15 Räume voll Geschichte im Haus der Wannseekonferenz
Mehr Details, mehr Licht, mehr Durchblick: Ein Rundgang durch die Dokumentation
von Tobias Kaufmann
Norbert Kampes Augen leuchten. Wenn der Direktor der "Gedenkstätte
Haus der Wannsee-Konferenz" durch die neue Dauerausstellung führt,
ist seine Müdigkeit wie weggeblasen. In den anstrengenden letzten
Tage vor der Eröffnung haben Kampe und sein Team kaum geschlafen.
Doch es ist rechtzeitig alles fertig geworden, und die Begeisterung darüber
merkt man Kampe an. Seit Oktober war die Gedenkstätte für den
Einbau der neuen Ausstellung geschlossen. Jetzt, zur Wiedereröffnung,
zeigt sich: Das Haus der Wannsee-Konferenz hat weit mehr bekommen als
nur ein paar modern gestaltete Plakatwände mit Texten, die den Forschungsergebnissen
der vergangenen 15 Jahre angepaßt wurden. Die Gedenkstätte
hat ein neues Gesicht.
Wie bei der alten Ausstellung galt es auch diesmal, möglichst
viele Informationen in relativ kleine Räume zu quetschen. Dank modernem
Baumaterial ist das gelungen. Aluminiumschienen unter der Decke und über
dem Boden der Zimmer halten Texte, Fotos und Dokumente. Wuchtige Schaukästen
gibt es nicht mehr. Indirekte Beleuchtung sorgt dafür, daß
man die in deutsch und englisch gehaltenen Erläuterungen auch im
Berliner Winter gut lesen kann. Damit die Plakatwände nicht wie eine
erdrückende Mauer wirken, sind die einzelnen Elemente in drei Ebenen
versetzt angeordnet. Vorne und in größerer Schrift werden die
großen Linien der geschichtlichen und politischen Entwicklung geschildert.
Wer einzelne Themen vertiefen möchte, findet in kleinerer Schrift
Erläuterungen, Dokumente und Zitate aus Originalquellen. Große
Fotos im Hintergrund ziehen als Blickfang in die Ausstellung. So soll
ermöglicht werden, was stets Anliegen der Gedenkstätte war:
möglichst verschiedene Zielgruppen zu erreichen. "Die Ausstellung
soll für jeden etwas bringen - vom israelischen Besucher, der einen
schnellen, oberflächlichen Blick ins Haus werfen will, bis zur Schülergruppe,
die einen ganzen Tag zu einem speziellen Aspekt arbeitet", sagt Kampe.
Die Schau führt vom Empfangsraum in Form einer liegenden
Acht chronologisch durchs Geschehen. Der Besucher wird zunächst linksherum
geführt. Jeder der folgenden sechs Räume ist einem Thema gewidmet.
Von den Anfängen des "Antisemitismus und Rassismus" geht
es über die Stellung der Juden in der Weimarer Republik und die "Rassenpolitik
und Judenverfolgung 1933-1939" bis zum "Krieg und Völkermord"
sowie dem "Besatzungsregime" in Osteuropa. Mit Informationen
über die "Planungs- und Entscheidungsprozesse" wird der
Besucher auf die Bedeutung der Wannsee-Konferenz vorbereitet, bevor er
wieder im Empfangsraum steht. Von dort geht es rechtsherum zum Schwerpunkt
der Ausstellung. Bevor man den eigentlichen historischen Ort betritt,
folgt ein Zimmer, in dem alle an der Wannsee-Konferenz beteiligten Behörden
aufgeführt und erklärt sind. Dann der Tagungsraum mit dem schweren
Konferenztisch, an dem 15 deutsche Bürokraten vor dem Frühstück
die praktische Organisation der "Endlösung" besprachen
- der gesamte Staatsapparat wurde hier, mit Blick auf den Wannsee, endgültig
Mittäter am Judenmord.
Wer's nicht glaubt, für den haben die Ausstellungsmacher
im nächsten Raum eine Kopie der hunderte Seiten dicken Originalakte
eines Konferenzteilnehmers ausgelegt. Die Propaganda von Auschwitz- Leugnern
soll dieses Dokument entkräften. Vier weitere Räume beschäftigen
sich aus verschiedenen Perspektiven mit den Folgen der Konferenz: Deportation,
Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslagern. Hier trifft der Besucher
Mitglieder von vier Familien wieder, die zu Beginn der Ausstellung eingeführt
wurden: Schicksale einzelner Opfer mit Namen und Gesichtern als Resultat
anonymisierter, bürokratischer Mordpläne. Die Ausstellung endet
mit Zitaten von Überlebenden und ihren Nachkommen. "Ein Raum
zum Nachdenken", sagt Kampe.
Mitnehmen und nachlesen kann man die Texte noch nicht
- für den Druck eines Katalogs benötigt die Gedenkstätte
dringend Spenden. Denn wegen der unerwartet hohen Kosten für die
komplizierte Sanierung der historischen Räume nach den Vorgaben des
Denkmalschutzes, hat die Gedenkstätte ihr 600.000-Euro-Budget für
die neue Schau bereits überzogen. In einigen Räumen mußte
die Wandbespannung erneuert, in anderen die Original-Decke erhalten werden.
Der Aufwand hat sich gelohnt, denn die neue Ausstellung läßt
trotz ihrer Fülle und Präsenz freien Blick auf solche Details
zu. "Das Haus ist schließlich das einzige Original hier",
sagt Kampe.
Jüdische Allgemeine, 19.1.2006
zur Titelseite
zum Seitenanfang
|
|