Urteil statt Vorurteil. Heute:
Bethlehem
von Klaus-Peter Lehmann

Weihnachtspredigten können es kaum vermeiden vom Geburtsort Jesu von Nazareth, von Bethlehem, zu sprechen. Um nicht rein historisch zu bleiben, werden sie auf das heutige Bethlehem, auf die Situation der dort lebenden Christen hinweisen. So wird es fast unumgänglich, die Besatzungsmacht Israel zu erwähnen. Leicht entsteht ein Bild, in dem sich europäische Christen mit den von israelischer Seite Gewalt erleidenden Palästinensern identifizieren werden. Zudem drängt sich bei Militäraktionen in palästinensischen Wohnvierteln die Erinnerung an den bethlehemitischen Kindermord auf. Das antijudaistische Gegenüber von christlicher Friedenssehnsucht und jüdischer Gewaltreligion stellt sich wie von selbst ein.

Ein theologisches Problem liegt nicht in einer Parteinahme für die Leidenden, sondern darin: Wie sollen Christen von Bethlehem sprechen? Was bedeutet es für Christen, dass die biblischen Verheißungen immer mit dem Land Israel oder mit Orten darin verbunden sind wie Jerusalem, Bethlehem, Bethel? Die christlichen Kirchen sind mit der biblischen Geographie immer selektiv und selbstbezogen umgegangen. Jerusalem und Bethlehem, die mit dem Namen Jesu Christi verbunden sind, stehen bei Christen in Ansehen. Die Landverheißungen für Israel dagegen werden als überholt und ungültig abgetan. Für das biblische Volk aber haben sie existentielle Bedeutung. Daraus wird deutlich: Die Kirchen wollten immer einen Messias, für den die unauflösliche Verbindung zwischen dem jüdischen Volk und dem verheißenen Land keine Rolle spielt. Das politische Existenzrecht der Juden war für die Kirche bis in die jüngste Gegenwart nicht einmal ein theologisches Problem.

Dem entgegen verkündet das Evangelium des Lukas den Messias Jesus als Horn des Heils, der Israel Befreiung von seinen Feinden bereiten wird (Lk 1,68-71). Damit ist die Wiederherstellung des Reiches für Israel (Apg 1,6f), also seine politische Autonomie, gemeint, die durch die weltweite Existenz christlicher Gemeinden als Leib Christi unterstützt werden soll (Apg, 15,13-16).

Welche Bedeutung hat Bethlehem für Christen? Wichtiger als der Ort, ist die im Buch Micha (Mi 5,1-5) mit ihm verknüpfte Verheißung für Israel. Micha spricht von Israels Rückkehr aus dem Exil, vom ruhigen, d.i. von Feinden unbehelligten Wohnen Israels in seinem Land, vom alle Völker umfassenden Frieden: Und das wird das Heil sein. Das Heil des in Bethlehem geborenen Messias bedeutet im Alten und im Neuen Testament Frieden auf Erden (Mi 5,4b; Lk 2,14) und Befreiung Israels von seinen Feinden (Mi 5,4a; Lk 1,71). Die Sendung Jesu Christi besteht also darin, die Erfüllung dieser Verheißungen auf den Weg zu bringen. Sein Werkzeug dafür ist die Kirche als Leib Christi, als Gemeinschaft versöhnter Völker (Kol 3,5-15).

Für evangelische Christen ist Bethlehem kein heiliger Ort, aber seine Nennung ruft die Sendung wach, zu der Christen als Jünger dessen, der auf dem Weg der Völkerversöhnung Israel aus der Hand seiner Feinde befreien will, berufen sind. Die Nennung Bethlehems ruft Christen an die Seite Israels gegen seine Feinde. Auch nach Auschwitz ist die Bedrohung Israels durch einen auf der ganzen Welt, hier manifest, dort latent, verbreiteten Antisemitismus nicht vorüber.

Zur Kirche Jesu Christi gehören die christlichen Palästinenser. Wie vermittelt sich christliche Solidarität gegenüber Israel mit dieser kirchlichen Zusammengehörigkeit? Zunächst darin, dass die christlichen Palästinenser als Glieder der Kirche ernst genommen werden und nicht nur als Leidende. Die politische Situation macht ihnen das Leben besonders schwer. Sie leiden nicht nur unter der Politik Israels, sondern auch weil sie als Minderheit unter dem Druck der muslimischen Mehrheit der Palästinenser leben, die vornehmlich antisemitisch denkt und fühlt. Dennoch müssen auch sie der irrationalen Feindschaft gegen Gottes erwähltes Volk widerstehen. Keine leichte Aufgabe zwischen den von Hass geprägten Fronten im Nahen Osten. Eine Leugnung der Erwählung Israels, auch wenn sie angesichts illegitimer politischer Gewaltmaßnahmen des Staates Israel schwer fällt, wäre in jedem Falle eine Leugnung des Juden und Christen zusammenführenden Gottes. Die christlichen Palästinenser leben in einer fürchterlichen Klemme zwischen der christlichen Solidaritätsforderung mit dem jüdischen Volk und der nationalen Solidaritätsforderung mit dem palästinensischen Volk, dessen Politik vom muslimischen antisemitischen Antizionismus geprägt ist. Ihnen in dieser Klemme beizustehen, ist die ökumenische Aufgabe der Kirche. Völker versöhnende und interreligiöse Initiativen, die zum gegenseitigen Verstehen Türen öffnen, werden wohl auf lange Zeit vorrangige Aufgaben christlichen Engagements bleiben.

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