Antisemitismus und Holocaustleugnung in Deutschland und Europa
Aktuelle Befunde und Gegenstrategien
von Wolfgang Benz

Mir ist, verehrte Damen und Herren, aufgegeben, eine ebenso knappe wie lakonische und umfassende Einführung in das Problem Antisemitismus und Holocaustleugnung in Deutschland zu bieten und die aktuelle gesellschaftliche Situation besonders zu berücksichtigen.

Das ist eine Aufgabe, die natürlich nicht befriedigend zu leisten ist, schon gar nicht in der kurzen Zeit. Ich will mich also auf vier Anmerkungen beschränken, die mir für dieses Thema besonders wichtig erscheinen. Zum ersten, wie definiert man Antisemitismus? Zum zweiten, wie dient Antisemitismus als Instrument rechtsextremer Propaganda und Politik. Drittens, worin besteht das alltägliche Vorurteil, wie funktioniert Antisemitismus als Alltagsphänomen. Viertens, was lernen wir daraus? Das ist natürlich das Anspruchsvollste, das Schwierigste. Daran werde ich am stärksten scheitern.


I. Die Schwierigkeit, Antisemitismus zu definieren
Antisemitismus zu definieren, das war meine Erfahrung während der Affäre Möllemann, in der ja zum ersten Mal das Angebot aus einer demokratischen Partei heraus gemacht wurde, die Mehrheit solle sich auf Kosten der Minderheit verständigen - das schien vielen ein Problem. Tatsächlich ging es um etwa anderes: die Entdeckung des bösen Juden erlaube den Entzug von Empathie, so lautete die Botschaft. Sie hatte eine sehr starke mediale Wirkung. Als Experte war man gefragt, musste sehr oft vor Kameras treten, vor Mikrofonen Auskunft geben, in Diskussionsrunden auftreten. Und meistens fing es an, dass irgendeiner der beteiligten Intellektuellen mit schöner Handbewegung sagte, "Ja Antisemitismus, aber was ist das denn überhaupt?". Das müsste man doch eigentlich erstmal diskutieren um es dann definieren zu können. Ich sagte dann immer, das Problem sei sehr viel einfacher, es läge genügend Erfahrung und empirisches Wissen vor. Betrachten wir also die Gesamtheit der Formen und Ausdrucksweisen von Judenfeindschaft und teilen sie in vier Hauptströme: 1. in den religiösen Antijudaismus, 2. in den rassistisch argumentierender Antisemitismus im engeren Sinne, 3. in den sekundären Antisemitismus als postgenozidalen Ausdruck der Abwehr von Schuld- und Schamgefühlen gegenüber Juden und 4. in den Antizionismus als eliminatorische Israelfeindschaft.

Und dann erscheinen die Elemente der Judenfeindschaft nicht nur als sinnstiftendes Element in der Ideologie und Agitation der Rechten sondern in vielfältigen Zusammenhängen, vor allem in folgenden Varianten: Nämlich als Marginalisierung und Relativierung des Völkermordes durch Anzweiflung der Opferzahlen, durch Aufrechnung mit der Kriegsführung der Alliierten, durch Verweis auf angebliche jüdische Vernichtungspläne gegen Deutschland.

Ein anderer Aspekt besteht in der Diffamierung einzelner jüdischer Personen mit der Konnotation der Verallgemeinerung, weil sie Juden sind. Ein weiteres Element ist generelle Israelfeindschaft und dazu kommen Attacken auf die Erinnerungskultur der demokratischen Gesellschaft mit der Unterstellung, die Juden würden Druck ausüben zur Niederhaltung der Deutschen, sie würden Schuldgefühle erzeugen sowie wach halten und sie würden die Deutschen durch exorbitante Restitutionsforderungen erpressen. All das vernehmen wir nicht nur in der Propaganda der Rechtsextremen. Das können wir auch in alltäglichen Gesprächen hören nach dem Motto: "Wie lange soll denn meine jetzt vierjährige Tochter noch büßen?". Sie alle kennen das.

Schließlich gibt es die Stimulierung patriotischer Emotionen durch Schuldabwehr und Schuldumkehr. Das geht dann bis hin zur Behauptung eines "eliminatorischen Antigermanismus", der herrschen soll. Das ist die Umkehrung der Verschwörungsphantasien gegen die Deutschen.

Die wichtigste Methode ist die indirekte Präsentation judenfeindlicher Botschaften durch vier wesentliche Verfahren, nämlich erstens die Verbreitung falscher Analogien mit dem Ziel, nationalsozialistische Politik gegenüber den Juden zu relativieren und zu marginalisieren. Die zweite Methode heißt Fundamentalopposition gegen die Erinnerung an jüdische Opfer des Nationalsozialismus. Der Gebrauch von bestimmten Schlüsselbegriffen zur verdeckten Artikulation rassistischer Judenfeindschaft, die Verwendung von Codes der Ausgrenzung, ist eine dritte Form antisemitischen Vorbehalts. Die vierte Vorgehensweise ist die Kontextualisierung antisemitischer Einstellungen durch die Heroisierung von Protagonisten der Leugnung des Holocaust, wenn also Horst Mahler feierlich von seinen Getreuen verabschiedet wird, ehe er in die Justizvollzugsanstalt Cottbus einrücken muss. Die Farce wird als ein Akt des Märtyrerkultes zelebriert.

Die Methode, mit kodierten Anspielungen Konnotationen auszulösen, durch Andeutungen und Wortspiele, also etwa "Ostküste", vorhandene Einstellungen zu stimulieren, ohne durch präzise Formulierungen juristische Konsequenzen zu riskieren, hat in der rechtsextremen Publizistik lange Tradition und wird insbesondere von der "Nationalzeitung", die als Organ der DVU fungiert, gehandhabt. Festzustellen ist aber in jüngster Zeit eine Radikalisierung, die sich auch publizistisch in eindeutigeren Formulierungen ausdrückt, und eine verstärkte Rezeption solcher Vorgaben in der Mitte der Gesellschaft.


II. Antisemitismus als Instrument rechtsradikaler Propaganda und Politik
Antisemitismus als Instrumentarium des Rechtsextremismus zielt auf die Ermüdung des Publikums hinsichtlich des leidigen Themas, sucht Verständigungsmöglichkeiten darüber, dass man doch nicht immer und ewig über den Holocaust, den Völkermord an den Juden reden müsse und wolle und versucht, den Begriff, der diesen Genozid und keinen anderen charakterisiert, zu vereinnahmen und zu verändern, bis hin zu den Tierschützern, die vom "Holocaust auf dem Teller" und anderen Abscheulichkeiten sprechen. Damit soll das Ende des Schuldbewusstseins propagiert werden als patriotisches Projekt der Erlösung der Deutschen vom Schulddruck und der Scham.

Provokation gegen den Konsens der Erinnerungskultur ist eine Methode, die derzeit am erfolgreichsten hinsichtlich öffentlicher Aufmerksamkeit scheint. Stolz verweisen die Provokateure auf die Zustimmung, die sie für höhnische Attacken gegen das als "Reichsopferfeld" oder als"Bundesschamanlage" apostrophierte Denkmal für die ermordeten Juden Europas angeblich "aus der Mitte der Gesellschaft" erhalten. Ebenso pochen sie auf Ergebnisse der Demoskopie, nach denen "nationale Einstellungen" mit Ressentiments gegen Ausländer im Vormarsch sind. Unter dem Titel "Revisionismus für die politische Mitte" wird im März 2005 im NPD-Blatt "Deutsche Stimme" der so genannte Tabubruch Dresden bilanziert mit der triumphierenden Feststellung "antideutsche Bußprediger unter Druck".

Absicht und Ziel werden in der vorauseilenden Erfolgsmeldung, die zur Methode der Provokation gehört, betont: Im "Gedenkjahr" 2005 habe man endlich den Trend umkehren können und mit dem tabuverletzenden Begriff "Bomben-Holocaust" habe die NPD im Sächsischen Landtag große Löcher in den Schuldturm geschossen, in dem die Deutschen seit genau sechzig Jahren gefangen gehalten würden.

Der NPD-Abgeordnete im Sächsischen Landtag Gansel hatte die Metapher vom "Bomben-Holocaust" benutzt, um den Untergang Dresdens in die Dimension des Genozids zu steigern und gleichzeitig den Völkermord an den Juden zu relativieren.

Ich werde es mir hier verkneifen, darauf hinzuweisen, dass eine bestimmte Linie der Diskussion um die Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Mitteleuropa durchaus ein Reflex auf das Holocaustmahnmal ist. Ich mache das schon deshalb, weil die Frankfurter Allgemeine auf solche Bemerkungen von mir immer so emotional reagiert. Wenn ich diesen nicht zu bestreitenden Sachverhalt nur irgendwo andeute, lese ich am anderen Tag dann im geschätzten Blatt, dass ich einer Opfergruppe durch diesen Hinweis das Leid rauben wolle.

Festzuhalten bleibt, dass es ein patriotisches Projekt ist, Leid gegeneinander aufzurechnen, das Problem von Schuld und Scham zu minimalisieren, um dadurch zu versuchen, dem Schatten von Auschwitz zu entkommen.

Nach solchem Rezept hatte der Abgeordnete Hohmann im Oktober 2003 seine patriotische Rede konstruiert, und diese Rezepte werden bereits seit Jahrzehnten von den Auschwitzleugnern angewendet, um die Zahl der Opfer des Holocaust zu minimalisieren. Die Methode besteht darin, Verwirrung zu stiften, dabei vordergründig jedoch den Anschein der Wissenschaftlichkeit und der Seriosität zu erwecken, sich dazu auf Autoritäten und Institutionen zu berufen wie das State Department in Washington, das Außenministerium in Moskau, das Internationale Rote Kreuz, auf nebulöse Pressestimmen oder schließlich, wenn gar nichts mehr hilft, auf einen Professor, der irgendwann, irgendwo, irgendetwas gesagt haben soll. Dann ist der verbreitete Unsinn nämlich "wissenschaftlich erwiesen".

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass sich die rechtsextreme Szene und insbesondere die NPD in den letzten Jahren auch hinsichtlich des von ihr propagierten Antisemitismus radikalisiert hat. Von einem "neuen Antisemitismus" kann man aber nicht sprechen, weil neue Inhalte ebenso wie neue Methoden nicht erkennbar sind, wohl aber von einer Judenfeindschaft, die sich traditioneller Stereotypen bedient, sie aber offener und offensiver propagiert, als dies in der Vergangenheit der Fall war.


III. Antisemitismus als alltägliches Vorurteil
Der Alltagsantisemitismus in unserer Gesellschaft beruht auf dem stillschweigenden Einverständnis der Mehrheit über die Minderheit. Man muss, da über Chiffren kommuniziert wird, nichts aussprechen, sondern man kann mit Andeutungen operieren: "Diese Leute, na, Sie wissen schon." Damit ist der Konsens hergestellt und man bleibt auf jeden Fall scheinbar innerhalb der Bereiche der politischen Kultur, wenn man Klartext vermeidet.

Antisemitismus ist kein Reflex auf das Verhalten oder auf Handlungen von Juden, das betone ich immer wieder. Trotzdem aber ist die Abneigung gegen Juden ritualisiert und operiert mit diesem Vorwurf, die Juden seien schuld, dass man sich ihnen gegenüber so verhalte. Man ermahnt die Juden auch gern: Sie sollen doch still und freundlich sein, sich nicht auffällig verhalten, nichts kommentieren, was in der Gesellschaft passiert, denn das würde den Antisemitismus wecken.

Die alltäglichen Manifestationen von Judenfeindschaft sind Friedhofschändungen, Propagandadelikte, bei denen die immer gleichen Stereotypen eingesetzt werden. Eine Manifestation ist auch die Verständigung der Mehrheit, sei es am Arbeitsplatz, in der Schule, im Straßenverkehr darüber, dass Juden auf eine unangenehme Art anders sind als Nichtjuden.

Ein im Vormarsch befindliches Mittel ist die Trivialisierung der Stigmatisierung von Juden. "Jude" wird in vielen Zusammenhängen immer mehr ein alltägliches Schimpfwort, ähnlich wie "Opfer". "Opfer" ist unter Schülern ein böse gemeintes Verdikt. Der Schiedsrichter beim Fußballspiel, dessen Entscheidung missbilligt wird, wird seit einiger Zeit mit steigender Tendenz als "Jude" bezeichnet, das soll ihn brandmarken, darüber soll er sich kränken.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Israelfeindschaft, die etwas anderes ist als die Kritik an der israelischen Regierung für bestimmte politische Handlungen oder Einstellungen. Israelfeindschaft unter dem Schlagwort Antizionismus dient in unserer Gesellschaft nun seit einiger Zeit als Ventil für Gefühle, die zu Recht durch die Regeln unserer politischen Kultur sanktioniert sind, die nicht offen artikuliert werden können, aber unter dem Deckmantel der Israelfeindschaft, die sich als Israelkritik tarnt, wie man aber unschwer erkennen kann, eigentlich immer die Gesamtheit der Juden meint. Es läuft immer sehr schnell auf "Charaktereigenschaften" und generalisiertes Verhalten "der Juden" hinaus. Das scheint manchen wohl immer mehr ein Ausweg aus dem Gehege gesellschaftlich gebotenen Verhaltens zu sein.


IV. Was lernen wir daraus?
Die Nutzanwendung von Erkenntnissen der Antisemitismus- und Holocaustforschung ist sicherlich das schwierigste Feld, das am meisten nachgefragt wird, das den Wissenschaftler, der sich als Forscher mit diesen Phänomenen beschäftigt, besonders oft ratlos macht.

Welche unmittelbaren Konsequenzen müssen aus historischem Wissen, also aus der Kenntnis der Ereignisse des Holocaust erfolgen? Hier ist die deutsche Gesellschaft als Gesellschaft eines Einwandererlandes besonders gefragt. Herr Krüger hat das in seiner Begrüßung schon angedeutet. Das erscheint mir auch als ein ganz besonders wichtiger Punkt, denn in der Zuwanderergesellschaft gibt es eine Art Erinnerungskonkurrenz.

Der in Deutschland geborene junge Mann tschechischer Abkunft hat in der Schule Mühe, seine Emotionen angesichts des Lehrstoffs "Flucht und Vertreibung" zu ordnen, denn seine Großmutter spricht nur tschechisch, hat "die Deutschen" als brutale Okkupationsmacht in Erinnerung und hat Probleme, die Tatsache zu verarbeiten, dass ihre Kinder nach Deutschland ausgewandert sind. Ähnlich ergeht es einer jungen Frau, deren Eltern aus Polen zugewandert sind und die trotz erfolgter Integration in die deutsche Gesellschaft natürlich noch enge Bindungen an die frühere Heimat haben.

Wie stark müssen sie sich jetzt als Einwanderer in die Tradition der Nation, der sie nun angehören, einbringen? Das ist eine der spannenden Fragen, die uns insbesondere auf dem Bildungssektor beschäftigen müssen.

Das Verständnis und die Aneignung deutscher Geschichte, wie sie über den Schulunterricht erfolgt oder erfolgen sollte, muss nicht zwangsläufig als Identitätskonflikt dargestellt werden, aber es lässt sich unschwer ausrechnen, dass häufig der Verzicht auf die Beschäftigung mit historischen Themen und den daraus erwachsenden moralischen Postulaten als Ausweg gesucht wird. Das gilt auch, und zwar in ungleich stärkerem Maße, für Zuwanderer aus ferneren Kulturen.

Politische, kulturelle und religiöse Positionen, die die Emotionen im Haushalt der Zuwanderer aus der islamischen Welt bestimmen, sind durch kognitive Einwirkung - durch Schulunterricht, durch den Besuch von Gedenkstätten, durch Projektarbeit - in der Regel nicht leicht zu verändern. Der Druck des Elternhauses, der die Loyalitäten und damit die Aufnahmebereitschaft für Informationen bestimmt, macht sich etwa an Berliner Schulen bemerkbar, wenn Schüler sich unter Berufung auf Emotionen und Loyalitäten weigern, am Unterricht teilzunehmen, wenn der Holocaust und generell das Schicksal der Juden Gegenstand des Lernens ist. Israelfeindschaft und unbedingte Parteinahme für die Sache der Gegner der Juden sind Anlass einer Verweigerung, die mit der Festigung von Vorurteilen und Feindbildern einhergeht.

Dieses ist, meiner Meinung nach, unter gar keinen Umständen hinzunehmen, wenn wir eine Einwanderergesellschaft sind und das sind wir gottlob. Man muss nicht auf Assimilation als unbedingte Preisgabe eingebrachter Identität drängen, aber man muss darauf drängen, dass der soziale und kulturelle Konsens der Aufnahmegesellschaft von den Menschenrechten bis hin zum korrekten Umgang mit dem Phänomen Holocaust, von allen Bürgern, egal aus welchem ethnischen oder kulturellen Zusammenhang sie in diese Gesellschaft gekommen sind, geteilt wird.

Daraus folgt, Zuwanderer bringen erstens ihre Geschichte und zweitens die Erinnerung daran mit. Sie dürfen erwarten, dass ihr kollektives Gedächtnis respektiert wird. Aber auch die Gesellschaft des Immigrationslandes erwartet drittens, dass Zuwanderer von der Geschichte dieses Landes und der Verortung der prägenden Elemente im nationalen Gedächtnis der Aufnahmegesellschaft Kenntnis haben.

Das Akzeptieren der Normen des Menschenrechtsverständnisses der Zuwanderergesellschaft ist viertens die Voraussetzung für die Integration, für das Bürgerrecht. Das bedeutet - selbstverständlich ohne Beeinträchtigung der Autonomie der eigenen Traditionen - dass im kollektiven Gedächtnis der Mehrheit der Autochthonen und der Minderheit der Immigranten für beide Traditionen Raum sein muss. Die gegenseitige Kenntnisnahme und Akzeptanz prägender Geschichte ist Voraussetzung des Zusammenlebens in einer friedlichen Gesellschaft, die zur integrativen Konfliktlösung bereit ist und nicht auf die Ausgrenzung der Minderheit durch die Mehrheit, auf Ghettoisierung oder die Etablierung und Duldung von Parallelgesellschaften ausweicht.

Das bedeutet fünftens, dass Schüler türkischer oder arabischer Herkunft von Fixpunkten deutscher Geschichte wie dem Nationalsozialismus, von Antisemitismus und dem Holocaust und ihrem Verständnis in der deutschen Gesellschaft ebenso Kenntnis haben müssen wie etwa vom Völkermord an den Armeniern, und dass die Betrachtung dieser Ereignisse nicht verweigert werden kann unter Hinweis auf patriotische Empfindungen und Loyalitäten gegenüber der Herkunftsgesellschaft. Das bedeutet in diesem Falle auch, dass die argumentative Auseinandersetzung mit der türkischen Kurdenpolitik oder dem Verhältnis Deutschlands zu Israel nicht zur Disposition steht mit Alternativen wie Gefühlswallungen des Abscheus und der Parteinahme nationalistischer Provinienz oder unter dem Postulat der Wahrung von Herkunftsidentität.

Betroffenheit, eine ohnehin nicht zwangsläufig erkenntnisfördernde Haltung, darf schließlich, sechstens, von Zuwanderern aber ebenso wenig verlangt werden wie die Bereitschaft zu Gefühlen von Scham oder gar Schuld angesichts unangenehmer Tatsachen der deutschen Geschichte. Aber der Zuwanderer darf Informationen über Inhalte des kollektiven Gedächtnisses der Mehrheit nicht ablehnen, weil das ein Indiz für die Verweigerung von Werten der Verfassungsordnung und der geltenden Idee der Menschenrechte ist.

Ich bedanke mich sehr, dass sie mir zugehört haben.

Wolfgang Benz leitet das Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Uni- versität Berlin und ist dort auch seit 1990 Professor. Der Historiker ist Mitbegründer und Herausgeber der "Dachauer Hefte". Von 1969 bis 1990 war er Mitarbeiter des Instituts für Zeitgeschichte in München. 1992 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis. Er ist Autor vieler Bücher.
Der dokumentierte Text ist ein Auszug aus dem Vortrag "Antisemitismus und Holocaustleugnung in Deutschland und Europa. Aktuelle Befunde und Gegen- strategien". Benz hielt ihn Ende 2006 auf der Konferenz "Der Holocaust im transnationalen Gedächtnis", veranstaltet von der Bundeszentrale für Politische Bildung und dem Zentrum für Antisemitismusforschung.

Frankfurter Rundschau, 7.3.2007 (Langfassung)

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