Neues Gedenkstättenkonzept
Im Zeughaus der deutschen Schuld
von Harry Nutt
Das Erfolgsmodell der Bundesrepublik gründet zu nicht
geringen Teilen auch auf der langen Lerngeschichte im Umgang mit dem öffentlichen
Gedenken, in dessen Zentrum die Verarbeitung der Folgen des Nationalsozialismus
stand. Wer jedoch geglaubt oder befürchtet hatte, dass mit der Einweihung
des Berliner Mahnmals für die ermordeten Juden Europas ein Schlussstrich
unter das gesellschaftliche Erinnerungsgebot gezogen worden sein könnte,
der konnte nachhaltig widerlegt werden. Erinnern, Mahnen und Gedenken
ist seit 1999, als die Bundesregierung zuletzt eine Gedenkstättenkonzeption
vorgelegt hatte, stets Anlass für kontroverse Debatten gewesen. Zum
einen setzte nach dem Bundestagsbeschluss für das Holocaust-Mahnmal
die Ausdifferenzierung weiterer Opfergruppen ein. Ein Denkmal für
Schwule und Lesben steht inzwischen vor der Errichtung, während um
ein Gedenken an das in der NS-Zeit erlittene Schicksal der Sinti und Roma
unter den Opfergruppen noch gerungen wird. Zahlreiche Erinnerungsstätten,
aber auch Forschungseinrichtungen und Einzelprojekte ließen sich
seither einer vielgestaltigen Erinnerungspolitik zurechnen, die von aktuellen
Konjunkturen sowie neuen Erkenntnissen stimuliert wird.
Öffentliches Gedenken vollzieht sich nicht nur als
gesellschaftliches Bedürfnis und Ritual, sondern ist auch ein Ausdrucksmedium
politischer Repräsentation. Wie welchem historischen Ereignis gedacht
wird, ist allerdings nie ausschließlich das Ergebnis politischer
Lenkung. Meist waren es differenziert geführte gesellschaftliche
Debatten, die zu einer repräsentativen Form führten, auch wenn
auf deren Kehrseite eine gewisse Erinnerungsroutine, Überreizungen
und Ermüdungserscheinungen abgebildet wurden.
Stand 1999 die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus
und der Umgang mit den symbolischen und authentischen Orten im Zentrum
der Erinnerungspolitik, so reifte in der Folgezeit ein Bewusstsein für
die Darstellung der zweiten deutschen Diktatur unter der SED-Herrschaft,
die durch die zeitliche Nähe immer wieder Gegenstand aktueller politischer
Debatten ist. Man wurde bisweilen den Eindruck nicht los, als türmten
sich immer mehr Gedenkprojekte in einer Art imaginären Zeughaus der
deutschen Schuldgeschichte auf.
Grundlegende Überarbeitung
Es war also Zeit für eine grundlegende Überarbeitung
des Gedenkstättenkonzepts von 1999. Kulturstaatsminister Bernd Neumann
hat sich dieser Arbeit nun vor allem als ordnungspolitische Aufgabe angenommen.
Sein Konzept, das gestern unter dem Titel "Verantwortung wahrnehmen,
Aufarbeitung verstärken, Gedenken vertiefen" dem Ausschuss für
Kultur und Medien des Deutschen Bundestages vorgelegt wurde, leistet zunächst
Definitionsarbeit.
Sorgsam ist in dem Papier darauf geachtet worden, dass
der Verdacht einer Gleichsetzung der beiden Diktaturen gar nicht erst
aufkommen kann. "Fundament der Erinnerung sind die historischen Fakten
und ihre wissenschaftliche Erforschung. Die Erinnerungspolitik ruht auf
zwei Säulen: der Aufarbeitung und dem Gedenken. Die Aufarbeitung
soll Ursachen und Folgen der beiden Diktaturen analysieren und die Erinnerung
an das Unrecht wach halten. (...) Das Gedenken soll die Opfer der nationalsozialistischen
Terrorherrschaft und der SED-Diktatur vor allem am Ort ihrer Leiden in
angemessener Weise würdigen und Wissen über die historischen
Zusammenhänge vermitteln."
Das Anliegen des Staates, das Nebeneinander von Gedenkstätten
in ein schlüssiges Konzept zu bringen, folgt auch haushalterischen
Erwägungen. Es braucht einen nachvollziehbaren Rahmen, innerhalb
dessen der Staat Einrichtungen unterstützt. Neumanns Konzept leistet
so gesehen auch Legitimationsarbeit. Wert wird dabei auf die wissenschaftliche
Einbettung der Institutionen und Projekte gelegt. Ein Beratungsgremium,
zu dem Das Deutsche Historische Museum (DHM), die Stiftung des Hauses
der Geschichte (Bonn/Leipzig), die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur,
das Institut für Zeitgeschichte (München) sowie Hochschulvertreter
gehören sollen, wird künftig über institutionelle und projektbezogene
Förderung mit entscheiden.
Zu den Kriterien für die Förderung durch den
Bund gehören der "nationale oder internationale Stellenwert
des Ortes", dessen Authentizität und die "Exemplarität
für einen Aspekt der Verfolgungsgeschichte der NS-Terrorherrschaft
oder der SED-Diktatur." Daraus ergeben sich auch einige Verschiebungen
im bisherigen Gedenkstättenkatalog von Bund und Ländern. Die
KZ-Gedenkstätten Dachau, Bergen-Belsen, Neuengamme und Flossenheim
sollen neu in die anteilige institutionelle Förderung des Bundeskulturstaatsministers
aufgenommen werden. Ferner soll in Zusammenarbeit mit dem Land Berlin
eine "Ständige Konferenz der Leiter der Berliner NS-Gedenkorte"
eingerichtet werden.
Eigenständige Profile
Die erinnerungspolitische Aufarbeitung des DDR-Diktatur
soll im Rahmen eines "Geschichtsverbunds SED-Unrecht" gefördert
werden. Gerade hier dürften atmosphärische Störungen lauern,
denen das Konzept gerecht zu werden versucht. Eine Arbeitsgemeinschaft
der Stasi-Gedenkstätten Hohenschönhausen wird nahegelegt, die
beiden Einrichtungen sollen aber ihr eigenständiges Profil behalten.
Im so genannten Berliner Tränenpalast soll ferner das Haus der Geschichte
eine Dauerausstellung zum Thema "Teilung und Grenze im Alltag der
DDR" eingerichtet werden.
Neumanns Gedenkstättenkonzept ist vorerst kaum mehr
als eine Diskussionsgrundlage, die ordnende Linien in einen langen Inventar-Katalog
einziehen möchte. Das Wort haben jetzt die Fraktionen, die Abgeordneten
und eine Öffentlichkeit, die Fragen zur Erinnerungskultur zuletzt
mit gleichbleibend hoher Aufmerksamkeit verfolgt hat.
Frankfurter Rundschau, 5. 7. 2007
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