Hakenkreuze in Israel
Die Neonazis im jüdischen Staat sind mehr als ein Randphänomen
von Naomi Bubis

Sie misshandeln Fremdarbeiter ebenso wie orthodoxe Juden, heben den Arm zum Hitlergruss und schmieren Hakenkreuze auf Synagogen: In Israel haben angesichts der jüngsten neonazistischen Umtriebe Empörung und Fassungslosigkeit den Reflex der Verdrängung abgelöst.

N eonazis in Israel. Das war bisher ein undenkbarer Zusammenhang. Und doch hat die israelische Polizei jüngst eine Bande von acht jugendlichen Neonazis im bei Tel Aviv gelegenen Petach Tikva verhaftet. Bis auf eine Ausnahme sind sie alle nichtjüdische Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion. Sie werden beschuldigt, Angriffe auf asiatische Fremdarbeiter, Homosexuelle, Drogenabhängige und orthodoxe Juden verübt zu haben. Die Neonazis haben sich selbst dabei gefilmt, wie sie im Skinhead-Outfit Obdachlose, Drogenabhängige und Ausländer nahe dem Tel Aviver Busbahnhof mit Knüppeln, zerbrochenen Bierflaschen und Schlagringen traktieren und mit ihren Springerstiefeln blutig treten. Die Tageszeitungen veröffentlichten Fotos, auf denen die Gruppenmitglieder ihre tätowierten Arme zum Hitlergruss recken und mit Sturmgewehren posieren.

Hass auf alles Jüdische
Die Ermittlungen gegen die Gruppe begannen vor einem Jahr, nachdem eine Synagoge in Petach Tikva zweimal mit Nazi-Symbolen und antisemitischen Sprüchen besprüht worden war. Bei der Durchsuchung der Wohnungen der Verdächtigen fand die Polizei Messer, Sprengstoff und andere Waffen. Zu den beschlagnahmten Materialien gehöre auch ein deutschsprachiges Video über Neonazis in Amerika. Mit diesen soll die Gruppe Kontakte unterhalten haben. Die Mutter des 19-jährigen Anführers der Bande, Eli Buanitov, beklagte sich im Fernsehen in gebrochenem Hebräisch, ihr Sohn habe sich von Israel distanziert und sogar geweigert, in der Schule Hebräisch zu sprechen. Er habe alles Jüdische gehasst. Sollte es zu einer Anklage kommen, können die jungen Männer aber nicht wegen neonazistischer Aktivitäten belangt werden, da es im israelischen Gesetz hierzu keinen entsprechenden Paragrafen gibt. Die Jugendlichen können jedoch wegen rassistischer Hetze und schwerer Körperverletzung belangt werden.

Dass es im jüdischen Staat Menschen gibt, die sich nazistische Symbole in den Arm tätowieren, den Hitlergruss zeigen und orthodoxe Juden attackieren, ist für die meisten Israeli ein Schock. Doch ist dies kein Randphänomen. Seit 2002 wurden über 500 antisemitische Vorfälle registriert, vor allem Hakenkreuzschmierereien, Vandalismus auf Friedhöfen, aber auch Attacken gegen orthodoxe Juden. Im Oktober 2004 sollte in einem Tel Aviver Klub gar ein Konzert der österreichischen Neonazi-Band Blutharsch stattfinden. Nach Protesten wurde das Konzert abgesagt. Im Januar wurden sechs Jugendliche im Tel Aviver Vorort Bat Yam dabei ertappt, wie sie eine israelische Fahne und religiöse Schriften verbrannten. In der von russischen Einwanderern geprägten Wüstenstadt Arad wurde mehrmals in Synagogen eingebrochen und randaliert.

Angesichts der Festnahme der acht Neonazis wird nun wieder über eine Änderung des Einwanderungsrechtes diskutiert. Israel, das sich als Heimat für die Juden in aller Welt betrachtet, steckt die Kriterien für eine legale Einwanderung recht weit. Das Rückkehrgesetz von 1970 sieht vor, dass diejenigen Personen nach Israel einwandern können, die selbst oder deren Familienangehörige Juden sind. So können unter anderem auch Russen einwandern, die nur einen jüdischen Grossvater haben und damit gemäss dem jüdischen Religionsgesetz keine Juden sind. Denn nur wer eine jüdische Mutter hat oder zum Judentum übergetreten ist, gilt als Jude.

Kraft des Rückkehrgesetzes wanderten in den neunziger Jahren mehr als eine Million Bürger der ehemaligen Sowjetunion nach Israel aus. Laut offiziellen Angaben sind unter ihnen etwa 300 000 nichtjüdische Russen, so auch die Familien der Neonazis. Auch Oleg B., der seinen vollen Namen nicht nennen möchte, erzählt, er habe sich in Russland auf dem Schwarzmarkt einen "jüdischen" Pass gekauft, mit dem er nach Israel einreiste. Auf die Frage, was denn ein jüdischer Pass sei, erklärt Oleg, dass die Bürger der ehemaligen Sowjetunion neben ihrer Staatsangehörigkeit eine Nationalität in ihren Pass eingetragen bekommen, zu der auch das Judentum zählt. Viele Israeli, unter ihnen der aschkenasische Oberrabbiner Metzger, plädieren nun dafür, das Einwanderungsgesetz dahingehend zu ändern, dass künftige israelische Staatsbürger ihre Verbindung zum Judentum nachweisen müssten.

Wächter des Antisemitismus
Zalman Gilitschinski, der Gründer des Israelischen Informations- und Hilfszentrums für die Opfer von Antisemitismus, hält seit 17 Jahren sämtliche antisemitischen Vorfälle in Israel fest. Der Antisemitismus in seinem Geburtsland, der Moldau, liess ihn 1989 nach Israel emigrieren. "Würde ich mich meiner Angst nicht schämen, dann würde ich mich fürchten", sagt der 42-Jährige am Telefon. Er schätzt, dass die braune Szene in Israel immerhin einige hundert Mann stark ist. Den Behörden wirft er vor, die Übergriffe zu beschönigen. Selbst Ministerpräsident Olmert bewertete die Festnahme der Neonazis als Einzelfall. Olmert warnte vor einer pauschalen Verurteilung von russischsprachigen Zuwanderern.

Sorge bereitet Gilitschinski eine rassistische Internetseite, die junge russische Einwanderer dazu aufrufe, zum israelischen Militär zu gehen, um dort den Umgang mit Waffen zu erlernen. Wie alle Israeli müssten auch die russischen Jugendlichen den obligatorischen Armeedienst leisten, sagt er, egal, ob sie Juden sind oder nicht. Auch Ilia Zolotov, der ehemalige Betreiber der Internetseite "White Israeli Union", sei beim Militär gewesen. Als die Polizei letztes Jahr sein Haus durchsuchte, fand sie neben Drogen auch jede Menge Nazipropaganda auf seinem Computer. Im September 2006 wurde der 20-jährige Zolotov verurteilt: zu ein paar Stunden Sozialarbeit und einer Fahrt zur Gedenkstätte des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz. Das rechtsextreme Gedankengut brächten die Neueinwanderer zum Teil aus Russland mit, meint Gilitschinski. Das Thema werde Israel noch lange beschäftigen. Und tatsächlich: Am Montag wurde ein Auto in Haifa mit Hakenkreuzen beschmiert und ein Angestellter der städtischen Müllabfuhr von Jugendlichen getreten, dabei reckte einer der Halbstarken laut Augenzeugen die Hand zum Hitlergruss.

Neue Zürcher Zeitung, 21. September 2007

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