Lernen am Tatort
Wie Schüler und Berufsgruppen betreut werden
von Sophie Neuberg
Wie konnten Vertreter verschiedenster Berufsgruppen sich
in die nationalsozialistische Völkermordpolitik einbinden lassen?
Welche Ideologien, persönliche Motive und Strukturen trugen dazu
bei, daß Menschen verbrecherische Beschlüsse mittrugen und
umsetzten?
Dies zu untersuchen, ist einer der Aufträge des Hauses
der Wannsee-Konferenz. Diesem Zweck dienen beispielsweise berufsspezifische
Seminare. Ob Polizist, Richter, Arzt, Sozialdezernent oder Lehrer - jeder
kann der Frage nachgehen, wie seine eigene Berufsgruppe an der Vorbereitung
und Durchführung der "Endlösung" mitgewirkt hat. Studientage
mit berufsspezifischem Ansatz sind zu den unterschiedlichsten Themen möglich,
etwa das Thema "Ernährung und Politik im Nationalsozialismus"
für Auszubildende aus dem Gastronomiebereich, "Körperkult
und ästhetische Normierung im Nationalsozialismus" für
Friseurlehrlinge, "Konformität und nicht angepaßte Jugendliche
im Nationalsozialismus" für angehende Erzieher und Pädagogen
oder "Eugenik und Euthanasie" für Krankenschwestern.
Jugendgruppen und Schulklassen können sich in der
Ausstellung mit fachkundiger Führung informieren, aber auch bei Projekttagen
Teilaspekte der NS-Geschichte oder der jüdischen Geschichte erarbeiten
und diskutieren. Eine Möglichkeit besteht beispielsweise darin, daß
kleine Schülergruppen sich je einen Raum der Ausstellung erarbeiten
und anschließend wechselseitige Führungen veranstalten. Dabei
geht es den Mitarbeitern des Hauses nicht nur um Wissensvermittlung, sondern
darum, den Jugendlichen einen eigenen Zugang zur Geschichte und den Austausch
mit Gleichaltrigen zu ermöglichen.
So wird bei allen Bildungsangeboten der individuelle Zuschnitt
und die Initiative der Teilnehmer groß geschrieben. Standardführungen
gibt es nicht. Vielmehr sollen alle, die eine Gruppe anmelden, die Bereitschaft
mitbringen, sich vorab über den gewünschten Inhalt der Bildungsveranstaltung
Gedanken zu machen und dies mit den pädagogisch-wissenschaftlichen
Mitarbeitern des Hauses zu besprechen. Für Lehrer gibt es spezielle
Vorbereitungskurse, bevor sie eine Schulklasse in die Villa begleiten.
Jährlich nehmen rund 38.000 Besucher an Seminaren,
Führungen und Projekttagen teil. Alle Angebote sind kostenlos. Sie
finden für ausländische Gruppen meist in deren Muttersprache
statt.
Jüdische Allgemeine, 19.1.2006
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