
radikalen Erneuerung des jüdisch-christlichen Verhältnisses.
Die auf dem Kölner Kirchentag geführte Debatte
zwischen dem Leipziger Theologen Jens Schröter und dem Paderborner
Neutestamentler Martin Leutzsch, der zum Übersetzerteam gehört,
offenbarte die kirchenoffizielle Kritik an der neuen Bibelübersetzung
als Beharren auf einer letztlich antijudaistischen Theologie. Dabei wurde
von Schröter gegen Hinweise auf die nicht nur antijudaistische, sondern
geradezu antisemitische Verwendung neutestamentlicher Verse immer wieder
der treuherzige Hinweis vorgebracht, dass man doch die Erfahrungen des
Holocaust nicht als Interpretationsfolie zweitausend Jahre alter Schriften
benutzen dürfe.
So sehr das zutrifft, so sehr ist doch der neuen Übersetzung
darin zuzustimmen, dass der Apostel Paulus, ein gläubiger Jude, die
Thora weder kritisieren noch gar abschaffen wollte, sondern schlicht der
Meinung war, dass Nichtjuden ihr nicht folgen müssten, um zum Gott
Israels zu kommen, und dass die Juden durch den seiner Meinung nach auferweckten
Jesus mit einer heilsgeschichtlich neuen Konstellation konfrontiert waren.
Im Römerbrief schreibt der Apostel jedenfalls eindeutig,
dass er die Thora aufrichten und nicht etwa abschaffen will und die von
Jens Schröter aufgestellte Behauptung, dass die Übersetzung
der "Bibel in gerechter Sprache" den von Paulus "ursprünglich"
gemeinten Sinn verfälsche, lässt sich dem griechischen Urtext
nicht entnehmen: von - wie Luther übersetzt - "durch Glauben
allein" ist dort jedenfalls nichts zu lesen. Der entscheidende Vers
heißt in der aktuellen Lutherbibel der Deutschen Bibelgesellschaft:
"Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben. Das sei ferne!
Sondern wir richten das Gesetz auf." (Römer 3, 31) Demgegenüber
schreibt die Marburger Theologin Claudia Jansen in der neuen Übersetzung
des Römerbriefs: "Heißt das, dass wir die Thora durch
das Vertrauen außer Kraft setzen? Ganz gewiss nicht. Vielmehr bestätigen
wir die Geltung der Thora." In der Tat: jedes altgriechische Schulwörterbuch
bestätigt, dass das griechische "Pistis" auch mit "Vertrauen"
übersetzt werden kann.
Nicht anders bei dem vorher, in der aktuellen, "offiziellen"
Übersetzung fett gedruckten Vers 28: "So halten wir nun dafür,
dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den
Glauben." Während die neue Übersetzung wortgetreu schreibt:
"Nach reiflicher Überlegung kommen wir zu dem Schluss, dass
Menschen aufgrund von Vertrauen gerecht gesprochen werden - ohne dass
schon alles geschafft wurde, was die Thora fordert." Wieder zeigt
ein Blick in den griechischen Urtext wie tendenziös Luther übersetzt
hat: von "allein" findet sich dort kein Wort.
Das heißt aber: Was die lutherische Orthodoxie als
jene Schrift ansieht, an der sich die Gläubigen zu bewähren
haben, ist nicht mehr und nicht weniger als Martin Luthers keineswegs
stimmige oder gar wortgetreue, wenn auch sprachgewaltige Übertragung.
Mit den Kirchen und ihren Diskussionen weniger vertraute
Leser und Leserinnen werden ob solch vermeintlich haarspalterischer Debatten
den Kopf schütteln. Nimmt man indes zur Kenntnis, dass sowohl den
Angehörigen des Übersetzungsteams sowie Laien aus der Kirchentagsbewegung,
die die neue Übersetzung liturgisch verwenden wollen, öffentlich
unterstellt wird, nicht mehr auf dem "Boden der reformatorischen
Bekenntnisschriften" zu stehen, wie es der extrem tendenziöse
Bericht der FAZ behauptet hat, so wird deutlich, dass in Kreisen des deutschen
Protestantismus ein Kulturkampf beginnt.
Dieser Kulturkampf wird mit allen unschönen Begleiterscheinungen
geführt. Zum Beispiel mit einer - nun wortwörtlich zu nehmenden
- Verketzerung anders Denkender und anders Übersetzender. Gewiss:
Zur gottesdienstlichen Verwendung der neuen Bibel lässt sich von
außen keine Stellung nehmen - wer kein Angehöriger einer evangelischen
Kirche ist, hat zu deren internen Glaubensfragen zu schweigen.
Indes: Kirchen sind eben - wie der derzeit heftig diskutierte
Islam auch - gesamtgesellschaftlich bedeutsame Gebilde, und die beiden
Testamente waren seit jeher mehr als nur liturgische Texte, nämlich
basale Zeugnisse der europäischen Kultur überhaupt.
Zudem gehört der Apostel Paulus keineswegs nur in
die Geschichte des Christentums, sondern mindestens so sehr in die Geschichte
des Judentums, des hellenistischen Judentums. Wenn eine neue Übersetzung
den Apostel deutlich in diese Geschichte rückt, ist das aus einer,
einer unter vielen, jüdischen Perspektiven nur zu begrüßen.
Wird doch daran deutlich, dass die inzwischen gebetsmühlenartige
Beschwörung der jüdisch-christlichen Wurzeln Europas ihren guten
Grund hat: Einer, wenn nicht der bedeutendste Anreger der christlichen
Religion, nämlich Paulus, war und blieb Jude.
Er wurde eben nicht, wie immer wieder behauptet, vom jüdischen
Saulus zum christlichen Paulus. Das hat auf dem Kirchentag einer der Übersetzer,
der Bochumer Neutestamentler Klaus Wengst ebenso präzise wie brillant
am Text der Apostelgeschichte nachgewiesen.
So erweist sich die mediengestützte Abwehrschlacht
gegen die "Bibel in gerechter Sprache" als Reflex einer durch
die Globalisierung und die mit ihr einhergehende kulturelle Pluralisierung
verunsicherten, sehr deutschen, Identitätsformation, die - wie schon
bei des alten Luthers paranoiden Ausfällen gegen das Judentum und
die "Judaisierer" - am Ende eine kleine, erstaunte Frage provoziert:
Wie es nämlich sein kann, dass der Glaube an einen gnädigen
Gott so viel Angst, Wut und Aggression gegen jene entfacht, die doch nur
der Auffassung sind, dass nach Gottes Willen die Menschen durch ihr Tun
oder Unterlassen für ihr Heil mitverantwortlich sind.
Frankfurter Rundschau, 23.6.2007
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