Doppelt hält besser!
Berlin hat seine älteste Synagoge zurück - und eine nagelneue dazu
von Lutz Lorenz

Nach zweijähriger Sanierung wurde am letzten Freitag des August Deutschlands nunmehr größte Synagoge in Berlin wieder ihrer Bestimmung übergeben. Im September 1904 nach gerade einmal zehnmonatiger Bauzeit eröffnet, ist das neoromanische Gebäude des Architekten Johann Hoeniger in der Rykestraße im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, dem "Hohen Norden" der Hauptstadt, für etwa fünf Millionen Euro renoviert worden. Nun bietet sie wieder 1.100 Gästen Platz für Gottesdienste, Konzerte und Veranstaltungen, neunhundert weniger als 1904. Die letztgenannten neueren Aufgaben des Gotteshauses ermöglicht eine flexible Bestuhlung in den vorderen Reihen, so dass auch große sinfonische Besetzungen vor der Bima Platz nehmen können. Zudem wurde wieder eine Orgel eingebaut - eines der wesentlichen Merkmale liberaler Synagogen im Unterschied zu Gotteshäusern orthodoxer Ausrichtung.

Die Synagoge in der Rykestraße stellte schon immer ein Novum für die Berliner Gemeinde dar: Die Gottesdienste fanden nach altem Ritus statt, neben orthodoxen amtierten auch liberale Rabbiner. 1934 wurde eine neue Liturgie am Freitagabend eingeführt, zwei Jahre später auch für den Samstagvormittag. Damit trug man den seinerzeit veränderten Bedürfnissen der Gemeindemitglieder nach einem traditionelleren jüdischen Leben Rechnung. Der Rückzug in die Religion schien vielen Juden zu Beginn der 1930ger Jahre ein sicherer Hafen zu sein, sich bei zunehmender gesellschaftlicher Ausgrenzung wenigstens die ethischen Werte erhalten zu können: Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten gewannen Vorträge, Sprachkurse, Konzerte und die soziale Betreuung mehr und mehr an Bedeutung, je stärker sie vom öffentlichen Leben ausgegrenzt wurden. Die Grundschule im Vorderhaus musste nach dem Rauswurf jüdischen Schüler aus öffentlichen Schulen erweitert, im Hof mussten Baracken für den Unterricht gebaut werden.

In der Pogromnacht 1938 wurde das Gebäude nicht gebranntschatzt, da die Nationalsozialisten um die "arischen" Häuser in der eng bebauten Nachbarschaft im typischen Berliner Mietshaustil der Jahrhundertwende fürchteten. Der Synagogenraum wurde dennoch zerstört, Torarollen geschändet, Rabbiner sowie Gemeindemitglieder verhaftet und ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Im April 1940 fand der letzte Gottesdienst in der Rykestrasse statt.

Nach der Befreiung durch die Rote Armee im Mai 1945 wurden im Vorderhaus überlebende DPs untergebracht. Schon Ende Juli 1945 traute Rabbiner Martin Riesenburger das erste Paar. Nach einer größeren Renovierung, bei der die jüdische Gemeinde vom Berliner Magistrat unterstützt wurde, konnte die Synagoge 1953 erneut eingeweiht werden.

Im selben Jahr kam es zur Teilung der jüdischen Gemeinde Berlins. Die Synagoge in der Rykestraße wurde zum Zentrum der Gemeinde im Ostteil der Stadt, der Hauptstadt der DDR, ja des ganzen Landes. Bis zur "Wende" im Herbst 1989 schrumpfte diese Gemeinde auf etwa 200 Mitglieder zusammen. So amtierten zu den Hohen Feiertagen regelmäßig Rabbiner und Kantoren aus dem Ausland. Das jährliche Synagogenkonzert mit Oberkantor Estrongo Nachama aus Berlin (West), gemeinsam mit dem Leipziger Synagogalchor, gehörte zu den Höhepunkten des Kulturlebens in Berlin (Ost).

Die Aufrechterhaltung des Gemeindelebens lag dennoch in erster Linie in den Händen der engagierten, wenn auch wenigen, Mitglieder: Von 1971 bis zur Wiedervereinigung mit der Gemeinde im Westteil der Stadt 1991 war Peter Kirchner Vorsitzender der Ostberliner Gemeinde. Olean Ingster, der seit April 1966 als Vorbeter amtierte, ist es zu verdanken, dass die Synagoge in der Rykestrasse die einzige in der DDR war, in der regelmäßig Gottesdienste stattfanden und Jungen und Mädchen auf Bar Mizwa und Bat Mizwa vorbereitet werden konnten. Worte des Dankes an diese beiden fand im Rahmen der Wiedereröffnung lediglich der heutige Gabaim Herman Simon.

Gemeinsam mit der sandgestrahlten Aussenfassade, die sich nun wieder in einem warmen wie zugleich leuchtendem Rot präsentiert, wurde der Innenraum mit den Ausmalungen der Decke und den farbigen Glasfenstern in weiten Teilen originalgetreu wieder hergestellt. Die besondere Schwierigkeit bestand für die Restauratoren darin, dass keinerlei Farbfotos vom Ursprungszustand mehr existierten. Lediglich drei schwarz-weiß-Aufnahmen des Innenraumes standen den Architekten Ruth Golan und Kay Zareh zur Verfügung.

In einem sehr klassisch-feierlichen Festakt, dem unter vielen Ehrengästen auch die Präsidentin des Zentralrates der Juden, Charlotte Knobloch, mehrere Bundespolitiker, darunter Innenminister Schäuble, Bundestagsvizepräsident Thierse und die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag Künast sowie Berliner Senatoren beiwohnten, zugleich gestaltet als Eröffnung der diesjährigen "Jüdischen Kulturtage" in der Hauptstadt, konnte die Synagoge nun ihrer Bestimmung zurückgegeben werden. Besonders wurde die 85-jährige Rita Rubinstein aus Israel begrüßt, die nach siebzig Jahren erstmals wieder nach Berlin gekommen war. Eigentlich hatte die ehemalige Beterin der Rykestrasse vor der Shoa niemals wieder deutschen Boden betreten wollen. Auch Rabbiner Leo Trepp, der vor dem Holocaust hier Gottesdienste abhielt, konnte zum Festakt begrüßt werden, sein Grußwort ließ den fast 90-Jährigen sicht- und hörbar begeistert von der Rekonstruktion und dem Wiedererstehen jüdischen Lebens an diesem Ort sein.

Charlotte Knobloch erklärte, die "Jüdischen Kulturtage" seien ein guter Weg, um gegen Vorurteile und Verleumdung vorzugehen. Sie würden "einen Dialog auf Augenhöhe" zwischen Juden und Nichtjuden ermöglichen. Es gebe in Deutschland noch immer Antisemitismus, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit: Vor wenigen Tagen erst hätten sich erneut menschenverachtende Ausschreitungen ereignet, die jeden Demokraten entsetzten würden. Innensenator Körting versicherte dazu, er werde nicht zugelassen, dass Juden angegriffen und bedroht würden, "von wem auch immer". Er erklärte als offizieller Redner der Landesregierung stolz und dankbar zu sein, dass jüdisches Leben und jüdische Kultur wieder in Berlin zu Hause seien und Juden sich in dieser Stadt wieder heimisch fühlten.

Ein wenig unglücklich war die Verbindung beider Ereignisse indes schon: Zuweilen war zu hören, dass das kulturelle Leben der Gemeinde, böse Zungen sprechen immerhin von einem "Kulturverein", die religiösen Aufgaben übertrumpfen könnte. Außerdem goss ein grober Organisationsfehler einen Wehmutstropfen in den festlichen Mittag: zu viele Redner und zu lange Redezeiten ließen die Aufmerksamkeit der Gäste derart nachlassen, dass immer mehr von ihnen die Veranstaltung verließen.

Zwei Tage später, am ersten Septembersonntag, wurde im Stadtteil Wilmersdorf das "Jüdische Bildungszentrum - Szloma-Alba-Haus - Rohr Chabad Zentrum" der als streng orthodox bezeichneten Bewegung Chabad Lubawitsch eröffnet. Zu den Gästen gehörten unter anderem Bundesaußenminister Steinmeier sowie Israels früherer Oberrabbiner Lau.

So gar nicht streng orthodox wurde die Eröffnung des Zentrums als großes Familienfest begangen, was auch der Zielsetzung des neuen Hauses entspricht: Neben der Synagoge im Zentrum umfasst es Seminar- und Schulungsräume, eine Bibliothek, ein koscheres Restaurant, einen Judaica-Laden, die "Talmud-Tora"-Schule mit Kinderspielplatz und dem "Mama & ich"-Lernprogramm für die Kleinsten, eine Jugend-Lounge sowie ein ansprechendes "Berlin Tourist Welcome Center" im Foyer. Auch Gästezimmer und eine Mikwe beherbergt das Zentrum, das in einem ehemaligen Umspannwerk mit fast ausschließlich privaten Mitteln eingerichtet wurde. "Unsere Mikwe wird total "re-designt", sie wird aussehen wie ein Fünf-Sterne-Spa, Maniküre, Pediküre wird es geben und die Frauen werden gerne in unsere Mikwe kommen!", so Rabbiner Yehuda Teichtal, Initiator, Organisator und heute Chef des Hauses in der Münsterschen Strasse 6. Die Förderer finden sich an einer Tafel im Foyer, unter ihnen viele bekannte und alteingesessene Berliner Familien, gegenüber den aus Jerusalem stammenden Steinen, die auf 30 Metern Länge eine Nachbildung der Klagemauer symbolisieren.

Israels Botschafter Shimon Stein in seinem Grußwort: "Chabad hat sich seit ihren zarten Anfängen vor mehr als einer Dekade zu einer unverzichtbaren Einrichtung für das jüdische Lernen und Leben aller Generationen und aller Ausrichtungen entwickelt." Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit betonte die wichtige Aufgabe, die Chabad bei der Integration jüdischer Immigranten aus Osteuropa leisten kann und Bundesbildungsministerin Schavan hob die Bedeutung des Kindergartens, des geplanten Förderunterrichts und der für jedermann offenen Bibliothek hervor. Familienministerin von der Leyen, wünschte dem Zentrum insbesondere als Ort "der religiösen Erfahrung und des spirituellen Austausches" viel Erfolg und erhofft sich eine vermittelnde Rolle zwischen Familie, religiöser Gemeinschaft und Gesellschaft sowie einen Beitrag zur Werteerziehung als Schlüsselbegriff der Erziehungsverantwortung.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin schreibt indes: "Kann sich heute noch irgendein Mensch jüdisches Leben in Berlin ohne Chabad Lubawitsch vorstellen... Chabad Lubawitsch beweist, dass religiöse Orthodoxie sich gut mit unserer modernen Lebensweise vereinbaren lässt."

Solchen Erwartungen wird das Zentrum unter Leitung von Rabbiner Teichtal und seiner Frau Leah, der Direktorin des Bildungsbereiches, mit einem Mitarbeiterstab von inzwischen knapp dreißig Festangestellten gerecht werden müssen. 2.700 Quadratmeter Nutzfläche gilt es nun mit Inhalten zu füllen und Juden wie nichtjüdische Gäste gleichermaßen für die Bildungsangebote zu interessieren.

Berlin ist das Headquarter der Chabad Lubawitscher in Deutschland. Insgesamt 14 Zentren gibt es inzwischen, allesamt jedoch kleiner, die kleinsten sind in Privatwohnungen tätig. Den Umbau des Berliner "Szloma-Albam-Hauses" hat der gebürtige Moskauer Architekt Sergej Tchoban geplant und umgesetzt "in vier Jahren und fünf Millionen Euro", wie man erfährt, somit also der gleichen Summe, die für die Rekonstruktion der Rykestrasse aufgewendet wurde. Der 45-Jährige zeichnete bereits für die Rekonstruktion des "Berolina-Hauses" am Alexanderplatz verantwortlich. International bekannt wurde er mit dem nach seiner Fertigstellung noch in diesem Jahr höchsten Gebäudes in Europa, dem "Federation Tower" in Moskau. Der Absolvent der Leningrader Kunstakademie betreibt Büros in Hamburg, Dresden, Berlin und Moskau.

Für das Herzstück des Baus, den Synagogenraum in der ehemaligen Transformatorenhalle des alten BEWAG-Gebäudes, hat sich Tchoban etwas Ungewöhnliches einfallen lassen. Die Empore ist derart konstruiert, dass sie lediglich an einer Seitenwand mit dem Gebäude verbunden ist, ein Effekt, der sich erst beim genaueren Hinsehen erleben lässt. Alles ist in warmen Tönen gehalten, Holz dominiert den Raum, feingliedrige wie geradlinige Strukturen geben Halt und Orientierung. "Allen, die unsere neue Synagoge betreten, wird sie Inspiration sein und ein erhebendes Gefühl vermitteln. Unsere Synagoge wird ein Verbindungsglied über Zeit und Raum hinweg zwischen uns und unseren Vorfahren und Nachfahren sein", ist sich Rabbiner Teichtel sicher.

Lassen wir zum Schluss, im Grußwort an Chabad formuliert, aber wohl allgemeingültig gemein, nochmals den Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin zu Worte kommen: "Jüdisches Leben in Berlin ist auch heute noch vergleichbar mit einer Blume, die nicht richtig gedeihen kann, weil sie nicht genügend Wasser und Sonne abbekommt" und "Es wird wahrscheinlich noch lange dauern, bis unsere Blume wieder in voller Pracht erblüht", so Joffe.

Mit beiden Häusern, vor allem aber den Menschen, die sie mit Leben erfüllen sollen und wollen, mit ihren Wünschen und Hoffnungen, Sorgen und Nöten - aber auch mit Freuden und Freunden, mit Vorschlägen, Wissen und Engagement, hat die Berliner Gemeinde - wieder einmal - die Chance, einen Stück weit vorwärts zu kommen.

In wenigen Tagen findet die erste Repräsentantenversammlung nach der Sommerpause und damit wohl drittletzte vor den Neuwahlen statt. Die Pferde scharren schon mit den Hufen. Dennoch bleibt nach diesen beiden erhebenden Eröffnungen, jede auf ihre Art, die Hoffnung, dass sich die gemeinsame Aufbruchstimmung des sommerlich-sonnigen Straßenfestes bei Chabad und der klassischen Klänge aus der Rykestrasse auch irgendwie, vielleicht nur ein wenig, auf einen ehrlichen und fairen Wahlkampf positiv auswirken könnte. Denn die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt!

"Jüdische Zeitung", September 2007
www.j-zeit.de

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